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[p. 5] Entstehung und Anfänge der städtischen Kanzlei in Regensburg vor dem Hintergrund der wechselnden stadtherrlichen Verhältnisse

Ein Referat über die Anfänge der städtischen Kanzlei Regensburgs im 13. Jahrhundert kann nicht ohne einleitende Hinweise auf die sich ständig verändernden Herrschafts- und Verfassungsstrukturen der Stadt in den 70 Jahren zwischen 1180 und 1250 bleiben, unter welchen sich die Ausbildung der bürgerschaftlichen Autonomie vollzog. Bewußt wird hier von einer “städtischen” und nicht von einer “bürgerschaftlichen” Kanzlei gesprochen, weil die Frage, ob und wie weit diese auch eine Kanzlei der Bürgerschaft war, zumindest für die Zeit ihrer Anfänge in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts nicht eindeuting zu beantworten ist. Vieles spricht dafür, daß es sich zunächst um die Kanzlei einer stadtherrlich organisierten Administration handelte, die unter Bischof Konrad IV. (1204-1226) eine bischöfliche geworden war und sich sukzessive über das ganze Territorium der Stadt und ihrer Bürger erstreckte. Erst nach einem längeren Emanzipationsprozeß, der bis über das stadtgeschichtliche Epochenjahr 1245 hinaus andauerte, wurden diese Verwaltung und ihre Kanzlei Einrichtungen der autonom gewordenen reichsstädtischen Bürgerschaft. Ihre Wurzeln in der Zeit vor 1245 und ihre personelle Kontinuität über die Wende von 1245 hinaus machen die Anfangsjahrzehnte dieser städtischen Kanzlei in besonderer Weise interessant und bemerkenswert. Dabei ist folgendes zu bedenken : So wie ihre frühe Entwicklung von den sich verändernden stadtherrlichen Verhältnissen geprägt wurde, bilden umgekehrt alle Beobachtungen zu ihrer Frühgeschichte auch wichtige Indizien für den jeweiligen Stand der stadtherrlichen Verhältnisse. Insofern ist die Beschäftigung mit der Geschichte der städtischen Kanzlei kein Selbstzweck, sondern auch ein Mittel, um die Entwicklung der stadtherrlichen Verhältnisse noch genauer in den Blick zu bekommen1. Keiner besonderen Erläuterung [p. 6] bedarf es, daß die alte Handels- und Fernhandelsstadt Regensburg die einzige unter allen Städten im Raum des bayerischen Stammesherzogtums war, die schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine städtische Kanzlei ausbilden konnte. Es zeigt sich hier die noch bis weit in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts fortdauernde Vorrangstellung Regensburgs als bayerische Metropole.

Die staufisch-wittelsbachische Stadtherrschaft 1180-1205

Die Jahre nach dem Sturz Herzog Heinrichs des Löwen 1180 waren die Zeit eines epochalen Umbruchs in der Stadtgeschichte Regensburgs. Begünstigt auch durch das Erlöschen des Regensburger Burggrafengeschlechts im Jahre 1185 waren dies die Jahre einer fast unumschränkten Stadtherrschaft Kaiser Friedrich Barbarossas und Kaiser Heinrichs VI.2. Auch die Bürger waren Nutznießer der staufischen Stadtherrschaft. Sie wurden in ihren wirtschaftlichen und Handelsinteressen wirksam gefördert, allerdings nicht am Stadtregiment beteiligt. Trotzdem sind hier die Anfänge ihrer Autonomiebestrebungen zu sehen, die dann nach 1245, unter anderen politischen Vorzeichen, aber ebenfalls mit Hilfe eines staufischen Kaisers, ans Ziel gelangten.

Mit Beginn des Thronstreits zwischen Staufern und Welfen 1198 fand die 1180 begründete staufische Stadtherrschaft ihr vorläufiges Ende. Vermutlich hatte sie König Philipp von Schwaben in bedrängter Lage dem jungen wittelsbachischen Herzog Ludwig, einem getreuen Gefolgsmann der Staufer, überlassen, der nun als neuer Stadtherr in Erscheinung tritt3. Vor allem waren [p. 7] es die Rechte der Burggrafschaft und der Besitz des Herzogshofs, die neben älteren herzoglichen Münz- und Zollrechten die herzogliche Stadtherrschaft begründeten. Kaum einen Anteil an der Stadtherrschaft hatte noch der Regensburger Bischof. Der stadtherrliche Machtzuwachs des Herzogs war für ihn jedoch alarmierend. 1203 kam es zwischen beiden zum Krieg, in dem es nicht zuletzt auch um die beiderseitigen Ansprüche auf die Stadtherrschaft ging. Dabei hatte sich der Bischof mit dem Salzburger Erzbischof verbündet, der sich ebenfalls am Krieg beteiligte, so daß der Herzog schwer in Bedrängnis geriet4. Im Vertrag von 1205, mit dem der Krieg beendet wurde, vereinbarten Herzog und Bischof eine hälftige Teilung der stadtherrlichen Rechte. Es war dies ein Erfolg des Bischofs, der nun erstmals als ein dem Herzog gleichberechtigter Stadtherr begegnet, sich mit diesem Erfolg aber nicht zufrieden gab, sondern nach dem Vorbild anderer Bischofsstädte nach der alleinigen Stadtherrschaft strebte5.

Die Stadtherrschaft Bischof Konrads IV. (1204-1226)

Bischof Konrad IV. aus dem Geschlecht der Grafen von Frontenhausen war ein ebenso machtbewußter wie politisch kluger und durchsetzungsfähiger Mann6. Da er sich allein nicht gegen den Herzog hätte behaupten können, suchte er das Bündnis mit dem staufischen Königtum, zunächst mit dem wiedererstarkten König Philipp von Schwaben, dessen Hofkanzler er 1205 wurde. Philipp freilich hatte ebenfalls die Absicht, auf der Grundlage seiner neubefestigten Position an die Politik seiner Vorgänger Friedrich Barbarossa und Heinrich VI. anzuknüpfen und die ehemals staufische Stadtherrschaft neu zu begründen. In dieser Absicht gab er den Regensburger Bürgern am 9. März 1207 ein Rechtsprivileg, mit dem er ihnen die von seinem Vater und Bruder verliehenen Rechte bestätigte, aber auch neue [p. 8] Rechte verlieh7. Wichtigste Neuverleihung war das den Bürgern zugestandene Recht, den Hansgrafen, einen ehemals stadtherrlichen Beamten, selbst zu wählen. Weitergehende Befugnisse, vor allem die Wahl eines Rats, blieben den Bürgern jedoch weiterhin verwehrt, so daß sich das Privileg Philipps noch ganz in den Bahnen seiner beiden Vorgänger Friedrich Barbarossa und Heinrich VI. bewegte, die die Bürger zwar in ihren rechts- und handelspolitischen Interessen gefördert, ihnen aber keine Teilhabe am Stadtregiment zugebilligt hatten. Philipps stadtherrliche Bestrebungen blieben freilich Episode, weil er schon ein gutes Jahr später, am 21. Juni 1208, in Bamberg ermordet wurde.

Von neuem standen sich nun in Regensburg Herzog und Bischof als Kontrahenten gegenüber, wobei der Herzog, der als erster unter den deutschen Fürsten das Königtum des welfischen Gegenkönigs Otto IV. anerkannt hatte, im Vorteil zu sein schien, weil Bischof Konrad IV. seinen staufischen Verbündeten verloren hatte. Die Lage des Bischofs verbesserte sich jedoch sofort, als am 9. Dezember 1212 mit Friedrich II. wieder ein Staufer zum deutschen König gewählt wurde. Sofort schloß sich der Bischof dem jungen Staufer an, der schon an Lichtmeß des Jahres 1213 einen königlichen Hoftag nach Regensburg einberief8. Das Bündnis mit Friedrich II. erwies sich für den Bischof als erfolgreicher als das mit Philipp, der zuletzt selbst stadtherrliche Ansprüche angemeldet hatte. Von König Friedrich II. erhielt der Bischof am 25. November 1219 ein Privileg, das ihm eine umfassende, allein vom Reich abgeleitete Stadtherrschaft übertrug : volentes eandem civitatem universaliter sub antiquo iure ipsum (i. e. episcopum) respicere imperio conservandam9. Im Prinzip hielt auch Friedrich II. am Anspruch einer königlichen Stadtherrschaft fest, verzichtete aber auf deren unmittelbare Ausübung, sondern übertrug sie treuhänderisch dem Bischof, der damit in den Besitz einer rechtlich nur noch schwer angreifbaren, umfassenden (universaliter) Stadtherrschaft gelangte. Der Herzog zeigte sich dieser Koalition nicht gewachsen und schied nun als Stadtherr so gut wie vollständig aus.

Enttäuschend war die Entwicklung für die Regensburger Bürger, die sich von einer bischöflichen Stadtherrschaft nur wenig versprachen und entschiedene [p. 9] Gegner dieser Stadtherrschaft waren. Zeitweise hatten sie sich mit dem Herzog gegen den Bischof verbündet, doch mußte der Herzog in einem neuen Vertrag mit dem Bischof 1213 dieses Bündnis wieder lösen, das im übrigen ohne erkennbare Wirksamkeit geblieben war. Die Gegnerschaft zur bischöflichen Stadtherrschaft führte schließlich auch zu einer Gegnerschaft der Bürger zu den bischöflichen Ministerialen, denen seit der Aufrichtung der bischöflichen Stadtherrschaft Stadtverteidigung, innerstädtische Friedenswahrung und sonstige administrative Aufgaben auf dem gesamten städtischen Territorium oblagen10. Die Ministerialen gehörten dem Ritterstand an und bezeichneten sich bevorzugt als milites bzw. milites urbis. Sie waren erkennbar in eine Hierarchie eingebunden, an deren Spitze seit etwa 1220 Gozwin de Porta stand, dessen Nachfolger 1243 der magister civitatis Otto Prager wurde, der seit 1244 als magister civium in den Quellen begegnet11. Es war dies das Amt des Bürgermeisters, das aus dem Aufgabenbereich der bischöflichen Ministerialen heraus entstanden ist und von einem bischöflichen Ministerialen wahrgenommen wurde. Die cives hatten auf seine Besetzung keinen Einfluß.

Führung und Gebrauch des ersten Stadtsiegels

In dieser von der Stadtherrschaft Bischof Konrads IV. geprägten Periode der Stadtgeschichte tauchen erstmals Urkunden auf, die von einem Siegel besiegelt bzw. mitbesiegelt wurden, das in den Siegelankündigungen der Urkundentexte als Siegel der Bürger bzw. der Stadt bezeichnet wird. Das Siegelbild zeigt einen thronenden hl. Petrus mit dem Petrusschlüssel in der (heraldisch) rechten Hand, die in nicht gespiegelter Schrift eingravierte, d. h. auf den Siegelabdrücken in Spiegelschrift erscheinende Siegelumschrift lautet : P(ER) CLAVES CELI RATA S(UN)T INSIGNIA PETRI. Der in Siegelbild und Siegelumschrift angesprochene hl. Petrus war der Patron der Regensburger Bischofskirche, weshalb eine Beziehung des Siegelführers zum Regensburger Bischof naheliegt12. Es sind die Siegelankündigungen der Urkundentexte, die dieses Siegel als städtisches Siegel zu erkennen geben und wie folgt lauten : sigillum civium (1211, 1226), sigillum civitatis Ratispone (1220), sigillum burgensium (1221), sigel der burgere tzu Regenspurg (spätere [p. 10] deutsche Übersetzung einer wohl lateinischen Urkunde von 1225)13. Insgesamt sechs Urkunden aus der Regierungszeit Bischof Konrads IV. sind bekannt, die mit diesem Siegel besiegelt bzw. mitbesiegelt wurden, davon sind noch drei im Original überliefert. Die älteste Urkunde stammt aus dem Jahr 1211, die jüngste aus dem Jahr 1226. Aussteller von drei Urkunden war Bischof Konrad IV., Aussteller von jeweils einer Urkunde der bischöfliche Ministeriale Haward von Eitting und Herzog Ludwig I. von Bayern14.

Nur eine der sechs Urkunden, und deshalb die hier am meisten interessierende, wurde allein mit dem städtischen Siegel besiegelt. Sie stammt von 1213 und betrifft die Erbteilung zwischen zwei Schwestern, von welchen die eine ein Haus in Regensburg, die andere ein Gut in Harde, einem nicht eindeutig zu lokalisierenden Ort in der Nähe von Regensburg, zugesprochen erhält, wobei die in Frage stehende Urkunde speziell die in presentia burgensium vollzogene Besitzübergabe des Hauses in Regensburg an eine der beiden Schwestern bzw. die Verzichtleistung der anderen Schwester auf dieses Haus zum Inhalt hat15. Die mit dem städtischen Siegel beglaubigte Beurkundung des Besitzübergangs eines Hauses in der Stadt könnte zwar den Gedanken an eine Urkunde wecken, die aus einer städtischen, wenn nicht gar bürgerschaftlichen Kanzlei stammt, doch trifft diese Annahme nicht zu. Schreiber der Urkunde ist vielmehr der zwischen 1189 und 1228 nachweisbare Regensburger Domkanoniker Ulrich, dessen Hand Matthias Thiel nicht weniger als sieben Urkunden zuweisen kann16.

Nicht unerwähnt soll bleiben, daß die Urkunde von 1213 keinen Austeller nennt, sondern nach Art einer Traditionsnotiz in objektiver Form abgefaßt ist17. Sie steht damit dem Typus der besiegelten Traditionsnotiz18 nahe. Nur die den Traditionsnotizen eigentümliche Identität von (nicht genanntem) Urkundenaussteller und Empfänger ist hier nicht gegeben. Die einleitende verbale Invokatio, die bei besiegelten Traditionsnotizen öfters anzutreffen ist19, evoziert den Typus der entwickelteren Siegelurkunde. Charakteristisch für das Formular der Traditionsnotizen ist die große Zahl namentlich genannter wie auch der in einer “alii-quamplures”-Formel zusammengefaßten [p. 11] ungenannten Zeugen, die die Öffentlichkeit des Rechtsgeschäfts herzustellen hatten20. Eine solch umfängliche Zeugenliste mit “alii-quamplures”-Formel weist auch die Urkunde von 1213 auf. Der Spitzenzeuge Heinricus de Capella war bischöflicher Ministeriale und spielte eine führende Rolle innerhalb der Administration der bischöflichen Stadtherrschaft21. Offensichtlich handelt es sich bei dem vorliegenden Urkundentypus um eine Mischform zwischen Siegelurkunde und Traditionsnotiz, dessen Formular sich nicht zuletzt deshalb angeboten haben dürfte, weil es das Problem der Benennung eines Ausstellers zu umgehen erlaubte.

Zuletzt stellt sich sowohl bei der Urkunde von 1213 als auch bei den mit dem städtischen Siegel nur mitbesiegelten Urkunden die Frage nach dem städtischen Siegelführer. Die aus Siegelbild und Siegellegende zu erschließende Nähe des Siegels zum Regensburger Bischof träfe auf den Urkundenschreiber von 1213, den Domkanoniker Ulrich, ebenso zu wie auf die Spitzenzeugen, nämlich den bischöflichen Ministerialen Heinricus de Capella bzw. dessen Nachfolger. Es ist das Gesamtbild der Zeugenreihen aller mit dem städtischen Siegel besiegelten bzw. mitbesiegelten Urkunden, das es nahelegt, die als laikale Spitzenzeugen begegnenden bischöflichen Stadtministerialen und nicht den Domkanoniker Ulrich als Siegelführer anzusehen. Denn nicht in allen Urkunden werden der Domkanoniker Ulrich oder andere Domkanoniker, wohl aber hochrangige Angehörige der bischöflichen Stadtministerialität als Zeugen genannt22. In den drei ältesten Urkunden von 1211 bis 1220 sind es Rupert Kärgl und Heinricus de Capella, in der Urkunde von 1220 erstmals auch der Ministeriale Gozwinus de Porta, hier noch hinter Heinricus de Capella, seit 1221 aber dann allein, die die Spitze der bischöflichen Ministerialität bilden und als Siegelführer in Betracht kommen. Von Gozwin de Porta wissen wir, daß er ein stadtherrliches Amt bekleidete, das dem 1243 erstmals belegten Bürgermeisteramt entsprach23. Das als sigillum civium bzw. sigillum burgensium angekündigte Siegel, das 1220 aber auch in zutreffenderer Weise als sigillum civitatis Ratispone bezeichnet wird, wäre demnach das der den bischöflichen Ministerialen übertragenen, vom bischöflichen Stadtherrn abhängigen städtischen Administration gewesen, die sich über das ganze städtische Territorium erstreckte. Inwieweit es schon die Idee einer Stadt- bzw. Bürgergemeinde [p. 12] als eigenständiger Rechtspersönlichkeit repräsentierte, ist schwer zu entscheiden. Die Ankündigung als sigillum civium bzw. burgensium ist jedoch irreführend, denn das Siegel war nicht das einer autonomen Bürgerschaft. Die gewiß nicht unabsichtlich gewählten Bezeichnungen sind wohl so zu erklären, daß sich Bischof Konrad IV. als Herr auch über die Bürger der Stadt betrachtete, von der er 1226 als “seiner Stadt” sprach24. Festzuhalten bleibt auch, daß eine Besiegelung von Rechtshandlungen der Stadtgemeinde in eigener Sache (z. B. An- und Verkauf städtischen Grund und Bodens) noch nicht feststellbar ist. Die Verwendung des städtischen Siegels galt vielmehr nur der Beglaubigung oder Mitbeglaubigung von Rechtshandlungen und Rechtsgeschäften anderer Personen oder Institutionen. Manche dieser Rechtshandlungen waren freilich, wie z. B. die von Bischof Konrad IV. 1226 getroffenen Bestimmungen für das Katharinenspital am Fuß der Steinernen Brücke25, von allgemeiner bzw. öffentlicher Bedeutung und erklären auch von daher den Mitgebrauch des städtischen Siegels. Schließlich kam dem städtischen Siegel öffentlicher Glaube zu, weshalb es auch zur Beglaubigung der Rechtsgeschäfte von Privaten herangezogen wurde, wie das Beispiel der oben abgehandelten Urkunde von 1213 deutlich macht.

Trotz der frühen Verwendung eines städtischen Siegels seit 1211 fehlen noch jegliche Indizien für die Existenz einer mit der Erstellung von Urkunden befaßten Kanzlei der städtischen Administration des Bischofs bzw. der bischöflichen Ministerialen. Hier konnte im Bedarfsfall auf Schreiber der bischöflichen Kanzlei zurückgegriffen werden, wie die vom Domkanoniker Ulrich geschriebene Urkunde von 1213 beweist. Der Gebrauch eines städtischen Siegels durch die Administration der bischöflichen Stadtherrschaft schon seit mindestens 1211 ist im übrigen ein singulärer Vorgang unter allen Städten Altbayerns. Erst mit beträchtlichem zeitlichen Abstand folgen die jeweils ältesten Nachweise für den Gebrauch eines städtischen Siegels in Augsburg (1237), München (1239), Salzburg (1249), Weilheim (1261), Landau a.d. Isar (1263), Passau (1298), Freising (1330) usw.26.

[p. 13] Die Stadtherrschaft Bischof Siegfrieds (1227-1245)

Eine deutlich wahrnehmbare Zäsur in der Verwaltungsstruktur der Stadt brachte der nicht undramatisch verlaufene Herrschaftswechsel von Bischof Konrad IV. auf Bischof Siegfried 1226/2727. Die bischöflichen Ministerialen, die sich an der Wahl des Bischofs beteiligen durften, hatten nach dem Tod Bischof Konrads IV. in tumultuarischer Weise zusammen mit einer Minderheit des Domkapitels dem schon betagten Dompropst Gottfried zur Wahl verholfen, doch hintertrieben die Mehrheit des Domkapitels und die handel- und gewerbetreibenden Bürger diese Wahl und erlangten vom Papst eine Neuwahl, die dann auf den Mainzer Domkantor Siegfried, einen Großneffen des Mainzer Erzbischofs Siegfried II., fiel28. Zwar hielt auch Bischof Siegfried an der bischöflichen Stadtherrschaft konsequent fest, doch war ihm ebenso an einem Ausgleich mit den Bürgern gelegen. Vor allem war er bereit, sie im Interesse einer Befriedung der Stadt und wohl auch in Hinblick auf ihre finanziellen Möglichkeiten an der städtischen Verwaltung zu beteiligen29.

Ein erstes Ergebnis dieser neuen Politik ist das Privileg Kaiser Friedrichs II. von 1230 für die Regensburger Bürger, das sie mit Zustimmung Bischof Siegfrieds erhielten30. Es bestätigte ihnen ihre althergebrachten Rechte und gewährte ihnen auch neue, aber nicht die Erlaubnis zur Wahl eines Rates. Daß genau hier die Grenze der bischöflichen Kompromißbereitschaft lag, ergibt sich auch daraus, daß sich der Bischof das vom Kaiser auf dem Hoftag von Ravenna 1231/32 erlassene Verbot der Einsetzung städtischer bzw. bürgerschaftlicher Räte, Bürgermeister und sonstiger Amtspersonen in den Bischofsstädten 1232 auch für Regensburg bestätigen ließ31. Trotz dieser herrschaftlichen Rahmenbedingungen, unter welchen das Verhältnis zwischen Bischof und Bürgern auch unter Bischof Siegfried grundsätzlich gesehen werden muß, gibt es jetzt doch erste Hinweise auf eine Mitbeteiligung der Bürger in städtischen Angelegenheiten, vor allem auf dem Gebiet der Steuer- und Zollverwaltung sowie der Stadtverteidigung. So werden sie im Friedrich-Privileg [p. 14] von 1230 für die Festsetzung von Steuern für zuständig erklärt, auch durften sie nach einem gleichzeitig gewährten Privileg des Kaisers sechs Jahre lang einen Zoll für Zwecke der Stadtverteidigung erheben, wenn auch im Benehmen mit dem Bischof32. Günstig für eine verstärkte Beteiligung der cives an den städtischen Aufgaben war aber auch ein Ausgleich zwischen diesen und den bischöflichen Ministerialen, der vor allem deshalb möglich wurde, weil beide Personengruppen überzeugte Anhänger des staufischen Kaisers waren33.

Das die cives begünstigende neue politische Klima in der Stadt findet seinen Ausdruck im Begriff der seit 1229 in Erscheinung tretenden universitas civium, unter deren Namen 1229, 1236 und 1244 erstmals Urkunden ausgefertigt werden34. Das städtische Siegel wird noch überwiegend als sigillum civium angekündigt, in zwei Urkunden von 1236 und 1238 aber auch schon als sigillum universitatis civium35. Bei aller Vorsicht, die die fortdauernde bischöfliche Stadtherrschaft gebietet, scheint die universitas civium ein Gremium gewesen zu sein, das die bischöflichen Ministerialen ebenso wie die Bürger umfaßte und das den Anspruch erhob, für die ganze Stadtgemeinde zu handeln36. Die übergeordnete bischöfliche Stadtherrschaft kommt dabei darin zum Ausdruck, daß in zwei bischöflichen Urkunden von 1233 und 1238 von den dilecti cives nostri bzw. der universitas civium nostrorum gesprochen wird37. Auch lassen die Zeugenlisten erkennen, daß die bischöflichen Ministerialen, an deren Spitze bis zu dessen mutmaßlichem Ableben 1242 immer Gozwin de Porta stand, in diesem Gremium die unbestrittene Führung besaßen. Die Repräsentanz einer autonomen Bürgerschaft war die universitas civium also noch nicht, doch sind ihre zunehmenden Verselbständigungsbestrebungen gegenüber dem stadtherrlichen Bischof, vor allem in den kritischen Jahren nach 1240, nicht zu übersehen.

Die Anfänge der städtischen Kanzlei unter der Regierung Bischof Siegfrieds

Es fügt sich in das Gesamtbild der Entwicklung, daß die ersten Anfänge einer städtischen Kanzlei in die Regierungszeit des bürgerfreundlichen [p. 15] Bischofs Siegfried fallen. Man kann sie sich nur als die Kanzlei des gemischten ministerialisch-bürgerschaftlichen Gremiums der universitas civium vorstellen, in dem die Ministerialen zwar die Führung besaßen, die cives aber ebenfalls vertreten waren. 1233 und 1236 begegnet erstmals in der Person eines Friedrich ein notarius civium bzw. notarius universitatis civium38. Allerdings sind keine Urkunden überliefert, die von ihm geschrieben wurden oder wenigstens als Produkte einer städtischen Kanzlei angesehen werden können. Auch die beiden 1229 und 1236 im Namen der universitas civium ausgefertigten Urkunden waren keine Produkte einer städtischen Kanzlei, sondern müssen als Empfängerausfertigungen gelten39. Es ist des-halb eine offene Frage, ob schon zur Zeit dieses Notars die Existenz einer städtisch-bürgerschaftlichen Kanzlei unterstellt werden kann, zumal gleich-zeitig mit dem Notar Friedrich auch ein preco civium Friedrich zu belegen ist, der mit dem Notar personengleich sein könnte, dessen Aufgabenspektrum aber niedriger anzusetzen ist40. Andererseits könnte man aber auch die Meinung vertreten, daß die Amtsbezeichnung notarius civium bzw. universitatis civium inhaltlich so eindeutig festgelegt ist, daß sie ohne das ihr entsprechende Amt nicht gedacht werden kann. Im übrigen wäre vor dem Hintergrund der allge-meinen Verfassungs- und Herrschaftsgeschichte der Stadt die Einrichtung einer städtischen Kanzlei um 1233 ebenso denkbar wie ab 1242.

Mit der Berufung des Notars Äzilin, der seit 1242 als notarius civium begegnet, kam es definitiv zur dauerhaften Einrichtung einer eigenständigen Kanzlei der universitas civium, verbunden mit dem Erwerb eines Rathauses, das als domus civium erstmals 1244 genannt wird41. Beides, die Erstnennung des Notars Äzilin wie auch des Rathauses, fallen in die Endzeit der Regierung Bischof Siegfrieds und sind auch Belege für die wachsende politische Distanz zwischen dem stadtherrlichen Bischof auf der einen und seinen Ministerialen ebenso wie den Bürgern auf der anderen Seite bzw. für deren sich verstärkende politische Autonomie. Dem entspricht, daß das von Äzilin verwendete Urkundenformular aus dem Kloster St. Emmeram und nicht aus der bischöflichen Kanzlei entlehnt wurde, d. h. aus einer dem Bischof traditionell entgegengesetzten geistlichen Institution. Äzilin blieb bis 1254 städtischer Notar, also über die Herrschaftszäsur von 1245 hinaus auch in den [p. 16] Anfangsjahren der neu errungenen bürgerschaftlichen Autonomie, was ihn von Anfang an als einen Mann und Funktionsträger der Bürgerschaft zu erkennen gibt.

Aus der Zeit zwischen 1245 und 1254, also während der Amtierung des Stadtschreibers Äzilin, sind insgesamt 18 Urkunden überliefert, die in der städtischen Kanzlei hergestellt wurden42. Von diesen 18 Urkunden haben 10 die universitas civium zum Aussteller. Bei 7 von 8 Urkunden aus der städtischen Kanzlei, die unter dem Namen verschiedener anderer Aussteller ausgefertigt wurden, war das Regensburger Katharinenspital, das enge Beziehungen zur Bürgerschaft hatte, der Empfänger43. Offensichtlich war die städtische Kanzlei zur damaligen Zeit die bevorzugte Beurkundungsstelle für das Katharinenspital gewesen. Die achte dieser Urkunden anderer Aussteller beinhaltet den Spruch eines Schiedsrichterkollegiums, das ausschließlich aus Mitgliedern des Regensburger Domkapitels bestand, zugunsten der Deutschordenskommende in Regensburg44. Nur einmal war eine Urkunde, die unter dem Namen der universitas civium ausgestellt wurde, kein Produkt der städtischen Kanzlei, sondern eine Empfängerausfertigung des Klosters Prüfening45. 11 der in der städtischen Kanzlei hergestellten 18 Urkunden wurden vom Notar Äzilin selbst geschrieben. Sie lassen in ihren äußeren Merkmalen das Vorbild der “Litterae cum filo serico” der päpstlichen Kanzlei erkennen46. Die übrigen Urkunden stammen von der Hand von vier weiteren, oft nur kurzzeitig tätigen Kanzleischreibern, von welchen wir nur Fridericus scriba, den Sohn des notarius civium Friedrich, namentlich identifizieren können47.

Das Formular der vom Notar Äzilin geschriebenen Urkunden wurde erkennbar der Kanzlei des Klosters St. Emmeram entlehnt48. Die Urkundensprache ist durchwegs lateinisch. Deutschsprachige Urkunden sind noch nicht bekannt. Zu Person und Herkunft des Notars Äzilin geben die Quellen keine Auskunft. Da sie auch von keinen Verwandten berichten, wird man ihn kaum als gebürtigen Regensburger ansehen dürfen. Vermutlich war er Kleriker, der in Regensburg eine berufliche Position gefunden hat49.

Die wenigsten der in der Kanzlei der universitas civium ausgestellten Urkunden betrafen Angelegenheiten der Stadt bzw. der Regensburger Bürgerschaft [p. 17] selbst, also beispielsweise politische Korrespondenzen der Stadt, Angelegenheiten des städtischen Satzungsrechts usw. Dies gilt lediglich für drei Urkunden, nämlich eine Urkunde von 1244, die Angelegenheiten der Handwerke der Schuhmacher, Zimmerer und Schreiner betrifft50, dann für eine Urkunde von 1251, die die Überlassung einer Donauinsel, auf welcher die Bürger der Ostenwacht ihr Vieh zu weiden pflegten, an die Stadt zum Gegenstand hat51, und schließlich für ein Dankschreiben der Stadt an die Stadt Straßburg von 1248 oder 1254/5552. Alle übrigen Urkunden betreffen Rechtsgeschäfte von Bürgern oder geistlichen Institutionen untereinander, für die die Kanzlei der universitas civium die Beurkundungsstelle ihrer Wahl war. Vor allem war es das Katharinenspital, das seine Rechtsgeschäfte bevorzugt in der Kanzlei der universitas civium beurkunden ließ. Die meisten der in der Kanzlei der universitas civium beurkundeten Rechtsgeschäfte betrafen den Besitz von Grund und Boden bzw. von Hausanwesen in der Stadt, wobei die darüber errichteten Urkunden überwiegend, aber nicht ausschließlich, unter dem Namen der universitas civium ausgefertigt wurden. In der Kanzlei wurden aber auch Urkunden verfaßt, die Rechtsgeschäfte über den Besitz von Grund und Boden außerhalb der Stadt betrafen, so eine Urkunde von 124653, zwei Urkunden von 125154, jeweils drei Urkunden von 125255 und 125356 und eine Urkunde von 125457. Der Grund für die Wahl der städtischen Kanzlei als Beurkundungsstelle war wohl der, daß Bürger oder geistliche Institutionen aus der Stadt sowie das Katharinenspital geschäftsbeteiligt waren. Eine Verpflichtung, Rechtsgeschäfte über Grund und Boden innerhalb der Stadt in der Kanzlei der universitas civium beurkunden zu lassen, bestand jedoch nicht. Denn nach wie vor hatten siegelführende Personen oder Institutionen das Recht, ihre Rechtsverfügungen über Grund und Boden in der Stadt auch unter ihrem eigenen Siegel zu beurkunden58.

[p. 18] Die Wende von 1245

Der Sturz der bischöflichen Stadtherrschaft 1245 und das vom Kaiser den Bürgern gewährte Recht, selbst einen Rat, städtische Bürgermeister und andere Stadtbeamte zu berufen, also die Verwaltung der Stadt in die eigenen Hände zu nehmen, brachte noch nicht das Ende der Verfassungskonflikte in der Stadt. Es fällt auf, daß vom Recht der Berufung eines bürgerschaftlichen Rates bis zum Jahr 1251 kein Gebrauch gemacht wurde. Auch im Amt des Bürgermeisters kam es teilweise zu Vakanzen. Offenbar war die alte Rivalität zwischen bischöflichen Ministerialen und handel- und gewerbetreibenden Bürgern, die unter Bischof Siegfried weitgehend eingeschlafen war, nun, da es erneut um die Macht in der Stadt ging, wieder aufgebrochen. Erst sechs Jahre nach dem Privileg Kaiser Friedrichs II., nämlich im September 1251, konstituierte sich, vermutlich auf Veranlassung König Konrads IV., erstmals der aus 16 Mitgliedern bestehende Rat, dem mehrheitlich handel- und gewerbetreibende Bürger angehörten, während die Ämter des Bürgermeisters, des Hansgrafen, des Schultheißen, des bischöflichen Propstrichters und der Propstrichter von Ober- und Niedermünster in der Hand der Ministerialen blieben59.

Inwieweit die städtische Kanzlei von diesen Konflikten berührt war, ist schwer zu sagen. Spätestens seit 4. Februar 1248 war ein neues, repräsentatives städtisches Siegel in Gebrauch, das die den neuen politischen Gegebenheiten angepaßte Umschrift SIGILLUM CIVIUM RATISPONENSIUM führte60. Daneben blieb auch das bisherige städtische Siegel noch in Verwendung, dessen Umschrift zwischen Oktober 1248 und September 1250 ebenfalls den neuen politischen Gegebenheiten angepaßt und in SIGILLUM CIVIUM RATISPONENSIUM abgeändert wurde61. Dieses alte Siegel kam nach einer letztmaligen Verwendung am 30. Oktober 1251, also bald nach der erstmaligen Konstituierung des städtischen Rates im September 1251, außer Gebrauch. Wie der vorübergehende zeitlich parallele Gebrauch der beiden städtischen Siegel in einer kritischen Phase der Stadtgeschichte zu beurteilen ist, kann nicht gesagt werden. Die zunächst sich anbietende Erklärung, daß nämlich die neuerdings miteinander konkurrierenden bischöflichen Ministerialen und Bürger jeweils ein eigenes Siegel führten, scheint sich nicht zu bestätigen. So wurden beispielsweise zwei im Jahre 1248 ausgefertigte Urkunden, von welchen eine mit dem alten und eine mit dem neuen städtischen [p. 19] Siegel besiegelt wurde, in gleicher Weise vom Stadtnotar Äzilin geschrieben, also in der nämlichen städtischen Kanzlei hergestellt62. Immerhin wäre denkbar, daß Mundierung und Besiegelung der Urkunden zwei getrennte Vorgänge waren, etwa in der Weise, daß die von Äzilin geschriebenen Urkunden in einem zweiten Geschäftsgang von dem jeweils zuständigen städtischen Siegelführer besiegelt wurden. Daß Äzilin dabei für zwei politisch rivalisierende Siegelführer gleichzeitig tätig war, wäre zwar möglich, ist aber nicht sehr wahrscheinlich.

Zu fragen wäre auch noch nach der politischen Rolle und Haltung Äzilins in den Umbruchsjahren zwischen 1245 und 1251. Die Quellen geben auch dazu keinerlei unmittelbare Auskunft. Lediglich der Umstand, daß Äzilin über die politische Wende von 1245 und die auf sie folgenden Erschütterungen hinaus im Amt blieb, könnte ein Anhaltspunkt für seine politische Rolle sein. Demnach wäre er von Anfang an ein Mann der Bürgerschaft und nicht so sehr der Ministerialen oder gar des Bischofs gewesen. Auch daß er sein Formular aus St. Emmeram und nicht aus der bischöflichen Kanzlei bezogen hatte, könnte in dieses erst unscharf sich herausschälende Bild einer seit seinem Amtsantritt bürgerschaftlich und auf bürgerschaftliche Autonomie hin orientierten städtischen Kanzlei passen.

Die Kanzlei von 1254 bis 1300

Nach dem Ausscheiden Äzilins als Leiter der städtischen Kanzlei im Jahre 1254 wurde diese interimistisch vom Kanzleischreiber Friedrich geleitet, der schon unter Äzilin Kanzleischreiber war und bis 1259 in diesem Amt nachweisbar ist63. Von seiner Hand stammt die älteste überlieferte Urkunde der städtischen Kanzlei, die in deutscher Sprache geschrieben wurde, nämlich Satzungen von Bürgermeister und Rat der Stadt für die Tuchmacher vom 12. Juli 125964. Ansonsten gebrauchte er das seit Äzilin in der Kanzlei eingeführte Formular65. Von 1259 bis 1266 wird kein Angehöriger der städtischen Kanzlei namentlich genannt, erst 1266 erscheint mit Ulrich Saller ein neuer notarius civium, der dann fast 30 Jahre bis 1295 in diesem Amt blieb66. Sein [p. 20] Familienname leitet sich vom Dorf Sallern nördlich von Regensburg ab und läßt auf eine Herkunft der Familie aus Regensburg oder der näheren Umgebung schließen. Er war nachweislich kein Kleriker und scheint in Regensburg eine angesehene Stellung bekleidet zu haben. Schon 1266 war er neben dem Bürgermeister und vier Ratsherren Mitglied einer städtischen Gesandtschaft, die in Taus einen Bündnisvertrag mit König Ottokar von Böhmen schloß.

Unter Saller häufen sich die deutschsprachigen Urkunden aus der städtischen Kanzlei. Von acht Urkunden, die von seiner Hand stammen, sind fünf in deutscher Sprache geschrieben, die erste aus dem Jahre 126967. Dabei weisen die ersten drei deutschsprachigen Urkunden noch lateinische Datierungen nach dem römischen bzw. nach dem römischen und dem Heiligenkalender auf, erst die beiden letzten deutschsprachigen Urkunden haben eine deutschsprachige Datierung allein nach dem Heiligenkalender68.

Insgesamt sind zwischen 1255 und 1293 24 Urkunden überliefert, die im Namen von Bürgermeister, Räten und Bürgern der Stadt bzw. im Namen der universitas civium ausgestellt wurden69. Allein 17 dieser Urkunden betreffen Angelegenheiten der Stadt selbst. In 8 Fällen beurkundete die Stadt Grundstücksgeschäfte anderer, in 2 Fällen besiegelte sie Grundstücksgeschäfte anderer allein, in 8 Fällen besiegelte sie Grundstücksgeschäfte anderer mit. 7 Urkunden, die in der städtischen Kanzlei ausgefertigt oder von der Stadt mitbesiegelt wurden, betrafen Grundstücksgeschäfte des Katharinenspitals. Die unter Beteiligung der städtischen Kanzlei beurkundeten Grundstücksgeschäfte konnten Hausanwesen und Grundstücke sowohl in als auch außerhalb der Stadt betreffen. Im Grunde läßt die städtische Kanzlei noch die gleiche Aufgabenstellung erkennen wie schon unter dem Notar Äzilin. Neben der Ausfertigung von Urkunden in städtischen Angelegenheiten war sie auch eine geschätzte Beurkundungsstelle für Private wie für geistliche Institutionen. Ein Beurkundungsmonopol bei innerstädtischen Grundstücksgeschäften hatte sie freilich nicht.

Abschließende Bemerkungen

Unsere Kenntnisse von der Geschichte der städtischen Kanzlei Regensburgs im 13. Jahrhundert sind gewiß lückenhaft. Viele Unterlagen, wie z.B. die in der Kanzlei verwendeten Formularbehelfe, sind verloren. Auch [p. 21] wissen wir nicht, ob es schon eine irgendwie geartete Registerführung in der Kanzlei gegeben hat. Die hauptsächlichen Zeugnisse, die uns alle wesentlichen Kenntnisse vermitteln, sind vor allem die in ihr hergestellten und bis heute erhalten gebliebenen Urkunden sowie die sporadisch überlieferten Daten ihrer Notare und Schreiber. Doch trotz dieser Lückenhaftigkeit ihrer Zeugnisse sind die gewonnenen Erkenntnisse nicht uninteressant. Vor allem zeigen sie die enge Abhängigkeit der Kanzlei von der allgemeinen Entwicklung der stadtherrlichen Verhältnisse, ohne deren Kenntnis auch ihre Geschichte nicht verstanden werden kann. Ihre Anfänge sind geprägt vom Spannungsverhältnis zwischen bischöflicher Stadtherrschaft und bürgerschaftlicher Autonomiebestrebungen. Genauer Zeitpunkt und Anlaß ihrer Entstehung sind nicht bekannt, doch weiß man, daß sie unter Bischof Siegfried, also in der Zeit der bischöflichen Stadtherrschaft, eingerichtet wurde, wobei sie mehr ein Instrument der bürgerschaftlichen Autonomiebestrebungen als ein Organ der bischöflichen Stadtherrschaft gewesen sein dürfte. Unklar sind Rolle und Einfluß der bischöflichen Stadtministerialen, über die man gerne mehr wüßte, zumal sie das städtische Siegel führten. Wo im Dreiecksverhältnis zwischen Bischof, Bürgern und Ministerialen die Kanzlei ihren Ort genau hatte, wäre höchst wünschenswert zu wissen, ist aber nur unscharf zu erkennen.

Es war wohl kein Zufall, daß der erste deutlich wahrnehmbare Schwerpunkt in der Tätigkeit dieser Kanzlei genau in jene Jahre zwischen 1245 und 1251 fällt, in welchen die bischöfliche Stadtherrschaft gestürzt und die bürgerschaftliche Autonomie verwirklicht wurde. So betrachtet, erweitern und präzisieren die Kenntnisse von der Geschichte dieser Kanzlei, so sporadisch sie auch sein mögen, doch auch das Wissen über die Entwicklung der stadtherrlichen Verhältnisse bzw. der Stadtverfassung ganz allgemein. Gleiches gilt für den Gebrauch des städtischen Siegels, das als Siegel der bischöflich-städtischen Administration unter Bischof Konrad IV. eingeführt wurde, in seinen Anfängen also ein stadtherrliches und kein bürgerschaftliches Siegel war. Es war deshalb nur konsequent, daß sich die autonom gewordene Bürgerschaft 1248 ein neues Siegel schuf, das alte Siegel freilich mit veränderter Umschrift noch einige Jahre mitbenützte.


1 Von den zahlreichen jüngeren Veröffentlichungen zur Geschichte der Regensburger Stadtherrschaft zwischen 1180 und 1245 seien hier folgende genannt (Auswahl) : K.-O. Ambronn, Verwaltung, Kanzlei und Urkundenwesen der Reichsstadt Regensburg im 13. Jahrhundert, [MHStud., Abt. Geschichtl. Hilfswissenschaften 6], 1968 ; Idem, Der Kampf um die Macht 1180-1245 oder das Werden der Kommune, in : M. Angerer, H. Wanderwitz, Regensburg im Mittelalter. Beiträge zur Stadtgeschichte vom frühen Mittelalter bis zum Beginn der Neuzeit, 2. Aufl. 1998, p. 57-70 ; K. Bosl, Die Sozialstruktur der mittelalterlichen Residenz- und Fernhandelsstadt Regensburg. Die Entwicklung ihres Bürgertums vom 9.-14. Jahrhundert, [Abhandlungen d. Bayer. Akademie d. Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse NF 63], 1966 ; A. Schmid, Die Territorialpolitik der frühen Wittelsbacher im Raume Regensburg, in : ZBLG 50, 1987, p. 367-410 ; Idem, Regensburg. Reichsstadt-Fürstbischof-Reichsstifte-Herzogshof, [Hist. Atlas von Bayern, Teil Altbayern Heft 60], 1995 ; P. Schmid, Regensburg. Stadt der Könige und Herzöge im Mittelalter, [Regensburger Hist. Forschungen 6], 1977 ; Idem, Die Anfänge der Regensburger Bürgerschaft und ihr Weg zur Stadtherrschaft, in : ZBLG 45, 1982, p. 483-539 ; Idem, Die Reichsstadt Regensburg. Weg zur reichsstädtischen Freiheit, in : M. Spindler, A. Kraus (ed.), Hb. d. Bayer. Geschichte, 3/3, 1995, p. 303-310 ; Idem, Die Herrschaftsträger und ihre Einflußsphären im früh- und hochmittelalterlichen Regensburg, in : M. Angerer, H. Wanderwitz, Regensburg im Mittelalter. Beiträge zur Stadtgeschichte vom frühen Mittelalter bis zum Beginn der Neuzeit, 2. Aufl. 1998, p. 45-56.

2 Zur Epoche der staufischen Stadtherrschaft 1180-1197/98 vgl. Ambronn, Verwaltung, p. 4-6 ; Idem, Der Kampf um die Macht, p. 58-59 ; A. Schmid, Regensburg, p. 79-83 ; P. Schmid, Anfänge, p. 496-500 ; Idem, Herrschaftsträger, p. 49 ; Idem, Reichsstadt, p. 303-304.

3 Zum Übergang der Burggrafschaft auf den Herzog 1197/1198 : Ambronn, Der Kampf um die Macht, p. 59-60 ; A. Schmid, Territorialpolitik, p. 372-374 ; Idem, Regensburg, p. 83 ; P. Schmid, Regensburg, p. 190-191.

4 Zum Krieg von 1203/1205 : M. Spindler, A. Kraus, Hb. d. Bayer. Geschichte, 2, 2. Aufl. 1969, p. 23 f. ; Ambronn, Der Kampf um die Macht, p. 60 ; A. Schmid, Territorialpolitik, p. 374-375 ; Idem, Regensburg, p. 83.

5 Abdruck des Vertrags in F.M. Wittmann, Monumenta Wittelsbacensia 1, 1857, [Quellen u. Erörterungen z. bayer. u. deutschen Geschichte 5], n° 2. Dazu Spindler, Kraus, Hb. 2, p. 24 ; Ambronn, Verwaltung, p. 6 f. ; Idem, Der Kampf um die Macht, p. 60 f. ; Bosl, Sozialstruktur, p. 56 f. ; A. Schmid, Territorialpolitik, p. 374 f. ; Idem, Regensburg, p. 83 f. ; P. Schmid, Regensburg, p. 191 ; Idem, Anfänge, p. 501.

6 Zur Person B. Konrads IV. B.S. Janner, Geschichte d. Bischöfe v. Regensburg 2, 1884, p. 234-329 ; K. Hausberger, Geschichte d. Bistums Regensburg 1, 1989, p. 117-120.

7 Druck : J. Widemann, Regensburger UB 1, [Monumenta Boica 53], 1912, n° 48. Zur stadtgeschichtlichen Bedeutung des Privilegs, cf. Ambronn, Verwaltung, 8 f. ; Idem, Der Kampf um die Macht, p. 61 ; A. Schmid, Territorialpolitik, p. 375 ; Idem, Regensburg, p. 84 ; P. Schmid, Anfänge, 503 f.

8 Ambronn, Der Kampf um die Macht, p. 61 f. ; A. Schmid, Regensburg, p. 84 f. ; P. Schmid, Anfänge, p. 501 f.

9 Druck : Th. Ried, Codex chronologico-diplomaticus episcopatus Ratisbonensis 1, 1816, n° 340. Dazu Ambronn, Verwaltung, p. 18 f. ; Idem, Der Kampf um die Macht, p. 62 ; Bosl, Sozialstruktur, p. 63 ; A. Schmid, Regensburg, p. 85 ; P. Schmid, Anfänge, p. 506 f.

10 Zur Rolle der bischöflichen Ministerialen : Ambronn, Verwaltung, p. 19 f. ; Idem, Der Kampf um die Macht, p. 62 f. ; Bosl, Sozialstruktur, p. 64 f. ; P. Schmid, Anfänge, p. 524 f.

11 Ambronn, Der Kampf um die Macht, p. 63.

12 Zu diesem ältesten städtischen Siegel : Ambronn, Verwaltung, p. 26 f. (mit Abb. im Anhang) ; M. Angerer, Regensburg im Mittelalter. Katalog der Abteilung Mittelalter im Museum der Stadt Regensburg, 1995, p. 83 (n° 11.5).

13 Ambronn, Verwaltung, p. 28.

14 Regesten der Urkunden ebd. p. 109-112 (n° 1-6).

15 Druck : Regensburger UB, n° 49.

16 M. Thiel, Die Urkunden des Kollegiatstifts St. Johann in Regensburg bis zum Jahre 1400, [Quellen u. Erörterungen z. bayer. Geschichte NF XXVIII], 1. Teil, 1975, p. 27 (zu Urkunde n° 14).

17 Noverit tam presens etas quam futura posteritas, quod…

18 Zu diesem Urkundentypus jüngst J. Wild, Besiegelte Traditionsnotizen, in : Archival. Zschr. 80, 1997, p. 469-483.

19 Beispiele Ibidem, p. 479.

20 Zur Bedeutung, ja Unentbehrlichkeit der Zeugen als Repräsentanten der Öffentlichkeit ebenfalls Wild, Besiegelte Traditionsnotizen, p. 477 f.

21 Zu Heinricus de Capella Ambronn, Verwaltung, p. 21 f. ; Idem, Der Kampf um die Macht, p. 63 ; Bosl, Sozialstruktur, p. 65 ; P. Schmid, Anfänge, p. 524.

22 Die vollständigen Zeugenlisten der fraglichen Urkunden bis 1226 bei Ambronn, Verwaltung, p. 109-112.

23 Zu Person und Funktion der bischöflichen Stadtministerialen Ambronn, Verwaltung, p. 21 f. ; Idem, Der Kampf um die Macht, p. 63 ; Bosl, Sozialstruktur, p. 64 f.

24 Ried, Codex 1, n° 363.

25 Druck : Ried, Codex 1, n° 363.

26 Die Daten nach E. Keyser, H. Stoob (eds.), Bayerisches Städtebuch, T. 2, 1974 (die Stadtsiegel in den einzelnen Städteartikeln jeweils unter n° 12a-b abgehandelt). Zum Siegel der Stadt Salzburg H. Dopsch, H. Spatzenegger, Geschichte Salzburgs 1, Teil 2, 1983, p. 696.

27 Zu den Vorgängen um die Wahl : B.S. Janner, Geschichte 2, p. 330 f. ; Hausberger, Geschichte 1, p. 121.

28 Janner, Geschichte 2, p. 330 f. ; Ambronn, Verwaltung, p. 25 f. ; Hausberger, Geschichte 1, p. 121 ; A. Schmid, Regensburg, p. 90.

29 Ambronn, Verwaltung, p. 30 f.

30 Druck : Regensburger UB, n° 57. Zum Inhalt : E. Klebel, Landeshoheit in u. um Regensburg, [Vhlgn. d. Histor. Vereins f. Oberpfalz u. Regensburg 90], 1940, 5-61, p. 16 f. ; Ambronn, Verwaltung, p. 31 f. ; Idem, Der Kampf um die Macht, p. 64 ; A. Schmid, Regensburg, p. 96 ; P. Schmid, Anfänge, p. 507 f.

31 Druck : Ried, Codex 1, p. 367-369.

32 Druck des Privilegs vom Sept. 1230 : Regensburger UB, n° 58.

33 Dazu Ambronn, Der Kampf um die Macht, p. 64.

34 Zur universitas civium Ambronn, Verwaltung, p. 34 f. ; Idem, Der Kampf um die Macht, p. 65 ; P. Schmid, Anfänge, p. 517 f. Auf die zwischen Ambronn und P. Schmid geführte kontroverse Diskussion zum Begriff der universitas civium kann hier nicht eingegangen werden.

35 Eine Liste der Siegelankündigungen bei Ambronn, Verwaltung, p. 53 f.

36 Zur personellen Struktur der universitas civium Ambronn, Verwaltung, p. 39 f.

37 Ibidem, p. 37 f.

38 Ibidem, p. 46.

39 Ibidem, p. 46.

40 Belege für den preco civium Friedrich, der auch einen gleichnamigen Sohn hatte, der 1258 als scriba begegnet, sowie für dessen mögliche Personenidentität mit dem Notar Friedrich, Ibidem, p. 49.

41 Zur städtischen Kanzlei unter dem Notar Äzilin sowie zu dessen Person : Ibidem, p. 51 f.

42 Ibidem, p. 82 f.

43 Ibidem, p. 82.

44 Ibidem, p. 82, 130 f. (Urk. n° 39).

45 Ibidem, p. 82.

46 Ibidem, p. 76.

47 Zu den Schreibern 2-5 : Ibidem, p. 77 f.

48 Zur Herkunft des Formulars aus dem Kloster St. Emmeram, Ibidem, p. 73 f.

49 Zur Person des Notars Äzilin : Ibidem, p. 52.

50 Regensburger UB 1, n° 69.

51 Ibidem, n° 81.

52 Ibidem, n° 87.

53 Ambronn, Verwaltung, p. 120 (Urk. n° 21).

54 Ibidem, p. 123 f. (Urkk. n° 26 u. 29).

55 Ibidem, p. 126 f. (Urkk. n° 32, 33, 34).

56 Ibidem, p. 128 f. (Urkk. n° 35, 36, 37).

57 Ibidem, p. 131 (Urk. n° 40).

58 Als Beispiele, die sich unschwer vermehren ließen, seien eine leibgedingsweise Grundstücksüberlassung von Äbtissin Petrissa von Kloster Frauenchiemsee von 1242 (ebd. n° 67) und die Schenkung eines Hauses durch das Kloster Kastl von 1245 (Thiel, Urk. d. Kollegiatstifts St. Johann, n° 28) angeführt. Ob ein städtisches Beurkundungsmonopol für nichtsiegelführende Personen bestand, ist nicht eindeutig zu entscheiden. Zwar sind Fälle einer Fremdbeurkundung durch Dritte nicht bekannt, doch kann eine solche auch nicht ausgeschlossen werden.

59 Zur politischen Wende von 1245 und die sie begleitenden Ereignisse Ambronn, Verwaltung, p. 55 f.

60 Zum neuen Stadtsiegel und dessen Einführung Ibidem, p. 83 f. (= Stadtsiegel 2).

61 Ibidem, p. 83 (= Stadtsiegel 1b).

62 Ibidem, p. 120 f. (Urkk. n° 22 u. 23). Zu Äzilin als Schreiber der beiden Urkunden : Ibidem, p. 76.

63 Zum Kanzleischreiber Friedrich als interimistischem Leiter der Kanzlei : Ibidem, p. 94.

64 Regensburger UB, n° 95 ; F. Wilhelm, R. Newald, Corpus d. altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahre 1300, 1, 1932, n° 46.

65 Ambronn, Verwaltung, p. 98.

66 Zum Notar Ulrich Saller : Ibidem, p. 94 f.

67 Ambronn, Verwaltung, p. 101.

68 Ibidem.

69 Erschlossen aus Ambronn, Verwaltung, p. 132 f. (Urkk. n° 42, 43, 45, 46, 47, 49, 51, 53, 54, 56, 57, 58, 59, 60, 62, 67, 69, 73, 74, 75, 78, 79, 80, 81).