Rhetorik in den Schreibender Byzantinischen Kaiserkanzlei
collaborateur scientifique, Komission für Byzantinistik, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Postgasse 7/1/3, A-1010 Wien ; christian.gastgeber@oeaw.ac.at.
Schon eine oberflächliche Lektüre der kaiserlichen Novellen, Privilegienurkunden, Auslandsverträge und Auslandsschreiben zeigt immer wieder eine ausgesprochene Tendenz zur Rhetorisierung dieser Kanzleiprodukte, besonders in den prooimialen und narrativen Abschnitten. Einige wenige Persönlichkeiten sind namentlich fassbar, die Masse der Diktatgeber ist noch anonym. Da sich die Kaiserkanzlei stets der besten, in Konstantinopel anwesenden Gelehrten bediente, ist durch sprachliche und philologische Analyse noch der Diktatgeber mancher Schreiben zu eruieren. Diese Identifizierungen geben nicht nur einen Einblick in die – von der Wissenschaft bislang vernachlässigte – Rhetorik in der Kaiserkanzlei, sondern werfen auch ein bezeichnendes Licht auf die Diplomatie byzantinischer Außenpolitik, etwa wenn ein und derselbe Diktatgeber auf dasselbe Thema im Namen des Kaisers kalmierend und im Namen des Patriarchen von Konstantinopel leicht provozierend antwortet.
Une lecture même superficielle des novelles, des privilèges, des traités et correspondances diplomatiques suffit à montrer la tendance prononcée de la chancellerie impériale byzantine à accentuer le traitement rhétorique de ses productions, spécialement au niveau des préambules et des exposés. Des rédacteurs, seules quelques personnalités se laissent saisir, alors que la plupart demeurent anonymes. Mais, la chancellerie impériale faisant appel aux meilleurs lettrés présents à Constantinople, l’analyse stylistique et philologique permet d’identifier les rédacteurs de nombreuses pièces. Ce travail ne permet pas seulement de reconsidérer le rôle de la rhétorique à la chancellerie impériale – un aspect longtemps négligé par les historiens ; il jette aussi un éclairage appréciable sur les pratiques de la diplomatie byzantine, ainsi quand on voit un seul et même rédacteur produire sur le même sujet deux réponses, l’une apaisante au nom de l’empereur, l’autre cassante au nom du patriarche de Constantinople.
Einleitung
Den „Luxus“ rhetorischer Ausarbeitungen von Dokumenten der Kaiserkanzlei in Konstantinopel hat man sich in der Regel nur für besondere Urkundengattungen geleistet; es sind dies jene Dokumente aus dem engeren legislativen Bereich, die in neuen Gesetzen bzw. Gesetzesänderungen durch eine besondere Einleitung etwa mit Gottesbezug eine feierliche Note erhielten; hinzu kommen Privilegienurkunden sowie Auslandsverträge und Auslandsschreiben des Kaisers; von den letzten beiden Gruppen sind vor allem jene, die in den Westen abgingen, in einer – wenn auch nur bescheidenen – Anzahl auch im Original erhalten.
Allerdings ist dazu gleich die erste Einschränkung zu machen: All diese genannten Urkundengattungen können mit (biblischen) Zitaten und in sprachlicher Eleganz ausgestaltet sein, aber es gibt keine Regel, wie es das Handwörterbuch zur byzantinischen Urkundenlehre gerne hätte1; die Teile der Urkunden, die noch am häufigsten rhetorisch ausgearbeitet wurden, das Prooimion und die Enarratio, können durchaus auf eine Minimalformel beschränkt sein und einen bekannten Topos mit wenigen Worten ersatzweise anklingen lassen oder – im Falle der Enarratio – auf einen schlichten „Dokumentarstil“ beschränkt sein.
I. Das Prooimion byzantinischer Urkunden und Schreiben
I.1. Funktion der Prooimien
Freilich steht die Verwendung eines rhetorisch ausgearbeiteten Prooimion in einer langen Tradition, die, wie für Byzanz so typisch, auf heidnisch-antike Zeit zurückgeht2. In der rhetorischen Schulausbildung lernte man die Gestaltung solcher Prooimien, die drei Punkte erfüllen sollte: Wohlwollen (εὔνοια) erwecken, Aufmerksamkeit (προσοχή) erreichen und Aufnahmefähigkeit (εὐμάθεια) des Zuhörers bzw. Lesers mittels einer Klärung des Sachverhaltes (δήλωσις τοῦ πράγματος) zu ermöglichen3.
Gerade hinsichtlich der Thematik „Wohlwollen“ wird oftmals in den Urkundenprooimien die Güte und Wohltat des Kaisers in Form von Schenkungen oder Steuerbefreiungen betont – und dafür wird wiederum die Unterstützung der Empfänger der Privilegienurkunden (aus dem Kreis der Mönche oder des Klerus) durch Gebete für den Kaiser eingefordert4.
I.2. Mustersammlungen von Prooimien
Prooimien-Klischees für die verschiedenen Zielgruppen und Anlässe wurden auch in Mustersammlungen angelegt, und je nach Qualifikation des Diktatgebers konnte das Thema noch erweitert und ausgebaut werden, wobei man es in den überlieferten byzantinischen Urkunden vermied, ein Prooimion wortwörtlich aus einer Vorlage oder einer Mustersammlung zu übernehmen; zumindest eine Variatio minima verlangte byzantinisches Selbstbewusstsein. Eine erhaltene Sammlung für Prooimien kaiserlicher Privilegienurkunden aus dem Codex Pal. gr. 356 (ca. um 1300) der Biblioteca Vaticana, der auch nach der Schrift sicher von einer Kanzleihand geschrieben wurde, präsentiert sich selbst als Exzerptsammlung aus früheren Chrysobullen, dem Fachterminus derartiger Privilegienurkunden5.
I.3. Anwendung von Prooimien
Wie einleitend bemerkt, kamen jedoch rhetorische Einleitungen (eventuell noch erweitert um eine entsprechende Ausarbeitung der nachfolgenden Urkundenteile) nach keinen klar erfassbaren „Regelmäßigkeiten“ zum Einsatz. Der Status quo der überlieferten Urkunden lässt erkennen, dass man etwa bei Steuerprivilegien oder bei der Einräumung besonderer Rechte ebenso ein Prooimion voranstellte wie auch darauf verzichtete, ohne dass ein klares Kriterium dafür erkennbar wäre.
Speziell bei den Privilegienurkunden dürfte für das Vorhandensein oder Fehlen bzw. die Ausarbeitung einer rhetorischen Einleitung nicht nur die – durchaus nicht selbstverständliche – Verfügbarkeit eines entsprechend geschulten Diktatgebers ausschlaggebend gewesen sein, sondern es war auch wohl auch eine Geldfrage. Aus einer Abrechnung mit den Pisanern des Jahres 1199 ist bekannt6, dass sich der byzantinische Kaiser eine Privilegienurkunde mit Goldsiegel in Form eines Chrysobullos Logos teuer bezahlen hat lassen. In der Abrechnung werden den Pisaner die Kosten für das Papier, die kalligraphische Ausfertigung, die Übersetzung und für das Goldsiegel verrechnet. Das Chrysobull, auf das sich die Angabe bezieht, ist bedauerlicherweise nicht überliefert, es lässt sich daher nicht sagen, ob es eine besondere rhetorische Einleitung hatte. Jedoch ist zu vermuten, dass man ein besonders ausgefeiltes Prooimion ebenfalls in Rechnung stellte (oder eventuell unter einem „anderen Posten“ verrechnete).
Damit sei vorweg auf die Problematik in der Frage der Rhetorisierung von Privilegienurkunden hingewiesen: Wiewohl sich in der Kaiserkanzlei in vielen Bereichen feste Strukturen für Gestaltung und Aufbau der Urkundentypen herausgebildet hatten, war die Rhetorisierung immer von Zufällen abhängig, in erster Linie auch schlicht davon, ob ein guter Rhetor zur Hand bzw. frei war.
II. Die Rhetorisierung der kaiserlichen Auslandsschreiben
Eine Urkundengattung kam allerdings kaum ohne einen rhetorischen „Aufputz“ aus: die Auslandsschreiben der byzantinischen Kaiser, d.h. diejenige Korrespondenz, die der Kaiser mit auswärtigen Fürsten, Potentaten, Königen, Kaisern, Städten (bzw. deren Vertretungen), Bischöfen, Äbten oder dem Kardinalskollegium sowie dem Papst wechselte. Ging es dann auch noch etwa im 11./12. Jahrhundert, als sich der Briefverkehr zwischen dem byzantinischen Kaiserhof und dem Westen im Zusammenhang mit den Kreuzzügen (und der Kontaktsuche um neue Verbündete gegen ständige Bedrohungen) intensivierte, verstärkt um dogmatische Auseinandersetzungen (filioque, Azymenfrage) mit der katholischen Kirche bzw. um den Primat des Papstes, so bediente sich der Kaiser der besten Gelehrten, selbst wenn sie nicht direkt im Dienst der Kaiserkanzlei standen.
In dieser Weise konnte etwa ca. Anfang 1156 auch der Metropolit von Ephesos, Georgios Tornikes, um eine entsprechende Entgegnung an Papst Hadrian IV. im Auftrag des Kaisers Manuels I. Komnenos gebeten werden7. Denn gerade in den Schreiben an den Papst musste auf theologisch fundierter Basis und mit einer umfangreichen Quellenkenntnis sowie mit bisweilen sophistischen Argumentationen auf Vorwürfe oder Ansprüche der römischen Kirche entgegnet werden, allen voran auf die ständigen Forderungen Roms zur Anerkennung des Primats des Papstes (zumeist in Unionsforderungen seitens des Westens). Derartige Schreiben (v. a. des 12. Jahrhunderts) sind oft von sprachlichen Haarspaltereien auf der Grundlage von Interpretationen bestimmter Bibelstellen geprägt; denn man wollte dem Papst auf Vorwürfe stets mit einem Fundus anderer biblischen Stellen kontern. Dazu musste sich der Kaiser (und immer wieder auch der Patriarch von Konstantinopel) begreiflicherweise der bestgeschulten Leute bedienen; diese Texte haben somit oft den Charakter theologischer Abhandlungen, sind aber doch als Auslandsschreiben abgefasst worden. Der Eitelkeit der Gelehrten ist es zu verdanken, dass sie diese Schreiben, in die sie viel dialektische Akribie und Gelehrsamkeit eingebracht haben, geradezu als Musterschreiben in ihren Briefsammlungen aufgenommen haben8.
III. Die Gelehrten der Zeit als Diktatgeber
Die (Auslands-)Schreiben des byzantinischen Kaisers sind geradezu ein Spiegel der besten Rhetoren der jeweiligen Zeit, die als Diktatgeber im Namen des Kaisers für dessen Texte verantwortlich zeichneten und meist zugleich auch eine Stelle in der Kaiserkanzlei von Konstantinopel innehatten – wenn nicht in ganz seltenen Fällen der Kaiser selbst das Schreiben konzipierte wie etwa der literarisch höchst gelehrte „Exilkaiser“ Theodoros II. Laskaris (1254–1258)9. Um ein paar bekannte Persönlichkeiten aus der Literatur zu nennen, so wirkten als in der Kaiserkanzlei tätige Diktatgeber etwa Arethas von Kaisareia in den 20er Jahren des 10. Jahrhunderts10, Theodoros Daphnopates in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts11, Michael Psellos im 11. Jahrhundert12, der seit Umberto Ecos Baudolino einem breiteren Publikum bekannte byzantinische Historiker Niketas Choniates am Ende des 12. Jahrhunderts13 oder im 14. Jahrhundert der als Philologe tätige Nikolaos Sigerós14 (er hatte als Vermittler für die italienische Renaissance eine nicht unwichtige Rolle, da er mit Petrarca in Verbindung stand und ihm Mitte des 14. Jahrhunderts ein griechisches Homer-Exemplar, das heute noch in der Ambrosiana [Cod. Ambr. gr. I 98 inf.] erhalten ist, übersandt hat – damit eine der ersten griechischen Klassikerhandschriften aus dem Osten in der italienischen Renaissance). Für sie alle gilt: Sie hatten freie Hand in der Gestaltung; gerade das notwendigste Formular wie das Protokoll (und Eschatokoll) musste eingehalten werden.
IV. Exkurs: Das Gelehrtenpotential in Konstantinopel
Es ist an dieser Stelle besonders darauf hinzuweisen, dass der Kaiser in Konstantinopel auf fast stets verfügbares Personal rede- und sprachgewandter Gelehrter zurückgreifen konnte bzw. darum bemüht war, auf solche Gelehrte zurückgreifen zu können (dass manche Auslandsschreiben bzw. Prooimien keine bemerkenswerte rhetorische Ausgestaltung aufzuweisen haben, darf nicht zu voreiligen Schlüssen auf die Präsenz eines geeigneten Personals führen. Abgesehen von einer kurzfristigen Absenz aufgrund eines Einsatzes in einer kaiserlichen Gesandtschaft15 genügte für einige Schreiben bloß eine schlichte Darstellung der Sachverhalte).
Die Verfügbarkeit eines derartig geschulten Personals basierte auf einem reziproken System, das mit der Schulbildung in Verbindung stand: Wiewohl es keine längerfristige „kaiserlichen Hochschule“16 gab (als Pendant erlebte allerdings gerade im 12. Jahrhundert die Patriarchatsschule ihren Höhepunkt17, in der die bedeutendsten Gelehrten der Zeit wirkten), so bemühten sich die Potentaten – zum Teil aus Privatinitiative – um fundierte Ausbildungsmöglichkeiten in Konstantinopel – eben auch zu dem Eigennutzen, um gute Leute zur Hand zu haben. Besonders deutlich wird dies, als der Kaiser 1204 in das Exil nach Nikaia gehen musste, da Konstantinopel von den Kreuzfahrern eingenommen wurde; die gesamte geistige konstantinopolitanische Elite folgte dem Kaiser und setzte in Nikaia die kulturelle Tradition fort.
Das hatte nun zur Folge, dass bei einer entsprechenden Begabung (und der nötigen finanziellen Unterstützung) ein Studienaufenthalt in Konstantinopel unumgänglich war, um Karriere zu machen; und der Kaiser konnte aus den dortigen Schulen sein Personal rekrutieren. Es ist daher auch kein Zufall, dass in drei berühmten Miszellanhandschriften (des 13. Jahrhunderts) mit zahlreichen rhetorischen Produkten des 12./13. Jahrhunderts auch bekannte Persönlichkeiten aus der Kaiserkanzlei vertreten sind. So erklärt sich ebenfalls, dass die Biographie vieler byzantinischer Gelehrter mit dem Kaiserhof oder seinen Kanzleien in Verbindung stand – oder sie schlugen eine höhere kirchliche Karriere ein und wirkten in der Gruppe des für Byzanz so typischen gelehrten (höheren) Klerus (oft im strengen Gegensatz zum Klostermönchtum). Dieser gelehrter Klerus, aus dem fast durchgehend die Bischöfe, Metropoliten und Patriarchen hervorgingen, stand vielfach in bester antiker philosophischer Tradition in Form eines christlichen Humanismus: antike Tradition gepaart mit christlicher Philosophie18.
V. Namentlich fassbare Diktatgeber
V.1. Konkrete Nennung der Diktatgeber
Informationen über die Namen von Diktatgebern und damit von Stilisten der Texte der Kaiserkanzlei sind fast nur indirekt erschließbar. In den seltensten Fällen ist der Name konkret bezeugt, zumeist in sekundärer Überlieferung, wenn in offensichtlich zeitgleichen rubrikenartigen Anmerkungen beim Eintrag in Register- oder Sammelbüchern (juristischen Inhaltes) der Diktatgeber vermerkt wird. Eine solche konkrete Nennung des Stilisten ist jedoch in der byzantinischen Diplomatik die Ausnahme und für Dokumente der Kaiserkanzlei auf Gesetzessammlungen beschränkt. Eine Parallele findet man in dem Patriarchatsregister von Konstantinopel, das für die Zeit von 1315 bis 1402 im Original in zwei Wiener Handschriften, Cod. hist. gr. 47 und 48, erhalten ist: Auch hier wird gelegentlich marginal von zeitgleicher Hand der Diktatgeber genannt, zumeist in der Form, dass das Prooimion (von der Hand) des N. N. stammt.
Weitere Diktatgeber erschließen sich daraus, dass diese Gelehrten besonders ausgefeilte Stücke ihrer Amtstätigkeit in ihr eigenes literarisches Œuvre aufnahmen. Davon ausgehend lässt sich unter skrupulöser sprachlicher und philologischer Analyse noch der eine oder andere Diktatgeber mit einem bekannten Gelehrten mit Nähe zum Kaiserhof oder zu den Kaiserkanzleien in Verbindung bringen, sofern er ein kleines literarisches Corpus hinterlassen hat. Doch in dieser Fragestellung ist die byzantinische Diplomatik noch in einem sehr frühen Forschungsstadium.
V.2. Kriterien und Grenzen der Bestimmung von Diktatgebern
V.2.a. Die unpersönliche kaiserliche Selbstbezeichnungsformel
Um rhetorisch ausgefeilte Dokumente der Kaiserkanzlei einem Diktatgeber zuzuschreiben (das schließt auch namentlich unbekannte Stilisten mit ein, denen man etwa aufgrund einer sprachlich-rhetorischen Analyse mehrere zeitgleiche Dokumente zuschreiben kann), hat sich als ein erstes augenscheinliches Kriterium die Verwendung der unpersönlichen kaiserlichen Selbstbezeichnungsformel (also Wendung der Art ἡ γαληνότης ἡμῶν, τὸ κράτος ἡμῶν oder ἡ βασιλεία ἡμῶν, deren lateinische Pendants z.B. serenitas nostra, maiestas nostra oder imperium nostrum wären) herausgestellt. Im Urkundenwesen der byzantinischen Kaiserkanzlei lässt sich eine interessante Entwicklung feststellen: von einer breit gefächerten Auswahl zu einer immer größeren Einschränkung im 12. Jahrhundert, ab der zweiten Hälfte setzt sich fast ausschließlich die Wendung ἡ βασιλεία μου durch, der in den zeitgleichen Übersetzungen der byzantinischen Kaiserkanzlei für westliche Destinatäre imperium meum entspricht – besonders hinzuweisen ist auf das Possessivpronomen im Singular, kein Pluralis majestatis mit ἡμῶν (= nostrum). Vor der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts hatten die Diktatgeber relativ freie Hand, die gängigen Selbstbezeichnungsformeln nach Belieben zu variieren oder sogar neue Wendungen einzuführen, was gelegentlich die zeitliche Eingrenzung von Diktatgebern sehr einfach ermöglicht19. Somit konnte diesbezüglich jeder Diktatgeber recht frei agieren; und bis zum 12. Jahrhundert zeigen rhetorisch anspruchsvolle Texte der Kaiserkanzlei, dass eine Variatio der „Grundwendungen“ „meine Majestät“ (ἡ βασιλεία μου) bzw. „unsere Majestät“ (ἡ βασιλεία ἡμῶν) geradezu selbstverständlich war.
Allerdings konnten bis zum 12. Jahrhundert vice versa auch rhetorisch keineswegs ausgefeilte Schriftstücke ohne erkennbaren Grund derartige Variationen aufweisen. Man war eben in der Wahl dieser Wendung nicht gebunden. Es lässt sich daher bis in das 12. Jahrhundert nicht die Formel aufstellen: viele Variationen — rhetorisiertes Stück eines guten Diktatgebers; sondern vielmehr gilt, dass, wenn ein Dokument rhetorisiert ist, es mit Garantie auch Variationen der Selbstbezeichnungsformel aufweist.
Dies ändert sich dann aber langsam unter der Herrschaft der Komnenen in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, die Varianten werden immer mehr eingeschränkt, bis, wie angesprochen, nur mehr die eine Formel ἡ βασιλεία μου übrig blieb, die dann bis zum Ende des byzantinischen Reiches mit geringen Ausnahmen in griechischen Dokumenten beibehalten wurde.
V.2.a.1. Fallbeispiel Demetrios Tornikes, Logothetes τοῦ δρόμου
Diese Einschränkung konnte einem guten Diktatgeber, der seinen Text sprachlich und rhetorisch ausfeilen wollte und dem die byzantinische Stiltugend der Variatio Grundprinzip der textlichen Ausarbeitung war, nicht recht sein; und so findet man in besonders stilisierten Schreiben gelegentlich „Ausbrüche“ in ältere Formeln, die bei der wiederholten Verwendung derselben Formel in verschiedenen Dokumenten wiederum einen deutlichen Hinweis auf denselben Diktatgeber geben. Am Ende des 12. Jahrhunderts ist etwa der hoch gebildete „Außenminister“, der Logothetes τοῦ δρόμου Demetrios Tornikes, durch eine ganz typische Abweichung (und dies nur ein, höchstens zweimal im gesamten Text) erkennbar20.
An diesem Beispiel zeigt sich sehr gut, wie die sprachlich-philologische Analyse in der Frage von Diktatgebern noch Ergebnisse erzielen kann: Die Autorschaft von Tornikes ist sicher bezeugt für eine theologische Stellungnahme von 1190 an den Erzbischof Job von Esztergom (in der Frage des Ausganges des Hl. Geistes und des Genusses von Fleisch von totem Tier) 21 und für ein Schreiben an Papst Coelestin von 1193 zur Kirchenunion22 – beides im Namen des Kaisers Isaakios II. Angelos (1185–1195) und als kaiserliches Schreiben expediert. Diese kaiserlichen Schreiben sind nicht im Original, sondern in membra disiecta des literarischen Corpus des Demetrios Tornikes überliefert23 (ergänzt wird das Minimalcorpus noch durch ein Schreiben, das Tornikes – in seiner Funktion als einer der höchsten kaiserlichen Beamten! – 1193 für die Patriarchatskanzlei, und zwar im Namen des Patriarchen Georgios II. Xiphilinos, an Papst Coelestin zeitgleich mit dem Schreiben des Kaisers an den nämlichen Papst verfasst hat [womit übrigens auch eine Kontrolle des Briefwechsels der Patriarchatskanzlei seitens des Kaisers garantiert sein sollte])24. Es findet sich nun jedoch diese auffällige und für diese Zeit abweichende kaiserliche Selbstbezeichnungsformel, noch dazu immer gegen Ende des Dokuments, zudem in weiteren, z.T. im Original überlieferten kaiserlichen Dokumenten (Priviliegienurkunden und Auslandsschreiben) an den Westen, also in Dokumenten, mit denen Tornikes schon von Amts wegen zu tun hat, die aber – wie üblich – keinen konkreten Hinweis auf den Diktatgeber geben.
In der Formulierung bieten diese Dokumente mit den westlichen Seemächten – soweit es sich etwa (neben den Auslandsschreiben) rein um die Aufzählung der Privilegien in Chrysobullen handelt – zwar insgesamt recht wenig Spielraum für rhetorische Ausarbeitungen, doch gerade in den prooimial-narrativen Teilen, die im Falle von Genua und Pisa die Klage der Kaiser über die Piraterie und die Gesetzesbrüchigkeit der italienischen Bündnispartner zum Inhalt haben, ergeben sich Möglichkeiten zu sprachlicher Eleganz in Form von besonderen Wendungen sowie von biblischen Anspielungen und insbesondere in der Einhaltung der rhythmischen Klauselgesetze. Vor allem die Satzklauseln lassen recht gut erkennen – selbst wenn ein Diktatgeber einmal zu sehr an Vorgaben gebunden war –, ob er sich irgendeinen rhetorischen Freiraum in diesem Fall durch die besondere, auf Rhythmus bedachte Stellung bzw. Abfolge von Worten im Kolon- und Satzausklang schaffen konnte. In Summe zeigte sich durch parallele Ausdrücke, durch die wiederholte Ausnahme der kaiserlichen Selbstbezeichnungsformel und eben durch die Einhaltung von Klauselgesetzen, dass man Tornikes weitere Dokumente im Auslandsverkehr als direkten Diktatgeber zuschreiben konnte.
V.2.a.2. Exkurs: Die Kontrolle des Diktats in der Patriarchatskanzlei
Der Blick auf den Diktatgeber hinter den offiziellen Schreiben aus Konstantinopel lässt im Falle von Tornikes allerdings auch noch eine von der Wissenschaft bislang immer gerne übersehene Facette des Auslandskontaktes kurz vor dem 4. Kreuzzug viel deutlicher werden: Der Logothetes τοῦ δρόμου war im Jahre 1193 für dasselbe Thema, nämlich die Frage der Kirchenunion, sowohl im Namen des Kaisers als auch im Namen des Patriarchen für die jeweilige Stellungnahme an Papst Coelestin verantwortlich. Der Kaiser sollte dabei die Rolle des Befürworters, der Patriarch jene des Zauderers einnehmen. Dass es sich um ein und denselben Verfasser der beiden Schreiben handelte, wusste man in Rom nicht, und auch die Fachliteratur spricht immer wieder von (Auslands)Schreiben des Kaisers Isaakios II. Angelos (in dessen Auftrag gewiss diese Rollenaufteilung stattfand) und des Patriarchen Georgios II. Xiphilinos von Konstantinopel. Es war ein Spiel Byzanz’ mit dem Westen, auf dasselbe Thema in einem Schreiben Zugeständnisse zu machen (der „gute“ Kaiser) und im anderen Schreiben trotzig auf die Forderungen des Papstes zu reagieren (der „widerspenstige“ Patriarch), – ein Spiel, das Tornikes perfekt beherrschte.
V.2.a.3. Fallbeispiel: Das Edikt zum Pater maior-Streit 1166
Ein berühmtes weiteres Beispiel, das ebenfalls eine Ausnahme von der zeitgleichen Reduktion der kaiserlichen Selbstbezeichnungsformeln darstellt, ist ein Edikt, das Kaiser Manuel I. Komnenos im Jahre 1166 im so genannten Pater maior-Streit veröffentlich hat (einem typischen byzantinischen theologischen Streit um Christus, ob der Sohn oder der Vater erhabener sei)25. Dieses Edikt wurde auch in Stein gemeißelt26 und beschloss eine heftige Kontroverse, für deren Beendigung sich der Kaiser mit dieser Verordnung einsetzte. Die Bedeutung des Dokuments wird noch dadurch unterstrichen, dass der Kaiser einen der besten Rhetoren einsetzte27, um den Text zu einem literarischen Prunkstück auszufeilen (en passant werden hierbei in der Intitulatio einzigartig wieder die längst außer Gebrauch gekommenen Triumphtitel28 verwendet sowie die Nachfolge Kaiser Konstantins des Großen besonders betont29). Dazu wird auch in den kaiserlichen Selbstbezeichnungen eine breite Vielfalt an Varianten aufgeboten, um die Erhabenheit des Dokuments zusätzlich noch zu unterstreichen.
V.2.a.4. Die unpersönliche kaiserliche Selbstbezeichnungsformeln und Fälschungen
Ergänzend sei hier noch angemerkt, dass sich mit der Analyse hinsichtlich der Anwendung kaiserlicher Selbstbezeichnungsformeln auch Fälschungen identifizieren lassen, weil die späteren Fälscher mit der chronologischen Entwicklung der Formel nicht vertraut waren. Im Zusammenhang dieses Beitrages sei vor allem ein Fälscher hervorgehoben, der sich zusätzlich noch durch ein sprachlich-rhetorisches Missgeschick zu erkennen gibt: Es handelt sich um eine Privilegienurkunde (χρυσόβουλλος λόγος) von Juli 978, nach der die Kaiser Basileios II. und Konstantinos VIII. 978 dem Athoskloster Lavra eine jährliche Zahlung zugesichert und drei Reliquien gewährt haben sollen30. Mitten im Urkundentext wird unvermittelt ein Hexameter mit alten homerischen Wortformen eingebaut – ein sprachlicher Stilbruch, den kein Byzantiner in einem Prosatext (der Hauptsatz wird durch einen Nebensatz im Hexameter fortgesetzt) gewagt hätte. Hier hat ein gelehrter neuzeitlicher Fälscher zuviel des Guten von seiner Bildung einfließen lassen; das Bild der Fälschung wird neben einigen atypischen Urkundenformeln noch durch die Unkenntnis der zeitgleichen kaiserlichen Selbstbezeichnungsformeln (bei aller Freiheit in der Wahl werden hier Formeln verwendet, die unmöglich sind)31 abgerundet.
V.2.b. Satzklauseln
Ein weiteres offenkundiges bzw. akustisches Merkmal guter rhetorischer Produkte ist die Einhaltung der Satzklauseln am Ende von Kola und am Satzende. Allerdings ist es oft schwierig, alleine nach diesem Kriterium Diktatgeber von sprachlich anspruchsvollen Dokumenten der Kaiserkanzlei zu unterscheiden. Denn ein guter Diktatgeber setzte die guten Klauseln – soweit möglich – selbstverständlich ein, andererseits hinderte oft das „Fachvokabular“, das ein Verfasser eines kaiserlichen Schreibens bei aller Freiheit nicht gänzlich übergehen konnte – vor allem in Urkundentypen mit dispositivem Teil, die Klauseln wie in reinen rhetorischen Produkten durchgehend anzuwenden. Dies ist bei der Analyse der Klauselverwendung in literarischen Texten eines bekannten Autors für die Zuschreibung von Urkundendiktaten stets zu berücksichtigen.
Zeichnen sich diese Autoren bzw. die anonym überlieferten Urkunden dann nicht noch durch irgendwelche charakteristischen Eigenheiten in Sprache, Stil oder Textgestaltung aus32, bleibt die Zuschreibung sehr hypothetisch – und bei der oft nur mangelnden Information über die Kanzleibeamten33 ist die Verbindung solcher Text mit einer konkreten Person nur nach strengsten philologischen Kriterien zu akzeptieren.
VI. Das Problem der Überlieferung von Kanzleidokumenten in literarischen Corpora
VI.1. Originaler Wortlaut versus Überarbeitung
Gerade in der Frage der Rhetorisierung kaiserlicher Schreiben steht die byzantinische Urkundenlehre vor einem kaum lösbaren Problem, da vornehmlich diejenigen Schreiben, die aufgrund ihrer eleganten sprachlichen Ausarbeitung vielfach als Stilmustervorlagen (unter Auslassung konkreter Namen) weitertradiert wurden, mit wenigen Ausnahmen nur in sekundärer Überlieferung, d. h. in den literarischen Corpora der entsprechenden Autoren,34 erhalten sind. Dies macht eine Untersuchung noch viel problematischer. Wenn ein Autor aus seinen Schriften (inklusive derjenigen, für die er als Diktatgeber – wessen Auftraggebers auch immer – verantwortlich zeichnet) ein „Werkcorpus“ veröffentlichen ließ bzw. wenn man posthum aus seinem „Nachlass“ ein solches veröffentlich hat, dann wurde an den Texten mitunter noch einmal ein feiner sprachlicher Schliff angewandt, und Formulierungen, die man allzu sehr durch die Urkundendiktion eingeengt wähnte, wurde ersetzt.
VI.2. Fallbeispiel: Das Schreiben des Patriarchen Ioannes X. Kamateros von Konstantinopel an Papst Innocenz III. von Februar 1199
Sehr deutlich führt diese Problematik ein Dokument – ausnahmsweise aus der Patriarchatskanzlei – vor Augen: Es handelt sich dabei um ein Schreiben des Patriarchen Ioannes X. Kamateros von Konstantinopel von Februar 1199 an Papst Innocenz III. einerseits in griechischer Version, das in einem rhetorischen Corpus einiger Werke des Patriarchen erhalten ist35, andererseits in der lateinischen Übersetzung, die zeitgleich in Konstantinopel — übrigens in der Kaiserkanzlei — hergestellt wurde und durch den Eintrag in das Register des Papstes Innocenz III.36 überliefert ist (en passant: Im Original ging das Schreiben in Analogie zu zeitgleichen Auslandsbriefen der Kaiserkanzlei in einem Schriftstück ab, das zuerst den griechischen und darunter den lateinischen Text beinhaltete).
Hinsichtlich der Textüberlieferung gibt die lateinische Übersetzung das originale Textstratum so wieder, wie das Schreiben von Konstantinopel abgegangen ist und vom Kanzlisten des Papstregisters direkt aus der lateinischen Version – selbstverständlich ohne Eingriffe – in das Register übernommen wurde. Demgegenüber stehen recht auffällige Textabweichungen im griechischen Text, die sich damit erklären lassen, dass der Patriarch für sein Corpus die Briefe noch einmal überarbeitete. So missfiel ihm etwa der formelhafte Beginn des Auslandsschreibens, und die (in der Funktion als rhetorisches Musterschreiben entbehrliche) Nennung der westlichen Gesandten schien ihm gleichfalls überflüssig.
Bemerkenswert ist dieses Schreiben auch insofern, als es – unter der Aufsicht der Kaiserkanzlei – zudem bezüglich der Frage des filioque in der expedierten Version nicht so energische Formulierungen enthalten durfte, wie sie der Patriarch eingefügt hatte, und an zwei Stellen, die offensichtlich der Absicht der kaiserlichen Hinhaltetaktik ohne Provokation des Papstes nicht gerecht wurden, von der Kaiserkanzlei, und zwar dem erwähnten Logothetes τοῦ δρόμου Demetrios Tornikes, zensuriert d.h. gestrichen wurde. Die ursprüngliche Version mit den teils recht heftigen Klagen gegen den Papst hat sich jedoch in dieser literarischen griechischen Überlieferung noch erhalten (der griechische Text des Originals ging verloren, wie auch das gesamte originale Schreiben, wohl auch weil es nach dem Eintrag in das Register nicht mehr von Bedeutung war). Diese zuletzt genannten inhaltlich veränderten Textteile dürften nicht einer nachträglichen Überarbeitung (für die „Edition“) zuzuschreiben sein, sondern tatsächlich dem ursprünglichen Textstratum angehört haben, aber von der kaiserlichen Zensur nicht genehmigt worden sein37.
VI.3. Michael Psellos
Die literarische Überlieferung bereitet der byzantinischen Urkundenlehre bei einigen Fällen unüberwindbare Probleme in der Frage nach dem Originaltext; so findet sich in denjenigen Schreiben, die der Universalgelehrten des 11. Jahrhunderts, Michael Psellos (1018–1092/3), im Namen des Kaisers verfasste, fast durchgehend die erste Person Singular. Dass der byzantinische Kaiser in solchen Schreiben von sich in der ersten Person Singular spricht, ist auf ganz wenige Ausnahmen und in dieser Fülle fast nur auf die durch das literarische Corpus des Psellos überlieferten Kaiserschreiben beschränkt. Man steht hier also vor dem großen Problem, ob es die rhetorische Freiheit ist, die der Diktatgeber immer wieder hat, so dass Psellos hier den Kaiser auch mit ἐγώ sprechen lassen durfte, oder ob die so überlieferten Dokumente nicht doch Überarbeitungen eben im Rahmen eines ganz bewusst angelegten rhetorischen Musterbriefcorpus darstellen, um – wo es möglich war – vom Kanzleiusus abzuweichen38.
VI.4. Die Auslassung der rhetorischen Partien in der sekundären Überlieferung
Es sei allerdings auch darauf hingewiesen, dass gelegentlich genau der umgekehrte Weg beschritten wurde, dass man in kopialen Überlieferungen das Prooimion als „überflüssiges Beiwerk“ wegließ, wie dies die Constitutiones-Sammlung unter Kaiser Justinians bezeugt, bei denen Justinian für den so genannten Codex Iustinianus die Prooimien bewusst wegließ und für den Gesetzestext an sich als supervacuum bezeichnet39. Wiederum ist hier Vorsicht geboten, um nicht zu voreilig von unrhetorischen Kanzleiprodukten zu sprechen.
VII. Die Rhetorik als verlorene Mühe
Letztendlich muss allerdings noch auf einen nicht unwesentlichen Aspekt eingegangen werden: Die große Sorgfalt, die man etwa seitens der byzantinischen Kaiserkanzlei bei Auslandsschreiben anwandte, war oft verlorene Mühe, denn der Adressat las das Schreiben nie im Original, sondern immer in der ab dem 9./10. Jahrhundert in Konstantinopel angefertigten Übersetzung (bis im 13. Jahrhundert die Auslandsschreiben in den Westen überhaupt nur mehr in lateinischer Sprache verfasst wurden), die dem Schreiben (auf demselben Schriftstück) angefügt wurde (diese Ausfertigungspraxis gilt auch für die Auslandsverträge ab dem 12. Jahrhundert; die Doppelsprachigkeit wurde hier in weiterer Folge stets beibehalten, nur die Position der Texte und kurzfristige Gliederung in zwei Einzeldokumente änderte sich)40.
Diese Übersetzungen sind vielfach von Griechen angefertigt worden, die sich gelegentlich durch den Text quälten und oft nur gerade noch den Sinn in ihrer sehr wortgebundenen Übersetzung vermitteln konnten. Die gesamte rhetorische Eleganz von Klauseln, Hyperbata und besonderen Redefiguren ging dabei gänzlich verloren. Bibelzitate hatten so im Vergleich zu der dem Westen vertrauten Vulgata-Version gewiss manches Entsetzen in diesen neuen Übersetzungen hervorgerufen, und so mancher Empfänger wie der Papst oder westliche Kaiser/Könige konnten sich über die oft schlechte Sprache wohl nur wundern, – und tatsächlich beklagt sich König Ludwig II. bei Kaiser Basileios I. 871 über die Qualität der in Konstantinopel erstellten Übersetzung anhand der Verwendung des Wortes riga41. Andererseits muss man fairerweise auch zugeben, dass jeder Übersetzer mit diesen gelegentlich manieristischen rhetorischen Produkten der Kanzlei, besonders wenn es um theologische Themen ging, bei denen es in der lateinischen Terminologie immer schon Probleme gab, einfach überfordert war.
VIII. Die Rhetorisierungsbestrebungen der lateinischen Dolmetscher
Die byzantinische Kaiserkanzlei hat in der Verwendung der Amtssprache mit dem Westen eine interessante Entwicklung genommen: In der Tradition der römischen Kaiserkanzlei ergingen anfangs die Auslandsbriefe an westliche Destinatäre in lateinischer Sprache; darauf folgte gemeinsam mit der Hellenisierung juristischer Fachtermini, dem so genannten Exhellenismos, ab dem 6. Jahrhundert generell ein Wechsel zum Griechischen. Lateinische Termini wurden soweit als möglich gräzisiert. Im Verkehr mit dem Ausland verwendete der Kaiser nun einzig die griechische Sprache; der Destinatär hatte sich selbst eine Übersetzung anfertigen zu lassen, um den Text zu verstehen. Ab dem 9./10. Jahrhundert ändert sich dies wieder, wie gesagt: Die Kanzlei in Konstantinopel fügt an die Schreiben in das Ausland stets eine in Konstantinopel angefertigte Übersetzung hinzu – allerdings secundo loco, d. h. nach dem griechischen Text, der die prominentere erste Stelle einnahm (bis Auslandsschreiben in den Westen im 13. Jahrhundert nur mehr in lateinischer Sprache verfasst wurden42). Für Auslandsverträge ist diese Entwicklung erst im 12. Jahrhundert belegt (und bleibt dann bis zum Ende des byzantinischen Reiches)43. Mit der Doppelsprachigkeit der Dokumente entstand das angesprochene neue Problem: Die Übersetzung, d. h. das sprachliche Niveau, in dem man den Destinatär ansprach (im Falle des Westen in lateinischer Sprache), war von höchst unterschiedlicher Qualität, immer wieder jedoch durch eine zu große Anlehnung an das Original in einer secundum verbum-Übersetzung fast unverständlich; dieses Problem löste sich, als im Laufe des 12. Jahrhunderts, beginnend mit Kaiser Manuel I. Komnenos, vermehrt Lateiner in der Kaiserkanzlei als Dolmetscher tätig waren. Damit gewannen auch die Übersetzungen an Profil und konnten im Niveau mit dem Original mithalten.
Diese in der Kaiserkanzlei tätigen Lateiner, die ein recht gutes Sprachempfinden hatten, gingen mit den griechischen Vorlagetexten in ihren Übersetzungen durchaus auch sehr freizügig um. So führten sie zum Beispiel eine Eigenheit ein, die im folgenden beibehalten wird: Die angesprochene monotone griechische Selbstbezeichnung ἡ βασιλεία μου – der wie gesagt im Lateinischen imperium meum entsprechen würde – übersetzten sie nun recht frei mit typischen Wendungen, wie sie zu dieser Zeit in den westlichen Kanzleien gebräuchlich waren (z.B. serenitas nostra oder maiestas nostra); je nach Belieben variierten sie hier nach den gängigen Formeln; und gelegentlich versuchten einige Übersetzer auch im Lateinischen durch freie Wortstellungen gute Prosarhythmen zu erzeugen44.