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[p. 365] Der Einfluß der päpstlichen Justizbriefe auf die Justizbriefe der französischen Königskanzlei um 1300

I. Begriff, Form und Funktion der Lettres de justice – II. Königlicher Justizbrief und päpstliches Delegationsreskript: Formularparallelen – III. Anmerkungen zur Rezeption kurialer Verwaltungs- und Formularvorbilder

I

Der Begriff der Lettre de justice, des Justizbriefes der französischen Königskanzlei, wird in der historischen Forschung nicht immer klar umrissen gebraucht, da mitunter inhaltliche und diplomatisch-formale Kriterien, mittelalterliche und moderne Terminologie miteinander vermengt werden. Eine breitere Definition nimmt eine grobe inhaltliche Eingrenzung vor, die generell alle Urkunden, die als Mittel der Steuerung von Prozessen im Namen des Königs ausgestellt wurden, zu den Justizbriefen rechnet – im Unterschied zu Gnaden- und Finanzsachen, wobei in der Praxis jedoch die Grenzen nur allzu oft fließend waren.1 In diesem allgemeinen Sinne begegnet der Terminus Lettre de justice etwa in der Parlamentsordonnanz von 1310; meist jedoch sprechen mittelalterliche Texte nur unspezifisch von littere.2 In den mittelalterlichen Formularbüchern aus dem Umfeld der französischen Königskanzlei steht dagegen die littera iusticie nur für [p. 366] spezielle Prozeßdelegationen bzw. Aufforderungen zur Prozeßeinleitung durch nachgeordnete Richter in einem Zivilprozeß.3

Als praktikabler Kompromiß zwischen der weiten, doch unscharfen Begrifflichkeit der Ordonnanzen und der engen Terminologie der Formularbücher werden mit Tessier jedoch gewöhnlich in der Diplomatik jene königlichen Urkunden als Justizbriefe bezeichnet, die in Mandatform die Aufnahme eines Prozesses, einer Untersuchung oder eine sonst prozeßrechtlich relevante Handlung, in der Regel durch einen königlichen Bailli oder Seneschall, der gemäß ratio und consuetudo vorzugehen habe, anordneten.4 Dazu sind neben der zivilrechtlich motivierten Lettre de justice ihr strafrechtliches Pendant, die Lettre de sang, das Ajournement (Vorladungsbefehl zur Verhandlung vor dem Parlament), die Lettre de déception (Eingreifen zur Annullierung bzw. Nachbesserung eines Vertrages, bei dem der Verkäufer um mehr als die Hälfte des gerechten Preises geschädigt wurde)5, die Lettre de usuris (Intervention gegen Wucherverträge)6 und die Lettre de debitis (Intervention zwecks Schuldenregelung) zu zählen.7

[p. 367] Der Justizbrief der französischen Königskanzlei ist ein kleinformatiges Alltagsschriftstück in Mandatform. In festen äußeren Formen tritt er ab ca. 1250 auf. Er ist nach französischem Kanzleibrauch in der Regel abhangend (sur simple queue) mit ungefärbt-gelbem Wachs gesiegelt. Das Formular ist schlicht und relativ starr; es besteht aus kaum mehr als aus einer Adresse, einer knappen Fallschilderung (narratio) und einer an den Adressaten gerichteten Mandatsformel (conclusio), die evtl. durch verschiedene clausule präzisiert und modifiziert sein kann. Grammatikalisch besteht es nur aus einem komplexen Satz, der in zwei Teile zerfällt. Das Mandat ist gewiß kein Schriftstück, bei dem ein Schreiber große rhetorische Kapriolen im Auge hatte, sondern ein Massenprodukt, das den Bedürfnissen eines bestimmten jurisdiktionellen Instanzenweges entsprach.8

[p. 368] Justizbriefe sind normalerweise littere communes, d.h. Urkunden mit festem, standardisierten Formular.9 Sie können insofern auch als Reskripte10 bezeichnet werden, als sie gewöhnlich aufgrund einer Requête bzw. Supplik an den König, d.h. in der Praxis meist an die Maîtres des requêtes des Parlement de Paris oder an die Poursuivanz, die Maîtres des requêtes de l’Hôtel, ergingen. Dennoch konnten Justizbriefe, wenn auch selten, vom üblichen Formularschema abweichen und ohne vorherige Eingabe direkt vom König und von ihm Bevollmächtigten oder von der Grand’Chambre des Parlaments ausgehen.11

[p. 369] Justizbriefe waren gewöhnlich ohne größere Probleme bei den Parlaments-Requêtes zu erwirken, wo nur dann eine summarische Prüfung des Falls erfolgen konnte, wenn auch die Gegenpartei des Petenten anwesend war und gegen die Ausstellung des Briefes Einspruch erhob.12 Ansonsten wurde der Justizbrief quasi mechanisch ausgestellt, indem die Darstellung des Petenten als narratio übernommen (Conquestus est nobis…) und der Fall an untergeordnete Richter zur Prüfung übergeben wurde (quare tibi mandamus…). War der Adressat Ritter, wurde er im Mandat mit vos, sonst mit tu angesprochen.13 Wurde neuerlich die Ausstellung eines Justizbriefes im selben Fall notwendig, wurde die narratio meist wortwörtlich kopiert und nur mit präzisierenden, einschärfenden oder modifizierenden Passagen versehen.14

Mit einer Vielzahl einschränkender Textklauseln versuchten sich die Maîtres des requêtes dagegen abzusichern, daß ein unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erwirkter Justizbrief als Präjudiz mißbraucht werden konnte (subreptio). Dem durch den Justizbrief delegierten Richter blieb damit ein großer Entscheidungsspielraum (prout noveris ad te pertinere): nur wenn die Darstellung des Klägers der Wahrheit entsprach (si premissa veritate nitantur, si ita est, si tibi constiterit ita esse), war in seinem Sinne vorzugehen; nur wenn eine Anhörung der Parteien (vocatis evocandis) durch den Richter Handlungsbedarf erkennen ließ, sollte er ermitteln (inquirere veritatem)15 und den rechtmäßigen Zustand wiederherstellen (fine debito terminare; super inquisitis facere iustitie complementum bzw. facere, quod fuerit racionis).16 Zur Aufnahme eines förmlichen Verfahrens (cause cognitio) im engeren Sinne kam es erst, wenn sich die beklagte Partei (oder der Procureur du roi als Vertreter der Interessen des Königs in der Provinz) der Vollstreckung [p. 370] des Justizbriefes im Sinne des Begünstigten widersetzte.17 Die Kehrseite war, daß die im Justizbrief gegebenen Befehle nicht präzise genug waren, um den Adressaten auch auf ein bestimmtes Vorgehen zu verpflichten. Ein Bailli konnte deshalb seine Renitenz auch bequem hinter vielen Ausflüchten verstecken, etwa hinter dem Vorwand, er brauche ein ausdrückliches zusätzliches Mandat, um notwendige Aktionen vorzunehmen.18

Bei Erschleichung eines königlichen Briefes zur Manipulation eines bereits bei einem anderen Richter, z.B. dem ordinarius, anhängigen Verfahrens behielt sich das Parlament vor, bei Aufdeckung solcher Machenschaften einen Prozeß wegen Täuschung der curia des Königs gegen den Manipulator anzustrengen. Der vom Parlament dann mit dem Fall betraute Kommissar hatte die Pflicht, den Fall unverzüglich an den zuständigen Richter zurückzugeben. Allgemein galt ein Mandat, ob mündlich oder schriftlich, als nichtig, wenn sein Inhalt „unerlaubt“ oder unmoralisch war; es war widerrufbar, und nach seiner Ausführung war für die Kosten seiner Abwicklung eine Quittung zu geben.19 Dennoch hatte eine königliche Urkunde immer eine besondere Autorität, die ungeachtet aller Reservationsklauseln ihrem Inhaber in der Praxis einen Vorteil verschaffen konnte; und trotz aller königlichen Anordnungen, die immer neue bürokratische Sicherungen einzubauen versuchten, etwa daß alle Briefe nur unbeschadet anderslautender Ordonnanzen ergehen durften,20 blieb grundsätzlich das Dilemma bestehen, daß strukturell die Requêtes bzw. die Kanzlei praktisch nur auf Treu und Glauben Justizbriefe ausstellen konnten. Der Style des commissaires des Parlaments bezeichnete erschlichene Briefe explizit als häufig. Die importunité de requerans war ein häufiges Thema königlicher Ordonnanzen.21 Insofern konnten Justizbriefe auch ein prozeßrechtliches Problem darstellen: sie verzögerten potentiell die Erledigung [p. 371] der Fälle,22 komplizierten die Materie und konnten bewußt zur Irreführung der sowieso schon überlasteten Gerichte mißbraucht werden.23

Eine exakte, erschöpfende rechtstheoretische Beschreibung des Justizbriefes fehlt erstaunlicherweise in den zeitgenössischen Quellen. Eine skizzenhafte Regelung des Prozederes versuchte erst eine königliche Ordonnanz von 1344.24 Der sonst so umfassende Coutumier des Philippe de Beaumanoir schweigt sich weitgehend über die Rolle und Bedeutung königlicher Justizbriefe aus, obwohl Beaumanoir selbst in seiner Funktion als Bailli Justizbriefe erhielt und ausführte.25 Der Coutumier d’Artois und die Etablissements de Saint Louis geben keine ganz schlüssige Gesamtdarstellung des Vorgangs.26 Der Grund mag darin liegen, daß Justizbriefe eine [p. 372] rein prozedurale, keine dem Urteil vorausgreifende Funktion hatten. Sie leiteten ein Verfahren ein, das an den angeschriebenen Richter delegiert wurde. Sie gaben aber nur sehr allgemeine Anweisungen und dem Adressaten keine besonderen Verfahrensregeln an die Hand, die über die Coutume und das übliche Prozeßrecht hinausgingen (prout ratio et consuetudo suadebunt); da der Streitgegenstand nicht eindeutig und erst durch Enquête zu klären war, wurde selbst die Klage oft nur mit allgemeinen Angaben geschildert (super certis criminibus etc.). Im Unterschied zum heutigen Juristenvokabular gab es auch noch keine exakt definierten Fallmuster: der einzelne Fall stand im Vordergrund, der festzustellen und zu diskutieren war, nicht eine genaue Fallkategorie.27

Von der Seite des Königs aus betrachtet, hatte der Justizbrief aber seinen Sinn in der Betonung seiner oberrichterlichen Stellung als Souverän, an den sich seine Untertanen grundsätzlich immer wenden konnten und dem eine Oberaufsicht in ganz Frankreich als Garant der Gerechtigkeit schlechthin zukam.28 Zugleich entlastete das Prinzip der Prozeßdelegation die Pariser Zentrale. Je nach den örtlichen Machtverhältnissen und den politischen Rahmenbedingungen war zwar das Ausmaß der konkreten königlichen Interventionsmöglichkeiten unterschiedlich, doch konnte prinzipiell über das Mittel des Justizbriefes in jedem Stadium auf Prozesse Einfluß genommen und Präsenz demonstriert werden.29 Dem Petenten verschaffte der Justizbrief die Möglichkeit, in gewissen Grenzen durch den Umweg über den König Einfluß auf die Wahl seines Richters und die Formen seines Prozesses zu nehmen, wobei ihm auch nach vollzogener Prozeßdelegation darüberhinaus die Möglichkeit der Appellation erhalten blieb:30

  • 1. Der Justizbrief des Königs konnte ein außerordentliches Gerichtsverfahren jenseits der üblichen Instanzen und Kompetenzen einleiten. Durch die normalerweise erfolgende Delegation des Falles an einen Bailli oder Seneschall konnte z.B. die unterste Rechtssprechungsinstanz des Prévôt/Châtelain [p. 373] etc. umgangen werden. In jedem Falle wurde die Krone durch die Supplik mit in den Prozeß gezogen, etwa zu Lasten seigneurialer Richter; auch wenn der seigneuriale Richter tatsächlich auf die Gerichtsrechte seines Herrn und auf die Coutume pochte und damit letztlich doch wieder die Herausgabe des Falles an sein Gericht erzwang: der Bailli/Seneschall des Königs, oder wer sonst als kommissarischer Richter vom König beauftragt worden war, hatte bereits die Parteien vernommen und sich mit der Sache beschäftigt. Eine gewisse Vorentscheidung war damit bereits gefallen. Ein der Einschätzung des königlichen Richters vollkommen widersprechendes Urteil des seigneurialen Richters war ein Affront und konnte erneut die königliche Justiz, etwa in Form einer Appellation, auf den Plan rufen.

  • 2. Mit einem Justizbrief konnte man auch einfach nur dem örtlich zuständigen Richter „Beine machen“, ihn mit dem besonderem Nachdruck einer königlichen Urkunde auffordern, seines Amtes zu walten (sog. „exzitative Kommission“), etwa mit besonderer Sorgfalt (cum diligentia), ohne Prozeßverschleppung (sine morosa dilatione), korrekt und ohne daß weiterer Rekurs an den König bzw. das Parlament notwendig wird (ne ob tui defectum ad nos sit ulterius recurrendum), oder in einem formlosen Schnellverfahren (summarie et de plano).31

    Die Formeln ex certa scientia und de causa speciali wurden dabei in Justizbriefen, die mit Ausnahmeregelungen in ein normales Verfahren vor dem Ordinarius eingriffen, nur vom König selbst gebraucht; das Parlament, genauer gesagt die Grand’Chambre, benutzte statt dessen die Formel ex causa.32 Während ein allein mit mandamus formuliertes Mandat nur exzitativen Charakter hatte, d.h. einen Ordinarius aufforderte, tätig zu werden, übertrug ein mit mandamus et committimus formuliertes Mandat eine außerordentliche Jurisdiktionskompetenz. Dann war auch der Stilus curie Parlamenti dem Verfahren zugrunde zu legen, während der Ordinarius gemäß örtlicher Coutume vorzugehen hatte.33

  • [p. 374] 3. Ein Justizbrief konnte eine Art „Notbremse“ in einem laufenden Verfahren sein, um konkrete Probleme abzustellen, z.B. bei Manipulationen des Prozeßgegners durch erschlichene Urkunden, unlautere Tricks, bei Voreingenommenheit oder Nachlässigkeit des Richters, auch bei seigneurialen Richtern.34 Auch der Erlaß von Interimsverfügungen, z.B. über zwischen den Parteien umstrittene Güter, war auf diesem Wege möglich.35 So konnte einerseits auf die Beachtung der Coutume (consuetudine patrie observata), der Kompetenzen, der Verfahrensregeln hingewiesen oder aber, andererseits, besondere Ausnahmen davon im Einzelfall angeordnet oder Lücken der Coutume überbrückt bzw. umstrittene Rechtsregeln geklärt werden. Mit besonderen Schlußklauseln konnte darauf bestanden werden, daß der so angeschriebene Richter spezielle Gründe, die sein Abweichen von den bisherigen rechtlichen Gepflogenheiten rechtfertigten, der Zentrale mitteilte. Damit könnte man den Erwerb eines Justizbriefes in gewisser Weise als eine Art informelle Appellation an den König bei laufendem Verfahren interpretieren.36

  • 4. Ebenso ergingen Justizbriefe, um dem Adressaten reine Polizei- und Verwaltungsaufgaben ohne eigene richterliche Funktion zu übertragen, etwa als Exekutor von Entscheidungen des Parlaments: so, wenn Urteilen vor Ort Geltung verschafft,37 Vorladungen zu Gerichtsverhandlungen zugestellt oder Beschlagnahmungen durchgeführt werden sollten. Meist wurde dann auch im Justizbrief eine Vollzugsmeldung an die Zentrale verlangt.38

  • 5. Gemäß der Parlamentsordonnanz von 1278 wurden grundsätzlich immer durch Justizbrief Fälle der Gewereverletzung (summarischer Besitzstörungsprozeß; Complainte en cas de saisine et de nouvelleté) an den zuständigen Bailli bzw. Seneschall delegiert; der Gebrauch der Formel indebite et de novo war in diesem Zusammenhang bei der Fallschilderung obligatorisch.39

Justizbriefe waren in Frankreich hauptsächlich vom späten 13. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts ein häufig gebrauchtes Mittel der königlichen [p. 375] Gerichtsbarkeit.40 Sie waren in erster Linie ein Übergangsphänomen in der Aufbauperiode des flächendeckenden Kronverwaltungs- und Justizsystems. Sie waren ein „Notnagel“ in einer Zeit, in der das Recht noch nicht offiziell schriftlich fixiert, oft lückenhaft und erst teilweise rational durchgestaltet war. Die Traditionen des Lehensstaates stießen sich dabei an den neuen hierarchischen Regierungs- und Justizinstitutionen wie Parlament und Baillis. Der per Requête angerufene König konnte praktisch gar nicht anders als auf die Klagen und Bitten seiner Untertanen zu reagieren: das gehörte zu seinem Selbstverständnis; das forderte die vom Königtum selbst immer wieder propagierte Ideologie vom König als dem allwissenden, jedem allezeit zu seinem Recht verhelfenden, gerechten und zugleich gnadenreichen Salomon auf dem Thron, ganz auf den Spuren des idealisierten Hl. Ludwig IX.;41 das erwartete das Publikum. Für den sich entwickelnden modernen Staat bedeuteten solche „feudalen Relikte“ zunächst aber auch eine schwere Hypothek. „Ideologie“ und „Staatsräson“ waren nicht deckungsgleich. Die vielen auf direktem, außerordentlichen Weg und über Patronage und persönliche Beziehungen vom König erwirkten Ausnahmen machten eine rationale Administration praktisch unmöglich und durchlöcherten erste Ansätze zur Vereinheitlichung von Verwaltung und Rechtssprechung.42

Mit der fortschreitenden Kodifizierung der Coutumes, der Klärung jurisdiktioneller Kompetenzen und der Verfestigung eines hierarchischen Instanzenzuges trat auch der prozedurale Sonderweg der Prozeßdelegation und der Exzitation lokaler Richter durch die Zentrale zurück. Es gab [p. 376] zwar weiterhin Justizbriefe, die zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung ausgestellt wurden (z.B. Lettres de réscision), sie waren aber nur noch eine sinnentleerte Formalität, die als Geldquelle der Kronverwaltung (Kanzleigebühren) diente. Obwohl der König durch das perfektionierte Regional- und Lokalverwaltungssystem schließlich überall in Frankreich repräsentiert war, wurde er paradoxerweise als Person für seine Untertanen wieder unnahbarer.43 Zwar wurde in seinem Namen Recht gesprochen, der direkte Zugang zum Souverän wurde aber zunehmend durch ein Bollwerk vorgeschalteter institutioneller Filter erschwert, und der König selbst nahm kaum noch richterliche Funktionen wahr. Überspitzt ausgedrückt wurde damit aber auch der König zum Gefangenen seines eigenen Apparates.

II

Erinnerten bereits sowohl das Prinzip delegierter Gerichtsbarkeit samt der damit zusammenhängenden organisatorischen Probleme als auch viele termini technici an die kuriale Praxis,44 zeigt ein Blick auf Morphologie und Syntax des Urkundenformulars darüber hinaus auch eine Vielzahl an Parallelen bei den inneren Merkmalen der Justizbriefe. Das Formular päpstlicher Justizbriefe ist anhand der seit der Zeit Gregors IX. (1227–41) vorliegenden Formelbücher der Papstkanzlei bequem greifbar.45 Das einzige Beispiel eines Musterformulars für einen Justizbrief des Parlement de Paris in einer quasi amtlichen mittelalterlichen Quelle findet sich im Stilus curie Parlamenti (ca. 1331) im Zusammenhang mit dem in der Praxis häufigen summarischen Besitzstörungsprozeß (Cas de saisine et nouvelleté).46 [p. 377] Das breitere Spektrum des Formularbuchs Paris, BNF ms. lat. 4763 aus der Zeit König Philipps V. (1316–22) bestätigt die Repräsentativität dieser forma und gestattet einen systematischen Überblick über Diktatverwandtschaften zwischen französischem Königsmandat und päpstlichem Delegationsreskript.

Der Grundbauplan des Formulars mit Adresse – narratio – conclusio ist identisch. Aber das ist z.B. im englischen writ schon im 10. Jh.,47 ja selbst in manchen Formularen der merowingischen Formulae Marculfi,48 nicht anders. Die Funktion der Urkunde und das Mitteilungsbedürfnis diktieren diese dreiteilige Form bis zu einem gewissen Maß. Ein Vergleich der einzelnen Formeln zeigt aber ein Maß an Übereinstimmung mit päpstlichen Vorbildern auf, das man kaum als bloßen Zufall abtun kann. Schon in der Syntax gibt es viele übereinstimmende Charakteristika, z.B. die mehrfache Hintereinanderschaltung von Nebensätzen (etwa nach dem Muster …, quod, cum… oder auch …, quod, licet…), die „logische Wende“ in der Narratio, wenn nach der Darstellung der Rechtsposition des Petenten mit der Konjunktion nichilominus die Schilderung des Vergehens des Beklagten angeschlossen wird, oder partizipiale Anschlußkonstruktionen bei den Schlußklauseln (wie … asserens…; scituri pro certo… usw.). Der Detailvergleich einzelner Formeln aus dem Formularbuch BNF ms. lat. 4763 mit entsprechenden [p. 378] Passagen der von Peter Herde edierten formae aus dem Formularium audientie der Papstkanzlei liefert weitere Belege:49

Für die Adresse gab es in der Papstkanzlei wie in der französischen Königskanzlei50 je nach Adressat eine Vielzahl detaillierter Formulierungsvorschriften; die einfache Grundstruktur ist aber gleich: Urbanus etc. Officiali tali salutem etc. (K 46 ca) begegnet im französischen Mandat logischerweise als Ph(ilippus) oder Lud(ovicus) etc. Ballivo tali salutem (Nr. 481).

Soweit ist das natürlich nichts besonderes; wie sollte wohl sonst eine Adresse aussehen? Aber schon in der Einleitung der Narratio, der „Klageformel“, wird das Bild eindeutiger: die ganze Palette der in der Papstkanzlei gebrauchten Formeln begegnet in den Justizbriefen der französischen Königskanzlei wieder: Conquestus est nobis talis civis/miles/etc. clericus talis diocesis, quod,… (π 6 / Nr. 1) – die Standardeinleitung des päpstlichen Delegationsreskripts, wie sie bereits die Pariser Durrieu-Handschrift, die wohl älteste erhaltene Audientia-Handschrift, verzeichnet;51 aber ebenso finden sich hier wie dort, manchmal mit minimalen Varianten: Exposuit nobis talis, quod,… (K 15c / Nr. 22), Significavit nobis talis, quod… (K 99h / Nr. 11), Sua nobis petitione oder conquestione monstravit talis, quod… (δ 11, K 46a / Nr. 14), Talis nobis conquerendo monstravit, quod… / Significavit nobis conquerendo talis, quod… / Talis conquerendo fecit exponi, quod… (K 19f / Nr. 4), Ex parte talis nobis est oblata querela, quod… / Ex parte talis nobis fuit conquerendo monstratum (K 99g / Nr. 10), Ad audientiam nostram noveris pervenisse, quod… (K 19g) bzw. Ad audientiam nostram pervenit, quod… (K 28), in der französischen Variante meist als Ad nostram pervenit auditum… (Nr. 464), schließlich: Querelam/Querimoniam talis accepimus continentem, quod… (K 164b / Nr. 494) – quasi das volle Einleitungsprogramm der Papstkanzlei für Justizbriefe!52

Im folgenden gebrauchen beide Kanzleien mehrere identische oder nur leicht modifizierte Formeln in der Narratio. Nach der Klageformel Conquestus est/Conquesti sunt talis/tales etc. wird z.B. fortgesetzt mit: … cum inter talem ex parte una et talem ex altera coram tali officiali (im Mandat [p. 379] des französischen Königs logischerweise … coram tali ballivo oder senescallo) … super tali causa questio verteretur (Q 14, 7 / Nr. 498), wobei bei den Personennamen durch eine nachgestellte Angabe ihr Stand präzisiert wird (also civis, armiger, miles, clericus etc.); die Titulaturen für Geistliche in französischen Justizbriefen sind dabei analog den Notule aus dem Formularium Audientiae gestaltet (N 22–31). Ein Hinweis auf ein bereits dem Justizbrief vorausgegangenes Urteil (diffinitiva sentencia, vgl. Q 15, 27 / Nr. 244) wird ggf. angeschlossen und weitergeführt mit que contra ipsum lata extitit o.ä. (Q 15, 31 / Nr. 321, 450, 573). Die abkürzende Formulierung … quidam alii/cum quibusdam aliis findet auch in der französischen Urkunde bei der Aufzählung mehrerer Personen Anwendung, allerdings wohl kaum mit der kanonistischen Strenge, die festsetzt, daß damit höchstens vier Personen gemeint sein dürfen.53 Dann, bei Pfand- und Schuldensachen,54 Formeln wie venditio usuraria / … in fraudem usurariam (K 46a / Nr. 34, 199) per usurariam pravitatem (K 18, K 19 / Nr. 89, 175), confectis exinde publicis instrumentis ac litteris obligatoriis nec non fideiussoribus aliisque cautionibus datis (K 28, im königlichen Justizbrief meist nur verkürzt litteris obligatoriis inde confectis – Nr. 87) oder als in den Hauptsatz eingeschobene Phrase: …, prout in litteris super hoc confectis plenius dicitur contineri (Q 14, 2 / Nr. 122), prout in patentibus litteris inde confectis ipsius episcopi sigillo munitis plenius dicitur contineri (Q 11, 3; im französischen Fall analog auch prout in cirograffis und … dicte ballivie sigillo – Nr. 351, 233). Ferner die Passagen vendiderunt pro certa pecunie quantitate, in qua quidem venditor ultra dimidiam iusti pretii, sicut asserit, est deceptus (K 45, K 46b / Nr. 179, 237), tales… solvere/reddere indebite contradicunt ab eo (d.h. dem Gläubiger) pluries requisiti (K 15c / Nr. 126, 201) oder eine Formel wie restituere et reddere seu sibi de ipsis satisfacere indebite contradicit (K 15b / Nr. 204): alles bekanntes Formelgut für päpstliche Justizbriefe zur Überprüfung von Kauf- und Kreditverträgen.

Nicht viel anders die Formeln im Zusammenhang mit dem Bruch der Gewere (saisina): der Streitgegenstand wird präzisiert mit Wendungen wie que de antiqua et approbata et hactenus pacifice observata consuetudine ad ipsos pertinet (K 172 / Nr. 48, 361: hier erweitert zu consuetudine, de qua contraria memoria hominum non existit [vgl. auch Nr. 206, 213], so ähnlich auch im Papstreskript als tales consueverint ab eo tempore, cuius contrarii memoria non existit, … iura percipere [δ 10]) oder, in Bezug auf Jurisdiktionsrechte: talis, ad quem huiusmodi causarum cognitio… de antiqua et approbata [p. 380] et hactenus observata consuetudine pertinet (Q 15, 46 / Nr. 217, 426, 558) oder, bei anderer Gedankenführung der narratio, wenn es vom Beklagten heißt, daß er etwas … contra iustitiam detinet et exhibere bzw. tradere indebite contradicit (K 49 / Nr. 417, 475) … per vim et potenciam / bzw. metum (K 63 / Nr. 32, 404).55

Einige Beispiele mehr – die Schilderung von schwerem Raub: … tales manu accedentes armata,… portas… frangere ipsosque… capere et carceri mancipare et detinere… temeritate propria presumpserunt (K 62 ka / vereinfacht in Nr. 374) oder tales… devastarunt incendio… et… diruerunt quadam quantitate bladi et rebus aliis exinde asportatis et abductis animalibus… (K 134, abermals leicht vereinfacht in Nr. 551); bei Freiheitsberaubung: … (temere et malitiose) capi fecerunt et carceri mancipari (K 78a / Nr. 494); oder bei Gewereverletzung: … occupavit indebite, ut asserunt, et de novo et adhuc detinet occupata in ipsorum religiosorum preiudicium non modicum et gravamen (Nr. 417) – hier am Ende der Fallschilderung eine Formel, die man praktisch in identischer Form in der Briefgruppe Super rapinis, violentiis, spoliationibus… et aliis diversiis iniuriis des Formularium audientie finden kann und die zu den abschließenden Formeln der narratio überleitet, wie … in eorundem preiudicium et non modicum detrimentum (δ 8 / Nr. 298), … in ipsius iniuriam, preiudicium, dampnum non modicum et gravamen (K 71 h / Nr. 200) und was es an anderen kleineren Varianten noch gibt (vgl. δ 9, K 74, K 78 a / Nr. 121, 159, 99), ggf. mit angehängten erweiternden Formeln verstärkt wie … eisdem… dampna gravia et iniurias inferendo (K 62 ka / Nr. 509), … contra iuramentum bzw. concessionem huiusmodi temere veniendo (K 15c, Nr. 262), manchmal zusätzlich mit einem eingefügten … pro sue libito voluntatis (Q 15, 58 / Nr. 61, 121) oder ausu temerario (K 76 / Nr. 209).

Ebenso zeigt sich paralleler Formelgebrauch in französischer Königskanzlei und Papstkanzlei bei der Einleitung zur Mandatsformel in typischen Wendungen wie: Nos igitur/tamen super hiis de oportuno remedio… providere volentes, Quia vero nostra interest, super hiis de remedio oportuno providere… mandamus, quatinus…, Cum igitur nostra intersit, super hoc tali de oportuno remedio providere (K 30 xc, K 43, Q 14, 4 / Nr. 76, 161, 201; leicht umgestaltet in der conclusio in Nr. 90, 501) oder auch als Mandatsbegründung nolentes, quod occasione prefata aliquod preiudicium generetur.… Sodann in den Mandatsformeln, die Vorladung, Untersuchung, Urteil und ggf. Bestrafung anordnen, wie: Ideoque… mandamus, quatinus… (π 6, δ 8; in kgl. Urkunden häufiger Unde tibi mandamus, quatinus [p. 381] …, vgl. Nr. 417) oder Quocirca… mandamus, quatinus… (K 46 ca / Nr. 53), wobei die Möglichkeit der Subdelegation ebenso durch vobis/vos vel alter vestrum ausgedrückt wird wie im Papstbrief (N 32f.).56

Nicht anders ist das Bild bei den dispositiven Formeln: Identische Formulierungen des als ablativus absolutus formulierten Ladungsbefehls partibus convocatis (π 6, π 7, in der königlichen Urkunde häufiger vocatis evocandis, vgl. Nr. 71),57 vocatis, qui fuerint evocandi (Q 6, 7a / Nr. 148), etwa auch in der Form vocatis, qui fuerint evocandi, et auditis hinc inde propositis et aliis veritatem inquiras (Q 15, 57), was im königlichen Justizbrief gewöhnlich nur leicht modifiziert als vocatis partibus et aliis evocandis auditisque rationibus et deffencionibus hinc et inde propositis erscheint (Nr. 498) und so schon in Guilelmus Durantis Kapitel zu den Reskripten (Speculum iudiciale, 2. Buch, erste Fassung ca. 1276; zweite ca. 1289/91) als kuriale Standardformel erwähnt wird.58 Auch den Befehl an den delegierten Richter zu Durchführung, Abschluß und Durchsetzung von Verfahren und Urteil aus der Papstkanzlei debito fine decidas, faciens, quod decreveris, … firmiter observari bzw. auctoritate nostra firmiter/inviolabiliter observari (π 6, 11, 16, Q 11, 4, N 37) gibt es fast genauso im königlichen Justizbrief (Nr. 81), nur entfällt das im Papstbrief übliche per censuram ecclesiasticam logischerweise im Mandat des französischen Königs oder wird durch auctoritate nostra (Nr. 76, 369) ersetzt, was von päpstlichen Prozeßdelegationen an Erzbischöfe und Bischöfe aber ebenso bekannt ist. An Varianten davon finden sich etwa fine debito terminare studeas/decidas59, … faciens/facias… inviolabiliter observari (N 49ff. / Nr. 108, 199, 331), … exhibeas ipsis… iustitie complementum (Q 6, 7a / Nr. 69, 89),60ex parte nostra moneas diligenter et inducas, ut tales super hiis non impediant indebite vel molestent, monitione premissa previa ratione oder iusticia mediante [p. 382] compellas (δ 8, 9, Q 2, 1 / z.T. leicht verändert: Nr. 276, 479), wobei evtl. Zusätze etwa mit … non permittens talis ab aliquibus molestari (Q 6, 1 / Nr. 483) oder ähnliches angeschlossen und z.B. ein iustitia mediante (Nr. 362) eingebaut werden konnte. Auch die revocatio in statum debitum aus dem Papstreskript ist in der französischen Königskanzlei gängig (Nr. 81, 373).

Abschließend ein Blick auf die zahlreichen einschränkenden oder präzisierenden Klauseln in der conclusio, etwa das päpstliche Non obstante indulgentia, … bzw. … non obstantibus instrumentis, litteris, cautionibus, renuntiationibus et penis predictis, was in der Königsurkunde als … non obstantibus supradictis / … non obstante inhibitione bzw. ordinatione oder gratia bzw. … non obstantibus aliquibus litteris nostris auftaucht (K 15e, K 28, K 43 / Nr. 159, 190, 252, 435); oder kleinere Wendungen wie das nachgestellte si est ita, prout oder sicut iustum fuerit/expedit, proviso tamen, quod bzw. ne (N 57ff. / Nr. 5, 194, 363, 495),61 si de huiusmodi usurarum extorsione tibi constiterit, dictos usurarios compellas… bei Wuchersachen (K 26 / Nr. 94, 170), auch de quibus sine morosa dilatione constiterit, si inveneris ita esse, si de huiusmodi arrestatione, carceris mancipatione et detentione etc. … tibi constiterit und was es an leicht modifizierten Varianten noch gibt (K 18, Q 14, 5, K 20b, K 27, K 71 h / Nr. 34, 476, 495, 501, 574). Schließlich die Verpflichtung zur Rückmeldung des delegierten Richters an die Zentrale: …, alioquin rescribas nobis causam rationabilem, si qua subsit, quare id fieri non debeat vel non possit, was im Königsmandat als …, nisi rationabilis causa subsit, que si sufuerit, nobis illam celeriter rescribere non postponas begegnet (K 201, Q 14, 20, QV 346 b / Nr. 42);62 und endlich, bei gewährten Zahlungsmoratorien, die zur Gültigkeitsbeschränkung angehängte Formel presentibus post triennium / post annum etc. minime valituris (Q 6, 1 / Nr. 174).

Die Beispiele könnten noch um ein Vielfaches ergänzt werden. Die Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen des Diktats sind augenscheinlich. Sie sind nicht auf Justizbriefe beschränkt, die für kirchliche Einrichtungen ausgestellt wurden, sondern sind ein allgemeines Charakteristikum – d.h. sie sind nicht allein das Resultat einer Formelübernahme aus den Suppliken von Klerikern oder besonderen, adressatenbezogenen Diktatgewohnheiten erklärbar. Einschränkend muß bemerkt werden, daß diese formalen Ähnlichkeiten in der einzelnen Archivalie natürlich nicht so geballt auftreten, wie es eine zusammenfassende Auflistung suggeriert. Viele Feinheiten des Formulars päpstlicher Justizbriefe mitsamt ihren korrespondierenden [p. 383] rechtlichen Implikationen gibt es so beim französischen Gegenstück offenbar nicht, etwa die im Papstbrief notwendige Formel et rebus aliis ad eos communiter pertinentibus, die hinter die Bezeichnung des Streitobjektes gesetzt werden mußte, wenn zwei oder mehr Kläger gemeinsam ein Verfahren wegen Besitzstörung anstrengten, da sonst jeder Kläger einzeln einen Justizbrief erwerben mußte (N 40); oder die Konvention, daß, wenn bei der Aufzählung von Streitgegenständen von debita die Rede ist, im folgenden nicht mehr der Ausdruck pecunie summa verwendet werden darf und umgekehrt (N 45). Ebenso entfiel im französischen Justizbrief aufgrund unterschiedlicher rechtlicher Grundlagen die kuriale Testes-Klausel, die mit dem kanonischen Prinzip des Zeugenzwangs zusammenhing (N 62).63

Es gibt ferner einzelne Formeln, die nicht notgedrungen aus der päpstlichen Praxis entlehnt sein müssen und die auch anderswo auftauchen. Die Formel si preces veritate nituntur/nitantur, die im französischen Justizbrief meist als si premissa veritate nitantur (Nr. 584) erscheint, war beispielsweise schon die übliche Einschränkungsklausel in spätantiken römischen Kaiserreskripten und wurde wohl von hier aus auch in die Praxis der Papstkanzlei übernommen.64 Aber dies ist ein Einzelfall und ändert nichts am grundlegenden Befund des Formelvergleiches: Festzuhalten bleibt, daß in jedem königlichen Justizbrief etwa drei bis vier mit dem Formular päpstlicher Delegationsreskripte identische Formeln verwandt wurden, und dazu noch ein bis zwei, die sehr ähnlich klingen. Das ist in Anbetracht solch relativ knapp formulierter Urkunden, wie Mandaten, recht viel; und bei Streitgegenständen, die auch rechtlich auf kanonischer Linie liegen, Materien, aus denen der königliche Bailli den Offizial im 13./14. Jahrhundert langsam verdrängte, etwa Wucher (usura) bei Kreditgeschäften, Pfandgeschäften oder bei Kontroversen um den „gerechten Preis“ bei [p. 384] Kaufverträgen,65 ist der Grad der Übereinstimmung noch höher66 – ganz zu schweigen von einzelnen hier wie dort gebrauchten Termini und Wendungen wie etwa arbitri, arbitratores seu amicabiles compositores (Nr. 141, 572), contradictores et rebelles (Nr. 73), tacita veritate (Nr. 218), in rem iudicatam transire (Nr. 52) etc.67

III

Welche Schlüsse sind aus diesem Befund zu ziehen und welche Erklärungen können gegeben werden – soweit man überhaupt weitgehende Schlüsse aus dem puren Vergleich von Formulierungsgewohnheiten ziehen kann? Mit einer Verzögerung von einem knappen halben Jahrhundert scheint die französische Krone bei der Entwicklung ihrer Justizbriefe große Teile päpstlicher Formularschemata rezipiert, in gewissen Grundideen kopiert, meist jedoch vereinfacht und für die eigenen Zwecke adaptiert zu haben. Diese parallele Kanzleipraxis mag dadurch gefördert worden sein, daß die Notare des französischen Königs selbst um 1300 noch nach wie vor zu über 50 % Kleriker waren,68 viele von ihnen universitär [p. 385] gebildet.69 Die königlichen Notare und Sekretäre kamen somit aus einem Milieu, dessen sprachliche, formale und rechtliche Kultur sie mit sich trugen und tagtäglich praktizierten. Vertrautheit mit Formulierungsgewohnheiten aus dem kirchlichen Bereich wird man somit grundsätzlich voraussetzen dürfen. Die Bibliotheken mancher Notare verweisen darüber hinaus auch auf tiefergehende Beschäftigung mit den rechtlichen und formalen Implikationen ihres Berufes: Im Testament des königlichen Notars Guillaume du Plessis werden als Bestände in seiner nachgelassenen Privat-bibliothek u.a. auch mehrere Bände des kanonischen Rechts (Dekret Gratians, Dekretalen, Liber sextus, Clementinen), Dekretalenkommentare (Summa Innocentii IV., Summa Hostiensis), ein Repertorium iuris (Bautier vermutet das des Bartholomeus Brixiensis) und zwei Artes dictaminis (Bernard de Meung und Pierre de Blois) erwähnt. Guillaume d’Ercuis kaufte 1300 sis livres de loy et unes decretales zum Preis von 32 Livres und besaß u.a. die Summe des Gottfried von Trani und den Dekretalenkommentar des Bernardus Parmensis.70

Die konkrete Rolle, die – angesichts der Vorbildung vieler königlicher Notare und der von ihnen für das Alltagsgeschäft angestellten Lohnschreiber (clercs) – möglicherweise die an Bedeutung gewinnenden Universitäten bei der Vermittlung von Formularvorlagen spielten, ist nicht mit [p. 386] letzter Sicherheit nachzuweisen. Die Universität Paris stand traditionell in einem Näheverhältnis zum französischen Königtum.71 Die Universität Orléans war bereits im 12. Jahrhundert eine Hochburg von dictamen und grammatica gewesen, ehe sie dann im 13. Jahrhundert Paris als juristische Bildungsstätte überflügelte.72 Grundsätzlich hatten Brief- und Urkundenstilistik, Ars dictaminis und Ars notaria, durchaus ihren Platz im Rahmen der Rhetorik an den Artistenfakultäten als Teil des Triviums.73 Wie man sich konkret aber dort die diesbezügliche Ausbildung vorzustellen hat, ist unklar. Ein Beleg etwa für Urkundenlehre und praktische Diktatübungen an der Universität Paris fehlt – im Gegensatz zu italienischen und englischen Universitäten, wo solche Kurse häufig in Kooperation mit in den Universitätsstädten ansässigen Korporationen öffentlicher Notare stattfanden.74 Die Pariser Statuten von 1215 verweisen für den Bereich Grammatik/Rhetorik nur lapidar auf die Kenntnis der Werke Donats und Priscians [p. 387] als Bildungsvoraussetzung für den Erwerb des Magistergrades.75 Die Zusammenstellung populär angelegter Praxishandbücher mit Musterformularen für die Tätigkeit von Offizialen und Notaren durch Autoren, die vermutlich in näherer Beziehung zu Universitäten standen, ist aber wohl Indiz für die Vermittlung auch praktischen Wissens zumindest im Umkreis der Universitäten. Die Summa Minorum des Pariser Kanonikers und Magisters Arnulphus, die ca. 1250–54 in Paris entstand, bietet eine Vielzahl von kommentierten Formularen für Justizbriefe wie Zitation, Prozeßdelegation, etc.76 Der in Nordwestfrankreich nach 1251 entstandene sogenannte Curialis enthält neben mehreren anderen Urkunden- und Prozeßaktenformularen auch Litterae papae ad iudices delegatos.77 Ob diese Werke aber im Rahmen des bzw. mit konkretem Bezug zum universitären Lehrbetriebs selbst entstanden oder ob sie eher als Reaktion auf dessen Defizite später von Praktikern zusammengestellt wurden, ist letztlich nicht entscheidbar.78 Daß sich unter den Lohnschreibern und Gehilfen der Notare des französischen Königs und der am Parlement de Paris arbeitenden Prokuratoren ehemalige Studenten der Pariser Artistenfakultät fanden, die hier sozusagen nach der Theorie der Universität als Lehrlinge die Praxis erlernten, ist anzunehmen und zumindest ab dem 15. Jahrhundert auch zu belegen.79

Für die Erklärung der Kenntnis päpstlicher Formulare in der französischen Königskanzlei müßte aber der Umweg über die Universität gar nicht bemüht werden. Papsturkunden im Original gehörten zum Alltag der Notare; sie bildeten eine eigene Archivabteilung im Trésor des [p. 388] chartes.80 Das älteste bekannte Formelbuch aus der französischen Königskanzlei, von dem nur noch ein Rubrikenverzeichnis vorhanden ist, das des Jean de Caux mit Material bis ca. 1286, hat offenbar in seinem vierten Teil eine größere Anzahl von Papstbriefen beinhaltet.81 Die Vertrautheit mit den Usancen der Papstkanzlei wird man somit voraussetzen können, was gut in das Bild des vermuteten Rezeptionsprozesses paßt.

Leider bleibt diese vergleichende Studie weitgehend auf morpho-syntaktischer Ebene stecken und kann nur teilweise auch auf kanzleitechnische und prozeßrechtliche Parallelen verweisen. Für die genaue Rekonstruktion des Geschäftsganges der französischen Königskanzlei bei der Ausstellung von Justizbriefen fehlt für die Zeit um 1300 die Quellengrundlage. Die wenigen Hinweise, die man den Parlamentsordonnanzen, etwa jener von 1310,82 entnehmen kann, zeigen immerhin, daß das Prinzip der Kontradiktion von Justizbriefen auch im Parlament Praxis war, was vermuten läßt, daß die Aufgaben der Maîtres des requêtes ähnlich denen des Auditor litterarum contradictarum gewesen sind und das Verfahren zur Ausstellung von Justizbriefen durch das Parlement de Paris eine vereinfachte Version des Prozederes durch Data communis, Audientia publica und Audientia litterarum contradictarum gewesen sein könnte.83 Auch der die königliche Verwaltung entlastende Grundansatz, Initiative und einleitende Organisation des per Justizbrief eingeleiteten Verfahrens in der Regel dem Petenten selbst zuzumuten, d.h. konkret ihm nicht nur die Klageerhebung in Paris sondern auch die Sorge für Reinschrift und Besiegelung, den Transport des Justizbriefes zum jeweils delegierten Richter und [p. 389] das mitunter nicht unproblematische Unterfangen, den Delegaten dann auch wirklich zur Prozeßaufnahme zu bewegen, zu überlassen, ist aus dem Geschäftsgang der Papstkanzlei bzw. der kanonischen Prozeßdelegation bekannt.84

Die Rechtsgrundlage, auf der das Gerichtsverfahren dann nach der Prozeßdelegation im Detail ablief, war jedoch unterschiedlich: hier kanonisches Recht, dort Stilus curie Parlamenti bzw. Coutume. Die Rezeption85 einzelner kanonischer Elemente durch das französische Recht bzw. römisch-rechtlicher Rechtsinstitute, die durch das kanonische Recht neu vermittelt wurden, ist bereits in mehreren Detailstudien diskutiert worden und kann als gesichert gelten: die Zurückdrängung germanischer Prozeßprinzipien wie etwa Öffentlichkeit, Mündlichkeit, Duell und Ordalbeweis zugunsten von Enquête, Zeugenbeweis, geheimer Urteilsfindung, Schriftlichkeit, Appellation seit dem 13. Jahrhundert ist evident.86 Gabriel Le Bras schrieb ferner u.a. schon 1956 über aus dem kanonischen Recht entlehnte Prinzipien des französischen Verwaltungsrechts,87 die Coutumes du Beauvaisis waren schon mehrmals das Objekt einer diesbezüglichen Exegese,88 [p. 390] ebenso das Prinzip der Enquête,89 und Olivier-Martin machte bereits 1929 auf Parallelen der königlichen Bestallungspraxis mit dem päpstlichen Kollationswesen aufmerksam.90

Festzuhalten bleibt in jedem Fall die Tatsache, daß Formelgut, das aus der Papstkanzlei bekannt ist, auch in französischen Justizbriefen auftaucht – trotz der Unmöglichkeit, den vermuteten Rezeptionsprozeß näher beschreiben zu können. Die Entstehung staatlicher Strukturen im Spätmittelalter läßt sich nicht allein durch die verschiedensten direkten oder indirekten „Einflüsse“ erklären, sondern hat tieferliegende soziale, demographische, wirtschaftliche, technische und kulturelle Gründe, die neue Bedürfnisse und Möglichkeiten in größer gewordenen Herrschafts- und Kommunikationsräumen entstehen ließen. Innerhalb dieses Gesamtrahmens aber spielten etablierte und prestigeträchtige Organisationsvorbilder wie das römische und das kanonische Recht oder die teilweise gut funktionierende, zentralistisch organisierte Verwaltung und Kanzlei der Kurie eine wichtige Rolle. Nirgendwo, und gewiß nicht im kapetingischen Frankreich, standen die mittelalterlichen Herrscher ganz mit leeren Händen da, so daß sie die z.B. im kanonischen Recht vorgefundenen Problemlösungen einfach komplett kopiert hätten. Eigene staatliche Grundlagen existierten ja bereits seit Jahrhunderten. Dort aber, wo römisches und kanonisches Recht funktional etwas anzubieten hatten, wo eigene Coutumes lückenhaft und unsystematisch waren oder für bestimmte Erfordernisse kein brauchbares Verfahren vorhanden war, bedienten sich die Monarchien offensichtlich ganz pragmatisch – bis hinein in die Urkundenformulare. Sie entlehnten, adaptierten, schmolzen alte Formen nach den Vorbildern um oder ließen sich nur von deren Prinzipien inspirieren, manchmal auch unter vollständigem Mißverstehen dessen, was ein Begriff ursprünglich bedeutet hatte, so etwa beim römisch-rechtlichen Terminus des Reskripts.91

[p. 391] Gleiche Bedürfnisse bringen oft gleiche oder zumindest ähnliche Lösungen hervor. Schon öfter wurde auf formale Parallelitäten zwischen Urkunden weltlicher Herrscher des Mittelalters und denen der Kurie aufmerksam gemacht, wobei man häufig – ob nun berechtigt oder unberechtigt – den Bischofsurkunden eine Vermittlerrolle zuwies.92 Gerade hier, im Fall von königlich-französischem Justizbrief und päpstlichem Delegationsreskript, einem Bereich alltäglicher Kanzleiroutine, der weniger mit propagandistischen Motiven als vielmehr praktischen Zwängen befrachtet war, wird man einen Schritt weiter gehen können: das Formular des französischen Justizbriefes scheint in ganz wesentlichen Teilen nach dem Vorbild seines päpstlichen Vorläufers und Gegenstücks gestaltet worden zu sein. Der rechtliche Hintergrund ist im Detail – gemäß den unterschiedlichen Rechtssystemen oft anders gelagert, das Formengrundgerüst aber ist offensichtlich aus dem „Baukasten“ der Papstkanzlei entlehnt – ein Beispiel für den Zusammenhang der abendländischen Rechtskultur des Spätmittelalters.


1 Vgl. zur Kategorisierungsproblematik G. Tessier, L’activité de la chancellerie royale française au temps de Charles V, in: Le Moyen Age 48, 1938, S. 23ff.; ders., Diplomatique royale française, Paris 1962, S. 254ff.; O. Guyotjeannin, J. Pycke, B.-M. Tock, Diplomatique médiévale, Turnhout 1993 (L’atelier du médiéviste 2), S. 108.
2 So etwa in: Ordonnances des roys de France de la troisième race 1, hg. E.-J. de Laurière, Paris 1723; ND Farnborough 1967 (im folgenden: Ord.), S. 620ff. Art. 4–6, 8–9: Ordonnanz auf Ersuchen des Herzogs der Bretagne gegen die unrechtmäßige Ausstellung von lettres, d.h. dem Zusammenhang nach Justizbriefen (1316 März). Vgl. dagegen die Parlamentsordonnanz von 1310, in: Ch.-V. Langlois (Hg.), Textes relatifs à l’histoire du Parlement depuis les origines jusqu’en 1314, Paris 1888, (Collection des textes pour servir à l’étude et à l’enseignement de l’histoire 5), S. 183 bzw. G. P. Cuttino u. J.-P. Trabut-Cussac (Hgg.), Gascon Register A, Series of 1318–9, Edited from BM Cottonian MS. Julius E.i 2, London 1976, S. 687ff.; implizit werden Justizbriefe bereits in der Ordonnanz von 1278 erwähnt, vgl. Langlois, ebd. S. 97 Art. 16 bzw. deren kritische Edition in: P. Guilhiermoz, Enquêtes et procès: Etude sur la procédure et le fonctionnement du Parlement au XIVe siècle suivie du Style de la Chambre des enquêtes, du Style des Commissaires du Parlement et plusieurs autres textes et documents, Paris 1892, Appendice IV S. 604.
3 Vgl. zu den Formularbüchern der französischen Königskanzlei Tessier, Diplomatique (wie Anm. 1) S. 266ff. mit weiterer Literatur, und zur ältesten erhaltenen derartigen Formularsammlung, der Hs. Paris, BNF lat. 4763 aus der Zeit Philipps V. (1316–22), nun H.-G. Schmidt, Administrative Korrespondenz der französischen Könige um 1300: Edition des ‚Formelbuches‘ BNF ms. lat. 4763, Göttingen 1997. Eine Arbeitsgruppe zu den spätmittelalterlichen Formularbüchern ist von Ph. Contamine und F. Autrand initiiert worden; eine vertiefende Studie von Isabelle Auzet zur bereits von Tessier bearbeiteten Hs. Paris, BNF lat. 13868 (ca. 1370) ist unter Leitung von Olivier Guyotjeannin an der Ecole des Chartes in Paris in Vorbereitung.
4 Vgl. G. Tessier, Lettres de justice, in: BECh 101, 1940, S. 102ff.
5 Vgl. F. Olivier-Martin, Histoire de la coutume de la prévôté et vicomté de Paris 2, Paris 1930, S. 533f.; zur Problematik des „gerechten Preises“, ein Prinzip des römischen und kanonischen Rechts (Cod. Just. 4, 44, 2 bzw. 8; Extra 3.17.3) vgl. allgemein J. W. Baldwin, The Medieval Theories of the Just Price: Romanists, Canonists and Theologians in the Twelfth and Thirteenth Centuries, Philadelphia 1959.
6 Vgl. zum kanonischen Konzept des Wuchers C. F. Taeusch, The Concept of Usury, in: Journal of the History of Ideas 3, 1942, S. 291ff., J. T. Noonan, The Scholastic Analysis of Usury, Cambridge, Mass. 1957, S. 82ff. und A. Dumas, Intérêt et usure, in: Dictionnaire de droit canonique 5, hg. R. Naz, Paris 1935ff., Sp. 1475ff.
7 Vgl. Olivier-Martin, Coutume Paris 2 (wie Anm. 5) S. 553. Im weiteren Sinne könnten ferner zu den Justizbriefen die Lettre de répit (Gewährung eines Zahlungsmoratoriums) und die Lettre d’état (Aussetzung eines Prozesses und Ruhenlassen jeglicher Forderungen wegen besonderer Umstände, die einer Partei die angemessene Vertretung ihrer Sache nicht erlauben) gezählt werden. Répit und État greifen aber – trotz formaler Ähnlichkeiten – insofern über den engeren Begriff des Justizbriefes hinaus in den Bereich der Gratialsache, als sie einen einseitigen Gnadenakt, jenseits der sonst in Justizbriefen proklamierten Coutume, für den Begünstigten bedeuteten, vgl. P.-C. Timbal, J. Metman u. H. Martin, Les obligations contractuelles dans le droit français des XIIIe et XIVe siècles d’après la jurisprudence du Parlement 1, Paris 1973, S. 84ff. A. Esmein (Cours élémentaire d’histoire du droit français à l’usage des étudiants de la première année, Paris 41901, S. 436f. bzw. 111912, S. 491ff.) komplizierte das Bild weiter dadurch, daß er die Justizbriefe als aus den Gnadenbriefen hervorgehend schilderte und ihnen eine römisch-rechtliche Grundlage zuschrieb. Vgl. jedoch dagegen Tessier, in: BECh 101 (wie Anm. 4) S. 102ff. mit einer Diskussion der klassischen rechtshistorischen Literatur von Guy Coquille und Loyseau bis Viollet und Declareuil, die wahrscheinlich macht, daß die Theorie von der römisch-rechtlichen Fundierung der Justizbriefe wohl erst eine Konstruktion ex post des 17. Jh. ist. Außerdem vermittelt Esmeins Darstellung stellenweise den Eindruck, für jeden Prozeß sei ein königlicher Justizbrief notwendige Voraussetzung gewesen. Grundsätzlich war natürlich jedoch der iudex ordinarius, unter dem ein Beklagter couchans et levans war, die zuständige richterliche Instanz, und für ein Verfahren vor seinem Tribunal war gewöhnlich kein königlicher Justizbrief erforderlich. Das Erwirken eines königlichen Justizbriefes war ein außerordentliches Verfahren, nicht die Regel, vgl. A. Tardif, La procédure civile et criminelle aux XIIIe et XIVe siècles ou procédure de transition, Paris 1885, S. 29ff., Olivier-Martin, Coutume Paris 2 (wie Anm. 5) S. 534 und B. Guenée, Tribunaux et gens de justice dans le bailliage de Senlis à la fin du Moyen Age, Paris 1963, (Publications de la Faculté des Lettres de l’Université de Strasbourg 144), S. 101ff.; zum Sonderfall der Cas royaux vgl. E. Perrot, Les cas royaux: origine et développement de la théorie aux XIIIe et XIVe siècles, Paris 1910; ND Genf 1974.
8 Vgl. Tessier, Diplomatique (wie Anm. 1) S. 256f. und zum Terminus „Mandat“ ebd. S. 244; zu Besiegelungstechnik und Kanzleitaxen vgl. R.-H. Bautier, Le sceau royal dans la France médiévale et le méchanisme du scellage des actes, in: ders., Chartes, sceaux et chancelleries. Etudes de diplomatique et de sigillographie médiévales 1, Paris 1990; Mémoires et documents de l’Ecole des chartes 34, S. 537ff., bes. 542, bzw. O. Morel, La Grande Chancellerie royale et l’expédition des lettres royales de l’avènement de Philippe de Valois à la fin du XIVe siècle, 1328–1400, Paris 1900, 457ff.; zum Formular vgl. die Bemerkungen zu Mandaten Alphonse de Poitiers’ bei A. Molinier, Correspondance administrative d’Alphonse de Poitiers 1, Paris 1894 (Collection des documents inédits 29), S. XIIIf.
9 Vgl. hierzu allgemein die grundlegende Studie von R.-H. Bautier, Recherches sur la chancellerie royale au temps de Philippe VI, in: BECh 122/123, 1964/1965; nun auch in: ders., Chartes, sceaux et chancelleries 2 (wie Anm. 8) S. 615ff., S. 89ff. bzw. S. 313ff., hier bes. BECh 123 S. 366. Der Begriff littere communes wurde möglicherweise aus der Terminologie der Papstkanzlei übernommen. Hier kannte man seit dem Beginn 13. Jh. littere in forma communi, vgl. P. 3519 = Extra 1.3.20. Im 14. Jh. wurde dann in littere curiales (secrete) und littere communes, d.h. Briefe, die aufgrund einer Bittschrift, d.h. von außen her veranlaßt wurden, unterschieden – was mit dem Begriff des Reskripts kollidiert, vgl. P. Herde, Beiträge zum päpstlichen Kanzlei- und Urkundenwesen im 13. Jahrhundert, Kallmünz 21967, S. 66ff. u. folgende Anm.
10 Der Begriff Reskript verweist auf die Justiz des spätantiken Römischen Reiches, bezog sich aber im klassischen römischen Recht auf das Rechtsgutachten des Kaisers, vgl. P. Classen, Kaiserreskript und Königsurkunde: Diplomatische Studien zum römisch-germanischen Kontinuitätsproblem, in: AD 1, 1955, S. 17; Appellation und Einsetzung delegierter Richter waren aber ebenso im römischen Recht bekannt, vgl. zu D. 4.18.4 u. 8f., D. 3.3.35, 25.3.5.7, Nov. 113.1; G. Wesener, Reskriptprozeß, in: Paulys Realenzyclopädie der classischen Altertumswissenschaften, hg. G. Wissowa et al., Supplementband X, 1952, S. 866ff.; M. Kaser, Das römische Zivilprozeßrecht, München 1966, S. 349ff., 520ff.; P. Garnsey, The Lex Iulia and Appeal under the Empire, in: Journal of Roman Studies 56, 1966, S. 185ff. Eine klare begriffliche Abgrenzung zum Begriff der littere communes ist aufgrund der unscharfen Terminologie des kanonischen Rechts und der zeitgenössischen juristischen Literatur nicht immer möglich, vgl. Extra 1.3.1–40 De rescriptis; Guillelmus Duranti, Speculum iudiciale 1, Basel 1574; ND 1975, S. 406ff. (2,1: De rescripti presentatione, receptione et impugnatione); Wilhelmus de Drokeda, Summa aurea, Kap. CCCXCVIII: De rescriptis, in: L. Wahrmund [Hg.], Quellen zur Geschichte des römisch-kanonischen Prozesses im Mittelalter 2,2, Innsbruck 1905, S. 320ff. Vgl. allgemein P. Herde, Audientia litterarum contradictarum: Untersuchungen über die päpstlichen Justizbriefe und die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit vom 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts 1, Tübingen 1968, S. 6f., 182ff.; H. Dondorp, Review of Papal Rescripts in the Canonist’s Teaching, in: ZRG Kan.Abt. 76 [107], 1990, S. 180ff.; P. Rabikauskas, Auditor litterarum contradictarum et commissions de juges délégués sous le pontificat d’Honorius III., in: BECh 132, 1974, S. 213ff. Zur teilweise stark kritisierten Studie von E. Pitz (Papstreskript und Kaiserreskript im Mittelalter, Tübingen 1971) vgl. die Rezensionen von O. Hageneder, in: MIÖG 80, 1972, S. 445ff., u. P. Herde, Zur audientia litterarum contradictarum und zur „Reskripttechnik“, in: AZ 69, 1973, S. 54ff.
11 Vgl. F. Lot u. R. Fawtier, Histoire des institutions françaises au Moyen Age 2, Paris 1962, S. 339, 341; F. Aubert, Les requêtes du palais, XIIe-XIVe siècles. Style des requêtes du palais au XVe siècle, in: BECh 69, 1908, S. 581ff.; A. Guillois, Recherches sur les maîtres des requêtes de l’Hôtel des origines à 1350, Paris 1909, S. 114 u. Pièce justificative I S. 260; W. Paravicini, Administrateurs professionnels et princes dilettantes. Remarques sur un problème de sociologie administrative à la fin du Moyen Age, in: Histoire comparée de l’administration, IVe–XVIIIe siècles. Actes du XIVe colloque historique franco-allemand, Tours 27 mars–1er avril 1977, Sigmaringen 1980, S. 174f. mit Anm. 35f.; zu den Räumlichkeiten der Requêtes im Palais du roi auf der Pariser Ile de la Cité vgl. J. Guérout, Le Palais de la Cité à Paris, des origines à 1417: Essai topographique et archéologique, in: Mémoires de la Fédération des Sociétés historiques et archéologiques de Paris et de l’Ile-de-France 2, 1950, S. 143ff., 152ff. Beispiele für Suppliken bei Ch.-V. Langlois, Lettres missives, suppliques, pétitions, doléances, in: Histoire littéraire de la France 36,2, Paris 1927, S. 547 u. Tessier, Diplomatique (wie Anm. 1) S. 270f. Die Ordonnanz von Bourges (16.11.1318) gibt einen Einblick in die offenbar z.T. geradezu tumultartigen Zustände bei Einreichen von Suppliken, vgl. Ord. 1 (wie Anm. 2) S. 669 Art. 1ff.
12 Vgl. Langlois, Textes (wie Anm. 2) S. 183.
13 Vgl. Schmidt (wie Anm. 3) S. 652, 661.
14 Vgl. ebd. S. 399 Nr. 322, die erweiterte Version von ebd. S. 193 Nr. 17.
15 Vgl. A. Esmein, Histoire de la procédure criminelle en France et spécialement de la procédure inquisitoire depuis le XIIe siècle jusqu’à nos jours, Paris 1882, ND 1969, S. 84.
16 Vgl. Guilhiermoz, Enquêtes (wie Anm. 2) S. 245ff., §§ 36ff.; Tessier, BECh 101 (wie Anm. 4) S. 110.
17 Vgl. Tessier, Diplomatique (wie Anm. 1), S. 256; Schwalbach gebrauchte deshalb diesbezüglich schon im letzten Jh. in seiner Exegese des Stilus curie Parlamenti den Begriff „Mahnverfahren“, um die besondere Art dieser Prozeßeinleitung zu charakterisieren, vgl. Th. Schwalbach, Der Civilprozeß des Pariser Parlaments nach dem Stilus Du Breuils, 1881, S. 108ff. § 19.
18 Vgl. Schmidt (wie Anm. 3) S. 279 Nr. 142 u. S. 480 Nr. 447; vgl. auch Ord. 1 (wie Anm. 2) S. 361, Art. 21 (1303) zur umgehenden Ausführung von Mandaten des Königs durch nachgeordnetes Personal und zu deren Haftungs- und Rückmeldungspflicht.
19 Vgl. Philippe de Rémy, sire de Beaumanoir, Coutumes du Beauvaisis [1283], hg. A. Salmon, Paris 1899–1900, bzw. die englische Übersetzung von F. R. P. Akehurst, Philadelphia 1992, Art. 806ff.
20 Non contrestant Ordenances, vgl. Ord. 1 (wie Anm. 2) S. 628, S. 668 Art. 25, S. 672f. Art. 26, S. 733f. Art. 2.
21 Vgl. Paravicini, Administrateurs professionnels (wie Anm. 11) S. 172. Vgl. auch Bautier, Recherches (wie Anm. 9) S. 378ff. und die diesbzgl. Diskussion zu den päpstlichen Justizbriefen bei Dondorp, ZRG Kan.Abt. 107 S. 178, 236ff. und O. Hageneder, Die geistliche Gerichtsbarkeit in Ober- und Niederösterreich, Graz u.a. 1967, S. 59ff., die auch auf die königlichen Justizbriefe übertragbar ist. Schon das römische Recht bemühte sich um Lösungen für das Problem der subreptio, vgl. Codex Justinianus 1.18.7 (Rescripta contra ius elicita ab omnibus iudicibus precipimus refutari, nisi forte aliquid est, quod non laedat alium et prosit petenti vel crimen supplicanti indulgeat). Von diesen Prinzipien dürften auch die entsprechenden Regelungen des kanonischen Rechts inspiriert sein, vgl. C. 25 q. 2 c. 16 (Pelagius II.: … ea vero, que subreptione vel falsis precibus forsitan impetrantur, nullum supplicantibus ferre remedium) und die Dekretale super litteris Innozenz’ III (Extra 1.3.20, 1208 November), die in diesem Zusammenhang betrügerische Absicht und Böswilligkeit (fraus et malitia) und Einfältigkeit (simplicitas) unterschied, vgl. Dondorp, ebd. 247ff. u. P. Herde, Römisches und kanonisches Recht bei der Verfolgung des Fälschungsdelikts im Mittelalter, in: Traditio 21, 1965, S. 325ff.
22 Eine Idee von dem Ausmaß der Prozeßverschleppung, das durch den Kreislauf von Nichtbeachtung und Neuausstellung von Justizbriefen ausgelöst werden konnte, kann man sich durch zwei zusammenhängende Mandate des Formularbuches BNF lat. 4763 machen: zwischen dem ersten Mandat und der diesbzgl. Beschwerde liegt über ein Vierteljahr, vgl. Schmidt (wie Anm. 3), S. 189 Nr. 11 von 1309 Februar 25 u. S. 499 Nr. 478 von 1309 Juni 7; vgl. auch Ch.-V. Langlois, Les doléances des communautés du Toulousain contre Pierre de Latilli et Raoul de Breuilli, 1297–1298, in: RH 95, 1907, S. 51.
23 Vgl. Guilhiermoz, Enquêtes (wie Anm. 2) S. 244 § 33, Ord. 1 (wie Anm. 2) S. 733 Art. 2 (Dezember 1320) und Schmidt (wie Anm. 3) S. 390, 460f. Nrr. 307, 414f.: die Petenten versuchten hier offenbar, kirchliche und königliche Gerichtsbarkeit gegeneinander auszuspielen – Parlament und Kanzlei waren überfordert und stellten sich widersprechende Justizbriefe für beide Parteien aus.
24 Ord. 2 (wie Anm. 2) S. 217 Art. 10; vgl. auch Ord. 1 S. 731, S. 354 Artt. 1, 16, 28f., S. 727 Art. 11 das allgemeine Gebot, so viele Prozesse wie möglich durch Kommission an Baillis bzw. Seneschalle zu delegieren.
25 P. Petot, Exécution d’un mandement de Philippe le Bel par Beaumanoir, in: Revue historique de droit français et étranger, 1935, S. 571ff.
26 A. Tardif (Hg.), Le coutumier d’Artois, Paris 1883, S. 121ff. Art. LIIf.; P. Viollet (Hg.), Les Etablissements de Saint Louis 2, Paris 1881 (Société de l’Histoire de France 203), S. 135ff. (Liv. 1, Kap. LXXIVf.). Besonders der Unterschied zwischen dem Erwerb von Justizbriefen zur Prozeßeinleitung oder bei bereits laufendem Verfahren einerseits und der supplicatio bzw. Proposition d’erreur als Berufungsverfahren nach bereits gefälltem Urteil andererseits ist nicht immer klar auszumachen, vgl. S. Dauchy, Proposition d’erreur et requête civile: étude sur les recours extraordinaires de l’ordonnance de Saint Louis jusqu’à 1667, Paris 1988, S. 13ff.; Tardif, Procédure (wie Anm. 7) S. 19ff.
27 Vgl. C. Gauvard, ‚De grace especial‘: crime, état et société en France à la fin du Moyen Âge 1, Paris 1991, S. 123ff.
28 Vgl. J. Krynen, L’empire du roi: idées et croyances politiques en France, XIIIe-XVe siècles, Paris 1993, S. 167ff. zum Königsideal des rex rector. Crisci führte das Prinzip delegierter Gerichtsbarkeit im römischen und kanonischen Recht auf die Pflicht der cura legum des Kaisers bzw. des Papstes zurück; Ähnliches könnte man für den französischen König als den Wächter der Coutumes annehmen, vgl. G. Crisci, Evolutio historica delegationis a jure, in: Apollinaris 9, 1936, S. 270ff. u. F. Olivier-Martin, Le roi de France et les mauvaises coutumes au Moyen Age, in: ZRG Germ. Abt. 58, 1938, S. 108f.
29 Vgl. analog zu den Prozeßdelegationen des römischen Königs O. Franklin, Das Reichshofgericht im Mittelalter 2, 1869, ND 1967, S. 49f.
30 Vgl. allgemein Guenée (wie Anm. 7) S. 122ff.
31 Vgl. Guillois (wie Anm. 11) S. 42, 90ff., 100ff. und allgemein Guenée (wie Anm. 7) S. 300ff. Zum Verfahren summarie et de plano vgl. Guilhiermoz, Enquêtes (wie Anm. 2) S. 40 und zum analogen Prozedere kirchlicher Gerichtshöfe L. Tanon, Histoire des tribunaux de l’inquisition en France, Paris 1893, S. 326.
32 Vgl. Guilhiermoz, Enquêtes (wie Anm. 2) S. 244 § 34.
33 Vgl. Guillaume du Breuil [Guilelmus de Brolio], Stilus curie parlamenti, hg. F. Aubert, Paris 1909, S. 9ff.; Guilhiermoz, Enquêtes (wie Anm. 2) S. 41f. u. ebd. Style des commissaires §§ 37f. (gemäß du Breuil, Stilus, XXVII, 1) sowie Etablissements St. Louis, ed. Viollet 2 (wie Anm. 26) S. 413ff. (Liv. II, XXIII: Des mandemenz au roi): Quant mes sires li rois mande à son bailli qu’il face droit à aucun plaintif, il mande sor tele forme:nos te mandons que tu, à tel, porteor de ces presentes letres, faces bon droit et hatif, selonc la coustume dou païs et de la terre,’ car l’entencions le roi n’est mie de tolir autrui droit ne d’aler contre la coutume dou païs et de la terre. Bei Bruch der königlichen salva gardia war ein Kommissionsschreiben in jedem Fall auch im Jurisdiktionsbereich anderer weltlicher Richter gültig, vgl. Guilhiermoz, ebd. S. 245 § 35.
34 Vgl. z.B. E. Boutaric (Hg.), Actes du Parlement de Paris, Première série: 1254–1328, 2, Paris 1867, ND 1975, Nrr. 5866, 5634, 4909, 5728, 5812.
35 Vgl. Etablissements St. Louis, ed. Viollet 2 (wie Anm. 26) S. 415.
36 Vgl. Ebd. S. 383ff. (Liv. 2, Kap. XVI).
37 Vgl. Guillois (wie Anm. 9) S. 102ff.
38 Vgl. Paris, Archives Nationales J 230, Nr. 62bis.
39 Du Breuil, Stilus, ed. Aubert (wie Anm. 33) S. 130f. (Kap. XVIII, 1); Ord. 11 (wie Anm. 2) S. 355 Art. 28 = Langlois, Textes (wie Anm. 2) S. 98 und Guilhiermoz, Enquêtes (wie Anm. 2) S. 605; Ord. 1 (wie Anm. 2) S. 365 Art. 12.
40 G. Ducoudray, Les origines du Parlement de Paris et de la justice aux XIIIe et XIVe siècles 2, Paris 1902, ND 1970, S. 691 behauptete, daß Delegationsmandate besonders ab 1316 häufig geworden seien; leider belegte er diese Aussage nicht weiter. Eine nur oberflächliche, auf Nordfrankreich eingegrenzte Recherche in den Beständen der Série J in den Pariser Archives Nationales förderte tatsächlich in der Hauptsache Justizbriefe aus der Zeit zwischen 1310 und 1380 zutage. Repräsentativ kann eine solche Beobachtung schon aufgrund der lückenhaften Überlieferung nicht sein.
41 Zum Mythos um Ludwig IX. und seine Enseignements vgl. H.-F. Delaborde, Le texte primitif des Enseignements de Saint Louis à son fils, in: BECh 73, 1912, S. 73 bzw. die Entgegnung von Paul Viollet, ebd. 490ff. und zuletzt D. O’Connell, Les propos de Saint Louis, Paris 1974. Zu Spekulationen um den Einfluß der „Ikone“ Ludwig IX. auf seine Nachfolger vgl. E. A. R. Brown, The Prince is Father of the King: the Character and Childhood of Philip the Fair of France, in: dies., The Monarchy of Capetian France and Royal Ceremonial: Essays 1978-88, Aldershot 1991, S. 333 bzw. dies., Persona et Gesta: The Image and Deeds of the Thirteenth-Century Capetians. The Case of Philip the Fair, ebd. S. 219ff.; vgl. aus der reichen Literatur zum Kult um Ludwig IX. zuletzt: J. Le Goff, Saint Louis, Paris 1996, S. 317ff. („La production de la mémoire royale: Saint Louis a-t-il existé?“), Krynen, Empire du roi (wie Anm. 28) S. 167ff. u. L. Buisson, Saint Louis, justice et amour de Dieu, in: Francia 6, 1978, S. 127ff.
42 Vgl. Paravicini (wie Anm. 9) S. 168ff.
43 Vgl. Tessier, BECh 110 (wie Anm. 4) S. 114. Vgl. zur parallelen Entwicklung am Papsthof an der Schwelle zur Neuzeit Herde, Audientia 1 (wie Anm. 10) S. 174ff.
44 Vgl. Extra 1.19.1–43 De officio et potestate iudicis delegati u. 1.3.1–40 De rescriptis; Heckel, Rudolf von, Das Aufkommen der ständigen Prokuratoren an der päpstlichen Kurie, in: Miscellanea Fritz Ehrle 2, Rom 1924, S. 291ff.; zur kanonistischen Reskripttheorie vgl. H. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte (51972) §§ 29f. u. 329ff.; Herde, Audientia 1 (wie Anm. 10) S. 182ff. und den Kurzabriß in ders., Marinus von Eboli: ‚Super revocatoriis‘ und ‚De confirmationibus‘. Zwei Abhandlungen des Vizekanzlers Innocenz IV. über das päpstliche Urkundenwesen, in: QFIAB 42–43, 1963, S. 178f.; Ch. Lefebvre, in: G. Le Bras u. J. Gaudemet, Histoire de droit et des institutions de l’Eglise en Occident 7: L’âge classique, 1140-1378: Sources et théorie du droit, Paris 1965, S. 466ff.; Hageneder, Geistliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 21) S. 24ff.
45 Vgl. Herde, Urkundenwesen (wie Anm. 9) S. 162ff.; ders., Papal Formularies for Letters of Justice, 13th–16th Centuries: Their Development and Significance for Medieval Canon Law, in: Proceedings of the Second International Congress of Medieval Canon Law, Boston College, 12.–16. August 1963, Vatikanstadt 1965, S. 321ff.
46 Vgl. Du Breuil, Stilus, ed. Aubert (wie Anm. 33) S. 130f. (Kap. XVIII,1).
47 Anglo-normannische Verwaltungsvorbilder wurden wohl besonders im Finanzwesen von der französischen Krone rezipiert, vgl. L. Borelli de Serres, Recherches sur divers services publics du XIIIe au XVIIe siècle 1, Paris 1895, ND Genf 1974, S. 108; J. R. Strayer, The Administration of Normandy under Saint Louis, Cambridge, Mass. 1932 (Monographs of the Medieval Academy of America 6), S. 33ff. u. 106f. Bresslau führte die abhangende Besiegelungstechnik sur simple queue auf englischen Einfluß zurück, vgl. ders., Internationale Beziehungen im Urkundenwesen des Mittelalters, in: Archiv für Urkundenforschung 6, 1918, S. 56. Die bedeutend ältere Urkundenform des writ stimmte hingegen zwar funktional, nicht jedoch vom Formular her mit dem französischen Mandat überein. Formal am nächsten kommt dem französischen Justizbrief noch die bei Hall (A Formula Book of English Official Documents 1, Cambridge 1908, Nrr. 72, 76) gedruckten Letters close Heinrichs III. mit zur Initiale gekürztem Königsnamen und den sehr ähnlich klingenden Einleitungsformeln für narratio und conclusio. Generell aber sind die Formeln englischer writs nicht ganz so uniform wie die ihres französischen Gegenstücks, wobei die einfachen et-Satzanschlüsse und die sciatis-Einleitungen auffallen, vgl. etwa ebd. 1, Nrr. 49, 50; 2, Nr. 73a und allgemein R. C. van Caenegem, Royal Writs in England from the Conquest to Glanvill: Studies in the Early History of the Common Law, London 1959, S. 105ff., G. Barraclough, The English Royal Chancery and the Papal Chancery in the Reign of Henry III, in: MIÖG 62, 1954, S. 355ff. und die Beiträge von J. Sayers und P. Zutshi in diesem Band.
48 Vgl. Marculfi Formulae, in: Formulae Merowingici et Karolini Aevi, hg. K. Zeumer, Hannover 1886, S. 60 Nr. I, 28 (carta audientiale) u. S. 60f. Nr. 29 (indecolum).
49 Im folgenden werden zum päpstlichen und zum königlich-französischen Justizbrief gewöhnlich nur je zwei Verweise auf entsprechende Textstellen gegeben. Die individuellen Angaben wurden einheitlich zu talis etc. standardisiert. Die Siglen beziehen sich auf die Numerierung in Herde, Audientia 2 (wie Anm. 10) bzw. die Briefnummern bei Schmidt (wie Anm. 3) S. 182ff. Für weitere, vollständige Informationem zum Formelgut sei auf die Wort- und Formelregister beider Editionen verwiesen.
50 Vgl. Schmidt (wie Anm. 3) S. 652ff.
51 Vgl. Herde, Audientia 1 (wie Anm. 10) S. 35ff. u. 259 mit Anm. 124.
52 Vgl. ebd.
53 Sextus 1.3.2 (Innozenz IV., 1245); Duranti (wie Anm. 10) 2 de rescripto presentando, § 4, n. 37.2; lt. Herde, Audientia 2 (wie Anm. 10) Notula 39 durfte ein Reskript insgesamt maximal acht Namen beinhalten.
54 Vgl. Herde, Audientia 1 (wie Anm. 10) S. 249ff.
55 Vgl. Herde, Audientia 1 (wie Anm. 10) S. 234ff. zur Briefgruppe Super terris, debitis… u. die forme der entsprechenden littere simplices (π 6–28).
56 Vgl. Duranti (wie Anm. 10) 1 de iud. del. 5, S. 10ff. und etwa Paris, Arch. Nat. JJ 1032A, Nr. 5 bis: Begleitschreiben Jean de Tries von 1299 (Lettre close unter dem Siegel der Bailliage Caux) zu einem Enquêterotulus, in dem er sich entschuldigt, wegen Arbeitsüberlastung die Untersuchung nicht selbst durchgeführt, sondern an einen Vicomte delegiert zu haben.
57 Vgl. zur Bedeutung in päpstlichen Justizbriefen P. Herde, Der Zeugenzwang in den päpstlichen Delegationsreskripten des Mittelalters, in: Traditio 18, 1962, S. 255ff., bes. 278 mit Anm. 103.
58 Duranti (wie Anm. 10) 2 de rescr. pres. § 4, Nr. 6.1.: vocatis, qui fuerint evocandi super propositis et aliis veritatem inquiras; vgl. auch Ord. 1 (wie Anm. 2) S. 357 Art. 3.
59 Vgl. Duranti (wie Anm. 10) 2 de rescr. pres., § 4, n. 4,1.
60 Auch: mandamus, quatinus illum, sub cuius iurisdictione iniuriator ipse constitit, attencius moneas, ut eidem… super hiis exhiberi faciat iustitie supplementum (statt complementum im französischen Mandat, vgl. Schmidt, wie Anm. 3, S. 462 Nr. 417) – eine conclusio, die sich an eine Formel anlehnt, die z.B. in päpstlichen Justizbriefen für Waisen dann gebraucht wurde, wenn der delegierte Richter, bevor er selbst den Fall an sich zog, erst den ordentlichen Richter dazu aufzufordern hatte, seines Amtes zu walten, vgl. Herde, Audientia 2 (wie Anm. 10) Notula 51 bzw. π 11.
61 Vgl. Herde, Audientia 1 (wie Anm. 10) S. 214.
62 Vgl. Ord. 1 (wie Anm. 2) S. 361 Art. 21.
63 Vgl. Herde, Audientia 1 (wie Anm. 10) S. 219ff.
64 Vgl. Nov. 1, 22, 4 (Zenon); Ord. 1 (wie Anm. 2) S. 357 Art. 3; Herde, Traditio 21 S. 299, 327; Hageneder, Geistliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 21) S. 293; Dondorp, ZRG Kan. Abt. 107 S. 172ff. (gemäß Bernardus Parmensis zu Extra 1.14.3: Non dicitur mandatum, quando ignoranter mandat); zum Vorbild des spätantiken römischen Kaiserreskripts für die päpstlichen littere commissionis vgl. P. Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland 1, 1869, S. 172ff.; Classen, AfD 1, S. 82ff. u. AfD 2, S. 92f.; P. Legendre, La pénétration du droit romain dans le droit canonique classique de Gratien à Innocent IV, 1140–1254, Paris 1964; G. Le Bras, Le droit romain au service de la domination pontificale, in: Revue historique de droit français et étranger, 1949, S. 390f. – einschränkend muß hier allerdings bemerkt werden, daß sich die Argumentation von der formalen Abhängigkeit des Papstreskripts vom antik-kaiserlichen Reskript bei Le Bras praktisch ausschließlich auf die erwähnte Formel si preces veritate nitantur stützt – etwas wenig…
65 Vgl. Herde, Audientia 1 (wie Anm. 10) S. 242ff.; Lot/Fawtier 3 (wie Anm. 11) S. 435ff.; Krynen, Empire du roi (wie Anm. 28) S. 252ff.
66 Da die Länge des Justizbriefes in erster Linie von der Ausführlichkeit der narratio abhängt, kann keine allgemeine Angabe zum Prozentsatz der in einem königlichen Justizbrief verwendeten Formeln, die sich ebenso in den päpstlichen Justizbriefen finden, gegeben werden. Es ist jedoch bei identisch gebrauchten Formeln von bis zu knapp 25 %, bei Einbeziehung auch in Varianten verwendeter Formeln im Einzelfall (Pfandsache, Vertragsrecht etc.) von bis zu 50 % auszugehen.
67 Vgl. das Wort- und Formelregister bei Schmidt (wie Anm. 3) S. 603ff.
68 Den Transfer päpstlicher Formularvorbilder mit einzelnen Persönlichkeiten in Verbindung zu bringen, ist im 13. Jh. angesichts der vielen Kontakte zwischen dem französischen Königshof und der Kurie ein hoffnungsloses Unterfangen. Rom-Missionen der Gardes du sceau gab es häufiger, vgl. L. Perrichet, La Grande Chancellerie de France des origines à 1328, Paris 1912, S. 512ff.; Guillaume de Rampillon z.B. war Erzdiakon von Paris und päpstlicher Kaplan, bevor er 1270 Garde du sceau wurde (vgl. ebd. 515f.). Andererseits: Petrus Peregrossus aus Mailand etwa, päpstlicher Vizekanzler von Innozenz V. bis Honorius IV., war Kanoniker von Paris und Professor an der Universität Orléans, vgl. G. F. Nüske, Untersuchungen über das Personal der päpstlichen Kanzlei 1254–1304, in: AD 20, 1974, S. 109. Mitglieder des Conseil des französischen Königs, und hier besonders Kleriker unter ihnen, waren natürlich in vielfältiger Weise mit dem Hl. Stuhl verbunden, vgl. etwa exemplarisch J. A. McNamara, Gilles Aycelin, the Servant of Two Masters, Syracuse, N.Y. 1973. Mit Clemens IV. und Martin IV. waren zwei Franzosen im 13. Jh. Päpste, die vorher am französischen Königshof als Parlamentsrat bzw. Garde du sceau Karriere gemacht hatten, vgl. zu Clemens IV. (Guy Foucois) LdMA 2, Sp. 2141f. (M. Hayez); Y. Dossat, Guy Foucois, in: Cahiers de Fanjeaux 7, 1972, S. 23ff.; zu Martin IV. (Simon de Brion) vgl. LdMA 6, Sp. 341f. (B. Roberg); Perrichet, Chancellerie S. 513f. Man könnte somit vielerlei Informationskanäle konstruieren, vgl. etwa auch H.M. Schaller, Zur Entstehung der Briefsammlung des Petrus de Vinea, in: ders., Stauferzeit, Hannover 1993, 238, 258f. und allgemein J.-L. Gazzaniga, Les clercs au service de l’Etat dans la France au XVe siècle. A la lecture de travaux récents, in: Droits savants et pratiques françaises du pouvoir (XIe–XVe siècles), sous la direction de J. Krynen et A. Rigaudiere, Bordeaux 1992, S. 253ff.; H. Millet, La place des clercs dans l’appareil d’Etat en France à la fin du Moyen Age, in: Etat et Eglise dans la genèse de l’état moderne: Actes du colloque organisé par le CNRS et la Casa de Velázquez, Madrid, 30.11.–1.12.1984, hg. J.-Ph. Genet u. B. Vincent, Madrid 1986, (Bibliothèque de la Casa de Velázquez 1) S. 239ff.
69 Zumindest lassen die Magister-Titel vieler königlicher Notare an vorausgehende Universitätsausbildung denken, wenn auch nicht aus diesem Indiz allein mit Sicherheit folgern, vgl. B. Schwarz, Die Organisation kurialer Schreiberkollegien von ihrer Entstehung bis zur Mitte des 15. Jh., Tübingen 1972, S. 75ff. Guillaume d’Ercuis, Notar Philipps IV., hatte z.B. vor seinem Eintritt in königliche Dienste nachweislich an der Universität Paris studiert, vgl. R.-H. Bautier, Le personnel de la chancellerie royale sous les derniers Capétiens, in: Prosopographie et genèse de l’Etat moderne: Actes de la Table ronde organisée à l’Ecole normale supérieure de Jeunes filles, Paris 1984, hg. v. F. Autrand, Paris 1986.; auch in: ders., Chartes, sceaux et chancelleries 1, (wie Anm. 9) S. 91ff., 95ff; J. Petit, De libro rationis Guillelmi de Erqueto, Paris 1900, S. 16 und allgemein J. W. Baldwin, ‚Studium et regnum‘: The Penetration of University Personnel into French and English Administration at the Turn of the 12th and 13th Centuries, in: Revue des études islamiques 44, 1976, S. 199ff.
70 Bautier, Personnel (wie Anm. 69) S. 96 u. 112f.; Petit (wie Anm. 69) S. 27f. Als zugleich öffentliche, päpstlich bestellte Notare (notaires apostoliques) hatten z. Zt. Philipps IV. die königlichen Notare Jacques de Jasseines, Jean de Provins, Gilles de Rémy, Amis d’Orléans, Pierre d’Aubigny, Geoffroy Chalop, Raoul de Préaux, Renaut Parquier und Jean d’Acy auch weitere Erfahrung als juristische Praktiker; Guillaume de Ry hatte eine Doppelinvestitur als apostolischer und kaiserlicher Notar.
71 Vgl. H. Rashdall, The Universities of Europe in the Middle Ages 1 (hg. v. F. M. Powicke u. B. Emden), Oxford [1895], 1936, S. 540ff.; einige Fallstudien in: J.W. Baldwin u. R. A. Goldthwaite (Hgg.), Universities in Politics, Baltimore 1972, und allgemein A. Luchaire, L’Université de Paris sous Philippe le Bel, Paris 1899.
72 Vgl. L. Delisle, Les écoles d’Orléans au XIIe et au XIIIe siècles, in: Annuaire-Bulletin de la Société de l’histoire de France 7, 1869, S. 139ff.
73 Vgl. etwa G. Leff, in: W. Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa 1, 1993, S. 285f.; L. J. Paetow, The Arts Course at Medieval Universities with Special Reference to Grammar and Rhetoric, Urbana, Ill. 1910, S. 26f., 67ff. u. J. J. Murphy, Rhetoric in the Middle Ages. A History of Rhetorical Theory from Saint Augustine to the Renaissance, Berkeley, Cal. 1974, S. 194ff.
74 István Hajnal (L’enseignement de l’écriture aux universités médiévales, hg. L. Mezey, Budapest 21959) erntete mit seiner gewagten und quellenmäßig wenig untermauerten Kernthese, die Vereinheitlichung von Schrift (Kanzleikursiven) und Urkundenformen seit dem 13. Jahrhundert ginge auf den Schreibunterricht an der Artistenfakultät der Universität Paris zurück, z.T. heftigste Kritik, vgl. die Rezensionen von B. Meyer, ZRG Germ.Abt. 72, 1955, S. 396ff., P. Gorissen, RHE 50, 1955, S. 559ff., H. Appelt, HZ 181, 1956, S. 211f. Haynal selbst versuchte sich in Scriptorium 11, 1957, S. 3ff. zu rechtfertigen und siedelte die Vermittlung von Grundlagen in allgemeiner Brief- und Kompositionslehre weniger in offiziellen Universitätskursen, sondern in Collèges und Hôtels der Studenten an, wo Skriptoren und Diktatoren unterrichtet hätten (vgl. ebd. 22ff). Vgl. allgemein zur französischen Situation M. Fournier, Histoire de la science du droit en France 3: Les universités françaises et l’enseignement du droit en France au Moyen Age, Paris 1892, S. 98ff. In den frühen mittelalterlichen Bibliothekskatalogen der Sorbonne finden sich Formelbücher, ebenso im Bibliothekskatalog von 1337 des Collège de Verdale in Toulouse; artes dictaminis sind außerdem als Pecienhandschriften belegt, vgl. L. Delisle, Le Cabinet de manuscrits de la Bibliothèque nationale 3, Paris 1881, S. 72, 108; M. Fournier, Les bibliothèques des collèges de l’Université de Toulouse. Étude sur les moyens de travail mis à la disposition des étudiants au Moyen Age, in: BECh 51, 1890, S. 451ff.; J. Destrez, La pecia dans les manuscrits universitaires du XIIIe et XIVe siècles, Paris 1935.
75 Vgl. P. Glorieux, La faculté des arts et ses maîtres au XIIIe siècle, Paris 1971, S. 20ff.; Rashdall 1 (wie Anm. 71) S. 439ff.; zu Statuten der Universität Toulouse von 1309 vgl. Paetow (wie Anm. 73) S. 95ff.
76 Hg. Wahrmund (wie Anm. 10) 1, Heft 2 S. XIff.; vgl. auch N. Valois, De arte scribendi epistolas apud Gallicos Medii Aevi scriptores rhetoresve, Paris 1880, S. 25ff. u. Ch. H. Haskins, The Life of Medieval Students as Illustrated by their Letters, in: ders., Studies in Medieval Culture, Oxford 1929, S. 6ff. mit Anm. 6 u. S. 25 Anm. 6.
77 Hg. Wahrmund (wie Anm. 10) 1, Heft 3 S. 22f. Nr. LXIX; vgl. auch Hageneder, Geistliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 21) S. 126ff. mit Hinweis auf die weit verbreitete Summa artis notariae des Rolandinus Passagerii.
78 Zum Lehrkörper der Pariser Artistenfakultät und deren Werke vgl. O. Weijers, Le travail intellectuel à la Faculté des arts de Paris: textes et maîtres, ca. 1200–1500, 1, Turnhout 1994; Glorieux (wie Anm. 75) S. 20ff., speziell zu John Garland und seiner Parisiana poetria ebd. 211ff. Ob Laurentius von Aquileia an der Universität Paris lehrte, ist ungewiß; zumindest scheint er seine Ars sive rhetorica dictaminis in Paris z.Zt. der Auseinandersetzungen Papst Bonifaz’ VIII. mit der französischen Krone (ca. 1296–1303) beendet und sie Philipp IV. gewidmet zu haben, vgl. Murphy (wie Anm. 73) S. 259.
79 Vgl. Ord. 8 (wie Anm. 2) S. 617 ff.; Bautier, Recherches (wie Anm. 9) S. 405f.; Hajnal (wie Anm. 74) S. 162ff., 172f. mit Hinweis auf die später Basoche genannte Korporation der Parlamentsschreiber.
80 Vgl. zu den Archiven der französischen Krone H.-F. Delaborde, Étude sur la constitution du Trésor des chartes, Einleitung zu Layettes du Trésor des chartes 5, Paris 1909 u. O. Guyotjeannin, Les méthodes de travail du roi de France, XIIIe début–XVIe siècle, in: AD 42, 1996, S. 295ff.
81 Vgl. Ch.-V. Langlois, Les plus anciens formulaires de la chancellerie de France, in: Notices et extraits des manuscrits de la Bibliothèque nationale 352, Paris 1897, S. 793ff., bes. 805ff.
82e ne purront connestre ne prendre conissance de causes ne de quereles, especialment du principal des causes, qi doivent estre demenetz en parlement, ou devant les baillis ou les seneschaus; mes se partie opposoit contre requeste a la fin qe la lettre de justice ne soit doné, il purront bien conoestre e oier les parties a la fin se il donront lettre de justice ou noun (Langlois, Textes (wie Anm. 2), S. 183ff. Nr. CXXVI, hier 185, Art. 8); vgl. zu den Suppliken am Papsthof den Libellus de formis petitionum secundum cursum Romane curie des Guala Bichieri (ca. 1226/7), hg. R. v. Heckel, Das päpstliche und sizilische Registerwesen, in: AD 1, 1908, S. 502ff. und die diesbzgl. Bemerkungen bei Herde, Audientia 1 (wie Anm. 10) S. 33ff.
83 Vgl. zur Audientia litterarum contradictarum den Artikel von G. Barraclough in: Dictionnaire de droit canonique 1, hg. R. Naz, Paris 1935, Sp. 1387ff.; Herde, Urkundenwesen (wie Anm. 9) S. 152ff., 214ff.; R. v. Heckel, Eine Kanzleianweisung über die schriftmäßige Ausstattung der Papsturkunden aus dem 13. Jh. in Durantis Speculum iudiciale, in: Festschrift für G. Leidinger, 1930, S. 110ff.
84 Vgl. R. v. Heckel, Beiträge zur Kenntnis des Geschäftsgangs der päpstlichen Kanzlei im 13. Jh., in: Festschrift A. Brackmann, hg. L. Santifaller, Berlin 1931, S. 109ff.; Bautier, Recherches (wie Anm. 9) S. 398ff.
85 Rezeption hier nicht als unveränderte Übernahme, sondern als produktiver Adaptions- und Systematisierungsprozeß verstanden; vgl. die analogen Bemerkungen zum römischen Recht bei W. Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland: ein Beitrag zur Geschichte der Frührezeption, Wiesbaden 1962, S. 2f.
86 E. Glasson, Les sources de la procédure civile française, in: Nouvelle Revue historique de droit français et étranger 5, 1881, S. 413ff.; J. Gaudemet, L’influence des droits savants (romain et canonique) sur les textes de droit coutumier en Occident avant le XVIe siècle, in: ders., Église et société en Occident au Moyen Âge, London 1984, XI, S. 165ff. mit dem Aufzeig relevanter Stellen aus dem Conseil à un ami des Pierre de Fontaines, der Etablissements de Saint Louis, des Livre de jostice et de plet und den Coutumes de Beauvaisis Beaumanoirs. Vgl. zum Prinzip der Schriftlichkeit aber auch einschränkend P. Guilhiermoz, De la persistance du caractère oral dans la procédure civile française, in: Nouvelle Revue historique de droit français et étranger 13, 1889, S. 21ff.
87 Vgl. G. Le Bras, Les origines du droit administratif, in: Mélanges A. Mestre, Paris 1956, S. 395ff. und daneben zum allgemeinen Transfer kirchlicher Prinzipien auf das europäische Verwaltungsrecht P. Legendre, in: RHDE 52, 1974, S. 701ff.; F. Olivier-Martin, Quelques exemples de l’influence du droit canonique sur le droit public de l’Ancienne France, in: Actes du Congrès de droit canonique…, Paris 1947, S. 366ff.; J. L. Mestre, in: Annuaire européen d’administration publique 5, 1982, S. 925ff.; zum päpstlichen Vorbild für die Souveränitätsidee frühneuzeitlicher Monarchien vgl. D. Wyduckel, Princeps legibus solutus: eine Untersuchung zur frühmodernen Rechts- und Staatslehre, 1979, S. 88ff.
88 Vgl. H. Mitteis, Beaumanoir und die geistliche Gerichtsbarkeit – zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Prozeßrechts [1914–19], in: ders., Die Rechtsidee in der Geschichte. Gesammelte Abhandlungen und Vorträge, 1957, S. 1ff.; P. van Wetter, Le droit romain et Beaumanoir, in: Mélanges Fitting 2, Montpellier 1908, S. 533ff.; G. Hubrecht, Le droit canonique dans le coutumier de Beaumanoir, in: Mélanges offerts à P. Andrieu-Guitrancourt, Paris 1973, S. 579ff.
89 Vgl. diesbzgl. die Diskussion kanonischer, normannischer und karolingischer Vorbilder samt entsprechender Sekundärliteratur bei Y. Bongert, Recherches sur les cours laïques du Xe au XIIIe siècle, Paris 1949, S. 263ff.
90 O. Martin, La nomination aux offices royaux au XIVe siècle d’aprés les pratiques de la chancellerie, in: Mélanges Paul Fournier, Paris 1929, S. 487ff.; vgl. auch allgemein J. Verger, Le transfert de modèles d’organisation de l’Église à l’Etat à la fin du Moyen Âge, in: État et Église dans la genèse de l’état moderne: Actes du colloque organisé par le CNRS et la Casa de Velázquez, Madrid, 30.11.–1.12.1984, hg. J.-Ph. Genêt u. B. Vincent, Madrid 1985, S. 33ff.
91 Vgl. oben Anm. 10 u. Dondorp, ZRG Kan.Abt. 107 (wie Anm. 10), S. 177f.; vgl. auch die Unterscheidung in influence superficielle (Gebrauch römisch-rechtlicher Terminologie und Begründung bzw. Absicherung gewohnheitsrechtlicher Einrichtungen mit Textzitaten aus dem römischen und kanonischen Recht) und influence substantielle, d.h. Übernahme von Institutionen und Rechts- und Prozeßregeln, bei J.-Ph. Levy, La pénétration du droit savant dans les coutumiers angevins et bretons au Moyen Age, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 15, 1957, S. 2ff.
92 Vgl. Bresslau, Internationale Beziehungen (wie Anm. 47) S. 37, O. Guyotjeannin, L’influence pontificale sur les actes episcopaux français, provinces ecclésiastiques de Reims, Sens et Rouen, XIe–XIIe siècles, in: L’Église de France et la Papauté, Xe–XIIIe siècle – Die französische Kirche und das Papsttum, 10.–13. Jh., Paris 1993, S. 83ff.; zu den Beziehungen Kaiserurkunde-Papsturkunde vgl. E. Mühlbacher, Kaiserurkunde und Papsturkunde, in: MIÖG Ergänzungsband 4, 1893, S. 499ff. Einen analogen Rezeptionsprozeß kurialer Vorbilder in den Kanzleien Kaiser Friedrichs II. und der römischen Könige allgemein, der österreichischen Herzöge seit Friedrich dem Streitbaren und Ottokar II. Přemysl zeigte unter Zitierung vieler Quellenbelege O. Hageneder, Geistliche Gerichtsbarkeit (wie Anm. 21) S. 153ff.; in einer kürzlich erschienenen Studie nahm Hageneder dieses Thema vergleichender Diplomatik mit Bezug zum späteren Mittelalter erneut auf, vgl. O. Hageneder, Kanonisches Recht, Papsturkunde und Herrscherurkunde. Überlegungen zu einer vergleichenden Diplomatik am Beispiel Friedrichs III., in: AD 42, 1996, S. 419ff. Ein anderes Beispiel europäischer diplomatischer Interdependenz sind die Entlehnungen der französischen Kanzlei bei der Abfassung der gegen Papst Bonifaz VIII. gerichteten Pamphlete aus Formelgut der Kanzlei Friedrichs II. (möglicherweise über die Sammlung des Petrus de Vinea), vgl. H. Wieruszowski, Vom Imperium zum nationalen Königtum: Vergleichende Studien über die publizistischen Kämpfe Kaiser Friedrichs II. und König Philipps des Schönen mit der Kurie, München 1933, S. 91ff.