[p. 195] Die Kommunikation der Reichsstädte und der böhmischköniglichen Städte mit der Zentralgewalt unter Karl IV. und besonders Wenzel IV. (Ein Kapitel aus der spätmittelalterlichen Diplomatik und Verwaltungsgeschichte, zugleich ein Beitrag zur Frage der spätmittelalterlichen Deperdita)
Ohne die historischen Voraussetzungen und Umstände der Zeit und des Milieus skizzieren zu müssen1 ist direkt auf das Thema einzugehen. In erster Linie bedeutet das doch, die Quellenlage knapp zu beschreiben, die nicht eben glänzend, ja nicht einmal nur ausreichend ist, wobei jedoch auch die scheinbar vergleichbaren Situationen anderswoher nur als eventuelle Parallelen zur Hilfe kommen können2. Vornehmlich ist darauf aufmerksam zu machen, daß eben das Zentralmilieu, d.h. dessen Quellengrundlage — im Unterschied zu den westlichen Verhältnissen — uns bei dieser Fragestellung (für die politische und Verwaltungsgeschichte von so großer Bedeutung) so [p. 196] gut wie völlig im Stich läßt. Mit anderen Worten heißt das, daß wir ja nicht nur andeutungsweise die sicher ziemlich ausgedehnte und mannigfaltige “Hofregistratur” besitzen, d.h. die Hofratssitzungsprotokolle, Hofrechnungen aller Art bzw. viele andere Spezialunterlagen der einzelnen Hofämter des äußeren aber auch des rein inneren Verkehrs, obwohl sie zweifellos existiert haben müssen. Ja auch die eigentlichen Kanzlei- und Kammerregister gibt es so gut wie kaum3. Jedoch noch schlimmer : wir besitzen ja auch keine konkrete Vorstellung darüber, was alles für Unterlagen am Hof geführt wurde, da ja auch die ganz gelegentlichen Erwähnungen dieses Quellengutes mehr als sporadisch sind. Und darüber hinaus gab es an diesen Höfen keinen eifrigen Beamten in der Art des Erbkämmerers Konrad von Weinsberg am Hof von Wenzels Bruder Sigismund, dessen privater Nachlaß diese Lücken wenigstens zum gewissen Teil ersetzen könnte, oder wenigstens wir wissen nichts davon4. Deshalb muß man andere ersatzweise andere Quellengattungen suchen und sich mit ihnen zufriedengeben. Sie sind ganz rahmenweise in zwei Gruppen zu unterteilen. Dabei ist zu konstatieren, daß sowohl das bildliche als auch das narrative Material über die feierlichen, meist ersten Empfänge und Einzüge des Herrschers in den Städten aus dem einfachen Grunde bei Seite bleiben, da sie in dieser Hinsicht nichts bringen, obwohl diese Kontakte öfter auch direkten Anlaß zu verschiedenen verwaltungstechnischen Kontakten gaben5. Die ganz konkreten schriftlich fixierten Ergebnisse solcher Beziehungen, [p. 197] meist in der Form der diesbezüglichen Privilegienbestätigungen, mußten nämlich nicht unbedingt mit solchen Besuchen oder Annäherungen ganz zeitgleich sein, sondern konnten öfter erst nach Tagen, ja Wochen an einer entfernteren, ja ganz entfernten Stätte ausgestellt werden, obwohl die Impulse eben bei Gelegenheit solchen Einzugs anzunehmen sind6.
Deshalb muß vorwiegend anderes Material herausgesucht werden. Zum ersten handelt es sich also um das Geschäftsschriftgut der Verhandlungsparteien der Zentralmacht, zweitens dann um Historiographisches. Das heißt mit anderen Worten, um das Verwaltungsmaterial beim Empfänger einer- und ganz unzusammenhängende Erwähnungen in den erzählenden Quellen der Zeit, die bis auf Ausnahme von Karls Hofhistoriographie7 der eigentlichen Zentrale fern standen (und deshalb stets nur mit Vorsicht benutzbar sind), anderseits. Auch Zerstreutes in den Narrationen der ausgelieferten Stücke des Herrschers kommt bei ganz detaillierter Analyse dem Thema zugute. Beim Geschäftsschriftgut der Partner der Zentralgewalt, das solche Kontakte evidiert, sind vorwiegend eben die Rechnungen von Bedeutung8, während das [p. 198] Übrige meist in den Hintergrund tritt. Noch können vielleicht wenige zerstreute personenbezogene Informationen auf beiden Seiten erwähnt werden, die Personen buchstäblich aller Stände ausweisen, die dementsprechend unterschiedliches Gewicht und unterschiedliche “Verwaltungskompetenzen” und “Kredite” besaßen. Auch das soll Gegenstand der folgenden Bemerkungen sein.
Um doch nicht in all zu breite Zusammenhänge zu geraten, sollen im folgenden die eigenen Kontakte der Zentrale mit der geistlichen und adeligen Welt — soweit sie gelegentlich nicht unmittelbar mit der städtischen Komponente in Verbindung zu setzen sind — weitgehend beiseite bleiben, die zwar zum erheblichen Teil Parallelen aufweisen, jedoch zum Teil auch Unterschiede zeigen9. Dabei ist besonders ihre Mobilität (freilich mit Ausnahme der kirchlichen Institutionen) der Seßhaftigkeit der Städte gegenüber zu unterstreichen. Daß sowohl die Städte des eigentlichen erblichen Königreichs Böhmen (Mähren inbegriffen) als auch die reichsunmittelbaren im Reich gemeinsam interpretiert werden, erklärt sich dadurch, daß diese Kontakte typologisch doch als einander sehr nahestehend bezeichnet werden können. Dagegen müssen sehr schweren Herzens aus rein technischen Gründen die reichsitalienischen städtischen “Republiken” außer Acht bleiben. Obwohl vorauszusetzen ist, daß ihr Material kontinuierlich vorhanden vorliegt, muß es wegen meiner sachlichen Inkompetenz einem italienischen Spezialisten reserviert bleiben, wobei sicher reichliche Beute zu erwarten ist10.
[p. 199] Obwohl es auf der Hand liegt, daß das Material der städtischen Archive unvergleichlich bedeutender ist als das historiographische Gut11, sieht man beim konkreten Mustern der Quellen doch, daß auch hier eher Lücken als systematische Unterlagen zu beobachten sind, obwohl in den großen Kanzleien sicher verschiedene Evidenzhilfsmittel vorauszusetzen sind. Deshalb scheint es angebracht zu sein, daß das Thema an sich nicht systematisch zu bearbeiten ist. Jedoch nicht Pessimismus, sondern zurückhaltender Realismus ist am Platz ! Dabei ist klar, daß es sich in folgender erster Skizze nicht um einen voll auszuarbeitenden Themenkreis handeln kann, sondern bloß um einen Versuch, in gewisser Hinsicht hoffentlich wenigstens ein modellartiges, jedoch mehrschichtiges Schema vorzulegen. Dabei müssen gelegentlich — wie eben angedeutet — auch die Belege aus der Kommunikation der Zentrale mit den anderen Reichsangehörigen zur Aussage hinzugezogen werden, die an gewisse Parallelität denken lassen. Solche Mosaiksteinchen gibt es zwar verschiedenerorts, doch meist tief in der Regionalliteratur oder in den Lokaleditionen verborgen, so daß ich so gut wie sicher bin, daß ich eben hier manches Wichtige übersehen habe, ja übersehen mußte. Deshalb ist an die Spezialisten der Lokalverhältnisse zu apellieren12. Schon jetzt muß aber [p. 200] vor den voreiligen Schlüssen gewarnt werden, die besonders für die Zeit Wenzels, aber zum Teil auch für die seines Vaters schon von vornherein meinten, daß die “königsfernen” Landschaften des Reiches außer Acht bleiben könnten. Das stimmt einfach nicht, ja es sind eben diese Kontakte, da sie eben seltener vorkommen, die manchmal z. T. genauer dokumentiert sind als die durchgehenden13.
Zur erwähnten “Modellartigkeit” ist freilich hinzufügen, daß es sich nicht um einen oder um wenige Typen gehandelt hat, sondern im Gegenteil um eine sehr breite Skala der Möglichkeiten, je nach dem Charakter solcher Kontakte, wobei große Flexibilität stets vorauszusetzen ist. Der konkrete Verlauf konnte darüber hinaus laufend auch während der einzelnen länger dauernden Regierungsepoche wechseln, obwohl seine Schwankungen meist überhaupt nicht detailliert erfaßt werden können.
Eigentlich sollte schon am Anfang meines Beitrages ein Plädoyer für das Thema formuliert werden, da der traditionelle Diplomatiker meinen möchte, es handelt sich um ein mehr oder weniger rein historisches Problem. Doch bin ich nicht dieser Meinung. Ich möchte diese meine Stellungnahme damit kurz begründen, daß die Diplomatik ganz allgemein, jedoch in dieser Zeit in erhöhtem Maße und mit beträchtlichem Gewinn, in eine sehr enge Kooperation mit der Verwaltungsgeschichte eintritt, wobei lange nicht immer die genaue Grenze zwischen diesen beiden Disziplinen gezogen werden kann14. Als Fazit kann dann gelten, daß man darüber hinaus das Fungieren der städtischen Kanzleien besser begreifen kann, e.a. auch in der stetigen Interaktion mit anderen städtischen exekutiven Behörden bzw. höheren Stadtbeamten. Doch es handelt sich um ein Thema für das sowohl die städtische Diplomatik als auch die kaiserlich-königliche zuständig sind, oder wenigstens in gleicher Weise beizusteuern imstande sind.
[p. 201] Es versteht sich von selbst, daß hier an die ähnlich formulierten Forschungen über die vorausgehenden Zeiten angeknüpft werden muß, die jedoch in mehreren Hinsichten andere Vorbedingungen aufweisen und, der Entwicklungsstufe des Städtewesens im allgemeinen entsprechend, noch weniger Materialien zur Verfügung gehabt haben. Vor Kurzem ist die staufische Zeit knapp und mit der Einarbeitung der entsprechenden älteren Literatur durch Bernhard Diestelkamp skizziert worden15, an dessen Forschungen Thomas Martin für die Regierungsjahre Rudolfs I. schon detaillierter im losen Zusammenhang anknüpfen konnte16, während jedoch die nachherige Zeit eher nur gelegentlich angetastet worden ist17. Auch auf die städtegeschichtliche monographische Literatur ist nur ganz grob hinzuweisen18.
Obwohl also auch “unsere” Lage nicht eben all zu günstig ist, gibt es doch mehrere Anhaltspunkte, derer Interpretation uns die Verhältnisse bedeutend differenzierter sehen läßt. Weiter kommen kann man darüber hinaus durch Zusammenspiel der Interpretation des herrscherlichen Itinerars19 mit der allseitigen Analyse des zentralen Geschäftsschriftgutes bei den städtischen Empfängern. Dabei muß man die Unterscheidung zwischen dem Privilegiengut einer- und dem Geschäftsbriefmaterial anderseits respektieren. Vereinfachend heißt das, daß das schlichte Geschäftsschriftgut meist das Zentrum initiiert hat (wobei der konkrete Aufenthaltsort des Herrschers nicht unbedingt eine wichtigere Rolle spielen mußte, eher die augenblicklichen Bedürfnisse), während beim Privilegieren aller Art meist der Empfängerimpuls zu erwarten war, auch wenn es sich um irgendwelche städtische Plagen handelte, die durch solches Entgegenkommen der Zentrale mindestens zum Teil gemildert werden sollten.
[p. 202] Diese Rekonstruktionen können freilich nicht mechanisch allgemein vorausgesetzt werden, da sowohl im erblichen Königreich Böhmen als auch im Reich die direkten Ansprechspartner des Hofes kategorisiert werden können, ja müssen20.
Zuerst also zur diesen Frage, die jedoch noch unter Rücksicht auf das durch Peter Moraw ausgearbeitete Schema21 in die königseigenen, königsnahen, königsfernen und die in der anderen, regionalgebundenen landesherrlichen Unterordnung sich befindlichen Territorien (was mutatis mutandis auch die Reichsstädte zu klassifizieren hilft) kategorisiert werden muß, obwohl nicht immer diese Unterschiede all zu krass gefühlt werden müssen. Die letzte Kategorie der Städte, also die mediatisierten, fällt in diesem Zusammenhang bis auf relativ wenige Ausnahmen aus. Zu solchen Ausnahmen gehört z. B. Braunschweig22 oder Passau mit seinem Streben nach Reichsunmittelbarkeit23, wozu auch die bischöflich-würzburgischen Städte unter Wenzel zu rechnen sind24. Die böhmischen untertänigen Städte im Kontakt mit dem [p. 203] Herrscher erfreuten sich in diesen Fällen stets der Vermittlung ihrer Herren25.
Die wichtigsten Vorbedingungen, die zu respektieren sind und schon angedeutet wurden, sind zweifachen Charakters. Sie sind nämlich davon abzuleiten, um wessen Initiative es sich dabei handelte. Ob um die des Zentrums oder um die des untergeordneten Partners, wozu natürlich auch solche Ereignisse zu zählen sind, bei denen sich der eventuelle Bittsteller eines Vermittlers bediente. Das passierte nicht so selten, wie man vermuten könnte, vornehmlich jedoch dann, wenn sich die betreffende Stadt keines direkten Drahts zum König erfreute oder zu erfreuen glaubte, bzw. wenn sie glaubte, keinen eminenten Fürsprecher am Hof zu haben, oder eben einen mit guten Hofkontakten gewinnen zu können, also vornehmlich in den Morawschen “königsfernen” Fällen26.
Als erste Frage ist zu erörtern, ob evtl. formelle Unterschiede zwischen den Städten (es versteht sich, daß es sich im weiteren stets nur um die königlichen Städte handelt) der erblichen Länder27 und den28 Städten im Reich bestehen oder nicht. Soweit das Material es zu beurteilen erlaubt, scheint es, daß hier weder quantitative noch qualitative Unterschiede zu beobachten sind, so daß dabei die Hauptscheidelinie eher der wirtschaftlichen und politischen Potenz, also zugleich der Größe nach, egal ob im Reich oder im Königreich, verlief. Dabei müssen jedoch die Städtezahlen auf beiden Seiten und nicht weniger die konkrete momentane politische, wirtschaftliche und militärische Situation der engeren oder aber breiteren Region (es sei nur an die Städtebünde und den Krieg zwischen den Städten und den Fürsten im Reich unter Wenzel erinnert) reflektiert werden, wobei alle Städte, im Bedrängnis auch die entfernteren, bei dem König Zuflucht suchten. Dasselbe geschah auch, wenn sich z.B. die Sieger in den innerstädtischen Umwälzungen [p. 204] die Errungenschaften durch den König sanktionieren lassen wollten, wie es im Jahre 1396 in Köln der Fall war29.
In Böhmen sind die königlichen Städte rund dreißig, in Mähren und in Schlesien insgesamt kaum zehn, wobei Mähren bis auf unbedeutende Ausnahmen in der Zeit bis 1411 sowieso ausfällt, da es unter der luxemburgischen Sekundogenitur stand und deshalb nicht dem König unmittelbar unterordnet war. Im Reich dagegen handelte es sich um eine bedeutend größere Zahl von Städten, ja um mehrere hunderte, wobei hier jedoch die kontinuierlicheren Kontakte aktiv nur wenige Dutzende von Städten pflegten bzw. pflegen konnten, die überwiegend zu den allgemein wichtigeren gehörten, meist aus den “königsnahen” Regionen30. Die Städte, die diesem Kreis nicht angehörten, wie etwa Köln oder Aachen, waren dann Subjekte sui generis.
Bei ausführlicherer Behandlung müßten nicht nur der Übersichtlichkeit halber beide Gruppen, also Reichsstädte und die des Königreichs, getrennt besprochen werden, da die Städte der zweiten Gruppe einfach dem Herrscherhof sozusagen “physisch”, jedoch auch “psychisch” näher standen, ja die wichtigsten von ihnen, d.h. die drei Prager Städte, die Hauptresidenz der beiden hier untersuchten Luxemburger darstellten und deshalb besonders engen Kontakt mit ihnen gehabt haben. Bei dieser knappen Skizze lohnt es sich jedoch nicht, eine konsequente Gliederung durchzuführen, was auch gewisse Vorteile besitzt.
Die Kontakte der Zentrale mit den Städten haben ganz allgemein zwei autonome Bereiche gehabt, nämlich den alltäglichen Verkehr (der uns meist zum guten Teil entgeht) und die gelegentliche, wenn auch manchmal zügige Privilegierung, bzw. andere plötzliche Kontaktaufnahme, so u. a. auch die schon oberwähnten Einzugsfeierlichkeiten und die evtl. daran anknüpfenden Auszeichnungen der konkreten Stadt, die freilich durch die durch des Herrschers Gunst “betroffene” Stadt meist teuer kompensiert werden mußten. Innerhalb der alltäglichen Beziehungen ist für Böhmen immer im Auge zu behalten, daß hier der Kontakt meist durch das spezielle Hofamt, nämlich durch den böhmisch königlichen Unterkämmerer verlief, der meist, jedoch bei [p. 205] weitem nicht immer, zwischen dem König und der Stadt (eben jedoch mit Ausnahme der Prager Städte, die hier sozusagen “exempt” waren) stand31. Im Reich gab es zwar kein so komplex ausgestattetes Amt, doch ist es öfter das Reichshofgericht gewesen, das hier in gerichtlichen Angelegenheiten “einsprang”32, manchmal dann auch die mit verschiedenen Vollmachten ausgestatteten Hofbeamten, seien es Vögte, Hauptleute in den Regionen (so Elsaß, Bayern, Schwaben, jedoch auch andere) oder verschiedenste Sonderbeauftragte, zum guten Teil aus der Umgebung33.
Der groben Systematisierung des noch erhaltenen Materials sind zuerst ein paar einleitende Informationen vorauszuschicken :
1) Meist haben sich nur die (königlichen) Schriftstücke mit dauernder Rechtskraft erhalten, während die laufende Amtskorrespondenz auch in solchen Institutionen, die sich sonst um ihre Registratur vorbildlich kümmerten, meist kassiert wurde. Wie eben schon angedeutet, gilt als eine bezeichnende Ausnahme im Reich Nürnberg, zum Teil auch Frankfurt und Köln, mit vielen Dutzenden, bzw. bis zu ein paar Hunderten von Geschäftsbriefen Wenzels, obwohl wir auch hier aus den städtischen Rechnungen, jedoch auch aus den königlichen Geschäftsbriefen verschiedenes über das Verlorengegangene erfahren können, so daß die ursprüngliche Zahl der schriftlichen Belege noch bedeutend größer gewesen sein muß34. Ähnlich aussagekräftig sind die ziemlich ausführlichen Görlitzer Quellen, d.h. die dortigen zur Hälfte erhaltenen Stadtrechnungen, die es ermöglichen, sich ein besonders plastisches Bild [p. 206] von den liaisons zu machen. Dem ist zu entnehmen, daß auch direkte mündliche Handlungen oft zu belegen sind, derentwegen eben der Stadtschreiber — mit einer kleinen Übertreibung — fast stets zum und vom Hof unterwegs war und dem für seine Verhandlungen mit dem höfischen Beamtentum gar Stadtbücher nach Prag nachgeschickt werden mußten, was sicher nur ein, wenn auch bezeichnender Ausnahmsfall war35. Aber auch andere Stadtbeamten — von der Spitze bis zu den Stadtdienern und Spezialboten — waren hier — und sicher nicht nur hier — oft in städtischen Diensten unterwegs.
2) Die andere Gattung, die ziemlich massiv erhalten geblieben ist, obwohl sie sicher auch nur einen Teil des ursprünglich emittierten Gutes darstellt, sind die mit der Reichssteuer zusammenhängenden Schriftstücke des Herrschers, vornehmlich die Reichssteuerversetzungen, deren Zahl sicher in die Tausende ging und den Städten verschiedentlich Evidenzprobleme machte36.
3) Besonders aufschlußreiches Material bringen die aus historischer und vornehmlich diplomatischer Sicht noch lange nicht als Ganzes ausgewerteten Narrationen der für die Städte ausgestellten Urkunden mit unterschiedlichen Begnadungen, denen man manchmal die konkrete wirtschaftliche Lage jeder einzelnen Stadt (nach städtischen Katastrophen wie Feuerbrunsten oder anderen Plagen, die den herrscherlichen Begünstigungen Impuls gaben) entnehmen kann. Mit anderen Worten heißt das, daß hier meist ein vorausgehendes städtisches Schriftstück vorauszusetzen ist (über das meist freilich keine Spur existiert) oder eine Audienz, die öfter eben in den Narrationen erwähnt wird.
Aus Platzgründen muß diese sehr bunte Realität irgendwie systematisiert werden, was jedoch heißt, daß bis zu einem gewissen Grad gar eine Schematisierung droht. Wenn man sich aber vergegenwärtigt, daß es in der Wirklichkeit oft zur Verschmelzung bzw. Kreuzung der einzelnen Kontaktarten und ihrer Verschriftlichung nicht nur in Grenzfällen kam, so ist die Gefahr der Vereinfachung doch nicht so groß.
Es muß zuerst nachdrücklich unterstrichen werden, daß im folgenden grundsätzlich die schriftlichen Kontakte bevorzugt werden, obwohl die rein mündlichen ungefähr denselben Wegen gefolgt sind (jedoch stets durch Beglaubigungsschreiben begleitet, die sicher ernst geprüft wurden), wobei die [p. 207] eine Art in die andere ohne weiteres übergehen konnte. Ebenfalls ist klar, daß auch die anderen Schichten von Urkundenempfängern ähnlichen Wegen folgen mußten, obwohl dabei nicht vergessen werden darf, daß immer zwischen den “mobilen” und “seßhaften”, mit anderen Worten zwischen den natürlichen und juristischen Personen, unterschieden werden muß, oder wenigstens unterschieden werden sollte, obwohl dabei noch viele andere Momente mitberücksichtigt werden müssen, die die eventuellen Rangunterschiede entweder zuspitzen oder aber mildern konnten. Die Städte besaßen jedoch die Eigenart, daß ihre wirtschaftliche Bedeutung für das Reich bzw. im Falle Böhmens für das Königreich ganz einmalig, und trotz verschiedentlichen Ausfällen bei augenblicklicher Insolvenz, stets kontinuierlich war.
Schon bei dieser Schematisierung taucht ein Problem auf, nämlich worauf Nachdruck zu legen sei, ob auf das primäre Interesse der entsprechenden Partei, oder aber auf die Art der Kommunikation. Für alle Fälle erlaube ich mir alle drei Arten der Beziehungen knapp vorzustellen. Zuerst also zu den Interessen der Verhandlungsparteien :
Das erste movens :
Das Interesse des Ausstellers des betreffenden Stückes :
des Herrschers, das noch weiter spezifiziert werden kann, d.h. je nach dem, wohin das königliche Interesse zielte. Man muß sich nämlich vergegenwärtigen, daß die Zentralmacht im Reich sich als auf ihre Stütze eigentlich nur auf die Reichsstädte verlassen konnte, deren vornehmere Glieder, die mit entsprechender Verwaltungsstruktur disponierten, auch als vermittelnde Stufe der mehr oder weniger funktionsfähigen Kontaktaufnahme der Reichsgewalt mit den Untertanen im weiteren Sinne zu Wort kamen. Die Tiefe dieses Interesses spiegelte sich in den Schriftstücken wirtschaftlichen und politischen Charakters differenziert wider.
der Stadt (der Städte). Die Akzente lagen dabei doch anders, und besonders im Politischen war das Verwaltungstechnische intensiver im Spiel.
Interesse des Empfängers :
des Herrschers, d.h. der Wille informiert zu werden.
der Stadt, seltener ihrer untergeordneten Institutionen und ihrer Vertreter (Spitäler, Pfarrkirchen und ihre Verwalter bzw. Vikare e.a.) evtl. Einzelbürger, vornehmlich die Richter bzw. namhafte Patrizier (wie die Muffel in Nürnberg oder Zum Jungen in Frankfurt).
[p. 208] Die technische Art der Beziehung :
direkte, wohl besser unmittelbare Kontakte, worunter auch die Kontaktaufnahme vom Hof auch durch seine Exponenten gehört :
schriftlich
mündlich
kombiniert
vermittelte Beziehungen :
Interesse von oben
Interesse von unten
Der räumliche Faktor (die Stätte der Kontakte) :
Der Hof sowohl in seinen (Haupt-) Residenzen als auch unterwegs, sowie dessen einzelne Teilstrukturen, einschließlich der sich unterwegs befindlichen Beamten außerhalb des in Frage kommenden Sprengels der konkreten Stadt.
Bereich der in Frage kommenden Stadt, meist zwar die Räume der zuständigen Verwaltungsgebäude, jedoch gelegentlich auch im Freien, meist von der Art der Kontaktnahme abhängig. Dazu gehört freilich auch der unmittelbare Sprengel der Stadt bei evtl. Annäherung des Herrschers.
Dieses dreigliedrige Schema soll jetzt ein wenig konkretisiert werden, vornehmlich was die eigentliche Instrumentalisierung der Rechts- und anderer Geschäfte betrifft, das dann der Wichtigkeit und Art des zu Behandelnden nach weiter zu gliedern ist. Mit anderen Worten handelt es sich um die Differenzierung der schon erwähnten Kontakte sowohl des politischen und wirtschaftlichen als auch Verwaltungscharakters, die freilich verschiedentlich verknüpft, ja verzahnt werden konnten und die entweder juristischen oder nur informativen Inhalt besaßen. Daß sich dabei die einzelnen Aspekte kreuzen bzw. ponenzieren konnten, auch in Abhängigkeit von den an solchen Kontakten beteiligten und mit recht schwankenden Kompetenzen ausgestatteten Leuten beiderseits, versteht sich von selbst. Ähnlich ist auch die Stellung und die wirtschaftliche Potenz der Stadt intensiv mit im Spiel gewesen, freilich mehr, wenn sich diese “auf heimischem Boden” bewegte.
Mit anderen Worten handelte es sich also aus der Sicht der beiden verhandelnden Parteien um eine ziemlich breite Skala von an der Verhandlung beteiligten Personen auf beiden Seiten. Mit den einfachen Boten beginnend bis zu den vornehmsten Ratsmitgliedern. Was dann die Städte betraf, spannte sich der Bogen der städtischen Beauftragten ebenfalls von den einfachen [p. 209] Boten über die Gesandten, meist durch den Stadtschreiber geführt37, bis zu den wirklichen Spitzen der städtischen Regierungen, d.h. bis zu den mehrgliedrigen repräsentativen Gesandtschaften der Ratsvertreter evtl. durch den Bürgermeister geführt, die in mehr oder weniger feierlichen Gehören durch die Hofbeamten bzw. gar in den Audienzen durch den Herrscher empfangen wurden.
Dieser Feierlichkeit wurde bis zu einem gewissen Grad auch die finanzielle Kostspieligkeit des ganzen “Theaters” unter-, bzw. übergeordnet, die eben die meisten kleineren, d. h. wirtschaftlich beschränkten Petenten vom intensiveren Verkehr mit der Zentrale abschreckte, da die Ausgaben einfach zu hoch waren. Dadurch ist auch eine gewisse Unausgewogenheit (auch wenn man die Lücken berücksichtigt) der Privilegienbestätigungen und -erteilungen zu erklären38. Jedoch auch hier ist der konkrete Zusammenhang nicht einfach arithmetisch zu sehen. Da der Herrscher motiviert war, in den Städten seine grundlegende finanzielle Quelle dauernd zu wahren, mußte er aus eigenem Interesse eine bis zu einem gewissen Grad entgegenkommende fiskalische Politik pflegen. Mit anderen Worten heißt das, daß er stets geneigt war — und das nicht nur bei verschiedensten Katastrophen — die Städte zu bevorzugen bzw. sie wirtschaftlich zu unterstützen, freilich ohne eigene direkte Investitionen, jedoch zeitbedingt auf Erträge verzichtend. Von solchen städtischen Unglücksfällen wie häufigen Bränden und ähnlichen Plagen erfuhr er sicher unmittelbar von den Städten selbst, die hier erhöhtes Interesse an schneller Information des Hofes haben mußten ; nicht selten galt diese Unterstützung der militärischen bzw. sozialen Pflege der Stadt : Restaurierung von Stadtbefestigungen, Straßenpflasterung, Wasserleitung u.a.m.39.
Diese unmittelbaren Kontakte, wichtige innere Ereignisse betreffend, sind aber auch in der Gegenrichtung, d.h. vom Hof her zu verfolgen. Da ist meist natürlich nicht von den Unsitten u. ä. am Hofe die Rede, wenn man [p. 210] freilich von dem ständigen Geldmangel und von den damit zusammenhängenden Geldanforderungen absieht, sondern von verschiedenen “familiären Ereignissen” bzw. staatlichen Akten, die oft zusammenflossen, die Rede, d.h. es werden den Städten (zwar nicht nur, jedoch vornehmlich) Krönungszüge, die Geburten in der Herrscherfamilie, Todesfälle, Heiratspläne u.ä. mitgeteilt, die jedoch folglich nicht selten Beschwernis40 in den benachrichtigten Städten verursachen konnten, da hinter solchen Informationen seitens des Herrschers stets der Gedanke stand, daß die Städte bei solcher Gelegenheit nicht nur mit dem bloßen Glückwunsch oder Kondolenz kommen, sondern auch mit entsprechenden Geschenken, bzw. mindestens sich mit der würdigen Präsenz zeigen mußten41. Aber schon Schluß mit diesen allgemeinen, jedoch stets nur skizzenartigen Bemerkungen, die nämlich nur Ausgangsbasis für das Hauptthema bilden sollen, nämlich wie sich alles das in dem eigenen städtischen Urkunden- und überhaupt Geschäftsschriftgut widerspiegeln konnte und widergespiegelt hat.
Dabei ist klar, daß es sich im folgenden immer nur um Teile der breiter gefaßten Problematik handelt, was mit anderen Worten bedeutet, daß in ähnlicher Weise wie mit dem Königtum, die Städte auch mit anderen Mächten der Zeit — sowohl weltlich als auch geistlich — kommuniziert und das Geschäftsschriftgut ausgestellt und empfangen haben, wobei dieses beiderseits meist nicht als so systematisch und nicht so schwerwiegend galt. Dabei ist noch der Fragenkomplex der Übersetzungsprobleme nicht zu unterschätzen, der aber hier bis auf ein paar Anmerkungen ausgeklammert werden muß, wobei es sich lange nicht nur, ja lange nicht vornehmlich, um die eng kanzelarische Angelegenheit handelte, sondern auch um die Präsentation des lateinischen Schriftgutes gegenüber lateinunkundigen Vertretern der städtischen Selbstverwaltung42.
[p. 211] Diese Frage hat zwei ziemlich autonome Problemkreise. Den ersten — obwohl er schon an sich interessant genug ist — genügt es diesmal nur zu erwähnen, da er sich der historisch-juristischen Evidenz des empfangenen Gutes widmet. Ihm nachzugehen bedeutete einerseits das Archivieren der Originale (einschließlich verschiedener allgemeiner bzw. spezialisierter Urkundenverzeichnisse) und ihre aktive Rolle in Form der Benutzung und öffentlichen Präsentation im alltäglichen Rechtsleben der Städte zu verfolgen, andererseits dann auch ihrer internen Evidenz in der städtischen Kanzlei im Rahmen der abschriftlichen Überlieferung nachzugehen, sei es in Form verschiedener Bestätigungen und Vidimaten (hier besonders durch die öffentlichen Notare bzw. nahestehenden geistlichen Institutionen) oder im Rahmen der städtischen Kopialbücher. Übrigens ist das städtische Kopialgut, sei es im Rahmen selbständiger Handschriften, sei es als bloße Abteilung im Rahmen eines breiter gefaßten Stadtbuches, noch lange nicht entsprechend gewürdigt worden. Im Rahmen dieses Archivierens bzw. der erneuernden Kenntnisnahme der vorhandenen älteren Privilegien für die Stadtregierung ist es besonders interessant, der Behandlung der nichtvolkssprachigen Texte nachzugehen. Mit anderen Worten heißt das, festzustellen, wann (und wenn möglich warum, was jedoch immer kompliziertere Frage ist) im deutschsprachigen Milieu die lateinischen Texte ins Deutsche, im tschechischen dann sowohl die lateinischen als auch die deutschen ins Tschechische übersetzt wurden (43). Es handelt sich dabei um die Frage des Kanzleipersonals, das zwar in Böhmen begreiflicherweise stets bi- oder eher trilingual war, jedoch auch im reichstädtischen Nürnberg (und vielleicht auch anderswo in relativer Nähe der Staatsgrenze) mußten für das tschechisch verfaßte Schriftgut (freilich nicht für das luxemburgische, jedoch anderswoher kommende Schriftgut) Spezialkenntnisse angefordert werden. Das kann hier jedoch nur zur Kenntnis genommen werden, und unser Augenmerk soll nun den aktuellen Unterlagen der Städte gelten.
Dabei darf man natürlich nicht vergessen, daß ein typologischer Versuch, um nicht völlig scheitern zu müssen, nur die Rahmenkonturen skizzieren kann, da die Städte — auch die vergleichbaren — sich nach inneren Bedürfnissen richteten, ja eher noch, daß ihre Unterlagen und überhaupt der ganze Geschäftsgang durch die entsprechenden Kanzleivorstände geprägt wurden, da städtische Kanzleiordnungen damals noch das Zukunftsmusik waren43.
[p. 212] Das bei den Kontakten mit der Zentralmacht entstandene eigene städtische Schriftgut kann also aus dieser Sicht in zwei große Gruppen unterteilt werden, nämlich in das des inneren Kanzleilaufes und in das expedierte. Beide Gattungen kamen zur Geltung bei allen oben skizzierten Kontaktnahmen, jedoch in verschiedenen Phasen der diesbezüglichen Verhandlungen. Das eben Erwähnte deutet an, daß noch eine dritte, schon angeführte Gruppe zu beobachten ist, die die Abschriften des fremden, d.h. die betreffende Stadt nicht direkt ansprechenden, jedoch interessierenden Gutes in kopiale Überlieferung enthält, die aber im folgenden nicht verfolgt werden kann, die jedoch für eine selbständige Untersuchung reserviert werden muß44.
Beide erstgenannten Gruppen reagierten auf die momentane Situation und auf den Inhalt des von außen kommenden Gutes. Denn oft genügte es nur, den entsprechenden Inhalt des Schriftstückes der übergeordneten Behörde zur Kenntnis zu nehmen, wobei das Eingelaufene in die Kanzlei zum Archivieren bzw. Kassieren weitergeleitet wird. Der Wichtigkeit des Mitgeteilten nach wird es evtl. in den Protokollen der Einläufe, die um diese Zeit entstehen begannen, verzeichnet, bzw. wurde das eingelaufene Schriftstück zum Konzept der eigenen Antwort verwendet ; es genügt nur auf die frisch erschienene Edition Rübsamens aus Nürnberg hinzuweisen45. Wenn jedoch ein solches Schriftstück weiterer Behandlung würdig war, da wurde es — nach der Besprechung im kompetenten Gremium der Kanzlei — als Unterlage zur Bearbeitung geliefert, die es manchmal, ja wohl meist, zur Ausarbeitung einer Antwort benutzte. Ein ganz seltener, jedoch sehr anschaulicher Fall dieses wohl üblichen, bzw. wenigstens üblicheren Fortganges ist aus Regensburg der Zeit Wenzels IV. bekannt, wobei er darüber hinaus überraschenderweise auch zur persönlichen Politik des Königs der Zeit beiträgt46.
[p. 213] Etwas anderes waren dagegen verschiedene “akute” “Stoßangelegenheiten”, die sich in einem knapp begrenzten Zeitabschnitt regeren Schriftverkehrs aktuell ergeben haben, wie darüber verschiedene, auch relativ entlegene Urkundenbücher wenigstens einen matten Abglanz bieten47.
Ein anderes Vorhaben haben die großen Städte im Dienste der Zentralverwaltung als Pflicht gehabt, nämlich wenn sich der König an sie mit Schriftstücken mit einer breiter gefaßten Adresse, die mehrere Städte angeführt hatte, wandte. Die zweifellosen Empfängervermerke an solchen Schriftstücken im Wortlaut per copiam, die den führenden Städten ausgehändigt wurden — sie sind besonders bei Nürnberg belegt — sind wohl so zu deuten, daß solche führende Stadt sich verpflichtet fühlte und auch verpflichtet war, sich für die Versendung von gleichlautenden Abschriften an die übrigen Mitempfänger zu kümmern48. Das war jedoch nur einer der vielen Aufträge. Manchmal sind für den König auch städtische Boten im Einsatz gewesen, und es finden sich auch andere Belege für die Ausübung anderer Dienste.
Im Bereich des böhmischen Königreichs waren es wohl vornehmlich eben die königlichen Städte, die die allgemeinen Entscheidungen des Königs publik zu machen verpflichtet waren, wie es als kleine pars pro toto gut das königliche Einschreiten gegen die Häretiker aus dem Jahre 1388 zeigt, wo gar die Publikationsform ziemlich genau vorgeschrieben war49. Solche Vermittlungsdienste leisteten die Städte manchmal, ja oft, auch in anderen Fällen. Natürlich gab es mehrere Möglichkeiten von konkreter Reaktion auf unterschiedliche Anweisungen bzw. Befehle des Königs. Meist freilich genügte es, diese Informationen bzw. Direktiven bloß zur Kenntnis zu nehmen, was am besten die zahlreichen und sozusagen flächenweisen und sich oft Jahr für Jahr wiederholenden Reichssteuerüberweisungen, auch an kleine Reichsstädte, [p. 214] bezeugen50, ein anderes mal — und das ist besonders wichtig — informierte man dabei über die Absichten und Pläne des Hofes.
Im erblichen Königreich (d.h. auch in dessen Nebenländern) liefen also die Kontakte zwar ungefähr ähnlich, doch die unmittelbareren Beziehungen und relative Nähe erlaubten der Zentrale ein tieferes und vornehmlich kontinuierlicheres Eingreifen in das innere Leben der diesbezüglichen Städte, die sonst aus der Sicht der böhmischen Zentralgewalt als ihre wichtigste Stütze galten51. Besonders interessant sind die flächenmäßigen Befehle des Herrschers bzw. Anweisungen an die ganze Gruppe dieser Städte, oder eher die diesbezügliche Reaktion der angesprochenen Städte. Ein seltener Fall der städtischen Reaktion auf herrschaftliche Winke ist seltsamerweise in der Zentrale erhalten geblieben. Der Grund dafür ist, daß diese Stücke jedoch nicht in der Hofkanzlei aufbewahrt wurden, sondern in das böhmische Kronarchiv gelangten. Nicht all zu viel, jedoch Bezeichnendes ist dort erhalten, dem gewisse Streiflichter entnommen werden können, Streiflichter, die verschiedene “Anomalien” präsentieren. Sie waren wohl nicht so außerordentlich, wie vermutet werden könnte. Es handelt sich um kleinere oder größere Reihen von Urkunden, um ihre gewissen Verpflichtungen gegenüber dem Gemeinwohl, zu denen sich die Städte bekannten, freilich unter herrschaftlichem Druck (Rüstungs- bzw. Kornaufbewahrung, Lehnseide e.a.). Sie spiegeln verschiedene Stufen der Beteiligung der einzelnen königlichen Städte an ihrer Verbriefung wider, und zeigen e.a. auch die direkte Mitwirkung der Hofkanzlei, wie es nicht nur die gleichen Daten und evtl. gleiche Ausstellungsorte bei Hofe, sondern auch Text- und Schriftvergleich zeigen. Es handelt sich also um ein interessantes Phänomen der Empfängerausfertigung in einer Zeit, als diese Kategorie schon fast nicht mehr auftaucht. Da solche Urkunden jedoch nicht für alle Städte erhalten geblieben sind, die dabei sicher mitmachen mußten, kommt man auf diese Weise wieder zur Frage und Rekonstruktion mehrerer Deperdita zurück52, deren Zahl einfach nicht hoch genug geschätzt werden kann.
[p. 215] Eigentlich sollte hier noch ein Fragenkreis mindestens angeschnitten werden, nämlich der der Kontakte der einzelnen Bürger zum Hof, die manchmal große Wichtigkeit — auch für die Städte selbst — besaßen. Der Grund dafür ist einleuchtend, da die Luxemburger, besonders freilich Wenzel, die Leute aus diesen Kreisen, vorwiegend aus dem Patriziat, öfter an ihren Hof gezogen und ihnen verschiedene Funktionen anvertraut haben. Jedoch nicht nur die bürgerlichen Höflinge, auch reiche Einzelbürger galten als Empfänger des kaiserlich-königlichen Schriftgutes, was zugleich bedeutet, daß sie auch ihrerseits mannigfaltig selbst Korrespondenz mit dem Hof geführt haben mußten. Im eigenen Interesse, das jedoch mehrmals ins Interesse der ganzen diesbezüglichen Stadt münden konnte. Aber das ist eher ein Thema für eine andere Arbeit53.
Die zweite Kategorie der Beziehungen ist ab eigentlichen inneren Bedürfnissen und Verpflichtungen der Einzelstädte abzuleiten. Vereinfachend formuliert bedeutet das, daß es sich um verschiedenartige Benachrichtigungen der Zentrale handelte, die keine direkte oder gar zwingende aktive, d.h. schriftliche Reaktion erwarteten. Da kann man gar konstatieren, daß konkrete Großstädte, so namentlich wieder Nürnberg, hier sogar die Pflicht hatten, über solche Dinge ja innerhalb des weiteren räumlichen Horizonts der Stadt den Hof oder seine Beauftragten zu informieren. Das ist eigentlich nur die andere Seite der Medaille, über deren erste eben die Rede war. Das konnte umso leichter geschehen, als die Stadt schon mindestens ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhundert ein verzweigtes Nachrichtennetz ausbaute, das stets im Aufbau war, um eben im Zeitalter der hussitischen Revolution sich als gut fungierende Nachrichtenzentrale des gesamten Reiches zu etablieren, das weitverzweigte Kontakte über die Städte hinaus kontinuierlich pflegte, ja mindestens zeitweise seiner Art Residenten in Prag besaß, als König Wenzel das Reisen so gut wie völlig mied54.
[p. 216] Fassen wir zusammen : es ist also zu sagen, daß der schriftliche Verkehr der Städte mit dem König/Kaiser im luxemburgischen Zeitalter den älteren Zeiten gegenüber sehr an Intensität gewann und die Städte gar dazu zwang, ihre diplomatischen Aktivitäten (sowohl im Sinne der Diplomatie als auch der Diplomatik) bedeutend zu steigern, neue Arten von Kontaktaufnahmen zu suchen und letzten Endes auch alte Einrichtungen den neuen Bedürfnissen anzupassen bzw. gar neue Gattungen vom Geschäftsschrifttum zu entfalten, obwohl auf der anderen Seite das Gegenteil gilt, nämlich daß die städtischen Kanzleien in manchen Richtungen auch für die erst allmählich seßhaft werdende Reichshofkanzlei in mehreren Hinsichten vorbildlich sein konnten55. Die qualitativen sowie quantitativen Veränderungen im städtischen Bereich im allgemeinen sind natürlich nicht flächenweise zu finden, doch gelten sie als ein Phänomen, das in die Zukunft wies. Solch reger Verkehr zwang zugleich zur Gründung verschiedener interner Evidenzhilfsmittel, die jedoch wegen ihrer beschränkten Geltung so gut wie unbekannt sind und meist nur vermutet werden müssen.
Das alles klar oder wenigstens klarer zu beschreiben und zu sehen wird noch viel Kleinarbeit brauchen, wobei lange nicht immer eindeutige Ergebnisse zu erwarten sind. All zu viel ist aus verschiedenen Gründen verlorengegangen, viel blieb noch im unmittelbaren schriftlosen Kontakt verhaftet, so daß oft nur — jedoch vorsichtige — grobe Konturen zur Verfügung stehen, die jede Stadt durch ihren eigenen Geist füllen und modifizieren konnte.