Die Nationalsprachen in den böhmisch-mährischen Stadtkanzleien der vorhussitischen Zeit
Professeur à l’université Charles IV de Prague, Katedra pomocnyh véd historickych filozofické fakulty UK, Nám. J. Palacha 2, CZ–11638 Praha ; ivan.hlavacek@ff.cuni.cz
Die Problematik der Sprachenbenutzung und des „Sprachenkampfes“ in schriftlichen Zeugnissen allgemein, in den diplomatischen dann im besonderen, hat neben der allgemeinen Bedeutung auch große Wichtigkeit für die Erforschung der kanzellarischen Verhältnisse und natürlich auch der diplomatischen Kategorien. Im böhmisch-mährischen Raum des Spätmittelalters steigert sie sich, da hier zugleich nicht marginale spezifische Probleme auftauchen, die vornehmlich damit zusammenhängen, daß es sich dabei nicht nur um „Kampf“ zwischen allmählich verlierendem Latein und einer antretenden Nationalsprache handelte, sondern daß dabei zwei Nationalsprachen im Spiel waren, nämlich Deutsch und Tschechisch. Sie kamen jedoch unter unterschiedlichen Bedingungen und in zeitlich nicht ganz paralleler Entwicklung zum Ausdruck.
Im Bereich des städtischen administrativen Schriftgutes wird die Variabilität noch exponenziert, da hier buchstäblich jede Stadt eigene Wege ging: sowohl im Bereich der Urkunden und anderer auslaufenden Stücke als auch im Bereich der internen Verwaltung, d.h. was das städtische Buchwesen betrifft. Bescheidene Anfänge des 13. Jh. begleitet stets Latein, das auch im 14. Jh. lange Zeit prädominiert, wann jedoch zunehmend und differenziert das Nationalsprachige zu Wort kommt. Zuerst Deutsch. Am Beispiel etlicher herausragender Städte, besonders der Prager Altstadt und dann vornehmlich Eger, Budweis und Leitmeritz in Böhmen und Brünn und Olmütz in Mähren, wird gezeigt, wie das Eindringen zuerst des Deutschen im Laufe des 14. Jh. immer breiteren Raum ergreift, jedoch strukturiert zuerst eher bei den Stadturkunden und erst mit gewisser Verzögerung bei dem Stadtbuchwesen. Tschechische Sprache beginnt sich – zuerst eher schüchtern – erst ab Ende des 14. Jh. zum Wort melden, jedoch auch strukturiert nicht nur von der Nationalität der Stadteinwohnern, sondern auch in Abhängigkeit davon, welcher Herkunft die Bevölkerung des unmittelbaren Umlandes war. Besonders ist dabei auch die aktive, ja manchmal entscheidende Rolle der Stadtnotare hervorzuheben.
Interessant ist, daß es sich beim stilistischen Vergleich zeigt, daß innerhalb der nationalsprachig formulierten Texten noch Residuen des Lateinischen, so besonders in den Datierungen, anzutreffen sind und zweitens, daß keine all zu große Strukturunterschiede beim formellen Aufbau der einzelnen Gattungen zu registrieren sind. Auch Formelbücher bzw. einzelne Formeln spiegeln spezifische Entwicklungstendenzen dieser Zeit wider.
La problématique de l’emploi des langues et des « conflits linguistiques » dans les témoins écrits en général, et dans les sources diplomatiques en particulier, n’a pas qu’un énorme intérêt en soi ; elle est aussi de grande portée pour l’étude des relations entre chancelleries et pour celle des catégories diplomatiques. Dans l’espace de la Bohême-Moravie du bas Moyen Âge, elle prend un relief particulier, car y surgissent en même temps des problèmes spécifiques de grande importance : avant tout parce qu’il ne s’agit pas seulement ici de « conflit » entre un latin graduellement déclinant et une langue vulgaire grandissante, mais que deux langues vulgaires se trouvent en situation de concurrence, allemand et tchèque. Ces langues toutefois se sont exprimées dans des conditions différentes et ont connu un développement qui, pour être contemporain, s’est révélé divergent.
Dans le domaine de l’écrit administratif urbain, cette variabilité a été exacerbée, car chaque ville a littéralement emprunté un chemin propre, aussi bien pour les actes et autres écrits destinés à la communication extérieure que pour les documents d’administration interne. Après les timides débuts du XIIIe siècle, où elles mordent à peine sur le latin, qui prédomine encore longtemps au XIVe siècle, les langues vulgaires connaissent un usage grandissant et différencié. À commencer par l’allemand : les exemples de quelques villes de premier rang, à commencer par la Vieille-Ville de Prague et ensuite surtout Cheb (Eger), Česke Budějovice (Budweis) et Litoměřice (Leitmeritz) en Bohême, Brno et Olomouc en Moravie, montrent comment l’allemand fait irruption au cours du XIVe siècle, se gagnant toujours de nouveaux espaces ; pourtant, s’il parvient rapidement à un emploi structuré dans les actes, il tarde à l’évidence à pénétrer les registres de l’administration urbaine. Plus modeste au début, la langue tchèque revendique sa place à compter de la fin du XIVe siècle ; son emploi n’est pas seulement commandé par la nationalité des habitants de la ville, il dépend encore de l’origine du peuplement du proche plat-pays ; et tout spécialement entre en ligne de compte le rôle actif, et sous bien des aspects décisif, du notariat urbain.
L’étude stylistique comparée montre, entre autres phénomènes dignes d’intérêt, que des formules latines résiduelles, en particulier dans les formules de date, demeurent enchâssées dans les actes en vulgaire ; mais aussi que, d’une langue à l’autre, les actes restent bâtis sur des patrons substantiellement identiques. Autre catégorie de sources à examiner, les recueils de formules ou les formules circulant isolées reflètent bien les tendances de cette évolution.
(Dieser Aufsatz entstand im Rahmen des Forschungsvorhabens MSK J 13/98,1121/206415)
Einleitung
Jiří Pešek hat neulich einen sehr lesenswerten Aufsatz über die böhmischen frühneuzeitlichen Sprachenverhältnisse publiziert1, der schon im Titel den engsten Zusammenhang zwischen der Sprachenbenutzung und der Kultur, besonders in der Verwaltung, betont. Obwohl auch die Verwaltung im breiteren Sinne des Wortes ebenfalls unter Kultur subsumiert werden kann, sollte doch die Erforschung der Geschichte der Sprachenbenutzung im schriftlichen Verwaltungsgut, also in allen diplomatischen Kategorien, auch als wichtiges Problem an sich hervorgehoben werden. Darüber hinaus muß man sich vergegenwärtigen, daß diese frühneuzeitlichen Verhältnisse ohne ihre mittelalterliche Vorgeschichte nicht entsprechend verstanden werden können, ähnlich wie die zeitgenössischen nicht ohne die der unmittelbar vorhergehenden Zeiten. Darüber hinaus ist zu unterstreichen, daß diese Problematik in ihrer Komplexität auch ihren rein philologischen Aspekt hat, abgesehen von den soziologischen u. a. m. Man muß allerdings auch einräumen, daß sich die Philologie – unabhängig davon, ob es sich in unserem Fall um Latinistik, Germanistik oder Bohemistik handelt –, andere Aufgaben stellen kann und eigene Methoden benutzen muß, die der Diplomatik nur in gewissen Kontexten, vornehmlich was die Syntax und die Form betrifft, zugute kommen können2.
Leicht überspitzt dargestellt kann man sagen, daß man der Kanzleisprache bzw. den Kanzleisprachen aus allgemein historischer, jedoch auch besonders aus diplomatischer Sicht schon seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. Aufmerksamkeit gewidmet hat3. Dies geschah in der richtigen Überzeugung, daß es sich hierbei um ein Thema handelt, das verschiedene, scheinbar ferner liegende Fragen allgemeineren Charakters neu beleuchten kann. Dabei sind im Großen und Ganzen zwei Forschungslinien zu unterscheiden, nämlich die vornehmlich philologische (bzw. philologisierende) und die historisch-diplomatische, obwohl diese sich natürlich untereinander verschiedentlich inspirieren und vervollständigen können, was leider jedoch nicht immer in ausreichendem Maße – freilich zum Schaden beider Seiten – geschieht und geschehen ist.
Während früher eher den zentralen Kanzleien, d.h. der päpstlichen und der kaiserlichen bzw. den königlichen, Aufmerksamkeit gewidmet wurde, versucht man in neuerer Zeit – obwohl es freilich auch früher schon stellenweise getan wurde – den Nachdruck systematisch auf untergeordnete Dynastien bzw. Institutionen zu legen, wobei das Archiv für Diplomatik unter Walter Heinemeyer hierbei die führende Rolle gespielt hat. Als ein besonders dankbares Feld gelten die städtischen Kanzleien, deren Bedeutung nicht nur für die eigene Stadtgeschichte als solche geschätzt werden muß, sondern die auch im breiteren Rahmen des betreffenden Landes oder der Region eine wichtige Rolle spielten4. Dabei wirken verschiedene Gründe mit, die in diesem Kontext u. a. unmittelbar oder mindestens fast unmittelbar ermöglichen, direkt in den Verwaltungsalltag der “breiteren Bevölkerungsschichten” Einblick zu nehmen, wobei von Belang ist, daß sich die Lage von Stadt zu Stadt unterscheiden konnte und auch unterschieden hat. Die mehr oder weniger deutliche Regionalität der analytischen Themen bedeutet eher einen Vorteil als einen Nachteil und ermöglicht, zu einer gewissen Synthese – wenn auch kaum zu einer vollständigen – zu gelangen. Dabei muß man stets im Auge behalten, daß man in Einzelheiten zu verschiedenen, manchmal recht wesentlichen Entwicklungsunterschieden kommen kann, die bei Zusammenfassungsversuchen immer mitberücksichtigt werden müssen, da eben solche Eigenheiten Impulse zu weiteren fruchtbaren Nachforschungen geben können. Daß dabei das Objektive oft durch das Subjektive der Schreiber und Notare bedeutend beeinflußt werden konnte, versteht sich von sich selbst. Doch verlassen wir nun diese allgemeinen Überlegungen, denn man könnte in dieser Hinsicht auch stillschweigend auf andere Referate dieses Kongresses verweisen.
Gelten die eben formulierten Feststellungen im Allgemeinen, so gelten sie für die “Länder der böhmischen Krone”, vorrangig für Böhmen und Mähren, in doppeltem Maße. Der Grund dafür ist, daß es sich in den Städten dieser beiden Länder nicht “einfach” nur um den Kampf, eher um Ringen des Lateinischen mit einer einzigen Nationalsprache handelte – im Reich war das übrigens die deutsche Sprache, wobei es nur in den Randgebieten Anzeichen von Trilinguismus gab –, sondern daß hier allmählich früher oder später das Tschechische als die mehrheitliche Landessprache in das Spannungsfeld zwischen diese beiden Komponenten einzudringen begann. So spiegelt diese Problematik bedeutend mehr als nur einen Wandel von gewissen Kanzleibräuchen in Raum und Zeit wider, obwohl auch das nicht zu unterschätzen ist. Sie steuert nämlich zugleich durchaus wichtiges Material zur Erforschung der kulturellen und nationalen Verhältnisse und Spannungen bei und kann deshalb in gewissem Sinne einmalige Einblicke in die Rechts- und Verwaltungsverhältnisse sowie in soziale, kulturelle und natürlich auch in die nationalen Verhältnisse dieser städtischen Gemeinden und ihrer nächsten Umgebung bieten, die auf keinem anderen Wege erworben werden können.
Auch in anderer Hinsicht befinde ich mich – jedoch zu einem guten Teil nur scheinbar – in einer relativ günstigen Lage, da ich vor einigen Jahren im Rahmen einer anderen internationalen Tagung, nämlich in Utrecht, die gesamte vorhussitische böhmisch-mährische Situation knapp skizzieren durfte. Dabei handelte es sich sowohl um Urkunden im engeren Sinne des Wortes als auch um die sprachlich-schriftliche Fixierung verschiedenster Verwaltungsakte, also um die diplomatische Sprache im Sinne der Diplomatik in allen ihren Erscheinungsformen5. Daß dabei damals die städtische Problematik freilich nur all zu knapp gestreift werden konnte, versteht sich von sich selbst. Jetzt gibt es also die Möglichkeit, diese Thematik ein wenig breiter zu fassen und konkreter “hinter die Kulissen” zu schauen. Dabei ist die Wendung “ein wenig breiter” mit Betonung auf “ein wenig” zu verstehen. Um jedoch die eigentliche Entwicklung besser begreifen zu können, sind ein paar einleitende historische Fakten und Überlegungen nützlich, ja notwendig.
1. Historische Voraussetzungen — Allgemeines
Das Städtenetz in den beiden in Betracht kommenden Ländern Böhmen und Mähren wurde eigentlich im Prozess ihrer “Stadtwerdung” im Laufe des 13. Jahrhunderts – besonders in der Mitte dieses Jahrhunderts – fest konstituiert (wobei im 14. Jahrhundert meist nur noch unbedeutende Korrekturen vorgenommen wurden, abgesehen von der großzügigen Gründung der Prager Neustadt durch Karl IV. in 1348). Dabei waren die Städte in beiden Ländern flächendeckend überraschend ausgewogen verteilt. Auf der anderen Seite stellt die Zeit der hussitischen Revolution in mehrerer Hinsicht eine Epoche dar, ohne daß jedoch vorausgesetzt werden müßte, daß sie in unserem Zusammenhang allgemein als richtungweisend bezeichnet werden muß, obwohl sie die Entwicklung auch in diesem Bereich im Sinne der teilweisen Tschechisierung mancher Städte beschleunigt hat6. Das liegt jedoch jenseits des Horizonts dieser Überlegungen. Doch gilt sie aus mehreren Gründen für nachfolgende Ausführungen – eher Bemerkungen – als Meilenstein, der einen festen und eindeutigen zeitlichen Rahmen, terminus ante quem, ausmacht. Es beginnt mit der Zeit der (letzten) Přemyslidenkönige, die jedoch aus vielen Gründen eher als Vorspiel betrachtet werden muß. Eigentlich geht es um die Epoche der luxemburgischen Trias: Johanns von Luxemburg (1310-1346), Karls IV. (1346-1378) und Wenzels IV. (1378-1419). Ohne sich mit der Definition der Stadt beschäftigen zu wollen, kann festgestellt werden, daß in Böhmen rund 30 königliche Städte und einige Hundert Untertanenstädte und Marktflecken entstanden. In dem bedeutend kleineren Mähren sind es sechs königliche (markgräfliche) und mehrere Dutzend Städte, die verschiedenen lokalen Dynasten und kirchlichen Institutionen unterlagen.
Die städtische Kolonisation wurde vornehmlich durch das deutsche Element getragen, das jedoch im Laufe der Zeit zunehmend von der einheimischen tschechischen Bevölkerung durchdrungen wurde, bis diese verschiedentlich, besonders im Inneren Böhmens – in Mähren weniger – spätestens ab Anfang des 15. Jh. zu überwiegen begann7. Die abwechselnd offene bzw. verdeckte Widerspiegelung dieses Kampfes – eigentlich eher eines Miteinanderringens – stellt die seltsame Spezifik der böhmisch-mährischen Verhältnisse im europaweiten Kontext dar. Dieses Phänomen ist dabei auch sozialgeschichtlich interessant. Das heißt, daß dieser Prozeß in mehrerlei Hinsicht auch als eine Art Modell für allgemeinere Schlüsse betrachtet werden kann8. Die führende Rolle in der ersten Phase der böhmisch-mährischen städtischen Entfaltung hat nämlich das deutsche Ethnikum gespielt, auf das jedoch bald das tschechische folgte und sich in den einzelnen Regionen des Landes in unterschiedlichem Maße und mit wachsender Intensität und Aktivität durchzusetzen begann und zum Teil auch durchgesetzt hat. Diese Verschiedenheit wurde vornehmlich durch die nationale Zusammensetzung des städtischen Hinterlandes stimuliert, nämlich ob es überhaupt – und wenn, dann wie dicht – mit gleichsprachiger Dorfbevölkerung besiedelt war. In diesem Zusammenhang sind zwei Begriffe wichtig, nämlich die allgemeine Sprachgrenze zwischen den Randgebieten und dem Landesinneren einerseits, und die Größe und Lebendigkeit der einzelnen deutschsprachigen Inseln im Landesinneren andererseits. Freilich waren auch andere Momente mit im Spiel, die – soweit relevant – im folgenden wenigstens kurz erwähnt werden sollen.
Auf den obengenannten Abriß der Entwicklung der stadtbezogenen böhmischen diplomatischen Forschungen zurückgreifend9 kann ich direkt zur Sache übergehen. Das Material, auf das ich mich stützen konnte, sind – bis auf wenige Ausnahmen – die Produkte der stadteigenen diplomatischen Aktivitäten, vornehmlich beginnende Stadtbuchführung und Stadturkunden unter die auch das zur Verfügung stehende eingelaufene Gut als subsidiäre Kategorie zugeordnet werden kann. Da es sich bis zur Zeit um die Mitte des 14. Jh. fast so gut wie ausschließlich nur um Privilegien entsprechender Stadtherren handelte10 – in Böhmen waren das überwiegend Könige, in Mähren die mährischen Markgrafen –, versteht sich von selbst. Erst allmählich gesellten sich seitdem – früher geschah das nur in Ausnahmefällen – auch andere Quellen, nämlich auch Urkunden und Geschäftsbriefe des städtischen nach Außen gerichteten Verwaltungsverkehrs mit dem näheren und weiteren Umland11, hinzu. Die Stadt wandelte sich vom bloßen Objekt zu einem richtungweisenden Subjekt.
Die Gesamtmaterie des 13. Jahrhunderts ist, sowohl was die Anzahl als auch was mögliche differenziertere Folgerungen betrifft, äußerst bescheiden, da darüber hinaus das böhmische und freilich auch das gesamte bohemikale diplomatische Gut ausschließlich lateinisch verfaßt wurde12. Darüber hinaus wissen wir für diese Zeit, d.h. für die Epoche nach Mitte des 13. Jh., nur bei ganz wenigen Städten über ihre schriftlichen Verwaltungsaktivitäten Bescheid, was sicher nur zum Teil mit den ungewöhnlich großen Materialverlusten zusammenhängt.
Ab der Zeit der Luxemburger beginnt sich die Lage allmählich zu ändern. Das bedeutet jedoch nicht, daß hier die Dynastie allein oder vorrangig richtungweisend gewesen wäre. Im Gegenteil: Es waren die Städte selbst, die versuchten, sich dem immer stärkeren Druck der Umstände, d. h. dem immer intensiver werdenden innerstädtischen Rechtsleben und der infolge dessen entstehenden immer systematischeren und umfassenderen Verschriftlichung im Rahmen der sich allgemein ständig vertiefenden Verwaltungsmaßnahmen, allmählich anzupassen. Das alles geschah besonders infolge des Anwachsens der Rechtsgeschäfte verschiedenster Art sowohl im Rahmen der einzelnen Organe der Stadtverwaltung der sich stürmisch entfaltenden Städte – und das betraf nicht nur die Oberschicht, sondern auch breitere Bevölkerungsschichten –, als auch infolge von einzelbürgerlichen Aktivitäten, insbesondere auch infolge von Aktivitäten von Handels– und Kaufleuten. Die privaten Initiativen öffentlicher Notare, deren Institution sich erst am Ende des 13. Jh. im böhmischen Staat zaghaft zu implantieren begann, konnten damit bei weitem nicht Schritt halten13. Sie haben sich eigentlich auch später nicht intensiver und deutlicher in der direkten städtischen Produktion durchsetzen können und orientierten sich vornehmlich auf andere Bereiche des Rechtslebens in der Stadt. In diesem Zusammenhang ist zuerst kurz die Grundeinteilung der städtischen Produkte sowie ihrer Initiatoren bzw. Autoren vorzustellen.
Neben dem von außen eingegangenen Schriftgut, das eigene Regeln hatte und für die städtischen Verhältnisse nur zum Teil – obwohl manchmal symptomatisch – von Belang war, steht das innerstädtische Schriftgut im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dieses eigene böhmisch-mährische diplomatische Gut zerfällt – wie üblich – in zwei in ihrem Umfang schwankende, ungleich große Gruppen, nämlich in Produkte der städtischen Behörden einerseits und in Produkte der Einzelbürger anderseits14. Die Stadtbehörden waren um diese Zeit, d. h. besonders in der spätpřemyslidischen und frühluxemburgischen Zeit, bis auf Ausnahmen noch nicht allzu breit strukturiert. Da der Bedarf an Schriftlichkeiten in den Anfängen meist bescheiden und schwankend war, kann man zuerst nur vom Amt des städtischen Notars bzw. des Gerichts- und Ratsschreibers, und erst später dann, d. h. meist ab der zweiten Hälfte des 14. Jh. – bei den Minderstädten erst ab dem 15. Jh., bei den größeren Agglomerationen freilich schon früher – von einer kontinuierlich wirkenden Kanzlei sprechen. Dabei konnten schon ziemlich früh auch verschiedene andere Verwaltungsunterlagen, wie z. B. Bürgermeisterrechnungen15, geführt werden. Die kirchlichen Einrichtungen, die mit den Städten eng verknüpft waren, bleiben notgedrungen ebenfalls jenseits unseres Interesses.
Da man im Falle der böhmisch-mährischen königlichen Städte16 grob gesehen von drei Kategorien sprechen kann, kann man im Großen und Ganzen auch von drei Kategorien ihrer kanzellarischen Einrichtungen ausgehen, freilich mit fließenden, meist zeitlich bedingten Übergängen. In die erste Kategorie der sit venia verbo Großstädte im mittelalterlichen Sinne des Wortes17 gehörte eigentlich nur die Prager Altstadt (ab dem letzten Drittel des 14. Jh. bis zu einem gewissen Grade auch die Prager Neustadt)18. In die zweite Kategorie ist die beschränkte Zahl der größeren königlichen Städte einzuordnen, zu denen in Böhmen besonders Budweis im Süden, Pilsen im Westen, Kuttenberg und event. Kolin in der Mitte, Leitmeritz im Norden und Königgrätz im Osten des Landes, in Mähren dann die Trias Brünn, Olmütz und Iglau, vielleicht noch Znaim zu rechnen waren. Eine ganz spezifische Stellung hatte die der Böhmischen Krone verpfändete Reichsstadt Eger inne, die deswegen künftig eher nur am Rande und aus bohemikaler Sicht als solitäre Einheit gestreift werden soll. In die dritte und letzte Gruppe gehört schließlich die überwiegende Mehrzahl der Städte. Obgleich das Material hierzu bedeutend bescheidener ist, weist es freilich auf große Divergenzen hin.
Das eben Gesagte bedeutet leider keinesfalls, daß die eben aufgezählten Städte der ersten und zweiten Kategorie so viel eigenes Material aufweisen würden, als daß ihre Verhältnisse in diplomaticis Schritt für Schritt verfolgt werden könnten. Meist ist das Gegenteil der Fall: Es stehen nur klägliche Trümmer des ehemaligen Verwaltungsgutes zur Verfügung, dessen tatsächlicher Reichtum zwar angenommen werden darf, jedoch meist nur indirekt belegt ist. Um das zu konkretisieren, seien nur ein paar Beispiele angeführt. In der Prager Altstadt ging beim großen Brand des Rathauses im J. 1399 ein wichtiger Teil ihrer “Registratur” kaputt, in Kuttenberg 1421 während und nach König Sigismunds dortiger Niederlage durch die Hussitennachweislich sogar so gut wie alles19, in Königgrätz ließen die Stadtväter dann im 19. Jh. das ganze alte städtische Archiv, mit Ausnahme von Privilegien, makulieren usw.20 Das heißt mit anderen Worten, daß man diese Forschung fast als Deperditaforschung bezeichnen könnte, wohl eben mit gewisser Ausnahme der Stadt Eger, deren mittelalterliches Archiv, besonders jedoch dessen Bücherregistratur, in einem relativ unversehrten Zustand erhalten geblieben ist21.
Zur Rekonstruktion der ursprünglichen Archivbestände, die hier freilich nicht einmal gestreift werden kann, jedoch zu den vordringlichen Aufgaben gehört, müßte man von der Systematik der wichtigsten Kategorie des städtischen Verwaltungsgutes ausgehen. Mit anderen Worten heißt das, daß man z. B. aus einem solitär erhaltengebliebenen Stadtbuch spezieller Kompetenz die verlorengegangenen Bücher bzw. sogar ihre Reihen zumindest hypothetisch voraussetzen kann und muß, ja sie nach Möglichkeit sogar zu erstellen versuchen kann22.
Diese Stadtbücher hatten aus der Sicht der angedeuteten Fragestellung zweierlei Charakter. Einerseits gehörten sie zu den internen Hilfsmitteln der städtischen Verwaltung an sich bzw. waren mehr oder weniger direkte Privatbehelfe der jeweiligen Stadtschreiber, andererseits hatten sie rechtsverbindliche Bedeutung für die Bürgerschaft der betreffenden Stadt und unterlagen aus diesem Grund der erhöhten Aufsicht durch den Stadtrat bzw. sogar der Sperrung und wurden der städtischen Öffentlichkeit nur zu bestimmten Terminen und unter gewissen streng beschränkten Bedingungen zur Verfügung gestellt. Diese Bücher können im wahrsten Sinne des Wortes als öffentliche Stadtbücher bezeichnet werden.
Die oben angeführte, vielleicht etwas seltsam anmutende Einteilung, ist jedoch für unsere Zwecke von spezifischer Bedeutung, was kurz besprochen werden muß. In aller Knappheit kann man nämlich sagen oder wenigstens mit großer Wahrscheinlichkeit voraussetzen, daß der Schreiber bei den für den internen Gebrauch der Kanzlei benutzten Büchern selbst frei und ohne Rücksicht auf die “Umwelt” über ihre Sprache (und Gestaltung) entscheiden konnte. Das war bei den Büchern der zweiten Kategorie nicht so einfach möglich, da eben auf die Nutzer und überhaupt auf die breitere Öffentlichkeit, die an dieser Gattung des Verwaltungsschrifttums äußerst interessiert war, Rücksicht genommen werden mußte, wobei hier auch übergeordnete Ratsmitglieder eingreifen konnten und sicher auch eingegriffen haben. Freilich ist die Spannweite hier sehr breit, da jede Stadt individuell handelte und darüber hinaus auch jeder Schreiber mehr oder weniger seine eigene Individualität besaß. Dieses Zusammenspiel konnte unterschiedliche Formen annehmen, die auch zunehmend von der immer tieferen juristischen Bildung und der wachsenden Autorität dieses Beamten – in der Stadt oft als oculus civitatis bezeichnet – abhängig waren.
Neben den Stadtbüchern bzw. noch lange vor ihrem Auftauchen spielten von Anfang an auch Stadturkunden und Verwaltungkorrespondenz eine wichtige Rolle, die im Laufe der Zeit vor allem durch die sich vertiefenden zwischen- und außerstädtischen Kontakte immer intensiver wurde. In diesem Zusammenhang sei auch die bürgerliche Urkunde erwähnt, da sie auch technisch dem Umkreis der städtischen Verwaltung meist nicht allzu fern lag. Anders war das mit dem Geschäftsgut der größeren und mittleren städtischen Handelsfirmen, die auch gewisse, manchmal sogar sehr bedeutende schriftliche Unterlagen führen mußten, über die bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts im böhmischen Raum keine konkreten Spuren bekannt waren23. Ebenfalls darf vorausgesetzt werden, daß auch verschiedene andere städtische Institutionen, wie etwa die Zünfte, Bruderschaften und Stadtspitäler, über eigenes Schriftgut verfügten. Es ist jedoch aus dieser Zeit so gut wie nichts erhalten geblieben24. Zumindest die Sichtung einschlägiger Hinweise sowie Erwägungen aus zweiter Hand wären ebenfalls eine lohnende Zukunftsaufgabe, die erst noch in Angriff genommen werden muß.
Nach diesen ganz allgemeinen Überlegungen bzw. eher Bemerkungen, sei zum Konkreten übergegangen. Zuerst muß allgemeinere nach den benutzten Sprachen fragende Periodisierung des böhmischen vorhussitischen Geschäftsschriftgutes geboten werden. Diese hat zwar nur Hilfscharakter, doch erscheint sie mir unvermeidlich, um klarer zu sehen. Alles in allem kann man drei ziemlich deutlich umrissene Entwicklungsphasen im Bereich der Sprachenbenutzung im diplomatischen Material25 der přemyslidisch-luxemburgischen Zeit in Böhmen (und Mähren) unterscheiden, die sich schon auf den ersten Blick sowohl durch die Qualität als auch durch die Quantität der bestehenden Typenkategorien unterscheiden. Die erste und längste, doch nur mit sehr bescheidenem ziemlich dünnem Material ausgestattete Epoche ist die Zeit etwa bis zur Jahrhundertwende um 1300 event. zum Antritt der Luxemburger (1310). Die zweite (etwa die erste Hälfte des 14. Jh) gilt als die Zeit des quantitativen Anwachsens des Materials im Rahmen des diplomatischen Verschriftlichungsprozesses, während in der dritten, etwa ab dem Regierungsantritt Karls IV. (1346), also ab Mitte des 14. Jh., zum quantitativen Sprung auch deutliche neue qualitative Phänomene hinzutraten. Diese rahmenweise Charakteristik gilt auch im allgemeinen für die Städte, wobei vornehmlich in den größeren schon Spuren des Aktenwesens zu bemerken waren. Dabei muß man immer die individuellen Entwicklungszüge der einzelnen Städte im Auge behalten, ohne jedoch den Anspruch zu erheben, daß es gelingen könnte, die Dinge stets in entsprechender Tiefe durchdringen zu können, da die heutigen Quellentrümmer dazu meist kaum geeignet sind.
Aus der allgemeinen Entwicklung des Landes, jedoch besonders aufgrund der unregelmäßigen oder eher individuellen Entwicklung und Entfaltung der einzelnen Städte innerhalb des Städtewesens als Ganzes, ergibt sich, daß im städtischen Bereich keine festen und vornehmlich generell akzeptablen Grenzen bzw. Überschneidungen zu finden sind. Doch kann man neben den oben angedeuteten Gesamttendenzen auch zu konkreteren Schlüssen kommen. Letzten Endes können doch gewisse relativ nicht allzu lange Übergangsphasen fixiert werden, die stets zugleich – jedoch nicht immer mit gleichem Schwung – allgemeinere Tendenzen signalisieren können.
Die gesamtböhmische Dynamik kann im großen Rahmen folgendermaßen knapp charakterisiert werden: Die ganze Přemyslidenzeit steht unter der Alleinherrschaft des Lateins, abgesehen von volkssprachigen Einzelworten – neben Personen- und Ortsnamen vornehmlich auch etliche Rechtstermini –, die im lateinischen Text auftraten. In unserem Fall waren es die unübersetzbaren tschechischen Begriffe im Bereiche des heimischen Landrechts und bald nach der Einbürgerung der Städte auch deutsche Termini innerhalb des Stadtrechts, deren lateinische Äquivalente lange Zeit als künstlich und nicht eindeutig genug gefühlt wurden26. Die ersten deutschsprachigen Herrscher- und Adelsurkunden tauchen sporadisch ab der Zeit um 1300 auf und wurden dann unter Johann von Luxemburg häufiger. Kurz darauf erreichten sie dann in Johanns späteren Jahren im Wettbewerb mit dem lateinischen Urkundengut ein gewisses Gleichgewicht, um dann unter Karl IV., strukturiert und schwankend nach den einzelnen gesellschaftlichen Schichten, das Übergewicht zu bekommen. Dieser Prozeß unterlag jedoch stetigen Schwankungen, und das nicht nur nach den einzelnen sozialen Gruppen von Urkundenausstellern bzw. -empfängern, sondern auch innerhalb dieser Gruppen und selbst innerhalb der einzelnen Kategorien des diplomatischen Gutes27. Überraschenderweise trifft man eben bei den städtischen Einrichtungen im Vergleich zu anderen weltlichen Einrichtungen meist einen gewissen Traditionalismus an, über den noch abschließend die Rede sein soll. Der ist jedoch leicht aus den inneren Verhältnissen der entsprechenden Gemeinden zu erklären und erlaubt willkommene Einblicke in ihre inneren Verhältnisse. Man muß sich nämlich vergegenwärtigen, wie lange es gedauert hat, bis es zumindest teilweise so weit war, daß sich neben dem Latein des empfangenen Privilegiengutes und dem Latein der Mandate auch Nationalsprachen, zuerst freilich Deutsch, durchzusetzen begannen28. Dem entsprach auch die Art der damaligen Bewertung und Präsentierung dieser Privilegien, die in ihrer lateinischen Form nur dem engen Kreis der Latein- und Schriftkundigen zugänglich waren, was bedeutet, daß sie der Stadtschreiber den “Stadtvätern” meist in die Volkssprache übersetzen (und event. auch kommentieren) mußte. Das konnte jedoch bei dem zunehmenden Selbstbewußtsein und der sich zugleich vertiefenden Schreib- und Lesekundigkeit (ohne daß Latein dabei stets integriert sein mußte) der oberen städtischen Schichten nicht mehr ausreichen 29. Das hat – in verschiedenen nicht nur städtischen Milieus unterschiedlich früh oder spät, jedoch immer schwankend und niemals ausnahmslos – dazu geführt, daß beim entsprechenden Antrag um die Privilegerteilung eventuell auch die Bitte geäußert werden konnte, die Urkunde in der Nationalsprache zu verfassen. Da sich jedes Privileg beim Empfänger großer Ehrfurcht erfreute und besonders in der Stadt einen bedeutend größeren Interessentenkreis als nur den Stadtrat allein (bei dessen Mitgliedern vor allem gewisse Lese- und Schreibkenntnisse wenigstens zum Teil vorauszusetzen sind) ansprach oder ansprechen sollte, ist verständlich, daß diese Gemeinschaft darüber unmittelbar informiert sein wollte. Die frühere ursprünglich direkte Lektüre vergleichbarer Stücke im engen Kreise der lateinkundigen Leser in kirchlichen Institutionen oder die vis à vis Textübersetzung des Notars für seinen Herrn (visuris et lecturis; nirgendwo wird über das Übersetzen die Rede, obwohl es verschiedentlich vorausgesetzt werden muß) wurde hier durch die breitere Schicht der höchst interessierten, meist jedoch des Lesens und des Lateins unkundigen Laien (von deren Geld letzten Endes die entsprechenden, üblicherweise beträchtlichen Taxgebühren bezahlt wurden) ersetzt. Und diese war lebhaft daran interessiert, den Inhalt möglichst genau zur Kenntnis zu nehmen, da sie davon manchmal existentiell abhängig war30. Die ursprüngliche, mehr oder weniger nur rahmenhafte Übersetzung durch den Stadtnotar konnte also im Laufe der Zeit nicht mehr ausreichen, wie es deutlich in der Notifikation solcher Urkunden zum Ausdruck gebracht wurde, in der es hieß: sehen oder horen lesen oder ähnlich. Man wollte nämlich aus verständlichen Gründen den betreffenden Text direkt und vornehmlich authentisch hören und zur Kenntnis nehmen. Übrigens wurden solche Texte – zumindest was die Schlüsselprivilegien der Stadt betraf – bei verschiedenen Gelegenheiten wiederholt publik präsentiert. Nachdem also die städtische Verwaltung ein gewisses Niveau erreicht hatte, galt es als wünschenswert, sie einem breiteren Zuhörerkreis ungebildeter Interessenten möglichst exakt zugänglich zu machen.
Jedoch galt diese Aussage nicht immer allgemein und betrifft auch nicht einen fließenden, d.h. einen einfachen, eindeutigen Übergang. Denn eben im 14. und dann besonders im 15. Jahrhundert setzte sich allmählich und auf Umwegen im böhmisch-mährischen Raum das Phänomen der wachsenden Zweisprachigkeit in den Städten unter Stärkung des dortigen tschechischen Elements durch. Anders gesagt bedeutet das, daß das Latein seine Akzeptanz wegen seiner sit venia verbo gewissen Neutralität in der Sprachenbenutzung des beeinflußbaren an die Städte ausgestellten fremden Verwaltungsguts bedeutend länger, freilich jedoch mit schwankender Intensität, behalten konnte, als es woanders der Fall war31. Aber das alles sind eher nur äußere Umstände, die bei weitem nicht immer – und schon gar nicht einen umfassenden – Einfluß ausüben mußten. Deshalb ist es endlich geboten, unmittelbar in die eigentliche “Küche” der Städte, d. h. in ihre Kanzleien (oder in andere städtische Ämter, die sich jedoch damals erst allmählich auszubilden begannen) bzw. in die “Einmannämter” der Stadtnotare als Vorstufe der sich kontinuierlich in funktionierende Kanzleien umgestaltenden Institutionen, Einblick zu nehmen.
Bekanntlich wurde der Stadtschreiber bzw. in größeren Städten der Vorstand der städtischen Kanzlei, als oculum civitatis bezeichnet. Er steht im Zentrum des Interesses, denn dessen Verpflichtungen im Kontext, der hier verfolgten Fragestellung eher mehr oder weniger rahmenhaft (wenn überhaupt) fixiert waren32, weshalb ihm auch mehr oder weniger frei stand, eigene Vorstellungen und vor allem eigene Kenntnisse im eigentlichen Geschäftsverkehr anzuwenden, d. h. auch die Kanzleisprache zu wählen. Das galt ohne nennenswertere Ausnahmen jedoch nur für die kanzleiinterne Agenda, während die Sprachenwahl für übrige Produkte mehr oder weniger im Konsens zwischen Kanzleivorstand und Stadtrat bzw. mit Rücksicht auf den direkten Empfänger gewählt bzw. vereinbart wurde, wobei davon ausgegangen werden darf, daß der Einfluß des Notars recht massiv sein konnte. Davon unterschied sich freilich zu einem guten Teil die Sprachenbenutzung in Prozessen, die vor dem Stadtgericht geführt wurden, was jedoch ebenfalls hier ausgeklammert werden muß33.
Zur Ausübung einer systematischen und einwandfreien Kanzleitätigkeit war es vor allem erforderlich, eine entsprechende Ausbildung zu haben, am besten in Jurisprudenz, deren Studium stets in Latein verlief, obwohl es auch deutschsprachige Kodifikationen gab. Solche hochqualifizierten Leute (wobei wir bei ihnen eben wegen ihrer Qualifikation oft ziemlich große Mobilität feststellen können34) konnten sich in der uns interessierenden Zeit jedoch nur die größeren und großen Städte leisten, während es sich bei der Mehrzahl der übrigen um bessere oder schlechtere Beamte bzw. einfache Praktiker gehandelt hat, die ihre Kanzleiverpflichtungen nicht selten mit anderen Diensten für die Stadt verknüpften oder diese Tätigkeit nur zeitweise ausübten. Ihre Lateinkenntnisse konnten zwar von unterschiedlichem Niveau sein, es ist jedoch davon auszugehen, daß sie vorhanden waren. Dem eben Gesagten ist zu entnehmen, daß sowohl die geschulten Spitzenbeamten, die manchmal in die höheren Dienste der Dynastienkanzleien überwechselten, als auch die mittelmäßigen Beamten, im lateinischen “Amtieren” (das an sich in der anspruchslosen Alltagspraxis nicht eben viele Vorkenntnisse brauchte) eher “zu Hause” waren als in den schriftlichen Formulierungen der sich erst konstituierenden volkssprachigen Rechtsterminologie35.
Das galt die ganze Přemysliden- und die ersten Jahrzehnte der Luxemburgerzeit für die deutsche Sprache, die sich dem oben Gesagten folgend im städtischen Bereich in Böhmen und Mähren zuerst kaum durchsetzen konnte36. Erst nach der Mitte des 14. Jh. konnte sie sich dort allgemeiner emanzipieren, während das in der Hofkanzlei und beim Adel schon früher der Fall war. Die Landesbehörden dagegen präferierten zunächst Latein und dann die tschechische Sprache, die ansonsten mehr Zeit gebraucht hätte, um sich durchzusetzen. Die Forschung steht dabei wegen des mehr oder weniger deutlichen Bilingualismus der Notare in nationalgemischten Milieus häufig vor unlösbaren Problemen, da manchmal aus objektiven Gründen kein eindeutiges Urteil gefällt werden kann37.
Schließlich ist es notwendig, sich konkretem städtischen Material zuzuwenden und, dem oben Gesagten folgend, die Sonderwege der Evolution zu verfolgen. Dabei ist freilich klar, daß nicht das ganze Spektrum, also alle städtischen Subjekte verfolgt bzw. miteinbezogen werden können. Es können nur einige, doch vielleicht repräsentative Beispiele, die allgemeinere Tendenzen reflektieren, gewählt werden. Daß ich also eher über Sondagen sprechen möchte, wird mir wohl nicht übel genommen werden, obwohl ich hoffe, daß sie signifikant genug sein können. Es werden – mit unterschiedlicher Intensität – drei Aspekte verfolgt, nämlich: 1) das oben schon angedeutete empfangene Urkundengut, vornehmlich in Form des Privilegierens seitens der Stadtherren38, 2) die städtischen bzw. (soweit vorhanden) bürgerlichen Urkunden im eigenen städtischen Bereich und schließlich 3) die Sprache im typischsten städtischen diplomatischen Material, d.h. in den Stadtbüchern bzw. auch in anderen Gattungen der inneren Verwaltung, besonders im Rahmen des Rechnungswesens. Aus dem Gesagten geht schon deutlich hervor, daß diese Punkte nicht die gleiche Aussagekraft besitzen. Besonders der erste von ihnen kann als sehr relativ und erst im Zusammenhang mit anderem Gut als symptomatisch bezeichnet werden. Aus mehreren Gründen, die wohl nicht ausführlicher besprochen werden brauchen, wenden wir unsere Aufmerksamkeit in Böhmen der Prager Alt-, weniger der Neustadt, weiter dem westböhmischen Eger, das eigentlich wegen seiner Spezifik gesondert dargestellt werden sollte, dem südböhmischen Budweis, dem nordwestböhmischen Saaz und dem ostböhmischen Königgrätz, und in Mähren den Städten Olmütz und Brünn zu, die bei allen schmerzlichen Archivalienverlusten – mit der schon avisierten Ausnahme von Eger – mindestens in gewissem Sinne relativ kontinuierliches Material besitzen39. Daß dabei kursorisch auch etliche andere Städte hinzugezogen werden, versteht sich von selbst.
Bei dieser Themenbeschränkung muß man zwischen zwei Bearbeitungsmöglichkeiten wählen, nämlich entweder die eben aufgezählten drei Punkte allgemein nacheinander folgen zu lassen, oder ihnen innerhalb der einzelnen Städte knapp nachzugehen. Da es im ersten Fall zu einer unerwünschten Zerstückelung kommen würde, wobei folglich der konkrete Verlauf nicht deutlich genug herauspräpariert werden könnte, habe ich die zweite Möglichkeit gewählt, die es besser erlaubt, das konkrete Milieu systematischer zu erfassen. Freilich wird abschließend in aller Kürze ein Versuch der Zusammenfassung der so gewonnenen Ergebnisse geboten. Ein anderer Vorteil dieser Bearbeitungsart ist, daß er auch eine konkretere Charakteristik jeder einzelnen Stadt, auch aus der Sicht ihrer nationalen Zusammensetzung – die freilich nicht immer mit der in der Kanzlei benutzten Sprachenpraxis im Einklang stehen muß40 –, zuläßt .
2. Fallbeispiele — Prager Städte
Zuerst wären also die beiden rechtsufrigen Prager Städte, besonders die Altstadt, die Neustadt41 eher am Rande, zu besprechen. In ersterer ist eine massive deutsche Mehrheit, besonders in den höheren Bevölkerungsschichten, zu beobachten, die im Laufe der Luxemburgerzeit allmählich, doch unaufhaltsam zurückging. Nichtsdestoweniger waltete diese Mehrheit das ganze 14. Jahrhundert hindurch in den entscheidenden Verwaltungsstrukturen, und erst am Anfang des 15. Jh. sind deutlichere Versuche der tschechischen Schichten sich durchzusetzen zu verzeichnen, begleitet von einem ständigen Hin und Her bei der Besetzung des Stadtrates. Erst die hussitische Revolution hat den langfristigen Wandel der Verhältnisse zu Gunsten des tschechischen Elements sanktioniert42.
Die Prager Neustadt befand sich dagegen in einer ganz anderen Lage. Hier überwog von Anfang an (1348 gegr.) das tschechische Element. Jedoch auch hier stand aufgrund verschiedener Umstände, besonders aufgrund der Tradition und der günstigeren materiellen Lage der Oberschicht, die dünnere deutschsprachige Minderheit zunächst im Vordergrund. Doch ziemlich bald nach der Gründung konnte sich das tschechische Element auch im Stadtregiment durchsetzen43. Die ein Dezennium dauernde Vereinigung der Alt- und Neustadt 1367-1377 braucht hier nicht überlegt zu werden, da daraus vorläufig keine relevanten Schlüsse für unsere Fragestellung gezogen werden können.
In die kontinuierliche, jedoch nicht allzu umfangreiche Reihe der königlichen Privilegien bzw. Mandate für die Prager Altstadt, die unter Johann von Luxemburg stets lateinisch verfaßt waren, schleichen sich im J. 1340 und 1341 zwei deutsche Urkunden ein44, die beide in Prag ausgestellt wurden. Obwohl sie nur abschriftlich erhalten sind, ist so gut wie sicher, daß es sich nicht um Übersetzungen handelt, da diese Texte nicht dem Aufbau des lateinischen Formulars folgen, überlieferungsgeschichtlich unterschiedlich sind und darüber hinaus zweifellos das einheitliche Diktat der deutschen Texte der Hofkanzlei aufweisen. Diese “Anomalie” ist jedoch leicht zu erklären, beide Urkunden sind nämlich Konfirmationen, die die vorgelegten deutschsprachigen städtischen Urkunden bestätigten und inserierten, was wohl den entscheidenden Impuls gab45. Das Ergebnis der Betrachtung der folgenden Zeit Karls IV. und seines Sohnes ist jedoch, zumindest vorerst, zurückhaltend. Ihre Urkunden für die Altstadt, besonders die von Karl, sind zwar überwiegend lateinisch, doch treffen wir – zwar unregelmäßig – nicht selten auch auf deutsche Texte, ohne eruieren zu können, ob das nach einem gewissen Schlüssel erfolgt ist (d. h. weder bezüglich des Inhalts, noch was das eventuelle Engagement des Hofkanzleipersonals betrifft). In der Zeit Wenzels sieht man schon auf den ersten Blick, daß hier deutsche Texte relativ zunahmen und bald zu überwiegen begannen46.
Die Herrscherurkunden für die Prager Neustadt beginnen mit der lateinischen Gründungsurkunde vom 8. März 1348. Sie sind auch nicht so zahlreich wie die für die Altstadt, und sie sind – bis auf ganz wenige Ausnahmen – lateinisch verfaßt, was dem tschechischen Element zuzuschreiben ist47.
Daß jedoch bei dem Privilegieren auch bei der Altstadt kein fester Usus waltete, zeigen zwei an die Altstadt adressierte Urkunden Wenzels: beide sind lateinisch, wobei die erste aus 1385 eine deutsche Urkunde Karls IV. inseriert48, während in der zweiten aus 1405 sich um ein tschechisches Insert handelt49. Das Ergebnis ist also mit Zurückhaltung zu betrachten, wollte man meinen, daß hier absichtlich “neutrales” Latein gewählt hat. Denn innerhalb der ausstellenden Hofkanzlei ist kein Anzeichen dafür zu finden, daß dabei ihre Beamten irgendwie aktiv im Spiel gewesen wären. Sonst steht die Zunahme der deutschsprachigen königlichen Urkunden außer Zweifel. Nur marginal ist darauf hinzuweisen, daß jedoch die vereinzelten Texte für die (Prager) Juden der Luxemburgerzeit ausnahmslos deutsch verfaßt wurden50.
Jetzt wende ich mich den eigenen städtischen Produkten zu, die schwerer wiegen. Dabei sei zuerst das Urkunden- und Briefgut im eigentlichen Sinne des Wortes gemustert. In der Prager Altstadt begannen sich schon tief in der zweiten Hälfte des 13. Jh. schriftliche diplomatische Aktivitäten zu entfalten (sowohl städtisch als auch bürgerlich), wobei damals freilich alles lateinisch konzipiert wurde51. Der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung sowie auch der Größe nach stand diese Stadt im Lande konkurrenzlos an der Spitze. Dem entspricht, trotz aller verheerenden Verluste, auch heute noch eine imposante Materialfülle, meist jedoch nur abschriftlich erhalten. Ein paar Zahlen, die auch die Deperdita mit einbeziehen, sollen es belegen. In dem noch unten zu besprechenden Liber vetustissimus der Prager Altstadt befinden sich unsystematisch für die unten angeführten Jahre der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eingetragene Verzeichnisse der Prager Altstädter Stadturkunden über den konkreten bürgerlichen Besitz, die an bestimmten Tagen amtlich besiegelt (und ausgehändigt) wurden. Informiert sind wir nur über die Jahre 1331-1334, 1337 und 133952. In diesen Verzeichnissen werden insgesamt 241 Urkunden evidiert, also im Durchschnitt 40 pro Jahr. Da jedoch für diese Agenda im Jahre 1351 ein eigenes Stadtbuch53 angelegt wurde, ist klar, daß nachher die Zahl dieses Urkundentyps stark zurückgehen mußte. Doch kann nur für die zwei Dezennien vor dieser Gründung mindestens mit fast tausend Urkunden dieser Art gerechnet werden, während heute davon, soweit bekannt, nur drei Originale erhalten sind54. Da sieht man deutlich und wirklich ad oculos, daß nur ein winziger Bruchteil des auslaufenden Schriftgutes ganz allgemein erhalten ist. Da aber alle drei überlieferten Urkunden lateinisch verfaßt sind, kann man mit gutem Grunde voraussetzen, daß auch die verlorengegangenen Texte sämtlich lateinisch mundiert waren, wie es auch die über sie informierenden lateinischen Stadtbucheinträge andeuten. Doch die bisherige Alleinherrschaft des Lateins wurde schon unter Johann unterbrochen, besonders nämlich in einer spezifischen Verwaltungsgattung, d.h. im Bereich der innerstädtischen Kompetenzen wie Satzungen bzw. Zunftangelegenheiten, wo die möglichst breite Verständlichkeit eine Bedingung ersten Ranges war55. Als ältestes deutschsprachiges Stück gelten jedoch zwei Ausfertigungen der Stadturkunde vom 27. Mai 1330 über den Verkauf von zwei Mühlen durch eine altstädter Bürgerfamilie an einen Berauner Müller56.
Nach einer Pause von ein paar Jahren tauchen deutschsprachige Urkunden, die heterogenen Inhalts sind, und zum Teil auch solche, die Rechtsgeschäfte im breiteren Stadtinteresse betreffen, erst wieder in den 40er bis 60er Jahren des 14. Jh. auf. Überwiegend jedoch galten sie den Rechtsgeschäften von Einzelbürgern, in erster Reihe ihren testamentarischen Angelegenheiten, wobei Latein völlig verschwand57. Die Rolle der deutschen Sprache ist hier jedoch immer noch nicht exklusiv, ja das Latein im gewissen “Wettbewerb” mit ihr58 stets das Übergewicht bewahrte. Im fortgeschrittenen 14. Jh. sind dann schon mehrere deutsch verfaßte altstädtische Prager Stücke, die auch für den außerstädtischen Verkehr bestimmt und sogar nach Schlesien bzw. Meißen gerichtet waren, belegt. Fast überraschend wäre ansonsten noch zu konstatieren, daß die altstädtische schriftliche Kommunikation mit dem König im Zusammenhang mit seinen Zwistigkeiten mit dem Adel in den Jahren 1406-1416 in den letzten zwanzig vorhussitischen Jahren schon zu einem großen Teil auch in Tschechisch mit vollentwickeltem Formular abgewickelt wurde59. Das ist leicht damit zu erklären, daß eben in dieser Zeit in der Altstadt die tschechische Bevölkerung auch im städtischen Regiment eine wichtige Rolle zu spielen begann60.
Solitäre tschechische Einzelstücke des Altstädter Rates sind jedoch älter und folgen mit nicht allzu großem Abstand auf das überhaupt erste Erscheinen der tschechischen Sprache im schriftlichen Verwaltungsverkehr im böhmischen Königreich61. Es handelt sich um die Rechtsbelehrung für den Rat der Stadt Saaz vom Jahre 1387, die zwar nur in Abschrift in der Prager Stadtbuchüberlieferung belegt ist, jedoch nicht den Verdacht weckt, eine Übersetzung zu sein62. Dieses Stück hat doppelte Bedeutung, nämlich sowohl für den Aussteller (also für die Altstadt Prag) als auch für den Empfänger, denn es läßt die fast an Sicherheit grenzende Vermutung zu, daß die Saazer Anfrage an die Altstädter, die die Behandlung der Formalitäten in der Testamentsvollstreckung betraf, jedoch nicht erhalten ist, auch tschechisch verfaßt sein mußte63. Dieses Stück, das wohl nicht als isoliert betrachtet werden muß, hat nämlich allgemeinere Bedeutung. Denn sonst könnten sich die jüngeren tschechischen Stücke, die zum großen Teil eben ab 1399 mit dem böhmisch-tschechischen Adel im Zusammenhang stehen (ungeachtet dessen, daß oft kontrovers), so interpretieren lassen, daß es eben einzig und allein der Adel war, der in die altstädtische Kanzlei das Tschechische “durchgesetzt” hat. Das “Saazer” Stück macht jedoch deutlich, daß es in Wirklichkeit komplizierter war, und die tschechische Sprache durchaus imstande war, sich auch in den scheinbar dem Lateinischen bzw. Deutschen vorbehaltenen Bereichen durchzusetzen. Kurz danach, 1405, wird hier in einem Erlaß für das nahegelegene tschechische Marktfleckchen Běchovice Tschechisch benutzt, ähnlich dann sind 22 Bestätigungen der Neustädter Sprüche tschechisch verfaßt, was wohl durch die Neustädter Vorlagen verursacht wurde64. Diese Feststellung zeigt, daß sich Tschechisch im städtischen Prager Milieu als diplomatische Sprache auch außerhalb der Kontakte mit dem tschechischen Adel, der sonst im Allgemeinen bei der Durchsetzung des Tschechischen die Initiative hatte, durchzusetzen begann und die altstädtische Kanzlei der Bitte der Gegenpartei entgegentrat.
Auch die Stadtbucheinträge, die ein eigenes Innenleben hatten, dürfen hier nicht außer acht gelassen werden. Als Schlüsselquelle gilt der sog. Liber vetustissimus statutorum et aliarum rerum memorabilium, das älteste Stadtbuch der böhmisch-mährischen Region65. Sein Inhalt ist sehr mannigfaltig und reicht, zum guten Teil als eine gewisse Art Kopialbuch vom Ende des 13. bis tief in das 15. Jahrhundert hinein, sein Schwerpunkt liegt jedoch auf dem 14. Jh. Auch sprachlich ist es differenziert, es überwiegt jedoch die lateinische Sprache. Neben den internen Einträgen der Stadtverwaltung sind dort auch mehrere Dutzend Urkundenabschriften eingetragen.
Aus dem ziemlich breiten Spektrum der aktenkundlichen Einträge der Stadtverwaltung, das die Stadtstatuten, Rechnungen, Ungelteinträge, Neubürgerverzeichnisse, Evidenz der besiegelten Urkunden, Stadtbeamtenerneuerungen, Testamente u.a.m. beinhaltet, sind im Zusammenhang mit der Sprachenbenutzung besonders die Statuten interessant, da sie pro foro publico bestimmt waren. Ihre deutschsprachige Reihe beginnt hier ziemlich früh, schon 1324, wobei verschiedenen Statuten noch ein anderer, spezifischer und interessanter Eintrag vorausgeht, nämlich ein detailliertes Verzeichnis der in Prag beschlagnahmten Güter Regensburger Bürger, die das Prager Stadtrecht übertreten hatten, und dessen Abschrift wohl auch für den Regensburger Rat bestimmt war66. Dann sind es vornehmlich statutare Texte, wobei dabei jedoch niemals Exklusivität erreicht wurde. Das heißt, daß Latein stets mit Deutsch alternierte, ohne daß man eindeutig sagen könnte, warum die Trennlinie so verlief, oder ob es sich nicht um irgendeine Zufälligkeit und keine Trennlinie gehandelt hat. Aber eines ist dabei wichtig, nämlich daß sich hier das Deutsche im großen Rahmen bedeutend früher als im eigentlichen städtischen Urkundenwesen durchgesetzt hat bzw. sich durchsetzen konnte, aber nicht mußte. Denn nach ziemlich intensiver Benutzung der deutschen Sprache in der Zeit ab 1327 bis 1339 tritt sie in der altstädtischen Kanzlei nachher wieder ein wenig in den Hintergrund, verschwand aber nicht mehr völlig. Ob das mit dem Antritt des Stadtnotars Berthold, sonst sicher deutscher Herkunft, irgendwie zusammenhing, der ab 1338 bis 1351 in der Kanzlei bezeugt ist, ist nicht eindeutig zu sagen. Doch merkt man, daß die deutsche Sprache in dieser Zeit in gewisse Rechtsgeschäfte kaum noch vordrang; dabei handelte es sich besonders um unmittelbare interne Stadtbucheinträge. Der anzunehmende Einfluß der einzelnen eintragenden Schreiber ist zwar nicht von vornherein zu verneinen, da jedoch sowohl ihre große Zahl als auch ihre Anonymität eine konkrete Analyse so gut wie unmöglich machen, muß davon Abstand genommen werden67. Die Lage, die sich in den weiteren vier erhaltenen Stadtbüchern (neben einem weiteren Liber memorabilium aus der Zeit nach 1366 sind es noch ein Gerichtsbuch und zwei Schuldbücher) der vorhussitischen Zeit widerspiegelt, ist bei allen sachlichen Unterschieden sehr ähnlich68. Das Gedenkbuch inseriert überwiegend verschiedene Urkunden, was hier nicht von Interesse ist. Ansonsten ist aber die Parallelität der Einträge zu bemerken, wenn sachlich nahe Texte ohne offensichtlichen Grund durch denselben Beamten einmal deutsch und ein andermal lateinisch konzipiert wurden. Das Gerichtsbuch ab 1351 bis 1367 mit rund 3000 Einträgen hat jedoch nur rund 50 deutschsprachige Texte (!), die sich – zwar chronologisch verstreut – doch durch den gesamten Text ziehen, was bedeutet, daß sie einen integralen und inhaltlich mannigfaltigen, wenn auch minoritären, Bestandteil des Stadtbuches ausmachten.
Eine ähnliche Lage ist auch bei den beiden erhaltenen Schuldbüchern zu registrieren. Im ersten (1370-1391) erscheinen auf fast 1000 lateinische Einträge kaum zehn deutsche, und auch bei dem jüngeren (1400-1483) überwiegt das Lateinische bei weitem69. Die mühsame stilistische Analyse Procházkovás hat gezeigt, daß Deutsch hier noch kein festes Formular besaß, obwohl dieses freilich verschiedentlich vom Latein, mindestens indirekt, abzuleiten war.
In der Stadtbuchführung der Kanzlei der Prager Altstadt ist das Tschechische in der vorhussitischen Zeit nach dem Stück von 1387 zunächst eine Seltenheit – eine Seltenheit nämlich, die in den Urkundenabschriften der Stadtbücher zuerst eigentlich nur die Sprache der kopierten Vorlagen respektiert. Sonst sind es ganz unbedeutende Einzelheiten, die z. T. sogar noch makkaronisch konzipiert werden. Übrigens war es in den volkssprachigen Texten (also sowohl in Deutsch als auch in Tschechisch) noch bis tief in die Neuzeit hinein möglich, daß ihre Intitulationen, gegebenenfalls Adressen, Korroborationen und Datierungen in lateinischer Form vorkamen, was die tiefe Verankerung Lateins im Sinne der Kanzleibeamten war.
Das Kanzleipersonal der Altstadt muß in seinen Sprachenkenntnisen hoch gepriesen werden. Es handelte sich – zumindest z. T. – um vornehme Intellektuelle (deren Schicksale noch genauer erforscht werden müssen)70, die aller drei Sprachen mächtig waren. Jedoch auch die Neustadt konnte sich nachweislich Intellektueller in ihrer Kanzlei rühmen, was Johannes von Saaz, der Autor von berühmter Dichtung "Ackermann aus Böhmen" eindringlich belegt.
3. Königliche Städte am Land — Böhmen
Eger, die alte Reichsstadt, die in dauerhafter Verpfändung der böhmischen Krone war und deshalb eine ganz spezifische Stellung einnahm71, hat wohl die umfangreichste Reihe von mehreren Dutzend Privilegien und anderen Schriftstücken der luxemburgischen Herrscher bekommen. Man kann feststellen, daß die zwei ältesten Urkunden König Johanns für Eger, die aus dem J. 1322 stammen, deutsch sind, wobei sich folglich Latein mit Deutsch abwechselte. Bei Karl dominiert in den ersten Jahren Latein, jedoch ab 1348 mit kleinen Ausnahmen (so bei äußerst feierlichen Privilegien bzw. Privilegienbestätigungen in Latein) wieder und mit nur einer einzigen Ausnahme, die jedoch begreiflich ist72, ausschließlich Deutsch, egal ob es sich dabei um Privilegien oder Mandate handelte (von relativ häufigen deutschsprachigen Urkunden verschiedener Reichsmitglieder gar nicht zu reden). Eine solche konsequente Eindeutigkeit ist sonst in unserem Material (und wohl auch nirgendwo anders im bohemikalen) kaum festzustellen. Als Scheide gilt also die zweite Julihälfte des Jahres 1355, als Karl der Stadt binnen weniger Tage noch parallel 5 lateinische Privilegien und 4 deutsche Urkunden ausstellte, ohne daß zu eruieren wäre, warum es zu dieser Schankung kam, denn der Inhalt dieser Urkunden ist vergleichsweise gleichen Charakters und auch der konzipierende Hofkanzleibeamte fast immer derselbe war73.
Das eigene Urkunden- und Aktengut der Egerer Stadtprovenienz ist schon ab Anfang des 14. Jh. so gut wie ausnahmslos in allen schriftlichen Gattungen deutsch konzipiert gewesen, was auch fast ausschließlich für die kirchlichen Personen sowie Institutionen der Stadt und Umgebung gilt und die starke Position der entwickelten deutschen Schriftsprache in der ganzen Region belegt74. Das betrifft also auch das städtische Verwaltungsbuchgut, wo sich Latein – sofern es überhaupt vorkommt – fast ausschließlich nur auf die Datierungen bezieht75. Wenden wir uns jetzt dem böhmischen Süden zu.
Die Stadt Budweis76 war wohl die wichtigste Gründung Přemysls II. Ihr waren luxemburgerseits knapp über 50 heute bekannte Urkunden bestimmt. Sie sind relativ regelmäßig innerhalb aller drei diesbezüglichen Regierungen verstreut (14:14:30, auch landesbeamtliche Urkunden eingerechnet). Deutsche Schriftstücke kommen erst ab 1364 vor, doch alternieren sie stets mit den lateinischen. Daß die Sprachenbenutzung keiner Regel unterlag, belegen zwei Urkunden, die mit ganz kleiner zeitlicher Distanz für den Budweiser Richter Klaritz ausgestellt worden waren, wobei die eine deutsch, die andere aber lateinisch verfaßt ist77, sodaß man davon ausgehen kann, daß hier seitens des Empfängers keine sprachlich orientierten Ansuchen gestellt wurden. Dagegen sind die besonders ab Mitte des 14. Jh. zahlreichen Stadturkunden sowie zuerst vereinzelt auftretende Bürgerurkunden bis Anfang der 20er Jahre des 15. Jh. bis auf zwei ganz isoliert stehende Stadturkunden ausnahmslos lateinisch78. Erst später, wohl im Zusammenhang mit der Verpfändung der Stadt an den österreichischen Herzog Albrecht V. durch König Sigismund, dringen in diese kompakte Reihe deutlicher auch deutsche Texte vor, was nur mit kleiner Verzögerung auch für die Bürgerurkunden gilt (erste deutsche wohl erst 1427). Was dann das städtische Buchwesen betrifft, so scheint es, daß nach der ursprünglichen lateinischen Alleinherrschaft (ältestes erhaltenes Stadtbuch wurde 1375 gegründet79) das allmähliche Vordringen der deutschen Sprache ab Anfang des 15. Jh. stattgefunden hat. Obwohl über die damalige deutsche Majorität in der Stadt kein Zweifel besteht, setzte sich die deutsche Sprache im Buch- und Aktengut erst in der Zeit knapp vor und mehr noch nach 1420 deutlicher durch, wohl durch die erwähnte Verpfändung an Albrecht initiiert, was auch die Steuer- und Rechnungsbücher eindeutig belegen80. Das sichere Auftauchen des Tschechischen 1414 in Budweis bezieht sich auf die dortigen Dominikaner und stand in keinem Zusammenhang mit der Stadt. Die zuverlässig nachgewiesene Benutzung der tschechischen Sprache in der Stadtkanzlei ist – keineswegs überraschend – erst ab 1421 belegt, wobei es sich um die Korrespondenz mit dem mächtigsten Baron des Landes, Ulrich von Rosenberg, (später auch mit anderen Adeligen) handelte, der zu den Protagonisten der Benutzung der tschechischen Sprache im Urkundenwesen ganz allgemein gehört hatte81.
Nur ein bis zu einem gewissen Grad ähnliches Bild, das wir bei der Stadt Budweis gesehen haben, bietet sich auch beim königlichen Privilegienschriftgut für Saaz82, das alte slawische Vorgeschichte besitzt. Die erste empfangene deutschsprachige Urkunde von der “Zentralverwaltung”, der rund zwanzig lateinische vorangehen, stammt aus dem Jahre 136683. Seither schwanken die diesbezüglichen Herrscherurkunden zuerst ohne nennenswertere Unterschiede zwischen diesen beiden Sprachen. Nur mit gewisser Zurückhaltung kann man annehmen, daß die deutschen Texte überwogen haben, besonders wenn es sich um königliche Mandate handelte, die an mehrere Städte gerichtet waren. Die Privilegien dagegen wurden überwiegend lateinisch verfaßt. Innerhalb der städtischen Kanzlei war dann Latein vor-, ja alleinherrschend, obwohl für jede der beiden Volkssprachen ab dem letzten Viertel des Jahrhunderts die isolierte Benutzung als sicher nachgewiesen gilt. So erteilte der Oberstkämmerer König Wenzels, Vitko von Landstein, in Vertretung seines Herrn der Stadt Saaz am 5. März 1380 drei Urkunden mit verschiedenen Gnaden. Wie es in der Narratio der ersten dieser Urkunden ausdrücklich steht, wurde der Aussteller durch die Stadtvertreter über den Sachverhalt benachrichtigt, was nichts anderes bedeutet, als daß es in Form einer deutschen Supplik geschehen sein mußte84. Sechs Jahre später ist in Abschrift (wohl kaum Übersetzung) ein tschechischer Schiedsspruch zwischen den Postelberger Benediktinern und einigen Saazer Bürgern durch den kgl. Unterkämmerer und Hofrichter gefällt worden. Ein Jahr später erschien die schon oben erwähnte, ebenfalls in Tschechisch verfasste Rechtsbelehrung der Prager Altstadt, der zweifellos ein tschechisches Saazer Ansuchen vorausgegangen war, was trotz ihrer Einmaligkeit interessanten Einblick in die gegenseitige Kommunikation gewährt85. Schon das signalisiert deutlich, daß in der nationalen Zusammensetzung der Saazer Stadtbevölkerung zumindest ab dem letzten Viertel des Jahrhunderts erhebliche Veränderungen zugunsten des tschechischen Elements stattgefunden haben oder – treffender gesagt – ans Licht gekommen sind, die ihren Niederschlag auch in den Amtstätigkeiten fanden, wovon auch deutliche Anzeichen in den sonst lateinischen Urkundentexten zeugen86. Leider besitzen wir keine mittelalterlichen Saazer Stadtbücher mehr, obwohl wir über mehrere Deperdita Bescheid wissen. Jedoch besitzen wir (keine andere böhmische Stadt besitzt etwas Vergleichbares) umfangreiche Saazer Formelbücher dieser Zeit aus der Werkstatt des berühmten Notars Johann von Saaz, die stets lateinische Texte enthalten, keine volkssprachigen87. Darüber hinaus ist noch ein – ebenfalls lateinisches – Kopialbuch dieser Zeit vorhanden88.
Die wichtigste ostböhmische Stadt war Königgrätz89, die wegen der Vernichtung des gesamten alten Archivs mit Ausnahme von königlichen Privilegien keine originalen Spuren über die innerstädtische Agenda besitzt. Nur ganz wenige Hinweise aus zweiter Hand zeugen davon, daß die Kette der lateinischen Herrscherurkunden mit dem letzten von Karl IV. ausgestellten Stück von 1378 abbricht 90 und seither so gut wie immer deutsch ist. Auch die Kaiserin Elisabeth, die früher auch nur lateinisch urkundete, wechselte ins Deutsch. Die verstreuten städtischen Urkunden folgen diesem Brauch, während wir von den innerstädtischen Materialien annehmen können, daß sie durchaus lateinisch waren91.
4. Zwei wichtige Städte in Mähren
Das über Saaz Gesagte gilt im Bereich des empfangenen Privilegiengutes mit nur wenigen Abweichungen auch für das mährische Olmütz92, das als zweitwichtigste Stadtgemeinde Mährens auch alternierender Ort der Sitzungen des Landesgerichtes und Sitz der Diözese war. Nach einer Reihe von 24 lateinischen Privilegien der Luxemburger (d.h. sowohl zuerst der Könige und später der Markgrafen als auch schließlich – nach dem Aussterben der luxemburgisch-markgräflichen Nebenlinie im J. 1411 – wieder des böhmischen Königs) taucht ein erstes deutschsprachiges Stück dieser Gattung erst 1399 unter Jodok (1375-1411) auf. Später, d.h. im ersten Dezennium des 15. Jh. treten dann Latein und Deutsch in einem gewissen Gleichgewicht auf (5:5)93. In der anschließenden Zeit Wenzels sind von ihm fünf lateinische Privilegien, und nur ein deutsches Stück belegt. Dem entsprach im Großen und Ganzen auch die interne Entwicklung in der Olmützer Stadtkanzlei94, freilich mit Ausnahme des oben erwähnten Dezenniums. Ab den ältesten Urkunden der Stadt aus den Jahren 1314 und 1321 bediente man sich in Olmütz nämlich der entwickelten lateinischen Sprache, wobei nur eine Ausnahme registriert werden kann: 1352 schickt nämlich die Stadt Olmütz eine deutsche Belehrung über die Mühlordnung an den Brünner Stadtrat, die zwar nur abschriftlich und defekt erhalten ist, doch sprachlich für die Originalfassung gehalten werden muß95. Obwohl auch hier große Verluste einzukalkulieren sind, scheint es deutlich zu sein, daß sich die Kanzlei so gut wie ausschließlich des Lateinischen bediente. Diese Tatsache war wohl durch das hochentwickelte lateinische Formular und das hohe Fachniveau des zuständigen Personals bewirkt worden, sodaß man lange Zeit kein Bedürfnis verspürte, zum Deutschen überzugehen. Denn trotz der überwiegend deutschen Bevölkerung in der Stadt, die in diesem Sinne Druck entwickeln konnte, entschloß man sich erst ziemlich spät zu deutschsprachigen Beurkundungen, jedenfalls viel später als in vergleichbaren mährischen Stadtkanzleien96. Denn die erste bekannte deutsche Olmützer Urkunde ist bei ununterbrochener Reihe der lateinischen Stücke97 erst mit dem 4. Juli 1411 datiert98. Aber auch nachher bleibt Latein bis tief ins 15. Jh. im Übergewicht. Auf sechs bekannte deutsche Stadturkunden der Zeit bis einschließlich 1419 kommt das Doppelte der lateinischen vor (wobei freilich alles nur ein Bruchstück der tatsächlich ausgestellten Stücke darstellt). Bei einem näherem Blick auf ihre Empfänger stellt man fest, daß deutsche Texte eher städtischen Empfängern bestimmt waren (d.h. in diesem Fall sind beide Sprachen etwa im Gleichgewicht). Bei den geistlichen Empfängern überwiegt das Lateinische – wie zu erwarten war – deutlich, obwohl es keineswegs ausschließlich angewandt wurde. Bei näherer Durchsicht der Bürgerurkunden kommen wir ungefähr zu dem gleichen Ergebnis.
Die Analyse des Olmützer Stadtbuchwesens dieser Zeit befindet sich mit dem, was über das Urkundengut gesagt wurde, in vollem Einklang. Das einzig erhaltene (und wohl auch einzig geführte) Buch für die Jahre 1343 bis 1420 enthält die Hauptagenda der Stadt mit sowohl zivil- als auch streitrechtlichem Inhalt99. Das fast ausschließlich lateinisch geführte Buch korrespondiert mit dem, was man über die Stadturkunden weiß100. Nach dem isolierten, jedoch sehr umfangreichen deutschen Eintrag von 1412, der einen Spruch im Streit von zwei Bürgern bringt, folgen ab 1415 weitere fünfzehn, die die gleichzeitigen zwölf – meist knappen – lateinischen in den Hintergrund drängen. Nicht nur der Anzahl, sondern besonders auch dem Umfang nach, obwohl sie keine integrale inhaltliche Gruppe darstellen101. Trotzdem drängt sich auch hier der Gedanke auf, ob das nicht mit der allgemeineren Verständlichkeit zusammenhing, da es alles Produkte eines einzigen Notars waren102.
Und noch eine interessante Feststellung ist anzuführen: Nämlich 1407 wurde eine Adelsurkunde für einen Olmützer Bürger, die mit dem städtischen Milieu event. sogar mit einem (nach Baletka wahrscheinlich erst späteren) Stadtschreiber in Zusammenhang gebracht wird103, tschechisch verfaßt, was über problemlose Tschechischkenntnisse in der Kanzlei ausweist.
Was schließlich Brünn104 – eine Stadt mit langer diplomatischer Tradition105 und Zentrale der Markgrafschaft Mähren sowie Residenz des Landesherrn – betrifft, ist zu sagen, daß die Lage nicht wesentlich anders war, gewisse Nuancen jedoch zu verzeichnen sind. Die königlichen Stadtprivilegien waren bis Mitte des 14. Jh. lateinisch. Das erste deutschsprachige Privileg stammt vom Markgrafen Johann erst aus dem Jahre 1352 und betrifft die Fleischersatzungen106. Hier hat der Inhalt den Ausschlag für die Benutzung der Volkssprache gegeben. Systematischer begannen sich die deutschsprachigen Texte erst ab 1381 durchzusetzen. Sie traten zunächst nur ab und zu auf, verdrängten aber bald das Lateinische, ohne daß dabei eruiert werden kann, ob das durch konkrete Umstände verursacht wurde. Der Grund könnte vielleicht im stetigen Wachstum des Selbstbewußtseins der dortigen Bürgerschaft107 liegen.
Über das Schriftwesen im Bereich der eigenen innerstädtischen Verhältnisse ist zu sagen, daß dort Latein führend war. Jedoch schon 1328 begann die deutsche Sprache, kursorisch in die stadtinternen Verhältnisse vorzudringen, wie es die Handelsverordnung aus diesem Jahr zeigt108. Erst um vier Jahre später ist isoliert ein weiteres deutschsprachiges Produkt der städtischen Kanzlei belegt, nämlich eine Bürgerurkunde109. Kurz nach Mitte des Jahrhunderts sind es dann mehrere Verordnungen, die das innere Leben der Stadt regulierten, jedoch keinen grundlegenden Wandel signalisierten110. Allgemeiner kommt hier die deutsche Sprache erst ab der ersten Hälfte der 80er Jahre zur Geltung, die lateinische bleibt jedoch sowohl in der Stadt als auch in der Bürgerurkunde immer gut vertreten. Der landesweit dominierende Stadtschreiber der Zeit, der berühmte Jurist Johann von Gelnhausen, hat sich bekanntlich auch große Verdienste um das Ordnen des Brünner Stadtarchivs erworben. Seine dorsualen Vermerke auf den von ihm evidierten Urkunden sind freilich ebenfalls stets lateinisch verfaßt111.
Zum Schluß noch zum bescheidenen urkundlichen Tschechisch im städtischen Brünn, denn im markgräflichen Bereich war die sprachliche Lage deutlich anders112. Hier handelt es sich besonders um die Stadturkunde von 1403 für einen tschechischen Adeligen, nämlich für Johann Puška von Kunstadt, dessen Familie zu denen gerechnet werden kann und muß, die ihre tschechische Muttersprache im urkundlichen Betrieb forsierten113. Deshalb ist es klar, daß hier die Person des Empfängers und dessen Wille richtungsweisend waren. Und noch eine weitere tschechische Urkunde des Brünner Stadtrates ist zu erwähnen, die jedoch erst nach Jahren (1417) an einen engen Verwandten des eben erwähnten Johanns, nämlich an Erhard Puška von Kunstadt, adressiert wurde. Da sie aufgrund des Befehles des mährisch-markgräflichen Unterkämmerers zu Stande kam, geschah das wahrscheinlich außerhalb des normalen Geschäftsganges der Brünner Stadtkanzlei, da am selben Tag an denselben Empfänger gleichlautende tschechische Urkunden der Städte Iglau und Jempnitz ausgestellt wurden und wohl alles als Empfängerausfertigung bezeichnet werden kann114. Nichtsdestoweniger heißt das, daß die Stadt (bzw. ihr Notar) Tschechisch verstehen mußte.
Die Brünner Stadtbücher sind ab 1343 erhalten, freilich auch nur sehr lückenhaft115, d.h. zuerst handelt es sich eigentlich nur um Steuerregister bzw. -bücher, die natürlich auch nur bruchstückhaft erhalten sind116. Mit Ausnahme des Memorialbuches ab 1343 und des Buches außerstreitiger Gerichtsbarkeit ab 1391 ist alles stets lateinisch, obwohl auch bei den beiden eben genannten Büchern Latein überwiegt. Auch muß das berühmte Rechtsbuch des Schreibers Johann erwähnt werden. Dessen Eintragungen sind bis auf zwei Ausnahmen stets lateinisch, da es sich um Kommunikation mit mehreren Städten und Märkten der breiten Umgebung in Form von Rechtsbelehrungen handelte, die in indifferentem Latein konzipiert wurden. Diese deutsche Ausnahmen sind jedoch interessant. Der ersten, bei der es sich um eine Rechtsbelehrung in Sachen Feldvermessung handelt, geht ein charakteristischer lateinischer Vermerk voraus: Cum in villis nec scriptorum nec literatorum habeatur copia, ideo subscripta iura agriculture deserviencia verbis vulgaribus, ut a rusticis intelligantur lucidius117. Die zweite inseriert dann den öffentlichen Spruch eines Brünner Büttels, der ebenfalls wegen der allgemeinen Verständlichkeit deutsch vorgetragen und dann in das Rechtsbuch eingetragen wurde118.
Nach dieser knappen Musterung der wichtigsten Städte ist noch aufgrund von Stichproben, die nicht einzeln dokumentiert werden können, zu den übrigen Städten zu sagen, daß im großen Rahmen gilt, daß die innerböhmischen Städte, so Beraun, Schlan und sicher auch andere, mit bedeutend wachsenden tschechischen Minoritäten bis zum Schluß des Beobachtungszeitraumes mit ganz wenigen Ausnahmen Latein präferierten, d.h. daß dort Deutsch ziemlich selten vorkam. Dagegen die überwiegend deutschen Städte in den Randgebieten bzw. innerhalb der Sprachinseln im Landesinneren in ihre Amtssprache mehr, jedoch zögernd, das Deutsche einfließen ließen, wobei Latein meist überwog. Festzustellen, inwiefern das gezielt geschah, entzieht sich jedoch unseren Möglichkeiten, wobei der Einfluß der Stadtnotare sicher der entscheidende war, obwohl die Sprachenwahl auch doch von den Mitbeteiligten beeinflußt werden konnte. Das muß jedoch stets konkret eruiert werden119.
Die genauere Analyse des gesamten mit der Sprachenbenutzung zusammenhängenden Fragenkomplexes wäre sehr wünschendwert. Dafür ist jedoch noch nicht entsprechendes Material gesammelt und gesichtet worden, ich denke jedoch, daß sich die Schlüsse nicht allzu sehr unterscheiden würden von dem, was hier aufgrund des Untersuchten formuliert wurde. Zuerst muß an die anfangs angedeutete Aufteilung der Städte angeknüpft werden, da schon die Größe der Stadt zum Teil die Antwort andeutet. Denn es war üblich, daß sich die Städte der “ersten” und event. der “zweiten Kategorie” hochqualifizierte Spezialisten leisten konnten, die auch entsprechend umfassende Latein- und Rechtkenntnisse besaßen. Das war freilich nur eine Komponente des Prozesses der Sprachenbenutzung, denn immer haben auch noch andere Momente ihre Rolle gespielt, vornehmlich die Stellung und Wille der außerstädtischen Empfänger in der Verhandlungsphase. Auch hier gab es jedoch eine breite Palette von Möglichkeiten, wobei die weltlichen Empfänger (auch differenziert) wohl öfter anders reagierten als die kirchlichen. Was dann den Herrscher betraf, der zu einem der vornehmsten Partner im schriftlichen Verkehr zählte und sicher auch der gewichtigste war, so war auch bei Urkunden und Geschäftsbriefen auf Namen der großen Städte – vor allem dann, wenn es sich herrscherseits um eine Serienausfertigung handelte –, eine Empfänger- also Hofkanzleiausfertigung ohne weiteres auch bei organisierten Stadtkanzleien möglich120. Bei kleineren Städten passierte es öfter, besonders in den älteren Zeiten und bei Empfängern mit konsolidierten kanzellarischen Verhältnissen, dass sie bei gegenseitiger Kommunikation eine konkrete Sprache auswählten. Was dann den innerstädtischen Betrieb betrifft, galten auch subjektive Kriterien, sodaß nach einem kurzlebigen Vordringen der deutschen Sprache (für die tschechische gilt es wegen ihres späteren Eintritts nicht) wieder zu Latein zurückgekehrt werden konnte. Hier ist besonders eine Gattung ziemlich spezifisch gewesen, nämlich die Publikation von verschiedenen Stadt- bzw. Zunftordnungen, wo es um breite Rezeption und Resonanz ging, die nur die Muttersprache vermitteln konnte. Erst die Folgezeit, die nicht Gegenstand dieser Überlegungen ist, brachte einen Umbruch und führte zur breiten Benutzung der Volkssprachen in allen möglichen Gattungen dieses Verwaltungsgutes, wobei das Lateinische immer noch nicht völlig das Feld geräumt hatte. Das Sichdurchsetzen des Tschechischen in vielen im fortschreitenden 14. Jh. tschechisierten und sich tschechisierenden Städten, besonders im breit gefaßten Landesinneren Böhmens, ist ein charakteristisches Phänomen des Wandels in der Benutzung der Sprachen, das erst systematisch erforscht werden muß121.
Schlußbemerkung
Zum Schluß sind noch zwei relativ autonome Fragenumkreise zu erwähnen, die zwei ziemlich spezifischen Quellen gelten. Diese würden jedoch, obwohl sie zu unserem Problemumkreis gehören, separate Bearbeitung erfordern. Erstens ist das die Frage der Funktion und Verbreitung der Formelbücher im städtischen Milieu, freilich im breiteren Rahmen der bohemikalen Gesamtentwicklung, die mit Stilanalysen des entsprechenden diplomatischen Gutes zusammenhängen. Alle Texte der spätpřemyslidischen Zeit und des höfischen und bischöflichen Prager Umfeldes sind lateinisch, ebenfalls auch das sog. St. Pauler Formelbuch mit mehreren städtischen Formeln122. Als weitaus ältestes direktes städtisches Produkt dieser Gattung gilt das sog. Troppauer Formelbuch der Prager Nationalbibliothek aus der Frühzeit Johanns von Luxemburg123, das der oberschlesischen Stadt Troppau gehört. Seine lateinische Form überrascht um diese Zeit nicht, was auch auf etliche städtische Formeln in anderen Formelbüchern nichtstädtischen Charakters zutrifft. Aus der Zeit Karls IV. kennen wir trotz der Fülle der Formelbücher des höfischen bzw. Prager erzbischöflichen Milieus vorläufig kein diesbezügliches ausgesprochen städtisches Material. Erst in den Anfängen König Wenzels Zeit tauchen kleinere Formelbüchersammlungen mit städtischem Material auf (so in dem sog. Přimda-Formular124, wo jedoch nur kleinere Teile mit städtischer Provenienz im Zusammenhang stehen). Als wichtigste derartige Quelle gelten die Saazer Formelbücher vom Ende des 14. Jh., die ebenfalls nur lateinische Texte aufweisen125. Bohemikale deutschsprachige Formelbücher gibt es bis auf eine Ausnahme, die darüber hinaus die städtischen Verhältnisse nicht berührt, kaum126. Die Spätzeit Wenzels IV. dagegen bringt mehrere, zum großen Teil bisher nur wenig erforschte Formelbücher nicht nur städtischer Herkunft, sondern auch direkt in tschechischer Sprache mit sich. Diese beziehen sich besonders auf die Prager Verhältnisse und kulminieren in der Zeit der hussitischen Revolution. Da ich ihnen in Übersicht schon vor Jahren Aufmerksamkeit gewidmet habe und hier kaum Platz für eine ausführlichere Analyse ist, muß dieser Hinweis genügen127.
Zweitens handelt es sich um die wichtigen Traktate des Neustädter Prager Stadtnotars und “Universitätslektors” Prokop, die den Inhalt seiner universitären Vorlesungen wiedergeben: das lateinische Praxis cancellariae und das tschechische Ars dictandi128. Beide Werke sind zwar Produkte aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, schöpfen aber aus älterem Material. Während die Praxis überwiegend Latein bevorzugt und sich an den Stadtbucheinträgen orientiert, ist es bei der Ars dictandi anders, da dort tschechische Urkundenmuster geboten werden, z. T. über das städtische Milieu hinaus. Die kanzellarischen Bräuche wurden durch die Praxis jedoch nur z. T. beeinflußt129, da die erhaltenen Trümmer des buchartigen städtischen Materials Tschechisch bevorzugten130.
Nach der fast vollständigen Tschechisierung der Prager Städte am Anfang der hussitischen Revolution verschwindet die deutsche Sprache sowohl dort als auch in anderen hussitisch gewordenen Städten so gut wie völlig, auf der anderen Seite aber setzt sie sich in den überwiegend deutschsprachigen und meist katholisch gebliebenen Städten in größerem Maße als früher durch.
Obwohl die Untersuchung der sprachlichen Verhältnisse in den böhmisch-mährischen städtischen Kanzleien keinen eindeutigen Gesamteinblick gegeben hat und auch nicht geben konnte, kann man doch in dem Sinne zusammenfassen, daß es ein dankbares Thema ist, das die Wandlungen und Spannungen zwischen dem gelehrten Latein und den volkstümlichen Landessprachen im Laufe von mehr als hundert Jahren deutlich zeigt – zuerst in gewisser Konkurrenz des Lateinischen mit dem Deutschen, später auch mit dem Tschechischen. Das Ringen zwischen Deutsch und Tschechisch nimmt erst nach 1420 deutlichere Züge.
Die drei oben verfolgten Aspekte stehen einerseits im gewissen Einklang, sind andererseits aber auch öfter in Konkurrenz. Sie zeigen jedoch ganz eindeutig, daß die Städte im centrum rerum standen und sich zwar einerseits beeinflussen ließen, andererseits aber zugleich auch selbst massiv ihre Umgebung beeinflussten, ja prägten. Bei näherer Betrachtung der rund 40 Städte – hier wurde zwar nur rund ein Sechstel von ihnen knapp gemustert, aber dieses Sechstel hatte bedeutend mehr Material als der gesamte Rest produziert – müsste man sich noch detaillierter auf regionale Spezifika konzentrieren, besonders bei denen, die schon seit der Frühzeit deutlicher mit dem tschechischen Element besiedelten Städten, wie z.B. Pilsen, Beraun, Schlan oder Melnik, die ihren Gegenpol in Städten wie Aussig, Brünn oder Iglau und Znaim hatten. Ein spezifisches Element stellt Kuttenberg dar.
In der Erforschung des sprachlichen Elementes im diplomatischen Material hat die junge Forschergeneration, besonders die der regional orientierten Mediävisten schon wichtige Schritte gemacht, doch bleiben viele, ja meiste spezifische Probleme zu erörtern und zu lösen. Das gilt umso mehr, da die Quellen äußerst bruchstückhaft erhalten sind. Jedoch auch die Untersuchung dieses Phänomens in der frühen Neuzeit, das jedoch stets strukturiert analysiert werden muß, verspricht hier eine ziemlich reiche Ausbeute nicht nur für die Diplomatik, sondern auch für die Verwaltungs- und Kulturgeschichte im weitesten Sinne des Wortes.