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[p. 961] Das Notariat in Schweden

Als neues Mitglied der internationalen Diplomatikkommission die erste Vorlesung vor dieser gelehrten Versammlung damit zu beginnen, das Thema zu kritisieren, ist vielleicht nicht ganz passend. Dass «Das Notariat in Schweden bis zum vierzehnten Jahrhundert» ein vergleichsweise undankbares Thema ist, dafür kann man ja keinen hier anwesenden oder heute lebenden verantwortlich machen. Ab und zu kann man als Repräsentantin eines Landes, das zu den Randgebieten der mittelalterlichen, europäischen Bildung gehörte, interessante Beobachtungen mitteilen. Aber solche Vorteile der Rückständigkeit bietet das aktuelle Thema eigentlich nicht.

Einige Notizen aus den zeitgenössischen Quellen beleuchten die Schwierigkeiten. Propter defectum publici notarii quorum vsus in partibus illis non habetur — «wegen Mangel an notarii publici, die man hier nicht verwendet», heisst es in einem Schreiben an den Papst aus dem Jahre 1339. Es ist ausgefertigt an einem der schwedischen Dome. Und in dieser Weise begründet man, dass man eine Reihe von Zeugen zu der Untersuchung einberuft, von der die Quelle handelt1.

[p. 962] In einer Supplik einige Jahre später ersucht der schwedische König darum, dass der Papst einem Bischof die Erlaubnis geben möge, 30 Notare für ihn zu ernennen. Als Grund wird der grosse Mangel an Notaren in diesen Gegenden angegeben: cum sit in partibus illis magna penuria seu indigentia notariorum2.

Als Mirakelaufzeichnungen während des Kanonisationsprozesses der heiligen Birgitta von Schweden in den siebziger Jahren des vierzehnten Jahrhunderts an den Papst eingesandt wurden, waren sie nicht — wie erwartet — von Notaren mit Notariatszeichen beglaubigt. Statt dessen waren sie mit Unterschriften und Siegeln versehen. Erneut wurde angegeben der Gebrauch von Notaren sei in diesem Land ungewöhnlich und es wurde auch gesagt dass man sich nicht auf solche verlasse, sondern nur auf Siegel: qui notariorum usus rarus est in terra ista, nec eis creditur sed sigillis3.

Auch aus den nordischen Nachbarstaaten Dänemark und Norwegen gibt es aus dieser Zeit Angaben, wonach Notare selten gewesen seien und man sich nicht auf sie verlassen habe: rari vel pauci; nec in eis creditur4.

Dass man aber gar keine Notare gehabt hätte, wie in dem ersten Brief behauptet wird, scheint eine Übertreibung oder ein understatement zu sein, wie man will. Die Behauptung ist ausserdem nicht recht verständlich, wenn man weiss, dass noch heute einige Notariatinstrumente erhalten sind, die einer der Bevollmächtigten in jenem im Jahre 1339 aktuelle Zwist einige Jahre zuvor (1318-1328) geschrieben hatte. Dieser Arnvidus Johannis, ein Schwede, ist übrigens unser erster [p. 963] namentlich bekannter notarius publicus auctoritate apostolica. Ich komme auf ihn zurüch5.

Vor diesem Zeitpunkt ist kein Notar belegt. Dagegen haben wir von Ende des dreizehnten Jahrhunderts einige Briefe über Güterauflassung die im Wesentlichen nach dem Formular von Notariatsinstrumenten aufgesetzt sind. Aber es fehlt ein Notariatszeichen, und der unterzeichnende Priester nennt sich nicht Notar. Vielmehr sind die Briefe entsprechend den übrigen Pergamentsurkunden mit hängenden Siegeln besiegelt worden6. Eigenartiger lässt sich der Domherr, der im Auftrage des Doms das betreffende Gut entgegennimmt, ein gewisser Magister Nicolaus Odolphi, einige Jahre vorher als Student in Bologna belegen. Gerade in den letzten Jahrzehnten des dreizehnten Jahrhunderst gab es dort viele Skandinavier, die nach ihren Studien in Paris dorthin kamen7. Sie haben offenbar nicht nur Kentnisse, sondern auch Bücher über die ars notaria mit nach Schweden gebracht. Eine Summa de officio tabellionatus wird in einem Testament aus der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts genannt. Exemplare von Johannes Andreae oder Johannes Bononiensis Summa notarie so wie von den Werken des Dominicus Hispanus sind noch vorhanden8.

Es ist nicht schwer, den Grund für jene Angaben im zeitgenössischen Quellenmaterial zu finden, dass in Schweden Mangel an Notaren herrsche und dass man Notariatsbeweisen oder anderen Notariatsurkunden nicht traue. Das Notariat war eine Institution die [p. 964] im hohen Grade mit jener Tätigkeit verbunden war, die im vierzehnten Jahrhundert von einer Reihe von Nuntien und Kollektoren im Interesse des päpstlichen Stuhles, d. h. innerhalb der Kirche, ausgeübt wurde. Die Notare, die es trotz allem gab, waren also von den päpstlichen Nuntien ernannt, damit sie beim Ausfertigen von Quittungen und Instrumenten verschiedener Art, nicht zuletzt in kirchlichen Zwisten, behilflich sein konnten.

So war jener Arnvidus Johannis, unser erster namentlich bekannter Notar, von dem päpslichen Kollektor, einem einheimischen Domherrn (Nicolaus Sigvasti) ernannt worden, der ab 1317 im Norden tätig war. Der Papst hatte ihm die Erlaubnis erteilt jemanden nach gebührender Prüfung im Interesse seiner Tätigkeit zum Notar (tabellio) zu ernennen, wobei der Betreffende nach einem vorgeschriebenen Formular einen Eid zu schwören hatte: tibi concedendi tabellionatus officum uni persone quam ad illud post diligentem examinationem ydoneam esse repereris prius ab ea iuramento recepto iuxta formam presentibus annotatam plenam auctoritate presentium concedimus facultatem9. Bei anderen Gelegenheiten wurde auch gefordert, dass die Notare nicht verheiratet sein oder dass sie die Weihen erhalten haben sollten: offitium tabellionatus duabus personis non coniugatis, nec in sacris ordinibus constitutis10.

In vielen Urkunden die aus dem Reichsarchiv zu Stockholm oder dem Vatikanarchiv bekannt sind, begegnen wir einer Reihe von Notaren. Man erfährt, wie sie die Kollektoren auf Reisen durch das Land von Dom zu Dom begleiten. In einigen Fällen sind sie schon am Anfang mit auf der Fahrt und stammen also aus südlichen Ländern. Das gilt z. B. von Jacobus de Eusebio, der im Jahre 1333 Petrus Gervasi, Domherr zu Puy, begleitete. Oder die Notare Joffridus Cellarij, Tullensis presbiter, und Bertoldus Heyme, clericus Hildensemensis, im Gefolge des Nuntius und Kollektors Johannes Guilaberti, Domherrn [p. 965] von Verdun, in den fünfziger Jahren des vierzehnten Jahrhunderts. Andere wiederum waren Dänen, aber die Mehrzahl stammte aus den sieben damaligen schwedischen Diözesen. Für die Geistlichen hat der Auftrag oft den Anfang einer kirchlichen Karriere bedeutet11.

Dies bedeutet aber nicht, dass Notare ausschliesslich im Dienste der Nuntien vorkamen. Es gibt Belege, wonach der Papst einen örtlichen Bischof bevollmächtigte, eine bestimmte mit Namen genannte Person zu ernennen, unter der Voraussetzung, dass der Betreffende geeignet war und den Notareid schwur12. Viele schwedische Notare sind vom Ende des vierzehnten und aus dem fünfzehnten Jahrhundert bekannt. Unter anderem nahmen sie Zeugenaussagen bei den Kanonisationsprozessen für schwedische Heilige auf13. Auf Grund der Quellenlagen ist es dagegen unklar, was aus den 20 Notaren wurde, deren Ernennung durch einen Bischof der Papst dem schwedischen König im Jahre 1347 genehmigte.

Aus dieser Zeit begegnen auch Notare kaiserlicher Autorität: imperiali auctoritate notarius publicus. Obwohl es nicht in den gegebenen zeitlichen Rahmen fällt möchte ich in diesem Zusammanhang noch die für nordische Verhältnisse einmalige kaiserliche Ernennung des Domprostes zu Turku und seiner Nachfolger zu Pfalzgrafen erwähnen, mit der das Recht verknüpft war, öffentliche Notare zu ernennen. Ausführliche Vorschriften darüber füllen einen grossen [p. 966] Teil des Briefs Friedrichs des Dritten14. Um vom späteren fünfzehnten zum vierzehnten zurückzukehren: vor allem im Zusammenhang mit Studien auf dem Kontinent, besonders in Prag, wurden Schweden zu kaiserlichen Notaren ernannt. Verglichen mit den päpstlichen waren sie nicht besonders zahlreich. Abschliessend sei noch erwähnt, dass auch Stadtschreiber notarius civitatis — und Synodalnotare genannt werden15.


1 1339 20/8 (ed. Diplomatarium Svecanum = DS IV, Stockholm 1853-1856, n. 3.439, pag. 673).

2 1347 8/9 (DS V, Stockholm 1858-1865, n. 4.226, pag. 706-707).

3 1377 10/9 & 1378 2/8 (Acta et processus canonizacionis beate Birgitte, ed. I. Collijn, Uppsala 1924-1932, pag. 175-184).

4 1438 3/10 (ed. Diplomatarium Norvegicum = DN VI: 2, Christiania 1864, n. 473, pag. 505); 1445 14/11 (DN IV: 2, ibidem 1858, n. 897, pag. 658). Cfr. H. Nielsen, Notar (Kulturhistoriskt lexikon för nordisk medeltid = KL XII, Malmö 1967), pag. 363; K. Pirinen-J. Liedgren, Fides publica (KL IV, Malmö 1959), pag. 246-248.

5 1318 18/3 (cod. A 20, fol. 303r, Svenska riksarkivet, Stockholm); 1318 1/4 (DS III, Stockholm 1842-1850, n. 2.142, pag. 355).

6 1291 6/4 (DS I, Stockholm 1829-1834, n. 1037-1038, pag. 110-112).

7 Memoriali del comune Bolognese 58, c. 450v (Archivio di Stato di Bologna); A. Sällström, Bologna och Norden intill Avignonpavedömets tid (Bibliotheca historica Lundensis V, 1957), pag. 157, 211-214; cfr. J. Liedgren, Notar (KL XII, pag. 365).

8 1358 9/3 (ed. Diplomatarium Danicum III: 5, Kobenhavn 1967, n. 109, pag. 97 & DS VII: 3, Stockholm 1982, n. 5.866, pag. 21-23). Cod. 53 & 211, Universitätsbibliothek Uppsala (cfr. M. Andersson-Schmitt, Übersicht über die C-sammlung der Universitätsbibliothek Uppsala, Acta Bibliothecae R. Universitatis Upsaliensis 16, Uppsala 1970), pag. 28.

9 1317 1/7 (ed. Diplomatarium Svecanum appendix. Acta pontificum Svecica I. Acta cameralia I: 1, Stockholm 1936, n. 153. pag. 147).

10 1326 5/9 (DN VI, Christiania 1863, n. 122, pag. 137) etc. J. Liedgren, Tabellio (KL XVIII, Malmö 1974), pag. 39.

11 Jacobus De Eusebio: 1333 22/3 (DS IV, n. 2970, pag. 308) etc. Joffridus Cellari: 1354 11/6 (DS VI: 5, Stockholm 1946, n. 5.462, pag. 829) etc. Bertoldus Heyme: 1356 19/11 (DS VII: 1, Stockholm 1976, n. 5.669, pag. 117) etc. — Johannis Nicholai, clericus Lundensis: 1333 9/1 (DS IV, n. 2.957, pag. 297) etc. Nicolaus Petri, clericus Roskildensis: 1358 19/3 (DS VII: 3, n. 5.873, pag. 27) etc. — Joarus Nicolai, clericus Lincopensis: 1351 19/3 (DS VI, n. 5.263, pag. 662), etc. Laurentius Mathie, clericus dyocesis Strengenensis: 1366 22/7 (DS IX: 1, Stockholm 1970, n. 7.385, pag. 93) etc. Cfr Y. Brilioth, Den pafliga beskattningen af Sverige intill den stora schismen (Uppsala 1915), passim.

12 1366 22/10 (ed. Finlands medeltidsurkunder = FMU I, Helsinki 1910. n. 756, pag. 318).

13 J. Liedgren, Notar (KL XII), pag. 365.

14 (1466?-1489), ed. FMU I, n. 606., pag. 486.

15 Cfr. L. Wikström in Studier och handlingar rörande Stockholms historia V (Stockholm 1985), pag. 21.