[p. 217] Kurzgefaßte Geschichte der Erforschung der städtischen Diplomatik in den böhmischen Ländern
Das städtisch-diplomatische Gut ist, sit venia verbo, so gut wie stets unentbehrliches Material für mannigfaltigste Forschungen historischen, jedoch auch rechtsgeschichtlichen sowie philologischen Charakters gewesen, ja hat darüber hinaus eben durch die Fülle der einzigartigen prosopographischen, statistischen und sozialgeschichtlichen Informationen zur intensiven Ausbreitung des historischen Forschungsfeldes gedient. Doch erst die möglichst volle diplomatische Bearbeitung und Durchdringung dieser Materialien ermöglicht es, ihre Aussagekraft entsprechend zu sichern und maximal auszunützen. Der Weg dazu ist jedoch nicht einfach und schon überhaupt nicht geradlinig, und es gilt zugleich, daß er in einzelnen regionalgebundenen Historiographien unterschiedlich verlief. Eine ganz knappe Skizze der böhmischen, d.h. der böhmisch-mährischen Historiographie in diesem Kontext soll hier geboten werden. Dabei ist klar, daß man sich der Unterschiedlichkeit des eng urkundlichen und der buchartigen Überlieferung (einschließich des Materials der Stadtrechnungen) stets bewusst sein muß.
Die bloße historiographische Bearbeitung, d. h. die textliche Ausnutzung bzw. direkte Wiedergabe hat in Böhmen schon am Ende des 18. Jahrhundert ihre Anfänge, die jedoch keine systematische und kontinuierliche Fortsetzung fanden, wobei erst die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts Systematischeres im Bereich des diplomatisch problemlosen Edierens anzubieten vermag1, was auch ziemlich langes allgemeines Desinteresse am kommunalen Archivwesen nicht unbedeutend beeinflußt hat2. Bei den ersten komplexer konzipierten und das Mittelalter betreffenden Urkundeneditionen wurden meist nur die städtischen Urkunden, jedoch einiges auch aus der abschriftlichen Überlieferung hinzugezogen. Nur die Regesta diplomatica nec non epistolaria Bohemiae et Moraviae brachten in ihren die erste Hälfte des [p. 218] 14. Jahrhunderts betreffenden Bänden3 auch verschiedene aktenkundliche sowie Rechnungseinträge aus dem ältesten Stadtbuch der Prager Altstadt. Auch sonst machte die Publikation des genuinen städtischen Materials einschließlich der vereinzelten Stadtbücher als Ganzes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert einen bedeutenden Schritt vorwärts, was mit dem algemeinen Interesse an Stadtgeschichte zusammenhing. Folglich spiegelte sich die Tendenz der fortschreitenden Verwissenschaftlichung der Stadtgeschichtsforschung auch im Bereich des städtischen Archivwesens, das sich vorher in ganz miserablem Zustand befand, auch wenn die Archivalien, jedoch leider meist eben nur die Urkunden, vorläufig zuerst in den Museen Zuflucht fanden4.
Der entscheidende Schritt vorwärts geschah jedoch um diese Zeit sowohl in der tschechischen als auch in der deutsch-böhmischen Historiographie bzw. in dem Editionsverfahren. In der tschechischen Historiographie geschah es endgültig im Rahmen der großangelegten Editionen wie etwa Codex iuris municipalis regni Bohemiae und “Archiv český”5, jedoch nicht systematisch genug. Dazu gesellte sich das nicht minder breit angelegte topographische Werk von V.V. Tomek zur alten Prager Topographie, das die Prager Stadtbücher zu diesem Zweck bis zum Jahr 1437 sorgfältig exzerpierte. Hinzukamen, jedoch nur vereinzelt, die Urkundenbücher bzw. Regestenwerke der tschechischen Städte, während es sich in der deutschen Forschung um eine ziemlich breit konzipierte Reihe der Urkundenbücher der deutschen Städte in den Randgebieten Böhmens handelte6. Soweit dann damals die einzelnen [p. 219] Stadtbücher durch regionale Initiative zur Edition gelangten, handelte es sich auf beiden Seiten um “glatte” Texteditionen7. Der Versuch von Ferdinand Tadra die gesamtböhmische Diplomatik des luxemburgischen Zeitalters (und in diesem Rahmen auch die städtische) zu bewältigen, mußte damals (1892) ebenfalls scheitern und hat sich fast nur auf die Zusammenstellung der entsprechenden prosopographischen Angaben und anderer auf der Hand liegenden Faktographie beschränkt8.
Um diese Zeit hat die Erforschung der Stadtbücher in Deutschland ein wichtiges Kapitel hinter sich, ein Kapitel, das Karl Gustav Homeyer mit seinem Buch von 1860 einleitete, wobei jedoch eher die rechts- und enger stadtgeschichtlichen Aspekte zum Ausdruck kamen, während das Hilfswissenschaftliche eigentlich auch am Rande des Interesses blieb. Homeyer hat mehrere Nachfolger gehabt, unter welchen es besonders Paul Rehme war, der zaghaft, jedoch merklich den diplomatischen Zugang zum städtischen, besonders buchartigen Material bahnte9. Das hat am Ende des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts dem jungen Absolventen der Prager tschechischen Universität Václav Vojtíšek (1883-1974), der sein Leben dem Prager Stadtarchiv und ab den zwanziger Jahren auch der Universität sowie der Prager Archivschule geweiht hat, in mehreren Hinsichten den äußeren Anlaß gegeben, dieses Phänomen zu seinem Lebens- und zugleich Lieblingsthema zu machen10. Vojtíšeks Aktivitäten führten — nachdem er von der rein utilitaristischen Wiedergabe der Stadtbucheinträge für die Prager Topographie Abstand genommen hatte — sowohl zu theoretisch-methodologischen Überlegungen als auch zur musterartigen Bearbeitung der konkreten böhmischen Stadtbücher des 14. bis 16. Jahrhunders, auch außerhalb Prags, wobei jedoch das eigentliche Urkundengut zum guten Teil beiseite blieb, soweit es sich nicht um die [p. 220] Erforschung des städtischen Siegelwesens, des zweiten großen Themas im Vojtíšeks Lebenswerk handelte, wo er ebenfalls Grundlegendes vorlegen konnte11.
Während bis zum Ende des ersten Weltkrieges Vojtíšek als anerkannter Einzelgänger galt12, hat er in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg aus seinem archivischen Publikationsorgan, nämlich aus dem Sborník příspěvků k dějinám hlavního města Prahy (unter seiner Redaktion sind sieben sehr stattliche Bände erschienen) zielbewußt eine breite Tribüne für diplomatischverwaltungsgeschichtliche Städteforschung gemacht, in der Arbeiten seiner Schüler sowohl aus der neu gegründeten Archivhochschule als auch später aus der Universität publiziert wurden, wobei er selbst eine großange-legte Geschichte der Stadtkanzlei und des Stadtbuchinstituts in der wichtigsten westböhmischen Stadt, Pilsen, konzipiert hat, die leider nur zum Teil zum Druck gelangte13.
Vojtíšek selbst hat darüber hinaus begonnen, ein groß angelegtes Tafelwerk zur Stadtbuchdiplomatik zu publizieren, das jedoch wegen der wirtschaftlichen Krise nur als imposantes Fragment gilt14. Neben Vojtíšeks prägender Aktivität muß noch ein Name erwähnt werden, nämlich der von Bedřich Mendl (1892-1940), der unabhängig von diesem Strom zur städtischen Diplomatik von der Wirtschaftsgeschichte her gekommen ist, und der seiner berühmten und umfangreichen Edition der Brünner Steuerbücher der Mitte des 14. Jahrhundets eine äußerst instruktive, ausführliche und allseitige [p. 221] diplomatisch-wirtschaftsverwaltungsgeschichtliche Analyse beigefügt hat, die bis jetzt als methodisch aktuell gilt15.
Seine eigenen Aktivitäten konnte Vojtíšek nach ihrer gewaltsamen Unterbrechung während des II. Weltkrieges (wann e.a. die tschechischen Universitäten unterdrückt wurden und auch die Germanisierung des Archivwesens begann) nach dem Jahre 1945 noch erfolgreicher entfalten. Nachdem das archivalische Hochschulstudium an die Universitäten verlegt worden war, entstanden in Prag (während in Brünn eine zeitlang fast ausschließlich der urkundlichen Problematik des “Codex diplomaticus regni Bohemiae” Aufmerksamkeit geschenkt wurde) buchstäblich Dutzende von Dissertationen bzw. von Magister- und Diplomarbeiten mit der Stadtbuchthematik und neben ihnen auch der Gesamtkatalog des böhmisch-mährischen Stadtbuchgutes bis 1526, wo fast 1200 Einheiten (davon beinahe die Hälfte aus Eger !) einschließlich Deperdita evidiert wurden16. Diese Zahl hat sich inzwischen nur wenig erhöht.
Jedoch darf die Brünner Aktivität im Rahmen der Přemyslidenzeit des oberwähnten Codex, der bis 1310 geplant ist, nicht übergangen werden. Denn aus äußerem Anlaß bereiteten die beiden Herausgeber des Codex diplomaticus regni Bohemiae, Jindřich Šebánek und Saša Dušková, schon um die Mitte der 50er Jahre eine ausführliche Skizze der gesamtböhmischen Diplomatik dieser Zeit vor, in der auch ein relativ detaillierter Abriß der städtischen Verhältnisse zur Sprache gekommen ist17, und in der die sich stets vertiefenden städtischen Aktivitäten der späten Přemyslidenzeit ziemlich genau beschrieben [p. 222] wurden. Daß dabei auch andere Arbeiten, die mit diesem Unternehmen zusammenhingen, entstanden, versteht sich von selbst18.
Die Stadtbuchführung ist für das ausgehende 13. Jahrhundert nur in Ansätzen und nur in der Prager Altstadt bezeugt, wobei die diesbezüglichen Hinweise darüber hinaus kaum eindeutige Schlüsse erlauben. Erst im Jahre 1310 ist ein erstes Stadtbuch im vollen Sinne des Wortes erhalten, das wieder der Prager Altstadt gehört, dem jedoch schon ab 1311 ein anderes einer kleinen untertänigen Stadt (Neu-Bydžow) folgt, (wenn man die dem Lande erst später angegliederte Reichsstadt Eger außer Acht läßt). Zur Blüte gelang das Institut der Stadtbücher in allen Arten von Städten erst ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, was auch die Aktivität der “Prager Schule” widerspiegelt.
Da die Zahl dieser Arbeiten, zum guten Teil unter Vojtíšeks Nachfolgern, in mehrere Dutzende wächst19, kann nur eine ganz ungefähre Charakteristik geboten werden, bei der nur wenige konkrete Namen zum Ausdruck kommen können. Darüber hinaus gilt, daß diese Nachwirkung auch nach dem Studienabschluß zu verfolgen ist, vornehmlich, wenn man in den Archiven mit dem städtischen Material konfrontiert wurde. Und da die Stadtbücher nur einen Teil des zunehmend sich verbreitenden städtischen Verwaltungsgutes darstellen, wobei stets die Absicht gilt, daß das Material möglichst komplex ausgewertet werden soll, werden diese Arbeiten oft auch zur komplexen Stadtgeschichte der entsprechenden Zeit. Das gilt für alle Gattungen von Städten, also nicht nur für die königlichen, sondern auch für die untertänigen. Daß dabei neben der Diplomatik vornehmlich Verwaltungsgeschichte zum Ausdruck kommt, versteht sich von selbst, jedoch weder Siegelkunde noch Sozial-, Kultur-, Volkstums- und überhaupt politische Geschichte werden beiseite gelassen. Im Laufe der Jahre hat auch die “Brünner Schule”20 ihren Aufgabenbereich erweitert, so daß auch dort [p. 223] beachtliche Arbeiten zu verzeichnen sind. Wenn man doch konkrete Ergebnisse der zeitlichen Reihenfolge nach vermitteln will, ist an erster Stelle namentlich der methodisch-didaktische Aufsatz von Jiří Pražák zu nennen, der dabei die ganz konkreten eigenen Forschungsergebnisse diplomatischpaläographischer Art sowie die seiner Generation der Prager “Stadtbuchforscher” verwertet und in gewissem Sinne verallgemeinert hat21. In vorbildlicher Weise beschreibt er die diplomatische Methode der Stadtbucherforschung und belegt seine konkreten Schlüsse mit mehreren Beispielen, so daß ohne Übertreibung zu konstatieren ist, daß dadurch das methodisch hohe Niveau der meisten folgenden Arbeiten nachhaltig beeinflußt wurde, ja wird.
Die Darstellungsart und der Ertrag der Ergebnisse der Einzelarbeiten wurde natürlich durch entsprechenden regionalen Quellenreichtum bzw. -dürftigkeit limitiert, besonders dann auch durch die konkrete Aussagekraft der einzelnen Stadtbuchgattungen, denen schon seit Vojtíšeks allererster Anfänge ziemlich große Aufmerksamkeit gewidmet wurde, wobei allmählich besonders auch die Rechnungsbücher Gegenstand des erhöhten Interesses wurden.
Gewissermaßen als Sonden in die Fülle der Bearbeitungen können folgende Beispiele ein wenig näher dokumentiert werden : Prag, Brünn, Olmütz, Pilsen, Iglau, Böhmisch Budweis, Tabor, Laun und Eger. Ausdrücklich sei jedoch unterstrichen, daß nicht nur diese großen königlichen Städte, sondern auch die kleineren bzw. ja gar die Minderstädte relativ oft bearbeitet werden, obwohl ihr Material meist nur ein solitäres Stadtbuch aufweist. Und gerade bei den kleineren Städten ist zu unterstreichen, daß wegen der häufig begreiflichen Dürftigkeit der älteren Quellen der Nachdruck auf die jüngeren Jahrhunderte gelegt werden mußte, so daß eben in diesem Bereich der Urkundenforschung die fast “magische Grenze” zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit am systematischsten überbrückt wird. Knappe, jedoch konkrete Information sei als pars pro toto für die eben genannten Städte geboten :
Als Prag22 gelten im Mittelalter drei untereinander selbständige königliche Städte. Dominierend war die Prager Altstadt, die neben dem urkundlichen Auslauf (schon ab den 60er Jahren des 13. Jahrhunderts) auch das älteste nachgewiesene und zugleich erhaltene Stadtbuch (Liber vetustissimus statutorum et aliarum rerum memoriabilium, ab 1310) im Lande geführt [p. 224] hat, das als Ratsbuch, galt und in dem über ein Jahrhundert hinaus e.a. die Rechnungen, Neubürgerverzeichnisse, verschiedene Statuten, umfangreiche, bis in das 13. Jahrhundert reichende urkundliche Kopialüberlieferung, verschiedene Statuten u.a.m., jedoch nicht ganz systematisch, verzeichnet wurden. Seit Mitte des 14. Jahrhunderts traten mehrere systematisch angelegte Gerichtsbücher für unstrittige Angelegenheiten hinzu, um im 15. zur vertieften Spezialisierung zu kommen. Und da die Kanzlei der Altstadt im Rahmen des Königreichs ganz algemein, in der hussitischen Zeit besonders, eine wichtige Rolle spielte, sind auch die Editionen und Literatur sehr umfangreich und wachsen buchstäblich von Tag zu Tag. Die Editionen jedoch entsprechen den modernen Anforderungen kaum, da sie stets nur eine mehr oder weniger subjektive bzw. sachliche Auswahl der Urkunden bzw. Stadtbucheinträge bringen. Eine Vorbereitung des Prager Urkundenbuches und die Herausgabe mindestens der wichtigeren Teile des Liber vetustissimus ist eine dringende Aufgabe nicht nur der Prager Stadtforschung, sondern der ganzen böhmischen Mediävistik23. Das um so eher, da dabei auch die übrigen Prager Städte miteingerechnet werden müssen, die jedoch auch ziemlich alte stadtbuchartige Überlieferung haben, die Prager Neustadt (gegr. 1348) dann auch politisch und kulturgeschichtlich wichtige Kanzleibeamte besaß (der Autor des Ackermanns aus Böhmen, Johann von Saaz, und Laurentius von Březova, der wichtigste Chronist der Anfänge der hussitischen Revolution), was freilich auch für die Altstädter Kanzlei gilt, wo die “Juristendynastie” der von Weilburg in der Zeit um 1400 amtierte.
Da für Brünn auf den Beitrag von Frau Sulitková in diesem Band hingewiesen werden kann, kann zur zweitwichtigsten Stadt von Mähren, nämlich zu Olmütz, übergegangen werden, die sich nicht nur der diplomatischen Analyse der alten Verhältnisse der Stadtkanzlei durch Ladislav Baletka, sondern auch der kritischen Edition mehrerer Stadtbücher, vornehmlich des ältesten (ab den 40er Jahren des 14. Jahrhunderts) und darüber hinaus der frühneuzeitlichen Achtbücher, die längst tschechisch geführt wurden, rühmen kann24. Die drittwichtigste mährische Stadt, Iglau, wurde zum [p. 225] Gegenstand der Forschungen von František Hoffmann, der vornehmlich ihre Rechnungs- und Achtbücher des hussitischen Zeitalters umfassend interpretierte und die letzteren zum Druck vorbereitete25.
Überraschend mannigfaltige Quellenüberreste erhielten sich im südböhmischen Böhmisch Budweis, das durch Zdęněk Šimeček eine komplexe Analyse sowohl der Kanzlei als auch ihrer urkundlichen und buchartigen Produkte erfuhr26. Die Fortsetzung der alten Edition des städtischen Urkundenbuches, das nur bis zum Jahre 1391 reicht, ist nach den mehrmaligen Quellenfunden noch wünschenswerter als sonst.
Pilsen wurde schon in der Zwischenkriegszeit Gegenstand der komplex konzipierten Analyse Vojtíšeks27, dessen Schüler Miroslav Bělohlávek e.a. das wichtige Pilsner Rechnungsbuch des 16. Jahrhunderts herausgab, und dessen Tochter dann das älteste erhaltene Pilsner Stadtbuch komplex analysierte28. Auch die beiden folgenden Städte, Tabor und Laund, können sich komplexer Bearbeitung ihres Materials, das sehr unterschiedlich ist, rühmen : Tabor war eine revolutionär hussitische Gründung des Anfangs der 20er Jahre des 15. Jahrhundert und besitzt aus dem Mittelalter bloß ein Kaufbuch der Jahre 1432-1450, das trotz seiner Dürftigkeit eine überraschend komplexe Einblicke sowohl in das Verwaltungsfungieren der Stadt als auch in ihre soziale und wirtschaftliche Modifikation in der Zeit der “Stadtwerdung” [p. 226] gewährt29. Laun dagegen hat ordentliches Verwaltungsleben schon ab rund der Mitte des 13. Jahrhundert geführt und dementsprechend auch eine geordnete Kanzlei gehabt. Da — man möchte fast sagen durch Zufall — die Grundreihe der Gerichtsbücher kontinuierlich ab 1347 läuft und auch aus anderen Bereichen der Stadtverwaltung Überreste erhalten geblieben sind, konnte sich die Forschung, vornehmlich die diplomatische, dieser Problematik systematisch widmen. Und da auch ein Steuerbuch des fortschreitenden 15. Jahrhundert, das erhalten geblieben ist, einen Editor und zugleich Bearbeiter fand, gehört die mittelalterliche innere Geschichte der Stadt zu den besterforschten30.
Zum Schluß ist Eger wegen seiner Eigenartigkeit zu erwähnen. Diese Stadt besitzt als einzige in der Tschechischen Republik in mehreren ununterbrochenen Reihen verschiedene Stadtbucharten vornehmlich von Steuerbüchern, die gar einer breit gefaßten statistischen Auswertung wert sind. Obwohl hier schon vom Ende des vorigen Jahrhunderts die systematische Erschließungsarbeit intensiv im Gange ist, zuerst durch die deutschen, nachher durch die tschechischen Forscher betrieben, steht die wirkliche diplomatische Bearbeitung der einzelnen diplomatischen Kategorien sowie ihre Kanzleigeschichte leider noch aus. Da ich jedoch diese Erforschung monothematisch vor Kurzem erarbeitet habe, finde ich eine entsprechende Wiedergabe nicht für sinnvoll31.
Vornehmlich aus rechtshistorischem Interesse wird jetzt die früher eher aus rein thematischer Attraktivität verfolgte Editionstätigkeit der gerichtlichen Schwarzbücher weitergeführt, der auch diplomatisch-rechtsgeschichtliche Analysen folgen, die einerseits tief in die Neuzeit fortschreiten, anderseits zur Synthese zielen32.
[p. 227] Die deutsch-böhmischen Aktivitäten nach dem I. Weltkrieg sind nicht all zu sehr zu schätzen, doch entstanden sowohl theoretische Abhandlungen, als auch Einzelanalysen bzw. Stadtbucheditionen33.
Die Zusammenfassung kann kurz sein, da es sich — Gott sei dank — um kein abgeschlossenes Kapitel der Forschung handelt, da immer vertiefte Forschung sowohl in der zeitlichen als auch in der sachlichen Dimension zu erwarten ist, wobei besonders erfreulich erscheint, daß auch regionale, ja lokale Publikationen immer mehr und mehr zu Wort kommen. Die vornehmste Pflicht besteht jedoch darin, breiter gefaßte Bearbeitungen der gesamtstaatlichen städtischen Diplomatik vorzulegen, die die bisherigen Zusammenfassungen der mittelalterlichen Verhältnisse aus der Feder Rostislav Novýs und der neuzeitlichen von Jindřich Růžička beim besten Willen nicht ersetzen können34.