[p. 109] Die Kanzlei der Wittelsbacher im Spätmittelalter (Tafel I–VII)
Die schriftliche Exekutive durch den Herzog von Bayern wird schon zwischen 744 und 782 aus Urkundenwiedergaben und 777 durch die in Abschrift fast vollständig überlieferte Urkunde des Agilofinger Herzogs Tassilo III. bezeugt1, der Kremsmünster gründet2; bereits 769 machte er in Scharnitz eine Schenkung zur Gründung eines Klosters in Innichen. Herzog Arnulf von Bayern (907–937) – der vermutliche Ahnherr der Wittelsbacher – stellte ebenfalls Urkunden aus. In solchen sagt Arnulf seine Besiegelung an. Von ihnen sind uns die von 908 und von 927 in Abschrift, die letztere sogar mit zweimaliger Erwähnung der Besiegelung, erhalten3.
[p. 110] Die älteste im Original erhaltene Herzogsurkunde4 stellte am 11. November 1045 in Regensburg, damals Bayerns Hauptstadt, Heinrich VII. (1042–1047), ein Graf von Lützelburg, aus, den Kaiser Heinrich III. eingesetzt hatte. Von Bayerns Welfenherzogen5 sind eine Reihe von Originalurkunden erhalten. Heinrich der Löwe hatte seine Kanzlei freilich in Braunschweig. Doch waren 21 Urkunden, etwa ein Sechstel der erhalten gebliebenen, für Empfänger in Bayern bestimmt. Als er 1154 auf dem Reichstag in Goslar seine Ansprüche auf Bayern anerkannt bekommt, stellt er in der Intitulatio den bayerischen Herrschertitel (dux Bavarie et Saxonie) regelmäßig voran.
Sein Nachfolger in Bayern war der Wittelsbacher Otto, der natürlich die Kanzlei in Braunschweig nicht übernehmen konnte. Otto, höchstwahrscheinlich ein Nachkomme des Luitpoldingers Herzog Arnulf von Bayern, war vor 1180 bereits Pfalzgraf in diesem Herzogtum. Eine Urkunde, die er 1179 in dieser Rechtsstellung ausstellte6, ist bis heute erhalten. Seine Urkunden als Herzog kennen wir nur aus Traditionsnotizen. Er urkundete in dieser Weise nachweisbar zwanzigmal für Klöster, viermal für die Grafschaft Falkenstein in seinem Herzogtum7.
Ludwig I. (1183–1231), sein Sohn und Nachfolger, entwickelte die schriftliche Exekutive entscheidend. Eine heute noch erhaltene undatierte Urkunde von vor dem 26. März 1191 wurde durch den Schreiber der Traditionsnotizen des Klosters Raitenhaslach geschrieben, als der Herzog von dem Kloster den Hof Bergham gegen das Gut Tiefenau (?) eintauschte. Ludwig ließ sie durch sein Siegel als reitender Herzog, das mit violetten Seidenfäden angehängt wurde, mit Rechtskraft versehen. Diese Herzogsurkunde ist also eine Empfängerausfertigung. Der Schreiber beeinflußte auch das Formular der Urkunde8. Von der Kanzlei des Herzogs selbst ausgestellte Urkunden stammen aus etwas späteren Jahren. Die Herzogskanzlei selbst weist S. Hofmann9 seit 1209 eindeutig nach. Der Wechsel unter den Orten, wo die uns erhaltenen Urkunden Ludwigs ausgestellt wurden, läßt uns annehmen: die von ihm über [p. 111] Landshut errichtete Residenzburg war wohl der Stammsitz der oft mit dem Herzog auf Reisen arbeitenden Kanzlei gewesen.
Herzog Ludwig wurde im Oktober 1214 Pfalzgraf bei Rhein. Alle Wittelsbacher führen seitdem den Titel: Pfalzgraf bei Rhein und Herzog von Bayern (Bild 1). Durch seinen Schreiber C ließ Ludwig frühestens damals ein wohl absichtlich undatiertes Schreiben, das versiegelt war, an Eigenleute abgehen10, die ihm offenbar ein Herr in Schwaben abwarb. Durch denselben Schreiber C stellte Ludwig 1230 in sehr einfacher Form dem Kloster Riedenburg ein Privileg aus. Die urkundliche Form der Herzogskanzlei war 1230 bereits entsprechend entwickelt11.
Ludwig führte nachweisbar noch 1230 den Zackenbalken als Wappen, sein Sohn Otto II. den Löwen; er hatte diesen schon zu Lebzeiten seines Vaters 1229 in sein Wappen aufgenommen, als er in Heidelberg persönlich zu regieren begonnen hatte – nach seiner Schwertleite 1228. Noch 1224 zeigte sein Münzsiegel ebenfalls den Zackenbalken. Am 22. Februar 1230 beurkunden Ludwig und sein Sohn Otto12, daß der Bischof von Passau einen Teil der Grafschaft Windberg dem Stiefbruder Ottos13 zu Lehen gegeben habe (Bild 2 a und b). Die in schwungvollen Buchstaben geschriebene Urkunde hat ein festes eigenes Formular.
Dieser Thronfolger Otto, Gatte der welfischen Erbpfalzgräfin Agnes, machte bereis 1228 Heidelberg, wo er zu regieren begann, zum Sitz einer landesherrlichen Kanzlei14. Früh begannen im Wittelsbacher Herzogtum Bayern auch Aufschreibungen über Besitz und Einkünfte. Besitz war stets mit der Funktion von Rechten verbunden. Das heute noch erhaltene Urbar, [p. 112] das unter Ludwig I. und Otto II. niedergeschrieben wurde, hat verlorene ältere Vorgänger15. Die Produkte der schriftlichen Exekutive können auch mißbraucht werden. Um mißbräuchlicher Benutzung vorzubeugen, bestimmte Otto II. 1240, daß alle Schriftstücke zu verbrennen seien16, die während seines Streites mit dem Bischof von Freising entstanden waren. Otto II. führte den spätestens 1229 übernommenen Löwen auch als einziges Wappensymbol für das Herzogtum Bayern weiter, als er dort 1231 seinem Vater nachfolgte (Bild 3 a und b). Der Zackenbalken entfiel dadurch als Wappensymbol. Erst nach 1242 übernahm er, als seine Stiefbrüder, die Grafen von Bogen, ausstarben, deren Rauten auch in sein Wappen. Seit dem späteren 13. Jahrhundert führen die Wittelsbacher als Helmzier Büffelhörner mit Kleestengeln.
Als Vorbild wirkte auf die Wittelsbacher Urkunden die Königsurkunde, seit 1239 auch die Papsturkunde17. Unter Ludwig II. festigte sich die Kanzlei in München und Heidelberg für Oberbayern und die Pfalz, unter seinem Bruder Heinrich für Niederbayern in Landshut. Schon unter deren Vater Otto II. lassen sich (außer dem Herzogsurbar von um 1230) verschiedene Schriftgruppen (durch Erwähnung in einer Urkunde von 124018) nachweisen. Joachim Wild weist auf eine Vorstufe der Registerführung hin, als Pfalzgraf und Herzog Ludwig II. mit dem englischen König Richard von Cornwall verhandelte, um dessen Nichte zu heiraten und ihn zum deutschen König zu wählen. Ludwig II. sicherte sich den Wortlaut dieser wichtigen Urkunden durch Abschriften (rescripta), bevor sie ausliefen19. Er will überhaupt Kontrolle. In Tirol wurden seit 1253 Register geführt, wie Richard Heuberger schon 1915 zeigte. Die komplizierten Herrschaftsverhältnisse in der punktweise zum Landesfürstentum entwickelten Pfalzgrafschaft bei Rhein, die lehenrechtliche Verknüpfung der Pfälzer Burgmannen mit dem Wittelsbacher Landesherrn, die zu einer unkontrollierten Reichsunmittelbarkeit tendierenden Kräfte ließen es offenbar geraten erscheinen, eine Urkunde in eindeutig gesicherter Weise rechtskräftig zu machen. Deshalb wurde dort – vielleicht auf Wunsch des die Urkunde empfangenden Pfalzgrafen und Herzogs Ludwig II. – auf der Rückseite des Pressels eines Siegels ein kleines r angebracht, [p. 113] vielleicht mit der Bedeutung recte, das sich auf die rechtmäßige Besiegelung bezog. Das kleine s auf der Vorderseite des Pressels bezieht sich wohl auch auf den Akt der Besiegelung. Propst Otto von St. Guido in Speyer benützte für seine Urkunde einen Schreiber im Dienst Ludwigs, den Notar L. Besitz-Verzeichnisse und Rechnungsbücher kennzeichnen weitere Fortschritte der schriftlichen Exekutive. Die Viztume (vicedomini) in Bayern (1204), in der Pfalzgrafschaft zuerst procurator genannt (1231), arbeiten auch als Notare der Kanzlei und vertreten in Gericht und Verwaltung den Landesherrn.
Verfahren und Stand der Forschung
Bevor wir auf die Kanzlei der Wittelsbacher im Spätmittelalter eingehen, sei festgestellt: Durch Dissertationen meiner Schüler wurde die Zeit 1180 bis 1314 bzw. 1317 für Pfalz und Bayern20 bewältigt, außerdem für Bayern die Zeit 1347 bis 143821 teilweise und für die Pfalz22 1410 bis 1436. Die Kanzleien der Pfälzer von 1329 bis 1398 sind in sehr fortgeschrittener Bearbeitung, 1436 bis 1449 in Bearbeitung, Bayern-Landshut wird in fortgeschrittener Weise bis 1479, Bayern-München bis 1460 erforscht23. Ausgespart wurden die mit dem Reich verknüpften Epochen König Ruprechts und Ludwigs des Bayern. Die Kanzlei geistlicher Wittelsbacher Fürsten kann nur in Zusammenhang mit der ihres geistlichen Fürstentums überhaupt erforscht werden. So [p. 114] brachte Peter Acht24 in seinem Mainzer Urkundenbuch auch die Kanzlei des Wittelsbacher Kardinals und Mainzer Erzbishofs Konrad, des Bruders des ersten Wittelsbacher Bayernherzogs Otto.
Kanzlei und Land
Das Land, für das die Kanzlei des Landesherrn zuständig ist, muß besonders ins Auge gefaßt werden. Zu den Landesteilungen, etwa von 1310 und 1329, bestimmen die Wittelsbacher verschiedene ihrer Räte, die zugleich Landstände sind, keineswegs aber Träger einer Mitherrschaft, damit sie ihnen Vorschläge unterbreiten, welche Städte und Gerichtsgebiete zu dem Land des einen oder des anderen Wittelsbachers gehören sollen. Diese Vorschläge werden unter verschiedenen Abänderungen aber doch weitgehend übernommen. Nur in diesem Sinn können sie als eine Art Vorurkunden zu einer Landesteilungsurkunde bezeichnet werden. Das ist auch bei der Teilung des bis 1392 von den drei Brüdern gemeinsam regierten Herzogtums Bayern der Fall, die von ihrem Vater Stephan II. das wiedervereinigte Ober- und Niederbayern 1375 übernommen hatten.
Am 14. Mai 1410 beauftragte König Ruprecht in seiner Eigenschaft als Kurfürst Ruprecht III. von der Pfalz, da er seinen baldigen Tod ahnte, seinen Kanzler Raban von Helmstat, Bischof von Speyer, und sechs Räte weltlichen Standes, die allodialrechtliche Teilung seines Pfälzer Landesfürstentums vorzubereiten. Die Edlen von Helmstat waren ein Pfälzer Rittergeschlecht, aus dem schon der Rat Wiprecht von Helmstat stammte, der Ruprecht II. diente. Ich zeige das Nähere zusammen mit meinen Schülern in einer Edition25 der Wittelsbacher Hausurkunden von 1310, 1329, 1392, 1410 usw. auf. Obwohl Ernst und Wilhelm von Bayern – München gemeinsam regierten, hatte jeder von beiden eine eigene Kanzlei, wie Klaus von Andrian-Werburg zeigt, außerdem der Erbfolger Albrecht (später Albrecht III.). Dieser schrieb in Regierungssachen an Ernst auch einen eigenhändigen Brief, den er in sein Kanzleiregister eintragen ließ, und den wir als von G.M. Lucha geführten Beweis einer gut geregelten Kanzlei einschätzen dürfen. In Bayern-München wurden seit 1424 zwei Auslaufregister geführt. Zu diesen ergriff die Initiative der aus Bayern-Ingolstadt übernommene Kanzler Oswald Tuchsenhauser, wo [p. 115] schon unter Stephan III. Register geführt worden waren. Die Wittelsbacher Kanzleien lernten also auch voneinander.
Kanzlei und Land wurden ein schwieriges Problem, als in zwei weit voneinander entfernt liegenden Ländern ein und derselbe Wittelsbacher regieren sollte. Ludwig der Brandenburger, der älteste Sohn Ludwigs des Bayern, hatte solche Aufgaben in der Markgrafschaft Brandenburg und in Oberbayern zu Lebzeiten seines Vaters wahrzunehmen. Dazu kam, daß er in dem 1342 von ihm erheirateten Tirol die Regierungsgeschäfte führen sollte. Er unterhielt eine Kanzlei für Brandenburg, dann eine brandenburgisch-tirolische Kanzlei seit 1342. Als er Brandenburg 1351 zweien seiner jüngeren Brüder überließ, wirkte 1351 bis zu seinem Tod 1361 eine bayrerisch-tirolische Kanzlei. Seine Kanzlei in München mußte als reisige (reisende) Kanzlei ihn oft auf seinen Regierungsreisen begleiten. Sein jüngerer Bruder Stephan (II.) hatte als Beauftragter seines kaiserlichen Vaters 1343–1347 in der Landvogtei in Schwaben die Landvögte zu kontrollieren und führte dafür eine eigene Kanzlei. Als Stephan 1347 Niederbayern übernahm, 1363 auch Oberbayern, vereinigte er in München unter dem Geistlichen Erhard Möringer als Kanzler die beiden Kanzleien, beließ aber den Rat für Niederbayern als eigene Einrichtung, da das Eigenbewußtsein Niederbayerns erforderte, seit es durch die Landesteilung von 1255 ein selbständiges Herzogtum geworden war. Das erforschte Wilhelm Volkert26.
Zwei der jüngeren Söhne Ludwigs des Bayern, Wilhelm und Albrecht, erhielten, als alle Brüder 1349 die gemeinsame Regierung aufgaben, 1353 Niederbayern-Straubing und Holland. Albrecht mußte 1358 auch Holland übernehmen. Dadurch wurde das Problem Kanzlei und Land ebenfalls aufgerollt. Albrecht und seine Nachfolger regierten in Niederbayern-Straubing meist durch Statthalter und konzentrierten sich auf Holland. Über die Finanzverwaltung und Kanzlei der Grafen von Holland und Seeland aus dem Haus Bayern und dem ihrer holländischen Mutter schrieb bereits 1908 Th. von Riemsdijk27 ein dem Stand der damaligen Methoden entsprechendes Werk. Die Kaisersöhne Ludwig der Römer und Otto regierten unter Rücksicht auf das allgemein anerkannte allodiale dortige Recht auch der älteren Brüder in Brandenburg, traten aber 1351 ihre allodialen Rechte in Oberbayern an Ludwig den Brandenburger ab und erhielten dafür eine alleinige Regierungsberechtigung in Brandenburg. Ihr Bruder Ludwig der Brandenburger widmete sich nun ausschließlich Oberbayern und Tirol.
[p. 116] Ein Prüfstein der Kanzlei: das Register
Die Führung eines Registers über die auslaufenden und auch über die einlaufenden Schriftstücke war seit der Antike das Kennzeichen einer höher entwickelten öffentlichen Gewalt, die sich auch der schriftlichen Exekutive bediente. Die Päpste Gregor I. und Gregor VII. ließen aus juristischen wie theologischen Gründen Register anlegen. Dasselbe geschah im 12./13. Jahrhundert bei den Päpsten und im Königreich Sizilien. König Philipp der Schöne von Frankreich28 und seine Nachfolger veranlaßten Register, die von 1307 bis 1568 für die lettres patentes in immer mehr durchdachter Weise geführt wurden. Wie stand es in den Wittelsbacher Kanzleien mit Registern?#29
Wie Joachim Wild zeigte, ließ Pfalzgraf und Herzog Ludwig II. 1256 drei wichtige von seiner Kanzlei auslaufende Urkunden von einer Hand und in einem Zuge auf einem unregelmäßig zugeschnittenem Pergamentblatt eintragen. Der zeitgenössische Rückvermerk Rescripta (Abschriften) privilegiorum datorum in Angliam erweist diese Abschriften der Urkunden vor ihrem Auslauf als Vorstufe zur Führung eines Registers, das mit dem 1253 beginnenden Register in Tirol zu vergleichen ist.#30
Heinrich (XIII.) von Niederbayern und seine Nachkommen, deren Linie 1340 erlosch, führten mindestens über Verpfändungen Register. Das ergibt sich aus einer Sammlung von Urkundenkopien, die um 1360 Albrecht von Niederbayern-Straubing-Holland (1353–1404) anlegen ließ. Darin wurden Urkunden von 1318 bis 1320 und von 1324 bis 1338 verzeichnet und zwar in einer für damalige Registerbücher durch Kürzung der Eingangs- und Schlußformeln typischen Weise. Sie waren wohl aus einem damals noch erhaltenem Registerbuch der niederbayerischen Kanzlei kopiert worden. Von der Sammlung Albrechts, der von Holland aus Regierungsakte in Bayern-Straubing veranlaßte, ist auch eine nicht sehr lange nach 1360 entstandene Abschrift erhalten.#31
Ruprecht von der Pfalz, der durch die Goldene Bulle von 1356 einseitig mit dem Wittelsbacher Kurrecht ausgestattet wurde, nachdem er 1353 zur Regierung gekommen war, veranlaßte damals in seiner Kanzlei ein Kopialbuch32. Schon in der Zeit Ludwigs des Bayern entstand ein Register in der [p. 117] Kanzlei des Viztumamtes Lengenfeld33. In Ludwigs Königskanzlei ist bis jetzt von 1322 bis 1327 ein Register nachweisbar, in seiner Kanzlei als Kaiser 1330 bis 1332. Berthold von Tuttlingen führte das Königsregister von Ende November 1322 bis 1327 in drei Teilen, einem für Reichssachen, einem für Urkunden in Angelegenheiten des Herzogtums Bayern und in einem Sonderheft für die Ersten Bitten34. Da König Ludwig in eben diesem November 1322 in Augsburg mit Heinrich zusammentraf, der Herzog von Kärnten und Graf von Tirol war, empfing Berthold aus der gut entwickelten Tiroler Kanzlei die Anregung zur Registerführung. Neben dem Register durch Berthold wurde höchstwahrscheinlich noch ein anderes geführt. Von den Registern, die in der Pfälzer Linie der Wittelsbacher geführt wurden, läßt sich weiter aufgrund der die Linie bis 1398 erfassenden Forschungen Joachim Spiegels bereits vor deren Abschluß sagen, daß Register geführt wurden, daß Ruprecht II. solche noch als Erbfolger mindestens 1388 begann und auch seit 1390 führte. Nach den Forschungen von Klaus Gatz und von Christoph von Brandenstein könnte angenommen werden, daß schon unter Ruprecht I. und Ruprecht II. ein registrum temporale für Urkunden mit beschränkter Geltungsdauer getrennt geführt wurde. Brandenstein weist diese Unterscheidung in den Registern des Pfälzer Kurfürsten Ludwig III. (1410–1436) nach.
Die im Herzogtum Oberbayern geführten Register lassen sich nur durch Erforschung zugleich des Registerwesens in Brandenburg und Tirol feststellen. Denn vor und unter Ludwig dem Brandenburger, der in diesen drei Ländern regierte, gab es für die Jahre 1314 bis 1354 ein wohl mit dem 1353 verstorbenen Tiroler Hausschreiber in Zusammenhang stehendes Spezialregister des Judicium Aychach mit Kopien bayerischer Herzogsurkunden. Es war schon vor dem Mitte Mai 1315 geborenen Ludwig begonnen worden – immerhin in einem Bereich, wo sich seit 1208 aus dem an Ludwig I. gefallenen Reichslehen des Wittelsbachers Otto VIII. (des Königsmörders) über die Verwaltung des Allod ein Wittelsbacher Landgericht und ein Wittelsbacher Kastenamt bildeten. Oder wurden die mit 1314 beginnenden Urkundenkopien von einem späteren Zeitpunkt an nachgetragen? Doch hatte der 1321 als [p. 118] Hausschreiber auf Schloß Tirol bezeugte Albert den Hof, den ihm Ludwig zur Widerlegung bestätigte, noch von Kaiser Heinrich VII. erhalten, den Rudolf, der ältere Bruder Ludwigs des Bayern, unterstützt hatte. Die Urkundenkopien von 1314 bis 1354 dieses Registers, das Helmut Schmidbauer in dem vormaligen Archivbestand Staatsverwaltung Nr. 3520 im Bayerischen Hauptstaatsarchiv feststellte, stehen wohl in Zusammenhang mit dem erwähnten Register, das der zum König gewählte Ludwig der Bayer und dessen Bruder Rudolf nachweisbar für die Zeit zwischen dem 25. November 1314 bis zum 28. Februar 1315 anlegen ließen, als sie seit dem 13. Juni 1313 wieder gemeinsam regierten. Die 1314 bis 1354 in das Aichacher Landgerichtsregister eingetragenen Kopien von Herzogsurkunden sind später leider in willkürlicher und teilweise sinnstörender Weise mit Registern aus dem von Ludwig dem Brandenburger seit 1342 regierten Tirol zusammengebunden worden, wie Helmut Schmidbauer vor etwa 15 Jahren feststellte. Die Urkunden waren ursprünglich in lose Quaternen und Quinternen eingetragen worden. Bezeichnender Weise enthält der Band, in den später diese losen Hefte eingebunden wurden, auch Register der Landgerichte Landsberg und Neunburg mit Urkunden der Jahre 1344 bis 1355 und eine „Registratur‟ Stephans III. von 1392 bis 1394.
Bevor wir uns mit dem Bruchteil dieses Registers befassen, den meine Schülerin Inge Turtur im wesentlichen für das Jahr 1394 fand und in ihrer leider ungedruckt gebliebenen Dissertation von 195235 behandelte, sei auf das im Druck erschienene Kapitel der Dissertation von Hermann Bier von 1907 hingewiesen, die das Urkundenwesen und die Kanzlei der Markgrafen von Brandenburg aus dem Hause Wittelsbach sehr gut würdigte. Leider verscholl der ungedruckte Teil dieser Berliner Doktorarbeit. Bier und Schmidbauer kommen auf die 1342 bis 1345 arbeitende einheitliche brandenburgisch-tirolische Kanzlei zu sprechen. Sie wurde 1346 bis 1351 uneinheitlich weiter geführt. Die Ludwig auf seinen Reisen begleitende Kanzlei arbeitete unter Leitung des bisherigen Protonotars zwar einheitlich, war aber für die Führung der Siegel nicht mehr ausschließlich zuständig. Denn Ludwig erteilte im Fall seiner Abwesenheit seinen Landeshauptleuten weitgehende Regierungsvollmachten. In der Mark Brandenburg stellt Ludwigs Landeshauptmann Friedrich von Lochen seit Sommer 1347 Urkunden aus, in Tirol wirkt seit April 1347, in Oberbayern seit 1349 als sein Landeshauptmann Herzog Konrad von Teck. Ludwig führte für Oberbayern kein besonderes Siegel. Da er 1351 Brandenburg zweien seiner jüngeren Brüder überließ, arbeitete für seine Regierung 1351 bis 1361 in Oberbayern und Tirol eine gemeinsame – reisende – Kanzlei.
[p. 119] Die Register der Landgerichte Aichach, Landsberg und Neunburg müssen mit Schmidbauers Rekonstruktion eines chronologischen Hauptregisters der Kanzlei Ludwigs des Brandenburgers für die Zeit von 1347 bis 1358, seinen „Aktformen‟ bayerischer Urkunden von 1360 und der von ihm festgestellten „Registratur‟ Stephans III. 1392 bis 1394 verglichen und der ungedruckten Dissertation von Inge Turtur an die Seite gestellt werden. Wenn in der Kanzlei des Viztumamtes Lengenfeld in der Zeit Ludwigs des Bayern und in den Landgerichten Aichach, Landsberg und Neunburg Register festgestellt werden konnten, so darf Register-Führung in der Herzogskanzlei selbst in dem seit Stephan II. 1361 wiedervereinigten Herzogtum Bayern vermutet werden. Freilich kennen wir nur das Register, das von Ende 1392 bis 1394 reicht und für 1393 so wenig enthält, daß seine Entdeckerin nur von einem Register von 1394 spricht. Es ist ein Register der Herzogskanzlei Stephans III. nach der Landesteilung Bayerns von 1392. Dieser hatte nach dem Tode seines Vaters Stephan II. 1375 fast zwanzig Jahre mit seinen beiden Brüdern Friedrich und Johann gemeinsam regiert und 1392 statt der mit Johann gemeinsamen eine eigene Kanzlei begonnen. Das Kanzleibuch enthält 29 in den Formeln gekürzte Abschriften von Urkunden, einer vom 6. Dezember 1392, zweier von 1393 und 26 von 1394. Von Januar bis Mai trugen acht Schreiber diese 26 Urkunden ein. Ihre acht Schreiber lassen sich 1394 überhaupt als Kanzleischreiber nachweisen. Der damit gegebene Umfang der schriftlichen Exekutive Stephans III. ist beträchtlich. Das Wasserzeichen auf den 10 Blättern des Registerbruchstückes zeigt einen Hundekopf mit heraushängender Zunge, einen Typ aus Italien, woher die Mutter und die erste Gattin Stephans stammte. Von zwei Einträgen existiert noch die Originalurkunde selbst.
Friedrich von Bayern-Landshut (gest. 1393) ließ durch Registrata-Vermerke auf der Rückseite der Urkunde erwiesene Register führen. Ein herzogliches Urkundeninventar unter dem Nachfolger Stephans III., dem Herzog Ludwig im Bart, ist für 1440 bezeugt36. In Bayern-München dagegen ließen Ernst und Wilhelm seit 1424 zwei Auslaufregister37 führen, als sie Oswald Tuchsenhauser aus dem Ingolstädter Dienst übernahmen. Auf den Rückseiten der Urkunden wurden Registrata-Vermerke angebracht, nicht aber auf den Briefen. Der Erbfolger Albrecht ging hier noch genauer vor. Er ließ sogar einen eigenhändigen Brief an Vater Ernst in sein Register eintragen, worin er ihm aufgetragene Regierungsgeschäfte erörterte.
[p. 120] Kurfürst Ludwig III. von der Pfalz (1410–1436), dessen technisches Regierungssystem Christoph von Brandenstein38 erforscht hat, ließ nicht weniger als sechs Register führen, die nach dem Beurkundungszweck unterschieden wurden. Doch weist keine der doch dispositiven Urkunden einen Kanzleivermerk auf.
Sowohl die Register unter Ludwig III. wie die der Herzoge Ernst und Wilhelm von Bayern-München wurden schon deshalb getrennt angelegt, weil ein Register für Urkunden von begrenzter Wirksamkeit und ein solches für Urkunden von mehr oder minder unbegrenzter Wirksamkeit benötigt wurde. Ludwig III. ließ in einem Amtsbuch außer Beurkundungen auch von ihm geschriebene Briefe festhalten. Die Oberpfälzer Kanzlei führte ein eigenes Register in Amberg wie einst das Viztumamt Lengenfeld.
Das Verfahren des Wittelsbacher Landesherrn bei seinen Entscheidungen39
Als Wahrer des Friedens nach außen und innen traf der Landesherr Entscheidungen. Da er sein Landesfürstentum vom Kaiser bzw. König zu Lehen nahm, war er im Rahmen des Reichslehenrechts an ihn gebunden, aber als Königswähler auch von Einfluß auf ihn. Auf der Ebene des Landesrechts und als Lehenherr entschied er in zwei verschiedenen Rechtskreisen und hatte sich außerdem als Grundbesitzer an Möglichkeiten seiner Einkünfte zu halten. Aufgaben des Kirchenschutzes und das kanonische Recht banden ihn nicht zuletzt durch das ausschließlich kirchliche Eherecht gesellschaftlich und gesellschaftspolitisch an die Kirche. Alle diese Aufgaben und Rechte tauchen auch in seiner schriftlichen Exekutive auf. Der Herzog waltete bis 1209 als Pfalzgraf in Bayern; sein Nachfolger in dem 1248 untergegangenem Amt war zugleich Truchsess des Herzogs und dadurch an ihn gebunden. Der Herzog besetzte seine Hofämter40 mit seinen Ministerialen.
Als Pfalzgraf bei Rhein machte Ludwig I. Werner von Alzey (II.) zu seinem Truchsessen, dessen Vater noch bei dem welfischen Pfalzgrafen als Truchseß nachweisbar ist. Die Hofämter entwickelten die Wittelsbacher in der Pfalzgrafschaft anders als im Herzogtum, wo sie neben dem erblichen Inhaber eines Hofamtes einen Mann zur praktischen Dienstleistung bei Hof bestellten. Der Hofmeister in Nieder- und dann Oberbayern gewann in dem [p. 121] Rat41 Bedeutung. Einen Rat zogen die Wittelsbacher Landesherren nachweisbar seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu Entscheidungen bei Beurkundungen heran. Aus diesem an sich nur zur Beratung dienenden Gremium bestimmten sie auch Schiedsrichter, die sie zur Entscheidung von Streitigkeiten ihres Gefolges ernannten. In dem 1255 bis 1340 bestehenden Herzogtum Niederbayern spielten Ministerialen des Gefolges eine besondere Rolle. In dem jüngeren Herzogtum Niederbayern seit 1392, dessen Kanzlei eben erforscht wird, nahmen Kanzlei und Rat eine besondere Entwicklung. Sie wäre ohne die bis 1340 durch Ludwig Schnurrer geklärte Kanzleitätigkeit nicht zu verstehen. Der Bedeutung der Ministerialen in Bayern entsprach die der Pfälzer Burgmannen, da sich die Pfalzgrafschaft nur punktweise zu einem Territorium entwickelte.
Ruprecht I. (1353–1390) baute das Pfälzer Landesfürstentum weiter aus, erweiterte es bis nach Zweibrücken und schuf eine Kanzlei mit Registerführung schon seit 1353 oder 1354. Sie wird von Joachim Spiegel erforscht. Dem ersten Ruprecht folgte sein gleichnamiger Neffe, der ihn besonders in seinen letzten Jahren sehr unterstützte. Seine Kanzlei kann nur in Zusammenschau mit der Ruprechts I. wissenschaftlich erfaßt werden. Ruprecht III., der 1400 bis 1410 als deutscher König regierte, teilte noch vor seinem Tode sein Pfälzer Territorium unter seine vier Söhne. Sein ältester Erbe, Kurfürst Ludwig III. (1410–1436) hatte eine gut entwickelte landesherrliche Kanzlei. Kennzeichnend für die Rechtsverhältnisse in seinen landesherrlichen Gebieten ist die Tatsache, daß er in 36 % seiner Beurkundungen, die heute noch erhalten sind, Lehenurkunden ausstellte. Er ließ dazu eine Art Formulare verwenden. Auch dem Lehenempfänger stand dazu die Kanzlei des kurfürstlichen Lehengebers zur Verfügung, der durch zwei Kanzleischreiber seit 1410 ein künstlerisch ansprechend angelegtes Lehenbuch mit Initialen führen ließ.
Die Kapläne der herzoglichen Kapelle42 wurden für ihre Kanzleidienste ebenso wie andere in der Kanzlei tätige Geistliche auch mit Propsteien ausgezeichnet und bevorzugt versorgt. Dasselbe taten die Wittelsbacher in Heidelberg. Als Kanzleivorstand faßte Erhard Möringer43 die Kanzleien des Herzogtums Bayern 1367 in München zusammen, die beiden Ratskollegien bestanden aber getrennt weiter. Kurfürst Ludwig III. und sein Bruder Otto wie schon die Wittelsbacher des 13. Jahrhunderts verknüpften Kanzlei und Rat. Bei Ludwig war jeder Kanzleivorstand Rat. Zu der Entscheidung 1417 im [p. 122] Streit mit seinem Bruder Otto von Mosbach rief er mehr als 60 Räte heran. Als Ludwig Otto und seinen Bruder Stephan von Simmern-Zweibrücken als Räte heranzog, mußten diese trotz ihrer Stellung als regierende Landesfürsten offenbar auch den üblichen Ratseid leisten44. Für besondere Fälle bildete Stephan III. besondere Ratsausschüsse. Gelegentlich machte er (1385 zusammen mit seinen mitregierenden Brüdern) einen Rat zum Bürgen seines Zahlungsversprechens. Stephans Räte werden auch zu Verhandlungen mit anderen Staaten oder als Schiedsrichter sogar zwischen Herzogen herangezogen. Sein Sohn Ludwig im Bart ernennt 1407, als er in Frankreich ist, nicht weniger als 10 Herren aus seinem und seines Vaters Rat, die für ihn handeln, schaffen, „vordern und verantwurten‟ sollen und bestimmt für die Wahrnehmung seiner Rechte am Regierungsanteil in Bayern zugleich seinen Vater selbst und seinen illegitimen Halbbruder Bischof Johann von Regensburg. Diese Vollmacht gilt nach seinem ausdrücklichen Willen aber nicht für Vereinbarungen mit seinen Vettern in Landshut und in München45.
Andrian weist als Verfahren bei der Beurkundung46 in der Kanzlei der Herzoge von Bayern-München nach, daß der Herzog mit oder ohne Beiziehung des Rates die Kanzlei, der ja entsprechend gebildete Männer angehörten, beauftragte, Konzepte zu verfassen; dasselbe geschah auch in Heidelberg. Der Landesherr bekam das Konzept vorgezeigt oder vorgelesen, bevor die Urkunde verbindlich ausgefertigt wurde und auslief (Bild 4). Im Gegensatz zu Heidelberg saßen in München im Rat offenbar keine dem regierenden Herrn verwandten Wittelsbacher, wenn sich Ernst auch mit Wilhelm oft besprochen haben dürfte, soweit dieser in München und nicht auswärts im Dienst des Konzils oder des Kaisers tätig war. In Konrad von Regensburg zogen der Pfälzer Ludwig III. und Ernst von Bayern-München denselben Fürstbischof aus Bayerns einstiger Hauptstadt heran. Reichsunmittelbare wurden in Bayern nicht so oft wie in der Pfalzgrafschaft als Räte herangezogen, wo Matthias Ramung nach dem Studium beider Rechte 1457 Kanzler des Kurfürsten Friedrich I. des Siegreichen, 1464 sogar Bischof von Speyer wurde und Pfälzer Kanzler blieb.
Der Pfälzer Ludwig III. ließ das Konzept der Urkunde, die die Fassung zum Auslauf erhalten hatte, in ein Register eintragen, prüfte es in seinem Rat und ließ es je nach dem verbessern. Er wählte aus dem Kreis der Räte diejenigen, die er an die Spitze der Oberämter stellte. Da diese auch Einnahmen [p. 123] brachten, verpfändete er gelegentlich das Vogtamt zu Germersheim für Jahresabgaben und auf Wiederkauf. Denn er hatte keine Landstände, wie seine bayerischen Vettern, die sich von solchen auf Landtagen Geld bewilligen ließen. Doch richtete er Mandate an Amtleute, Personengruppen und Einwohner eines Ortes überhaupt und Offene Briefe, die angeschlagen wurden, etwa wenn er vier eines Totschlags angeklagte Heidelberger Bürger vor das aus ihm und seinen Räten bestehende Gericht forderte. Auch in Bayern saß der Landesherr zu Gericht, hatte aber in seinen Landrichtern in den Landgerichten, die im Gegensatz zu Pfälzer Ämtern geschlossene Bereiche waren, durch die Viztume besser kontrollierbare „Beamte‟. Die Hofmarken mit niederer Gerichtsbarkeit waren den Landrichtern untergeordnet. Der Kammermeister verwaltete in Bayern Einnahmen, bezahlte, hatte aber auch mit Verpfändungen und Wiedereinlösungen zu tun.
Der Aktionsradius einer Kanzlei muß auch an der Zahl der gleichzeitig tätigen Schreiber gemessen werden. Die Untersuchung der Hände fixiert Gelegenheitsschreiber. Kurfürst Ludwig III. nahm in seiner ganzen Regierungszeit im Jahr nebeneinander nicht mehr als vier bis gelegentlich fünf Schreiber in Anspruch, Ernst von Bayern-München seit 1426 sechs Schreiber, seit dem Tod seines Bruders drei. Sie waren alle zugleich Konzipienten in Zusammenarbeit mit den Räten.
Die Besiegelung der Urkunden vollzog schon Ludwig I. (1183–1231) durch das Reitersiegel. Das blieb neben anderen hinzukommenden Siegeln, im älteren Niederbayern dem einfachen Rautensiegel, auch bei Ludwig III., der von seinen vier Testamenten drei mit dem Reitersiegel, eines mit dem Wappensiegel versah. Außerdem siegelte er persönlich mit seinem Ringsiegel. Otto II. hatte den Pfälzer Löwen und die von seinen Stiefbrüdern, den Grafen von Bogen, übernommenen Rauten zum bis zur Gegenwart fortwirkenden Wappensymbol erhoben. Bayern als Ausgangsland der Wittelsbacher Herrscher kam in der Pfalz immer wieder zum Ausdruck. So führt Ludwig III. den in der Geschäftssprache abgekürzten Titel „Herzog‟47.
Stephan II. von Bayern waren zur Zeit des kaiserlichen Vaters Inhaber der Oberaufsicht in der Reichslandvogtei Schwaben mit eigener Kanzlei gewesen, Ludwig III. vor 1410 Reichslandvogt im Elsaß mit eigener Kanzlei. So konnten sie sich beim Regierungsantritt als Landesherr bereits auf besondere Erfahrung stützen.
Die Kenntnis des Regierungsverfahrens in einem anderen Land konnte natürlich Bedeutung für das eigene gewinnen. Wurde die französische Königskanzlei [p. 124] Karls VI. von Einfluß auf Bayern-Ingolstadt, nachdem im Jahr 1385 die Tochter Herzog Stephans III., Isabel (Isabeau), diesen König geheiratet hatte und ihr Bruder, Ludwig im Bart, dem erkrankten königlichen Schwager jahrelang in den verschiedensten Regierungsgeschäften beistand? Das im Zusammenhang mit der Frage nach den Registern aufgerollte Problem, ob Ludwig im Bart, der Sohn Stephans III., infolge seiner Tätigkeit am französischen Hof auch seine Kanzlei in Ingolstadt weitergestaltete, ist zu bejahen. Es ist sogar möglich, daß schon Friedrich, der Vater des ersten der drei Reichen Herzöge von Landshut, solche Formen kennenlernte, als er am 1. November 1383 anläßlich seines Zuges nach Flandern in ein Dienst- und Pensionsverhältnis zu König Karl VI. trat. Jedenfalls nahm dieser König, der, wie erwähnt, im Jahr 1385 die Schwester des Ingolstädter Erbfolgers, Ludwig, heiratete, diesen seinen Schwager frühzeitig (1392) in ein analoges Pensionsverhältnis. Dieser französische König, der an sich sehr beliebt war, fiel nämlich immer mehr einer Art zeitweiliger geistiger Umnachtung zum Opfer. Er hielt Ludwig im Bart viele Jahre hindurch in Paris in den verschiedensten Hof- und Ehrenämtern. Hof- und Staatsdienst waren damals weder in Frankreich noch sonstwo getrennt. So gewann ein Großteil seiner Leute, die später in Ingolstadt in Rat, Kanzlei und Verwaltung wichtige Ämter übernahmen, mehr oder weniger intensive Erfahrungen am französischen Vorbild. Hieraus erklären sich manche der zahlreichen frühmodernen Neuerungen im Ingolstädter Landesteil. Aus Frankreich brachte der Herzog die Methode der Urkundensignatur mit nach Deutschland48. Er und sein Sohn Ludwig d. J. unterzeichneten künftig – über die französische Fürstenpraxis hinausgehend, nach dem Vorbild der französischen Kanzleisekretäre jede ausgehende Urkunde mit ihrer – französischen – Unterschrift „Loys‟ und einem beigesetzten spezifischen Chirogramm (Bild 5). Ja, mehrere der Ingolstädter Hofbeamten gingen – zumindest vorübergehend – zu der nämlichen Praxis über. Der Landshuter Heinrich49 unterschreibt in Urkunden z. B. von 1437, 1450 mit den Worten „wult gott H(erzog) H(einrich)‟, sein Sohn und Nachfolger Ludwig der Reiche „ay, du freyst mich H(erzog) L(udwig)‟, dessen Sohn und Nachfolger wieder ähnlich seinem Großvater Heinrich unterschreibt mit den Worten „so gott wyll H(erzog) G(eorg)‟. Ludwigs Unterfertigung weist meine Schülerin Beatrix Ettelt bis jetzt 1453 bis 1477 achtmal nach, die Georgs bereits 1479. Waren das Wahlsprüche, Devisen? Da es im Frankreich Karls VI. noch nicht die Formel der Zustimmung „car tel est notre plaisir‟ [p. 125] gab, kann sie nicht damals von Ludwig im Bart übernommen worden sein. Nach Theo Straub gibt es auch in den Urkunden dieses Ingolstädters entsprechende deutsche Formulierungen nicht.
Zusammenfassend kann man die Wittelsbacher Kanzleien im Spätmittelalter durch ihre Urkunden, Mandate, Briefe und Registerbruchstücke wie Register als ziemlich fortschrittlich kennzeichnen. Von Einfluß auf sie waren neben der heimischen Traditionsnotiz die vereinfachte Königs- und Kaiserurkunde des Reiches, 1239 zeitweilig die Papsturkunde, im 14. Jahrhundert auch die Tiroler Kanzlei, im 15. Jahrhundert die französische Königskanzlei. Die Erörterung der Wittelsbacher Kanzleien im Spätmittelalter erforderte einen weiten Weg in die vorausgehende Zeit, denn es gab Urkunden der Herzoge von Bayern im 8. Jahrhundert, dann im frühen 10. Jahrhundert und schließlich bereits vor und in Bayerns Welfenzeit. Dazwischen liegen große Zäsuren, die aber die Staatlichkeit Bayerns selbst nicht ganz vernichteten. Ein besonderer Weg zur Wittelsbacher Kanzlei im Spätmittelalter ergab sich daraus, daß 1209 in Bayern, 1228 in Heidelberg Ludwig I. und Otto II. Kanzleien einrichteten. So müssen die Kanzleien des Herzogtums und der Pfalzgrafschaft bei Rhein erfaßt werden, bevor man von Wittelsbacher Kanzleien im Spätmittelalter spricht. Wir haben sie in den Landesfürstentümern der Pfalz und Bayern vor allem auf Grund der Arbeiten Brandensteins und Andrians für die Jahre 1410 bis 1436 an der Kurpfälzer Kanzlei und für die Jahre 1397 bis 1438 an der Kanzlei des Herzogtums Bayern-München gewürdigt. Die Wittelsbacher Kanzleien im Spätmittelalter lassen den Forscher Einblick in meist sehr fortschrittliche Verfahren in der schriftlichen Exekutive gewinnen. Die Landesherren waren sich auch der Verantwortung bewußt, die sie und ihre Mitarbeiter trugen. Das geht schon aus den besonderen und zwar von einander verschiedenen Eiden hervor, die Räte und andererseits die in der Kanzlei Bediensteten zu leisten hatten.
Ein Vergleich mit anderen deutschen Fürstenkanzleien des späten Mittelalters ist schwierig, denn es gibt kaum50 moderene Arbeiten darüber. Die Vorträge auf dem VI. Internationalen Kongreß für Diplomatik im Oktober 1983 gehen nicht auf die Kanzleien kleinerer Königreiche ein, da sie sich mit Fürstenkanzleien [p. 126] beschäftigen. Die bayerische Herzogskanzlei des 13. Jahrhunderts kann aber bereits durchaus mit den Kanzleien der Könige Schwedens, Dänemarks, ja Englands verglichen werden. Der Grad der Staatlichkeit, der durch die schriftliche Exekutive erwiesen wird, ist das Richtmaß für die auf dem Kongreß behandelten Fürstenkanzleien. Die Staatlichkeit des Herzogtums Bayerns, eines territorium clausum, und der Pfalzgrafschaft bei Rhein, eines territorium non clausum, entspricht bereits der fortschrittlichen schriftlichen Exekutive, die wir in anderen Fürstenkanzleien zu verschiedenen Entwicklungsstufen verfolgen.
Durch die Diplomatik wird methodische Grundlagenforschung betrieben, die ideologisch unabhängig ist. Die rechtzeitige Veröffentlichung dieser Grundlagenforschungen im Druck ist dringend erforderlich. Das Schicksal der Dissertation Hermann Biers51 sollte zu denken geben. Außerdem sind Neufassungen von Quellenwerken wie der „Regesten der Pfalzgrafen am Rhein 1214 bis 1400‟, die von Adolf Koch und Jakob Wille 1894 begonnen und 1939 von Graf L. von Oberndorff und Manfred Krebs bis 1410 fortgesetzt wurden, eine Notwendigkeit, die für jede wissenschaftliche Erforschung mittelalterlicher Themata von heute und morgen besteht. Grundlagen sind dafür die in dieser Abhandlung genannten Forschungen meines Schülerkreises. Sie bringen durch die vollständige Sammlung aller Urkunden der Pfalzgrafen bei Rhein und Herzoge von Bayern die Möglichkeit, daß aus diesem Kreise ein jüngerer Forscher wie Joachim Spiegel mit Hilfe von landesgeschichtlichen Kommissionen das von Koch und Wille sowie Oberndorff und Krebs für die Zeit von 1214 bis 1410 verfaßte Werk erneuert und ausgehend von 1180 über 1410 hinaus bis in den Zeitraum als Urkundenedition bearbeitet, der bereits erfaßt wurde. Wo nicht der Staat wie seit Generationen im Königreich Schweden von allen Dissertationen das Inhaltsverzeichnis, das der Quellen und Literatur sowie 160 Seiten vom Text in einem vom Verfasser frei gewählten Verlag druckt und Stiftungen den Druck weiterer Seiten übernehmen können, verschließt sich oft der Büchermarkt oder stellt wissenschaftlich nicht vertretbare Bedingungen. Auch im Kreis der hier behandelten Forschungen ist zu beklagen, wenn Arbeiten ohne Urkundenverzeichnisse erscheinen oder solange nicht veröffentlicht werden, daß die Autoren, die sich anderen Arbeits- und Berufsgebieten zugewandt haben, nicht mehr für eine Umarbeitung ihrer Jahrzehnte zurückliegenden Arbeiten für eine Drucklegung zu gewinnen sind.