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[p. 193] Urkundenwesen und Kanzlei der Wettiner bis 1485

Die Wettiner gehörten im späten Mittelalter zu den bedeutenden Fürstenhäusern im deutschen Reiche. Seit ihrem endgültigen Fußfassen in der Markgrafschaft Meißen im Jahre 1123 bauten sie zielstrebig an der mittleren Elbe ein Territorium auf und traten seit dem Niedergang der staufischen Macht in einen lange andauernden Aufstieg ein. Dabei war die Erwerbung der Landgrafschaft Thüringen im Jahre 1247 ein besonders wichtiger Erfolg, denn sie dehnte den wettinischen Machtbereich weit nach Westen bis an die Werra aus. Während des 14. Jahrhunderts wurden mehrere Burggrafschaften und andere reichslehnbare Herrschaften ebenso wie Teile des von Friedrich Barbarossa aufgebauten Reichsterritoriums erworben. 1423 wurde den Wettinern mit dem Herzogtum Sachsen die Kurwürde übertragen, so daß sich ihr Herrschaftsbereich nunmehr bis in den Berliner Raum erstreckte und sie als Kurfürsten in den obersten Rang der deutschen Reichsfürsten aufgestiegen waren. Der Name „Sachsen‟ übertrug sich seitdem auf ihr gesamtes Territorium, das als Kurfürstentum Sachsen in der beginnenden Neuzeit seine große Entfaltung und die Zeit seiner hohen geschichtlichen Bedeutung erlebte. Der wettinische Territorialstaat der Reformationszeit war das Ergebnis einer bewußten und erfolgreichen Territorialpolitik.

In dieser Politik fehlten freilich auch nicht die Schwächen, die vor allem in den aus familiären Gründen vorgenommenen Landesteilungen lagen. Die Chemnitzer Teilung von 1382 hat das Territorium auf Jahrzehnte hinaus geteilt, bis es erst 1482 zur Wiedervereinigung kam. Die Leipziger Teilung von 1485 hat dann zwei selbständige Territorialstaaten entstehen lassen, die niemals wieder vereinigt wurden. Die Formierung der Landstände im Jahre 1438 brachte zwar auch eine gewisse Einschränkung der landesfürstlich-monarchischen Gewalt, doch erwiesen sie sich andererseits als eine einheitsstiftende Kraft, indem sie gegen die Sonderwünsche einzelner Glieder der fürstlichen Familie die Einheit des Territoriums zu erhalten suchten.

Die innere Lage dieses Territoriums war durch die Tatsache gekennzeichnet, daß sein markmeißnischer Kern und der größere Teil seiner Fläche östlich der Elbe und Saale sich auf Kolonialboden befanden, der gegenüber den alten deutschen Stammesgebieten eine in spürbarem Maße geringere kulturelle Entfaltung aufzuweisen hatte. Erst seit Mitte des 12. Jahrhunderts war hier [p. 194] im Zuge der bäuerlichen Kolonisation und der Stadtentstehung ein allgemeiner Aufschwung gestaltender Kräfte eingetreten, dem es aber bis zum Beginn der Neuzeit nicht gelang, den Rückstand zu überwinden. Immerhin entwikkelte sich gerade während des späten Mittelalters das Städtewesen im meißnisch-sächsischen Raum besonders kraftvoll, so daß um 1300 bereits 20 % und um 1500 sogar 33 % der gesamten Bevölkerung in Städten wohnten. Besondere Mittelpunkte waren dabei die Städte Freiberg mit seinem seit dem 12. Jahrhundert aufgeblühten Silberbergbau und Leipzig als wichtiger Platz des europäischen Handels und Sitz einer Universität seit 1409.

Das Wachsen des wettinischen Territoriums wirkte sich auf seine Zentralverwaltung aus, die in der üblichen Weise in den Händen des Fürsten lag. Zu seiner Verfügung standen dabei stets einige herausgehobene Männer, die ihm aus dem Kreise der Adligen und der Amtleute seines Herrschaftsbereiches als Räte dienten. Eine feste Körperschaft bildeten diese Räte anfangs nicht, vielmehr wechselten sie je nach dem Aufenthaltsort des Fürsten, der noch ohne feste Residenz war und in seinem Territorium von einer Barg zur anderen zog. 1240 werden die familiares, 1270 die consiliarii als diejenigen genannt, die im Gefolge des Markgrafen als Räte auftraten. Im wechselnden Kreis der Räte gab es aber einen stabilen Kern: die Kanzlei.

Zum Jahre 1291 werden genannt nobiles viri dominus Henricus de Zweyn nostrae curiae protonotarius et Herwicus de Hurslegowe plebanus sancti Petri in Vriberch nostrae curiae notarius et plures alii fide digni. Die obersten Kanzleibeamten wurden also unter den Räten aufgeführt, die in den Urkunden mit der Formel plures alii fide digni gekennzeichnet wurden.

Diese wettinische Kanzlei hatte am Ende des 13. Jahrhunderts schon eine längere Tradition hinter sich. Zum ersten Male wird sie mit der Nennung von Notaren im Jahre 1196 greifbar, seit 1235 erscheint die markmeißnische Kanzlei in den Quellen, während diejenige der Landgrafen von Thüringen schon 1218 zu greifen ist. An der Spitze stand jeweils ein Protonotar. Die älteste von einem meißnischen Markgrafen ausgestellte Urkunde führt jedoch noch weiter zurück, sie stammt aus dem Jahre 1130. An ihr hängt auch das älteste bekannte Siegel eines Markgrafen von Meißen.

Zweifellos waren es zuerst die markgräflichen Kapläne, die als Schriftkundige für die Erledigung der anfangs nur wenigen Schreibarbeiten und zur Kontrolle der ein- und ausgehenden Urkunden herangezogen wurden. Die Empfängerurkunden überwogen zunächst durchaus, noch unter dem Markgrafen Heinrich (1230–1288) machten die Empfängerausfertigungen zwei Fünftel, unter dessen Sohn Albrecht mehr als die Hälfte aller ausgestellten Urkunden aus. Eine eigene markgräfliche Schreiberhand ist erst aus dem Jahre 1243 nachzuweisen.

[p. 195] Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts läßt sich von einer Frühgeschichte des wettinischen Kanzleiwesens sprechen. Um die Wende zum 14. Jahrhundert traten dann Entwicklungen ein, die einen weiteren Ausbau notwendig machten. In der Mark Meißen hörten die Landdinge auf, die das höchste Gericht für die markgräflichen Ministerialen darstellten, aber auch von Reichsministerialen und Edelfreien dieses Raumes besucht wurden. Anstelle der dort üblichen mündlichen Verhandlungen trat nun das markgräfliche Hofgericht, was eine Zunahme des Schriftverkehrs im Umkreis des Markgrafen zur Folge hatte. Der bisher nur locker an den Markgrafen gebundene oder noch ganz selbständige Adel wurde stärker in das Territorium eingebaut, so daß die Rolle des Landesherrn als Lehnherr an Bedeutung zunahm und die Belehnungen häufiger wurden, die man jetzt mehr und mehr in schriftlicher Form festhielt. Die landesherrlichen Vogteien wurden jetzt straffer zusammengefaßt, einer häufigeren Kontrolle unterworfen und zur regelmäßigen Rechenschaftslegung veranlaßt. Sie wandelten sich zu den „Ämtern‟, die als die untersten Organe des sich herausbildenden Territorialstaates eine immer größer werdende Bedeutung erlangten. Schließlich wurde die Geldwirtschaft auch für die Ausübung der Landesherrschaft immer wichtiger, was eine Steigerung des schriftlich geführten Rechenwerkes zur Folge hatte.

Unter diesen Voraussetzungen entwickelte sich die wettinische Kanzlei in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu einer lebhafteren Tätigkeit. Zeugnisse hierfür sind die Bedeverzeichnisse einzelner Ämter aus den Jahren 1335 und 1347, ein Heerwagenverzeichnis und einige Namenlisten der Herren und Edlen in Meißen, dem Osterland und Thüringen von 1347 und das Bruchstück einer Hofhaltungsrechnung vom Ende des Jahres 1330 unter der Verantwortung des Marschalls. Die Bedeverzeichnisse gelten als die zufällig erhaltenen Reste einer allgemeinen Aufzeichnung der damals neu aufkommenden Steuer, die für die Herausbildung des Territorialstaates von grundlegender Bedeutung war. Die Heerwagen wurden von Städten und Klöstern für den Transport militärischer Güter bei Feldzügen gestellt. Die nach Landschaften gegliederten Übersichten über die Angehörigen des höheren Adels zeigen das Bemühen der Markgrafen, diese Geschlechter stärker an ihr Territorium heranzuziehen. Das Auftreten des Marschalls als des Leiters der markgräflichen Hofhaltung läßt eine bessere Durchbildung der Zentrale mit einer angemessenen Arbeitsteilung erkennen. Alle diese Maßnahmen dienten dazu, die Stellung des Landesherrn zu verbessern und die Leistungsfähigkeit der Zentralverwaltung zu erhöhen. Im Jahre 1349 trat dann mit dem frühen Tode des Markgrafen Friedrichs II. des Ernsthaften jenes Ereignis ein, das an die meißnische Kanzlei verstärkte Anforderungen stellte und sie in eine erste Hochform brachte.

[p. 196] Der mit 39 Jahren verstorbene Markgraf Friedrich hinterließ vier Söhne, von denen der älteste gerade achtzehn Jahre alt und daher volljährig und regierungsfähig war. Dieser war als Vormund seiner jüngeren Brüder ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig und daher zu sorgfältiger Haushalts- und Rechnungsführung veranlaßt. Der verstorbene Vater hatte als Schwiegersohn Ludwigs des Baiern dessen Partei ergriffen, weshalb er sich nun als unmittelbarer Nachbar des Königreiches Böhmen der Aufgabe gegenübersah, zu Karl IV. ein erträgliches Verhältnis zu gewinnen und in den schwierigen territorialpolitischen Verhältnissen seinen Besitz zu bewahren. Die familiäre wie auch die politische Lage stellte also erhöhte Anforderungen an die wettinische Kanzlei als ein wichtiges Instrument zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben.

Es spricht für den guten Zustand der Kanzlei in jener Zeit, daß sich seit 1333 in lückenloser Rehe die Kanzleivorsteher nachweisen lassen, die zunächst durchweg Kleriker waren. Der bedeutendste unter ihnen war Konrad von Wallhausen. Er war 1333 als Notar in den Kanzleidienst eingetreten, 1344 erscheint er im Amte eines Landschreibers. Im Herbst 1345 wurde er an der Universität Bologna immatrikuliert und dort mit der Bezeichnung als canonicus ecclesiae Misnensis am 6. Januar 1348 zum Prokurator der deutschen Nation gewählt. Am 10. April des gleichen Jahres legte er jedoch schon wieder die Schlußrechnung seiner Prokuratur ab, weil er nach Sachsen zurückberufen worden war, wo er am 24. August als Protonotar bezeugt ist. Er war Inhaber reicher Pfründen, stand nur bis 1350 an der Spitze der meißnischen Kanzlei und wurde 1370 zum Bischof von Meißen gewählt. Er gilt in der Forschung als der Mann, mit dem die Blütezeit der markmeißnischen Kanzlei begann, fiel doch seine Amtszeit gerade in jene oben gekennzeichneten Jahre erhöhter Anforderungen.

Das drückt sich in der Tatsache aus, daß zu jener Zeit ein differenziertes Schriftwerk allein für den Innenlauf der Kanzlei vorhanden gewesen ist. Fünf verschiedene Kanzleibücher lassen sich feststellen:

  • das Registrum perpetuum von 1349 als ältestes bekanntes Register für Lehnbriefe, Leibgedinge, Schenkungen und Privilegien, also für die wichtigeren Beurkundungen von bleibendem Wert;

  • das Registrum temporale für Verpfändungen, die nur für eine begrenzte Zeit gültig waren;

  • der Liber computationum für das Rechnungswesen der Landesverwaltung und der Hofhaltung, die beide noch nicht voneinander getrennt waren;

  • das um 1350 einsetzende Copiale mit den Abschriften kaiserlicher und königlicher Urkunden;

  • das Lehnbuch des jungen Markgrafen Friedrichs III. des Strengen von 1349/50.

[p. 197] Auf das zuletzt genannte Lehnbuch ist besonders hinzuweisen. Es stellt das älteste zusammenfassende Verzeichnis aller von den Wettinern ausgetanen Lehen dar, dem allerdings Bruchstücke älterer Lehnsregister und nicht mehr vorhandene, aber in den Quellen erwähnte antiqua registra vorausgingen. Es ist eine außerordentlich wichtige Quelle für die Kenntnis des wettinischen Territorialbesitzes im 14. Jahrhundert.

Wie schon die Bezeichnungen der Register zeigen, herrschte bis über die Mitte des 14. Jahrhunderts hinaus im Kanzleigebrauch die lateinische Sprache. Dann allerdings setzte bald auch die Verwendung des Deutschen ein, das sich schnell fortschreitend durchsetzte. Bald nach Konrad von Wallhausen kam auch die Bezeichnung „Kanzler‟ für den Leiter der Kanzlei auf; der von 1353 bis 1364 amtierende Heinrich von Kottwitz war der erste Träger dieses Titels, seit 1428 war er dann ständig im Gebrauch.

Das wettinische Kanzleiwesen hat die um die Mitte des 14. Jahrhunderts erreichte Höhe nicht halten können. Zwar wurde mit dem Registrum dominorum marchionum Missnensium von 1378 noch einmal eine Glanzleistung spätmittelalterlicher Kanzleiarbeit zustandegebracht, denn mit ihm entstand eine bis in die örtlichen Einzelheiten reichende Aufstellung aller Einkünfte und Rechte der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen im weiten Raum zwischen Eisenach, Coburg und Dresden. Aber eben dieses Verzeichnis war auch die Grundlage für die Chemnitzer Teilung von 1382, aus der drei Landesteile hervorgingen, an deren Spitze je einer der Wettiner stand. Jeder von ihnen hatte seine eigene Kanzlei mit einem verkleinerten Umfang, so daß das wettinische Kanzleiwesen insgesamt einen Niedergang erlebte. Erst nach dem Aussterben einer der drei Linien im Jahre 1407 kam es wieder zu einer Konsolidierung des Territorialbesitzes und damit verbunden zu einem neuen Aufschwung der Kanzleitätigkeit.

Dabei brachte naturgemäß die Übertragung der Kurwürde an die Wettiner im Jahre 1423 eine vermehrte Geschäftigkeit, war sie doch mit einem beachtlichen Territorialgewinn verbunden. Allerdings schlug sich die Rangerhöhung und der Aufstieg in eine höhere Ebene der Reichspolitik nicht in einer Neuorganisation der Kanzlei nieder, es wurden lediglich gesonderte Register für die Kurlande geführt, die reichsrechtlich eine andere Stellung als die wettinischen Erblande innehatten und daher verwaltungsmäßig nicht mit diesen vermengt werden durften. In jener Zeit treten auch die ersten Kanzleileiter auf, die nicht aus dem geistlichen Stande kamen: 1396–1407 Magister Meltzer und 1426–1428 Dr. Leubing.

Der innere Kanzleibetrieb entsprach den allgemeinen Gewohnheiten. Der Fürst faßte einen Beschluß allein oder im Rat, er gab den Befehl zur Ausstellung der entsprechenden Urkunde, das daraufhin geschriebene Konzept wurde [p. 198] geprüft, die Reinschrift angefertigt und das Siegel durch den Kanzler oder in dessen Auftrage angehängt. Die Eintragungen in die Register müssen in der Regel längere Zeit nach dem Abgang der Urkunden geschehen sein, denn sie beruhen durchweg auf dem Text des Konzepts, der sogen. notula, weshalb Abweichungen zwischen den Texten der Registereintragungen und den ausgehändigten Urkunden festzustellen sind. Längst nicht alle ausgegangenen Originalurkunden wurden in ein Register eingetragen, so daß in den Jahren 1381 bis 1418 von 107 überprüften Originalurkunden 60 nicht registriert worden sind. Umgekehrt sind aber auch viele Urkunden nur bis zum Konzept und zum Registereintrag gediehen, ohne daß dann auch eine Urkunde ausgefertigt worden wäre. Daraus läßt sich schließen, daß bereits der Registereintrag als beweiskräftig galt und es einer Urkundenausfertigung nicht unbedingt bedurfte. Gegenüber den ausgefertigten Urkunden zeigen die Registertexte Kürzungen und Auslassungen von Formeln, z. T. geben sie den Inhalt einer Urkunde nur in knapper Form wieder, wobei die Person des Empfängers in der dritten Person steht.

Über das Ausmaß der Tätigkeit der wettinischen Kanzlei in den Jahrzehnten um 1400 gibt die folgende Übersicht über die bekannten Urkunden der Wettiner Auskunft:

  • von 1381 bis 1395 in 16 Jahren etwas weniger als 1000 Urkunden,

  • von 1396 bis 1406 in 11 Jahren etwas mehr als 1000 Urkunden,

  • von 1407 bis 1418 in 12 Jahren etwa 1200 Urkunden,

  • von 1419 bis 1427 in 9 Jahren etwa 1200 Urkunden.

Die durchschnittlich in einem Jahre festzustellende Zahl ausgefertigter Urkunden ist demzufolge in den fraglichen 46 Jahren etwas mehr als auf das Doppelte gestiegen.

Dabei muß bedacht werden, daß gleichzeitig auch das Rechnungswesen an Umfang zunahm. Vor allem die Amtleute wurden immer häufiger zur Rechnungslegung veranlaßt, denn die landesherrliche Lokalverwaltung war eine wesentliche Grundlage für den Aufbau des Territorialstaates. Ein Teil des niederen Adels, die sogen. Amtssassen, wurde völlig den Ämtern unterstellt und verlor damit die unmittelbare persönliche Bindung an den Fürsten. Mit Hilfe der Ämter wurden alte mittelalterliche personale Beziehungen in institutionelle Unterordnung umgewandelt.

Schließlich ist neben der Zunahme der bloßen Zahl noch eine Ausweitung der Urkundentexte festzustellen, die seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts auf dem billigeren Papier ausführlicher als auf Pergament gehalten waren. Auch in den Registern ging man dazu über, anstelle der regestenartigen Eintragungen des 14. Jahrhunderts den vollen Urkundentext abzuschreiben, was zu einem Aufschwellen der Bücher führte. Das betrifft namentlich die Lehnsregister, [p. 199] in die nun alle in den Lehnbriefen aufgeführten Besitzstücke eines Lehnsträgers in aller Ausführlichkeit eingetragen wurden.

Das Personal der Kanzlei stand nicht in einer festen Besoldung. Es sind nur Trinkgelder bezeugt, die von den Urkundenempfängern offenbar nach eigenem Ermessen und mit Rücksicht auf den Wert des Urkundeninhalts gegeben wurden. So zahlte die Stadt Dresden 1407 für die Bestätigung ihrer Privilegien dem Kanzler die stattliche Summe von 8 Gulden 8 Schock 24 Groschen und den Schreibern 2 Schock. Eine Bürokratie im eigentlichen Sinne war noch nicht ausgebildet, die Schreiber waren zumeist nur wenige Jahre in der Kanzlei tätig, so daß der Fall häufig auftritt, daß ein Schreiber nur eine einzige Urkunde geschrieben hat. Man wird in der Regel ortsansässige Schreiber dort beschäftigt haben, wo sich die Kanzlei gerade befand, denn da es noch keine feste Residenz gab, mußte die Kanzlei dem Markgrafen auf seinen Reisen überallhin folgen. Sie war oft unterwegs, wobei das Schriftgut und die ganze Kanzleieinrichtung in Säcke und Laden verpackt und auf Wagen transportiert wurde.

Unter diesen Bedingungen kam dem Kanzler eine besondere Bedeutung zu, denn er war das stabile Element inmitten aller Beweglichkeit. Er hatte seinen Platz in dem sich formierenden landesherrlichen Rat und wuchs immer stärker in politische Aufgaben hinein, besonders die Rechtssprechung wurde sein Feld. Die Folge dieses Aufrückens war eine gewisse Entfernung von der praktischen Kanzleiarbeit. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts treten Kanzler bürgerlichen Standes auf, im 15. Jahrhunderts gehörten sie vorwiegend dem Bürgertum an, während die Räte normalerweise aus dem Adel kamen. Der 1464 eingestellte erste Kanzler weltlichen Standes trug den bezeichnenden Namen Johann Stadtschreiber. Sein Nachfolger war Johannes Mergenthal, der besonders auf dem Gebiet der Finanzwirtschaft begabt war und 1469 Landrentmeister wurde. Als solcher richtete er die oberste Finanzverwaltung Kursachsens ein und sorgte für eine übersichtliche und regelmäßige Rechnungslegung. Unter seiner Amtsführung begann das Finanzwesen, sich aus der allgemeinen Hof- und Zentralverwaltung zu lösen und sich im Sinne der Ressorttrennung zu verselbständigen. Die Herauslösung eines weiteren Ressorts kündigte sich mit der stärkeren Spezialisierung des Kanzlers auf die Justizangelegenheiten an, denn er entwickelte sich zum höchsten Justizbeamten des werdenden Territorialstaates; zumeist kam er als Jurist von der Universität Leipzig.

Ein geordnetes Urkunden- und Kanzleiwesen schließt notwendigerweise das Bestehen eines Archivs ein. Bei den Wettinern ist die archivarische Verwahrung von Urkunden erstmals zum Jahre 1293 bezeugt. Die älteste bei den Wettinern eingegangene und erhalten gebliebene Urkunde stammt aus dem [p. 200] Jahre 1243, ältere Urkunden sind im Original verlorengegangen. Im Staatsarchiv Dresden, das den größten Teil der schriftlichen Überlieferung aus der wettinischen Kanzleitätigkeit aufbewahrt, sind bis zum Jahre 1300 nur 36 Urkunden aus der Provenienz der Markgrafen von Meißen erhalten geblieben, wobei es sich nur um einen Bruchteil des ursprünglichen Bestandes handeln kann.

Die Urkunde von 1243 trägt ein Dorsualregest, das etwa 100 Jahre später angebracht wurde. Es steht mit einem deutlich erkennbaren archivarischen Bemühen im Zusammenhang, denn bis 1329 sind an 71 Urkunden Dorsualien als Zeichen bewußter archivarischer Tätigkeit festzustellen. Sie sind auf Johann von Eisenberg zurückzuführen, der als Kleriker aus dem niederen Adel der Wettiner stammte, 1324 als Notar in der wettinischen Kanzlei festzustellen ist und 1333–39 als Protonotar an der Spitze der Kanzlei stand; 1340 wurde et Dompropst von Meißen. Die davon betroffenen Urkunden zeigen alle einen Inhalt, der in jenen Jahren von aktueller Bedeutung war: politische Angelegenheiten, Familienverträge, Gebietserwerbungen, Bündnisse und Pfandschaften. Eine 1330 angefertigte Liste von Urkunden mit besonderem Wert, die in den Jahren 1323 bis 1329 eingegangen waren, stammt von der gleichen Hand wie die Dorsualien, so daß hier von einer gezielten Archivarbeit gesprochen werden kann.

Der geschichtliche Hintergrund ist durch den Tod des Markgrafen Friedrich I. im Jahre 1323 gegeben. Dessen Sohn Friedrich II. stand bis 1329 unter der Vormundschaft eines Herren Reuß, um sodann in selbständiger Regierung seine Herrschaft zu festigen. Dazu diente ihm nicht zuletzt die sorgfältige Aufarbeitung des Urkundenbestandes.

Nachdem man am markgräflich meißnischen Hofe im Zusammenhang mit den Archivarbeiten von 1330 ein engeres Verhältnis zu den eingegangenen Urkunden erhalten und ihren Wert für die Territorialpolitik erkannt hatte, wurde auf der Wartburg bei Eisenach, dem Stammsitz der Landgrafschaft Thüringen, ein Urkundendepot eingerichtet. Die besondere Wehrhaftigkeit dieser Burg bot die nötige Sicherheit für einen so wertvollen Bestand. Nach der Chemnitzer Teilung von 1382 hatte jeder der drei Teilfürsten die ihm zustehenden Urkunden gesondert aufbewatrt, aber die Altenburger Örterung von 1436 schuf wiederum ein gemeinsames Archiv der damals drei wettinischen Fürsten, die in den zwei Hauptteilen Meißen und Osterland regierten. Der Bestand war in einem eigenen Repertorium verzeichnet. Als dann 1482 die thüringische Hauptlinie ausstarb, kamen auch deren Urkunden zu dem gemeinschaftlichen wettinischen Archiv, das nunmehr in Leipzig errichtet wurde, jedoch im Jahre 1554 nach Wittenberg gelangte, wo es als „Wittenberger Archiv‟ bis zu seiner Auflösung im Jahre 1802 verblieb.

[p. 201] Damit ist die Darstellung bereits am Ende der ins Auge gefaßten Zeit angelangt. Die Leipziger Teilung von 1485 ließ zwei selbständige wettinische Fürstentümer entstehen; die je ihr eigenes Urkunden- und Kanzleiwesen ausbildeten. Mit der oben schon angedeuteten Verselbständigung der Kammerverwaltung und der Errichtung des Oberhofgerichts in Leipzig 1483 begann die Auflösung der einheitlichen Zentralverwaltung, womit sich die Ressorttrennung des 16. Jahrhunderts ankündigte. Gegen das Ende des 15. Jahrhunderts legten sich die Kurfürsten und Herzöge von Sachsen auf dauerhafte Residenzen fest, so daß die nunmehr ortsfesten Kanzleien sich intensiver ausbilden konnten. Der in Sachsen seit etwa 1470 mächtig aufblühende Frühkapitalismus veränderte das gesellschaftliche Gefüge und wirkte sich auch auf die landesherrliche Regierungs- und Verwaltungstätigkeit aus. Das Mittelalter ging zu Ende, die Neuzeit kündigte sich an und mit ihr der moderne Staat, der nicht mehr mit dem einfachen Instrumentarium der spätmittelalterlichen Territorialverwaltung auskommen konnte. Aber daß an der Wende zum 16. Jahrhundert die Grundlagen für die Ausbildung des modernen Staates geschaffen waren, ist der aufbauenden Tätigkeit der spätmittelalterlichen landesherrlichen Kanzlei zu danken und darf als deren geschichtliche Leistung gewürdigt werden.

Literaturhinweise

Quellenausgaben

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