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[p. 241] Die Siegel der böhmischen Herrscher bis 1250

Die Siegel gehören zu einer umfangreichen Gruppe von Zeichen, die die Herrscher als Verkörperung des mittelalterlichen „Staates“ angelegt haben, um ihre Herrschaft sichtbar zu machen. Das Siegelbild und ebenso das Münzbild sind Hoheitszeichen erster Klasse und obwohl sie manchmal durch ein bereits fest gewordenes „Bildmodell“ bestimmt waren und fortgeführt wurden, bemühten sich die Stempelschneider und Münzmeister, näher an die Wirklichkeit heranzukommen und dem Stilwandel folgend die Realität wiederzugeben. Ihre Beurteilung muß auf mehreren Ebenen erfolgen, die Frage nach äußerer Form der Hoheits- und Herrschaftszeichen ist nicht ausreichend. Es stellen sich andere Fragen: was sollten sie bedeuten und welcher Sinn wurde ihnen im Laufe der Zeiten unterlegt1.

Die Siegel der Přemyslidischen Herrscher kommen – im Vergleich mit den anderen Suveränen Europas – mit einer gewißen Verspätung, die an erster Stelle dem Traditionalismus der böhmischen Gesellschaft im Bereich des Rechtes zuzuschreiben ist. Eine mündliche Proklamation vor der Versammlung der vollberechtigten „Böhmen“, die einen vom Herzog angeführten Personenverband bildeten, vor der Versammlung der Einwohner eines Dorfes, vor der Versammlung der Gläubigen in einer Kirche, spielte zunächst im böhmischen Recht die wichtigste Rolle, und die schriftliche Bezeugung wurde gar nicht benötigt.

Der Herzog von Böhmen als Besitzer allen Boden in seinem Territorium hatte das exklusive Dispositionsrecht über alle Güter und es gab in Böhmen keine Macht, die dem Herzog zur Ausstellung von Urkunden hätte zwingen können. Die Kirchen Böhmens, mit ihrer Tradition des römischen Rechtes einzige Schicht der Gesellschaft, die die schriftliche Notierung des Rechtsverfahrens als nützlich und notwendig angesehen hatte, setzte sich bei den Schenkungen und Donationen mit ihren Anforderungen nicht durch, weil sie zu schwach war, ihren eigenen Willen und ihre Wünsche zur Bedingung zu machen. Die Kirche wurde der Macht des böhmischen Herzogs untergeordnet, und auch der Bischof von Prag hatte Geltung nur als Kapellan des regierenden Přemysliden. Die Vorgänger der alten böhmischen Adelsfamilien in der engesten Umgebung des bömischen Herzogs behielten für ihre Dienste die Güter nur für eine begrenzte Zeitperiode, und deshalb waren sie gar nicht an der schriftlichen Bestätigung ihres nur provisorischen Besitzes interessiert2.

Die ältesten Spuren des Siegelgebrauchs in Böhmen sind erst am Ende des 11. Jhdts. nachweisbar, und die Gründe dafür sind im Selbstverständnis des přemyslidischen Herrschers zu suchen. Die Krönung von Vratislav I. (1061–1092) im Jahre 1085 und die Einführung der Königswürde in Böhmen hatten verschiedene innenund außenpolitische Folgen. Vratislav I. fühlte sich als erster König seiner Dynastie verpflichtet, in Prag einen echten Königshof mit allen dazu passenden Attributen [p. 242] einzurichten, wie Verwaltung, Kanzlei, Urkunden, Kultur, Manuskripte usw., und das Siegel stellte einen Stein in diesem Mosaik dar3.

Kein echtes Siegel von Vratislav I. ist erhalten, aber die bis jetzt überlieferten Siegelfälschungen, die aus dem 13. Jhdt. stammen, sind wohl nach einer echten Vorlage gefälscht worden. Die äußeren Merkmale der Siegel weisen den gleichen Stil wie andere Kunstobjekte auf, und im Siegelbild wurde eine thronende Figur dargestellt, die dem Porträt des heiligen Wenzel in einer Miniatur (Buchstabe D) des Vyšehrader Kodex ähnlich ist4.

Die Regierungsperiode von Vratislav I. bildet den Höhepunkt der Formierung einer mit dem Kult des heiligen Wenzel verknüpften Staats- und Herrschaftsideologie; unter Vratislav I. wurde der Grundwechsel des Wenzelsbildes von einem heiligen Märtyrer zu einem christlichen Ritter vollendet, und die neue Darstellung des Landespatrons als Miles Christi und eigentlichen Landesherrn wurde für Münzbilder und ander Kunstgegenstände herangezogen5.

Das „Bildmodell“ wurde im Vyšehradauer Kodex, der anläßlich der Krönung hergestellt wurde, bestimmt, und die obenerwähnte Initiale D enthüllt das Geheimnis der přemyslidischen Wenzelsideologie der zweite Hälfte des 11. Jhdts. Wenzel als Landespatron tritt uns ganz als Herzog entgegen: er sitzt auf einem Thron, sein Kopf ist mit einer Herzogsmütze bedeckt, und in der linken Hand trägt er eine Lanze. Nur die rechte Hand, die zum Segen erhoben ist, charakterisiert das Heiligtum dieses Přemysliden. Der Sinn einer solchen Darstellung symbolisiert die Doppelfunktion des Landespatrons – die Verteidigung des Staatsterritoriums gegen den äußeren Feind einerseits, und den Schutz der Staatseinheit und des inneren Friedens andererseits. Seine Zugehörigkeit zur herrschenden Dynastie hat ihm noch eine andere Aufgabe zugeteilt: der jeweils regierende Herzog wurde mit seinem Amt von Gott belehnt, aber von heiligen Wenzel investiert.

Die Verwendung der Figur des heiligen Wenzel im Siegelbild der ersten böhmischen Siegel überhaupt konnte die Bedeutung dieser Staatsideologie betonen, und durch die Einführung solcher ideologisierter Siegel konnte der erste böhmische König demonstrativ seine Legitimität und zugleich seine Verbindung mit dem gebildeten und kultivierten Europa beweisen. Die innenpolitische Lage der böhmischen Gesellschaft war weit entfernt von den Bemühungen seines Herrschers und nach dem Tod von Vratislav I., dessen starke Persönlichkeit den Aufstieg von Böhmen bewirkt hatte, verschwanden alle Attribute der Königswürde, damit auch das Siegel.

Erst fünfzig Jahre später, unter Vladislav II. (1140–1172), ist wieder ein Herrschersiegel nachweisbar und zu dieser Zeit beginnt die ununterbrochene Reihe der Siegel der böhmischen Herzöge und Könige. Auch die Spitze der kirchlichen Hierarchie im přemyslidischen Staat folgte diesmal dem Beispiel des Herrschers, und in den letzten Jahren des 12. Jhdts. erschienen unter den Siegelinhabern in böhmischen Ländern die mächtigsten Repräsentanten des entstehenden böhmischen Adels6.

Vladislav II. besiegelte seine Urkunden schon in den Jahren 1146–1148, als er noch den Herzogstitel trug. Das Siegelbild stellt ein Bildnis des heiligen Wenzels [p. 243] dar, der als Herzog von Böhmen und Schutzpatron abgebildet auf einer einfachen Thronbank sitzt, seine rechte Hand hält eine Lanze mit der Fahne, seine linke Hand liegt auf einem normanischen Schild. Die Umschrift: + PAX SANCTI WAZELAI IN MANVS DVCIS VADIZLAVS verdeutlicht die Staatsideologie, die sich seit Ende des vorhergehenden Jahrhunderts nicht geändert hatte7.

Böhmen aber war nicht der einzige Staat Europas, wo die aus dem Lehenswesen stammende Vorstellung ihre Verbreitung fand, da die Könige und Herrscher allgemein die Fahnenträger Christi oder eines Heiligen seien. Darüber hinaus geht noch die in Norwegen sich im 12. Jhdt. herausbildende Auffassung, der rex perpetuus des Landes sei der heilige Olaf und der konkrete König habe nur die Stellung seines vicarius. Das war keine Besonderheit, auch in Venedig übernahm ein Heiliger – der Evangelist St. Marcus – die Funktionen des Landespatrons und damit die des eigentlichen, von Tod und Neuwahl unabhängigen Landesherrn, der sich der Dogen als Ausführungsorgane seines Willens bediente.

Der Glanz der Königswürde, die Vladislav II. im Jahre 1158 ad personam erhielt, verursachte doch eine grundsätzliche Wendung der Staatsideologie, und die neuen Richtlinien dieser Auffassung fanden ihren Ausdruck ganz eindeutig im neuen Königssiegel dieses Přemysliden. Die Ambitionen und die aufgestiegene Autorität des zweiten böhmischen Königs spiegeln sich auf der Vorderseite des neu eingeführten Münzsiegels, wo ein Majestätsiegel mit der Darstellung des thronenden, mit einer gefalteten, auf der rechten Schulter zugeklammerten Tunika bekleideten Siegelinhabers mit den Attributen der Königsmacht, mit der Krone in Diademform und mit zwei kurzen lilienförmigen Zeptern, eingeschnitten wurde. Die Gravur des Averses wurde sorgfältiger durchgeführt als die der Rückseite, wo sich das Bild des heiligen Wenzel in seiner üblichen Form findet. Die Legende der Vorderseite enthält nur Namen und Königstitel von Vladislav II., aber die Legende der Rückseite mit einer Modifikation der Siegelumschrift aus seinem letzten Siegel bekommt jetzt einen ganz anderen Sinn. Sie lautet: + PAX REGIS WLADIZLAI IN MANVS SANCTI WENCEZLAI und betont den Wechsel der Prioritäten; der jeweils regierende König übernimmt die Rolle des aktiven Subjektes des Geschehen, er ist nicht mehr ein passives Objekt des Willens des heiligen und ewigen Herzogs, aber er unterwirft sich und sein Land freiwillig dem Schutz des heiligen Wenzel8.

Im Laufe der Königsherrschaft von Vladislav II. wurde der Siegelstempel mehrmals geändert, aber die Form eines Doppelsiegels ist immer geblieben und das Grundschema seiner Siegelbilder wurden nur in Details modifiziert. Das Königssiegel von Vladislav II. diente für seinen Nachfolger als Vorbild mit seinen spezifischen äußeren Merkmalen und charakteristischen inneren Eigenschaften – Münzsiegel einerseits und Bildnis des heiligen Wenzel auf dem Revers andereseits9.

Die Münzsiegel waren zu dieser Zeit in Europa bereits bekannt und sie sind aus verschiedenen Territorien überliefert (Italien, England, Dänemark), aber die Ausbreitung solcher Siegel in Böhmen ist doch keine bloße Nachahmung der fremden Muster. Die Münzsiegel Europas hatten als Ziel die Macht des Siegelinhabers in [p. 244] mehreren Ländern zugleich zu symbolisieren, in Böhmen waren sie im Gegenteil Ausdruck der Unteilbarkeit der Herrschaft in einem einzigen Land. Durch die Abbildung des heiligen Wenzel auf der Rückseite des Münzsiegels wurde die Legitimität der Herrschaft der jeweiligen, aus derselben Dynastie wie der Schutzpatron Böhmens stammenden Herzöge demonstriert, und niemandem wurde erlaubt, diese Macht zu bezweifeln. Die ideologischen, dynastischen Gründe der Einführung des Münzsiegels in Böhmen stellen in Europa einen Einzelfall dar10.

Die Nachfolger von Vladislav II. blieben im Schatten dieses Herrschers, und ihnen ist es nicht gelungen, sich innen- und außenpolitisch durchzusetzen. Schon Soběslav II. (1173–1178) wurde vom römischen Kaiser in die Herzogswürde eingesetzt und er regierte nur dank seiner ständigen Unterstützung. Das Siegel dieses Přemysliden stellt auf beiden Seiten eine fast identische Figur dar, und der einzige Unterschied ist der Nimbus um den Kopf der sitzenden Gestallt auf der Rückseite. In der Siegelumschrift der Vorderseite befinden sich nur Name und Herzogstitel des Siegelbesitzers, die Legende auf dem Revers lautet einfach: + SANCTVS WENCEZLAVS DVX. Das Fehlen des Hinweises auf die Zusammenwirkung des jeweiligen Herrschers mit dem ewigen Herzog von Böhmen scheint ein Beweis dafür zu sein, daß die Einsetzung von Soběslav II. der alten böhmischen Tradition wiedersprach und nie als ein legitimer Vorgang anerkannt wurde. Deswegen konnte er nicht auf seinem Siegel die Grundidee der üblichen Staatsideologie zum Ausdruck bringen11.

Die böhmischen Herzöge Friedrich (1178–1189) und Otto (1189–1191) haben nur eine Nebenrolle in der europäischen Politik und ihre Randposition sowie der Verlust ihres Prestiges fanden ein Echo auch im Siegelbild der Vorderseite ihrer Münzsiegel. Statt des Thronsiegels befindet sich hier nur ein Standbildsiegel und seine grobe Gravur und künstlerische Unvollkommenheit im Vergleich zu dem üblichen Wenzelsbild der Rückseite entsprechen der unsicheren Lage beider Herzöge in Böhmen und in der Reichspolitik. Der ununterbrochene Schutz des Landespatrons war notwendig für die beiden Herrscher und deshalb übernahm die Legende der Rückseite die traditionelle Wenzelsdevise12.

Die erste Regierung von Herzog Přemysl Ottokar I. (1192–1193) war zwar kurz und wenig ereignisreich, aber sein Siegel bringt zwei ganz neue Elemente in der Entwicklungsreihe der Siegel der böhmischen Herrscher. Das erste Mal stellt die Vorderseite ein Reitersiegel dar und auf derselben Seite erscheint ein heraldisches Motiv. Přemysl Ottokar I., ein Přemyslide mit großen Ambitionen, hat sein Reitersiegel nach ausländischen Vorbildern als Symbol der ritterlichen Kultur gewählt und als Darstellung für das mutige Unternehmen der Kreuzzüge. Die innere Verknüpfung beider Seiten seines Münzsiegels wurde durch die Figur eines Adlers unterstrichen, der im Schild des Ritters auf dem Avers erscheint, weil der Adler allgemein als Symbol und Wappen des heiligen Wenzel galt, dessen übliche Abbildung sich auf dem Revers befand. Die Siegelbilder selbst übernahmen die Aufgabe, die Staatssymbolik auszudrücken, und deswegen war es nicht nötig, in den Siegelumschriften dieses Thema zu wiederholen. Die Legende auf der Vorderseite lautet nur: DVX PREMISL, auf der Rückseite: SANCTVS WENCEZLAVS13.

[p. 245] Im Jahre 1193 bestieg den böhmischen Herzogsthron Heinrich Břetislav (bis 1197), der schon seit 1182 auf dem Prager Bischofsstuhl saß, und so konzentrierte er in seinen Händen die Macht des Landesherren und der Kirche in Böhmen. Sein Herrschersiegel übernahm zwar die traditionelle přemyslidische Münzsiegelform, aber in den Siegelbildern spiegelt sich seine Doppelfunktion: eine Seite symbolisiert die Macht des Herzogs von Böhmen in Form eines Standbildsiegels, dessen Darstellung den Siegeln seiner Vorgänger Friedrich und Otto ähnelt, die zweite Seite wurde als Symbol seiner Bischofswürde gestaltet, und hier erscheint ein kirchliches Thronsiegel. Zum ersten Mal verschwand das Wenzelsbild aus dem Siegel des regierenden Přemysliden, und auch in den Siegelumschriften kam keine Erwähnung des heiligen Landespatrons vor. Die Frage, ob Heinrich Břetislav wirklich kein Wenzelssiegel besaß, war oft das Diskussionsthema der böhmischen Siegelkunde, die letzten Forschungen haben das Fehlen dieses Siegels unter Heinrich Břetislav bestätigt14. Dieser Herrscher fühlte sich offensichtlich durch seine Doppelwürde und durch die kaiserliche Unterstützung so gesichert, daß er auf die Hilfe des Landespatrons verzichten konnte.

Vom Siegel des Herzogs Vladislav Heinrich (1197), der schon in demselben Jahr, als er zur Herzogswürde erhoben wurde, resignierte und den böhmischen Thron seinem Bruder Přemysl Ottokar I. übergab, ist nur ein Fragment seines einseitigen Reitersiegels erhalten und deshalb ist erst Přemysl Ottokar I. (1197–1230) in seiner zweiten Regierungsperiode als Träger und Erneuerer der alten böhmischen Siegeltradition der Landesherrscher nachweisbar.

Seit dem Jahre 1198 König von Böhmen, ließ sich Přemysl Ottokar I. ein neues Siegel gravieren, ganz in den Intentionen seiner königlichen Vorgänger: ein Münzsiegel mit dem Majestätssiegelbild auf dem Avers und mit dem Wenzelsbild auf dem Revers. Der Siegelschnitt der Vorderseite ahmte die zeitgenossischen Kaisersiegel mit ihrem byzantinisierenden Stil nach, und in der Siegelumschrift erschien die Devise: + PAX REGIS PREMIZL IN MANV SANCTI WENCEZLAI. Die auf dem Revers dargestellte Abbildung des heiligen Wenzel war nur eine einfachere Fassung der auf dem Avers abgebildeten Figur mit den Attributen des Landespatrons. Die Legende erhielt Name und Herzogstitel des Heiligen der přemyslidischen Dynastie. Die Gestalltung dieses Siegels unterstreicht wieder die Bedeutung der Königswürde und je höher Přemysl Ottokar I. mit seinen Ambitionen tendierte, desto prächtiger wurden seine Siegel. Im Laufe seiner Reigierung wurde der Siegelstempel mehrmals geändert, das Grundschema hat aber keine Änderung erfahren, nur die immer perfektere Gravur entsprach der steigenden Macht des böhmischen Königs und der Erhabenheit des regierenden Přemysliden15.

Der Ehrgeiz, der Hochmut und nicht zuletzt der Wunsch, dem römischen Kaiser zu konkurrieren, führten Přemysl Ottokar I. als einzigen Přemysliden und einzigen König von Böhmen zur Einführung der Goldbulle. Die Beiden erhaltenen Exemplare der Goldbulle, die durch zwei verschiedene Typare geprägt wurden, sind Nachahmungen der üblichen Wachssiegelstempel von Přemysl Ottokar I., und beide wurden für die wichtigsten Urkunden von großer Bedeutung verwendet16.

[p. 246] Wenzel I. (1230–1253) führte die alte Tradition der böhmischen Herrschersiegel noch weiter. Er war im Besitz eines eigenen Siegels, und zwar eines einseitigen Reitersiegels mit dem Wappen eines Adlers im Schild des Ritters, solange noch sein Vater Přemysl Ottokar I. regierte. Nach seinem Aufstieg zum böhmischen König hatte Wenzel I. ein neues Siegel, dieses wiederholte – bis auf Kleinigkeiten – das letzte Wachssiegel seines Vaters. Solche Wiederaufnahme symbolisierte wahrscheinlich die Treue zu den dynastischen Traditionen der Přemysliden und das Bewußtsein der Staatsideologie der böhmischen Herrscher im Wandel der Zeit. Dieses Typar des Siegels von Wenzel I. wurde während seiner Regierung nie geändert und es schließt die erste Entwicklungsperiode der Siegel der böhmischen Herzöge und Herzöge und Könige ab17. Die nachfolgenden Přemysliden Přemysl Ottokar II., Wenzel II. und Wenzel III. behielten zwar die Form des Münzsiegels, aber die Siegelbilder repräsetieren – wie in den anderen Ländern Europas – die Herrschaft der böhmischen Könige über mehrere Territorien.

Die erste Etappe der Entwicklung der böhmischen Herrschersiegel, die die Jahre (1085) 1146–1253 umfaßt, wurde durch einige gemeinsamen Merkmale charakterisiert: alle Siegel der böhmischen Herzöge und Könige dieser Periode – mit den zwei Ausnahmen der Goldbullen von Přemysl Ottokar I. – waren Wachssiegel, meist aus naturfarbenem Wachs, ausnahmsweise auch in rotem, grünem und braunem Wachs. Alle waren Rundsiegel und wurden als Hauptsiegel angewendet. Bis zum Jahre 1166 wurden alle Siegel nur aufgedrückt, in der Zeitspanne 1166–1184 kommen aufgedrückte und angehängte Siegel vor, danach sind nur Hängesiegel überliefert. Als Befestigungsmittel dienten entweder Pergamentstreifen, typisch für die frühere Periode, oder seidene Fäden verschiedener Farben, die unter Přemysl Ottokar I. und Wenzel I. überwiegen, und nach dem Vorbild der Reichskanzlei wurde meistens die rot-gelb Kombination gewählt.

Die Siegel der böhmischen Herrscher unterschieden sich von den Siegeln der anderen Siegelinhaber durch ihre Größe. Entsprechend der mittelalterlichen Vorstellungen symbolisierten die immer wachsenden Dimensionen des Siegels unmittelbar die reale Macht oder die Ambitionen des Siegelbesitzers. Deswegen strebten die Přemysliden nach größeren Siegeln und die Größe der přemyslidischen Königssiegel im 13. Jhdt. überschritt sogar die der Kaisersiegel ihrer Zeit.

Was für die Siegel der böhmischen Herrscher dieser Periode ganz spezifisch war, ist ihre Form eines Münzsiegels. Auf der Vorderseite wurde regelmäßig das Porträt des Inhabers dargestellt, das entsprechend der aktuellen politischen Lage als Majestäts-, Thron-, Reiter- oder Standbildsiegel eingraviert wurde. Auf der Rückseite erscheint ein gleichbleibendes hagiographisches Motiv, der heilige Wenzel als Landespatron und ewiger Herzog von Böhmen. Seine Herbeiziehung ist auf die přemyslidische Staats- und Herrschersideologie zurückzuführen. Auch die heraldischen Figuren, die seit 1192 erschienen, wurden mit Hinsicht auf die ideologischen und dynastischen Gründe gewählt. Der Adler als Symbol und Wappen des heiligen Wenzel wurde zuerst im Schild des Ritters auf dem Revers dargestellt, seit dem Jahre 1224 findet er im Schild des Schutzpatrons auf dem Revers Platz.

[p. 247] Die Siegelumschriften waren ein naheliegendes und ideales Mittel für die Verdeutlichung der politischen Ziele und der ideologischen Gründe. In dem Inhalt der Legenden spiegeln sich die Absichten der Herzöge und Könige wider, hier verkörpteren sich die Ambitionen der Herrscher und hier wurde auch die stabile oder unsichere Position der Siegelinhaber wiedergegeben. Die zwei Seiten des Doppelsiegels der böhmischen Landesherren boten mehrere Möghhlichkeiten zu Kombinationen: anfangs wurde die Legende auf dem Avers für die Einführung von Name und Titel des Siegelbesitzers bestimmt, und die auf dem Revers enthielt eine Devise mit dem Appell an den heiligen Wenzel als Schutz- und Landespatron von Böhmen. Mit jedem Siegel der böhmischen Herrscher kommen Modifikationen in den Siegelumschriften vor, aber bis zur Königskrönung von Přemysl Ottokar I. blieb das Grundsystem gleich. Die Königssiegel dieses Herrschers und seines Sohnes Wenzel I. übernahmen die Wenzelsdevise für die Legende der Vorderseite, aber Name und voller Titel des Siegelinhabers wurden als ein Teil dieser Devise eingegliedert. Auf der Rückseite blieben in der Siegelumschrift nur Name und Herzogstitel des Landespatrons. Alle Legenden waren lateinisch.

Als Schrift der Siegel wurde exklusiv Majuskel verwendet. Zuerst wurden die Siegelumschriften in Kapitalschrift geschrieben, mit der Zeit erschienen mehrere Uncialbuchstaben, und eine Tendenz zur frühgotischen Majuskel ist erst auf den Königssiegeln aus dem 13. Jhdt. spürbar. Die ältesten Legenden enthielten einige Fehler und seitenverkehrte Buchstaben, die der Unvollkommenheit der Siegelstecher zuzuschreiben sind. In allen Siegelumschriften erscheinen die allgemeinen Kürzungszeichen, aber sie wurden nicht häufig verwendet, weil bis zum Jahre 1253 die Namen und die Herrschertitel der böhmischen Herzöge und Könige nicht so umfangreich und kompliziert waren um sie wesentlich kürzen zu müssen. Die Legenden und die Devisen wurden regelmäßig mit einem Kreuz am Anfang eingeleitet, und sie wurden von dem Siegelfeld durch eine Linie separiert.

Die erste Etappe der Entwicklung der Siegel der böhmischen Herzöge und Könige aus der přemyslidischen Dynastie ist keine homogene Einheit, sie weist einige spezifische Merkmale auf, die gerade für die böhmischen Herrschersiegel dieser Periode typisch sind und die Siegel von den anderen Herzogs- und Königssiegeln Europas sowie von den Siegeln anderer böhmischer Landesherren ganz eindeutig unterscheiden: die aus der inneren Verknüpfung mit der přemyslidischen Staatsideologie stammende Münzsiegelform einerseits, und andererseits das Bild des heiligen Wenzel auf der Rückseite des Siegels und die Wenzelsdevise in der Siegelumschrift.


1 P.E. SCHRAMM, Die Deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit, Bd. 1, Leipzig–Berlin 1928.

2 R. NOVÝ, Přemyslovský stát 11. a 12. století, in: Acta Universitatis Carolinae, Philosophica et historica, Monographia, XLIII, Praha 1972.

3 R. NOVÝ, Královská korunovace Vratislava II., in: Numismatické listy 43, 1988 5–6, S. 129–144; R. TUREK, Kultura Vratislavovy doby, ibidem S. 145–147; J. HÁSKOVÁ, Mincovnictví Vratislava II., ibidem S. 148–159.

4 J. ČAREK, O pečetech českých knížat a králů z rodu Přemyslova, in: Sborník příspěvků k dějinám hlavního města Prahy 8, 1928, S. 6; R. NOVÝ, K počátkům feudální monarchie v Čechách I. Sigillum commune regni, in: Časopis Národního muzea – historické muzeum 145, 1976, S. 156. J. KREJČÍKOVÁ – T. KREJČÍK, Úvod do české sfragistiky, Ostrava 1989, S. 30.

5 A. MERHAUTOVÁ – D. TŘEŠTÍK, Ideové proudy v českém umění 12. století, Praha 1985, S. 94–96.

6 Z. FIALA, K otázce funkce našich listin do konce 12. století, in: Sborník prací filosofické fakulty brněnské university C7, 1960, S. 5–34. J. ŠEBÁNEK – S. DUŠKOVÁ, Česká listina doby přemyslovské, in: Sborník archivních prací 6, 1956, I, S. 136–211, II S. 99–160.

7 Beschreibung bei ČAREK, l. c., S. 6, NOVÝ, l. c., S. 156, KREJČÍKOVÁ – KREJČÍK, l. c., S. 30.

8 Abbildung bei A. MERHAUTOVÁ – D. TŘEŠTÍK, Románské umění v Čechách a na Moravě, Praha 1984, Bild 104, 105. Beschreibung bei ČAREK, l. c., S. 6–7; MERHAUTOVÁ-TŘEŠTÍK l. c., S. 96; KREJČÍKOVÁ-KREJČÍK, l. c., S. 30–31.

9 J. HOMOLKA, K ikonografii pečetí posledních Přemyslovců, in: Umění doby posledních Přemyslovců, Roztoky u Prahy 1983, S. 159.

10 O. BAUER, O původu dvojstrannosti české pečeti panovnické, in: Český časopis historický 37, 1931, S. 310–326, ČAREK, l. c. S. 52–54.

11 Z. FIALA, Přemyslovské Čechy, Praha 1975, S. 65–66. Beschreibung bei ČAREK, l. c., S. 8, KREJČÍKOVÁ-KREJČÍK, l. c., S. 31.

12 Abbildung bei MERHAUTOVÁ – TŘEŠTÍK, l. c., Bild 189, 190. Beschreibung bei ČAREK, l. c., S. 8–9, KREJČÍKOVÁ-KREJČÍK, l. c., S. 31. Erklärung bei HOMOLKA, l. c., S. 158, NOVÝ, l. c., S. 157–158.

13 Beschreibung bei ČAREK, l. c., S. 10, KREJČÍKOVÁ-KREJČÍK, l. c., S. 31. Erklärung bei HOMOLKA, l. c., S. 164–165, NOVÝ, l. c., S. 162.

14 Beschreibung bei ČAREK, l. c., S. 9–10, KREJČÍKOVÁ-KREJČÍK, l. c., S. 31. Erklärung bei NOVÝ, l. c., S. 161, wo auch die ausführliche Bibliographie, sowie die Abbildung, S. 157.

15 J. ŽEMLIČKA, Století posledních Přemyslovců, Praha 1986, J. ŽEMLIČKA, Přemysl Otakar I., Praha 1990. Abbildung bei MERHAUTOVÁ – TŘEŠTÍK, l. c., Bild 201, 202. Beschreibung bei ČAREK, l. c., S. 11, NOVÝ, l. c., S. 158–159, HOMOLKA, l. c., S. 159–160.

16 Abbildung bei HOMOLKA, l. c., Bild 114, 115. Beschreibung bei ČAREK, l. c., S. 12–13.

17 Abbildung bei HOMOLKA, l. c., Bild 116, 117, Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae IV. 2, ed. J. ŠEBÁNEK – S. DUŠKOVÁ, Praha 1965, Sigilla Bild 1, 2, 3. Beschreibung bei ČAREK, l. c., S. 13, HOMOLKA, l. c., S. 164, KREJČÍKOVÁ-KREJČÍK, l. c., S. 31.