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[p. 1259] Die frühe Entwicklung des Notariats im Bistum Hildesheim

Im wesentlichen kann man erst für das 14. Jahrhundert von einer Rezeption des öffentlichen Notariats in Norddeutschland sprechen. Zwar finden sich, besonders an den geistlichen Zentren des westlichen Deutschland, schon seit dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts öffentliche Notare1, und noch früher sind an diesen Orten nahezu funktionsgleiche Tabellionen zu finden2, jedoch tritt auch bei der Verbreitung des Notariats nach Norden die Form der Phasenverzògerung auf, die in anderen Gebieten der Rezeption juristischer und verwaltungspraktischer Neuerungen zu konstatieren ist.

Diese Tatsachen führen im Falle Hildesheims, wie zu zeigen sein wird, dazu, dass das Notariat in Norddeutschland allgemein und in Hildesheim speziell nahezu ohne die von Schuler herausgearbeitete Phase der Frührezeption3 als gewissermassen fertige Institution [p. 1260] übernommen wird. Die Übernahme hängt in Deutschland in entscheidendem Masse an dem Ausbau der geistlichen Rechtsprechung, vor allen an Einführung und Ausweitung der bischöflichen Offizialatsgerichte und ihrer Tätigkeit. Folgerichtig finden sich erste Spuren notarieller Tätigkit denn auch im Gebiete geistlichen Rechts und geistlicher Rechtsprechung, während weltliche Angelegenheiten erst später von Notaren beurkundet werden. Es sei an dieser Stelle im übrigen hinzugefügt, dass das Hildesheimer Quellenmaterial keinen Anhalt dafür bietet, das Aufkommen des Notariats in Zusammenhang «mit der Ausbildung der Territorialstaaten» zu sehen4.

Vor diesem Hintergrund soll im folgenden der Versuch unternommen werden, anhand gedruckter Urkunden aus dem Bereich des Bistums Hildesheim diesen Frühformen der Rezeption des Notariats nachzugehen und die Stabilisierung von Institution und Aufgabenkreis des Notariats bis in das ausgehende 14. Jahrhundert zu verfolgen. Dabei werden Urkunden der Bischöfe von Hildesheim sowie der Städte Hildesheim, Goslar und Braunschweig im Mittelpunkt stehen5.

I.

Die ersten überlieferten Notariatsinstrumente aus dem Bistum Hildesheim stammen aus dem Jahre 1339: In Braunschweig wird zu Jahresanfang eine Reihe von Prozessschriften in einem Streit mit dem Halberstadter Bischof in Form von Notariatsinstrumenten aufgesetzt [p. 1261] und vom Notar Johann v. Gandersheim unterzeichnet6; der Bischof von Halberstadt war der zuständige Diözesanbischof für die östlich des Flusses Oker liegenden Stadtteile Braunschweigs. Aus dem gleichen Jahr 1339 datieren auch die beiden ersten in Hildesheim aufgesetzten Instrumente des Notars Thydericus dictus Corvus, in denen innere Angelegenheiten des Hildesheimer Kreuzstifts beurkundet werden7. Alle diese Instrumente zeigen bereits fertig ausgebildete Formen: Das Protokoll (aus Invocatio, Datum, Aussteller-und allgemeiner Zeugenformel) sowie das Eschatokoll (aus «Acta-sunt-hec» — sowie «quibus-supra» — Formel, Zeugen, Notarsunterschrift und -signet8) verraten dabei eine Vertrautheit mit dem Urkundenformular, die es ausschliessen lässt, bei ihren Schreibern an unerfahrene Personen zu denken. Vielmehr handelt es sich bei diesen ersten Notariatsinstrumenten der Diözese Hildesheim um den Nachweis einer sehr schnell und nahezu vorbereitungslos einsetzenden Rezeption dieser Neuerung. Hildesheim, Braunschweig, Goslar und die anderen Städte des südwestlichen Niedersachsens stehen mit den ersten Notariatsinstrumenten im zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts damit ungefähr auf einer Zeitstufe der Rezeption mit ihrer Nachbarschaft9.

Anhand von südwestdeutschem Material hatte Schuler herausgearbeitet10, dass der Rezeption der Notariatsinstrumente im Ganzen die Übernahme einzelner ihrer Formeln vorausgeht, und er hatte dabei besonders auf die Zeugenformel testibus ad hoc vocatis et rogatis hingewiesen. In der Tat finden sich Nachweise dieser Zeugenformel oder ihrer Abwandlungen in Goslarer und Hildesheimer [p. 1262] Urkunden schon vor dem ersten Auftauchen ganzer Instrumente. Genannt seien folgende Fälle: Ein Registereintrag im Kopiar des Goslarer Stadtrats von 1322 schliesst mit der Zeugenformel et quam plures alii, qui pro testimonio rogati fuerunt et adducti11. Ähnlich spricht eine Urkunde eines Adligen für die Grafen von Hallermund 1326 von Zeugen, die presentibus et in testimonium vocatis seien12; unter den solchermassen genannten Anwesenden ist kennzeichnenderweise auch der Hildesheimer Bischof Otto II.! Bei der Abtretung von Lehngut durch die Herren von Escherde an den gleichen Bischof Otto werden 1331 die Zeugen als ad hoc vocati pariter et rogati bezeichnet13. Schliesslich wird eine ähnliche Formel (ad hoc specialiter convocatis) von Bischof Otto in einer eigenen testamentarischen Verfügung des gleichen Jahres verwendet14. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang überdies auch der Urteilsspruch eines bischöflichen Archidiakons von 1330, der in seinem Eschatokoll bereits stark an Formen des Notariatsinstrumentes erinnert. Die in Instrumenten übliche «Acta-sunt-hec» — Formel wird hier situationsbedingt abgeändert in Lata est hec sententia, die folgende Nennung von Datum, Ort und Zeugen entspricht aber bereits vollständig dem Notariatsinstrument15.

Diese Beobachtungen erlauben die Schlussfolgerung, dass sich die anderweit zu beobachtende Form der Frührezeption des Notariatswesens auch in der Hildesheimer Diözese bestätigt. Einzelne Formularteile von Notariatsinstrumenten werden schon in Siegelurkunden übernommen, Teile der Siegelurkunden werden im Formular streckenweise an Instrumente näher angelehnt. Beide Erscheinungen treten vor allem in solchen Zusammenhängen auf, die die Mitwirkung von Urkundenschreibern des bischöflichen Hofes mindestens wahrscheinlich sein lassen.

[p. 1263] Fraglos lässt sich das Auftauchen erster Notariatsinstrumente in der Hildesheimer Diözese um 1340 aber nicht mit einem funktionierenden Offizialat begründen16. Der Versuch des Hildesheimer Bischofs Siegfried II. (1279-1310), einen Offizial einzusetzen, endete vielmehr schon nach wenigen Jahren: Spuren der Tätigkeit dieses Beamten finden sich urkundlich nur 1292-9517. In der folgenden Zeit ist das Amt nicht nur nicht wieder besetzt worden, sondern sogar soweit in Vergessenheit geraten, dass der Rat Hildesheims um 1370 an die Halberstadter Kollegen schrieb: Van dem officiale ne wete we noch use elderen nicht to seggende18 («Von dem Offizial wissen weder wir noch unsere Eltern etwas zu sagen»). Vielmehr habe zu dieser Zeit wie auch vorher, so schreiben die Ratsherren, die geistliche Gerichtsbarkeit in der Hand des Archidiakons gelegen. Einen bischöflichen Offizial gab es in Hildesheim erst wieder 1392 und später19. So ist Schulers Feststellung, «die überall in den deutschen Diözesen entstehenden Offizialgerichte wurden zum eigentlichen Vermittler des Notariatswesens»20, mindestens für Hildesheim nicht zutreffend, wohl aber besteht auch hier ein enger Zusammenhang mit dem geistlichen Prozess im allgemeinen.

Zur Konkretisierung dieser Behauptung mag ein Blick auf die ersten Notariatsinstrumente und die in ihnen angesprochenen rechtlichen Probleme dienen: In den ersten Instrumenten finden die um 1340 laufenden Prozesse Braunschweigs mit den beiden zuständigen Bischöfen Erich v. Hildesheim und Albrecht v. Halberstadt ihren Niederschlag. In diesem Zusammenhang wird der Kleriker der Hildesheimer Diözese und öffentliche Notar kaiserlicher Autorität Johann v. Gandersheim erstmals in einer Serie von fünf Instrumenten tätig, in denen er Prokuratorenvollmachten und Appellationen im [p. 1264] Prozess gegen den Halberstadter Bischof beurkundet21. Ein zeitlich parallellaufender Prozess mit dem Hildesheimer Bischof führt einerseits 1339 zu einem notariellen Transsumpt einer Kardinalsurkunde durch den Notar Ludolphus de Scalneghe22, andererseits wird der bereits genannte Johann v. Gandersheim als Prokurator von Bürgern und Geistlichkeit Braunschweigs bevollmächtigt und mehrfach in dieser Funktion genannt23.

Ebenso sind geistliche Angelegenheiten bei der Verpfändung einer Kurie durch den Hildesheimer Archidiakon an das Domkapitel 134124, bei einer Kontumazialforderung von Klerus und Rat Braunschweigs an das dortige Kloster St. Ägidien 134225, beim Verzicht eines Goslarer Domherren auf Schadensersatz gegen Rat und Bürger Braunschweigs 134326 und schliesslich bei der Auslieferung eines wegen Diebstahls verhafteten Mönches an den Hildesheimer Vize-Archidiakon als seinen zuständigen Richter 1343 betroffen27. Diese Aufzählung liesse sich um etwa zwanzig weitere Notariatsinstrumente aus den nächsten beiden Dekaden verlängern28, ohne dass dies das Bild wesentlich ändern würde. Beurkundungen geistlicher Rechtsangelegenheiten bilden im Bereich des Bistums Hildesheim eine Generation nach den ersten Notariatsinstrumenten das ausschliessliche Tätigkeitsfeld und überwiegen zahlenmässig gegenüber den weltlichen Angelegenheiten auch noch lange später.

[p. 1265] Die ersten Beurkundungen einer weltlichen Sache mittels eines Notariatsinstrumentes liegen aus Hildesheim zum Jahre 1365 vor29: Johannes Zoneman, Bürger der kleinen Ackerbürgerstadt Bockenem bei Hildesheim, ist offensichtlich wegen einer umstrittenen Rentenzahlung durch den Rat Hildesheims mit den Ratsherren in Meinungsverschiedenheiten geraten und hat in der Nachbardiözese Halberstadt einen Prozess angestrengt, eine Tatsache, die sich möglicherweise aus dem Prinzip des Gerichtsstands der belegenen Sache erklären könnte. In zwei Notariatsinstrumenten wird nun ein Vergleich herbeigeführt, der im wesentlichen zugunsten der Stadt ausfält: Zoneman verspricht zunächst, auf alle Rechtsmittel zu verzichten und sich einer Entscheidung nicht zu entziehen, im übrigen nach Ablauf der zum Vergleich gesetzten Frist Einlager (obstagium) in Hildesheim leisten zu wollen. Nach Ablauf dieser Frist verzichtet er gegenüber der Stadt auf alle Rentenansprüche und diese gegen ihn auf jede rechtliche Verfolgung. Es handelt sich bei dieser Massnahme um den Modellfall einer Streitigkeit aus dem Bereich freiwilliger Gerichtsbarkeit, deren Regelungen zu den Domänen der Notariatsinstrumente gehörten30.

Im ganzen Verlauf des 14. Jahrhunderts bleiben Regelungen weltlicher Rechtsfragen in Notariatsinstrumenten aber entschieden in der Minderheit: Ganze sieben Fälle aus den Jahren 1383-97 lassen sich in Hildesheim und Goslar ausfindig machen. Davon handelt es sich bei vier Notariatsinstrumenten um Transsumpte von Urkunden auf Ersuchen beider Stadträte31. Die verbleibenden Urkunden betreffen die Schenkung einer Summe Bargeld durch eine Hildesheimer Witwe an den Rat der Stadt 138332, die Abtretung eines Teiles des Goslarer Bergzehnten an den Rat 139633 sowie die notarielle Protokollierung von Zeugenaussagen über die Zollerhebung in Vienenburg [p. 1266] 139734. Allein diese geringe Zahl überlieferter Notariatsinstrumente in weltlichen Angelegenheiten — sie umfasst kaum mehr als ein Zwanzigstel der Gesamtüberlieferung bis 1400 — und ihr zeitlich spätes Einsetzen in den letzten Jahren des 14. Jahrhunderts machen deutlich, dass im Bereich des Bistums Hildesheim das Notariatsinstrument bei weitem überwiegend in Angelegenheiten geistlichen Rechts in Anspruch genommen wurde.

II.

Über die Herkunft der Notare im Bistum Hildesheim ist nur weniges in Erfahrung zu bringen. Der Zusatz der Herkunftsdiözese nach dem Namen bringt 19 der 54 namentlich bis 1400 genannten Notare in Beziehung mit der Diözese Hildesheim, 9 mit Minden, 5 mit Mainz, je 2 mit Bremen, Halberstadt, Lübeck, Paderborn und Schwerin sowie je einen mit Kammin, Magdeburg, Münster, Ratzeburg und Verden. Zu den Namen von sechs weiteren Notaren werden keine Diözesen genannt. Dieses Bild eines verhältnismässig starken Übergewichts der Heimatdiözese deckt sich weitgehend mit Schulers Ergebnissen aus Südwestdeutschland35. Wenngleich damit nicht zwingend behauptet werden kann, dass es sich um «einheimische» Notare im Sinne einer persönlichen Herkunft aus der Hildesheimer Diözese handelt36, so spricht doch einiges für diese Annahme. Überdies werden sich letztlich doch in vielen Fällen diejenigen Diözesen decken, in denen der Notar seine Klerikerweihen erhielt, aus denen er stammt und in denen er zum Notar ernannt wurde.

Nur wenige Notare führen Namen, aus denen der Ort der Herkunft zwingend abzuleiten ist, wie dies bei Johannes dictus Prigel de Goslaria (Goslar)37 oder bei Johann Kopmans von Volcmersem (+ Volkmersdorf)38 möglich ist. In einer Reihe von anderen Fällen, etwa bei dem bereits zitierten Johann v. Gandersheim oder bei Berthold v. [p. 1267] Eckelsem (Hoheneggelsen, Kr. Hildesheim-Marienburg)39 scheint es sich ebenfalls um Herkunftsnamen zu handeln. Daran sind jedoch angesichts der Tatsache, dass in beiden Fällen Bürgerfamilien gleichen Namens in Braunschweig über Generationen ansässig sind, Zweifel erlaubt.

In zwei Fällen handelt es sich bei urkundenden Notaren gleichzeitig um Stadtschreiber Goslars: Hermann Werenberg, Kleriker aus der Diözese Minden, erscheint urkundlich erstmals 1386 als Rektor der Goslarer Bartholomäuskapelle40 und ist seit 1388 als Verfasser von Notariatsinstrumenten nachweisbar41. Nach dem Ende seiner Tätigkeit als Stadtschreiber ist der 1387 in Heidelberg zum Baccalaureus in legibus promovierte Jurist Goslarer Domscholaster (1398-1403) sowie Pfarrer der dortigen Marktkirche geworden (bis 1432)42. Sein Stellvertreter als Goslarer Stadtschreiber wurde der ebenfalls aus der Diözese Minden stammende Kleriker Johann Vlotho, der seit 1391 in diesem Amt nachweisbar ist und von dem seit 1392 Notariatsinstrumente vorliegen43.

Beide Personen sind Beispiele einer Ämterverbindung, die Schuler vor allem für das 15. Jahrhundert in Südwestdeutschland häufig nachgewiesen hat, die aber im 14. Jahrhundert, und zumal in Norddeutschland, noch weniger verbreitet ist44. In dieser frühen Zeit besteht häufig noch ein gewisses Konkurrenzverhältnis zwischen städtischen Beurkundungsstellen und frei praktizierenden Notaren, das im allgemeinen personelle Identitäten auszuschliessen schien. So [p. 1268] stellen denn die beiden Goslarer Notare für Norddeutschland recht frühe Zeugnisse von Stadtschreiber-Notaren dar45.

Zu den wenigen Nachrichten über die Personen der Notare zählt schliesslich die Herkunft ihrer Autorisation46. Wie in Süddeutschland und in anderen Regionen hinreichend nachgewiesen, ist auch für den Hildesheimer Bereich ein starkes Überwiegen der Notare kaiserlicher Autorisation festzustellen. Schon Schrader hatte für die Notare des Offizialatsgerichts im 15. und 16. Jahrhundert insgesamt 40 kaiserlich, 5 päpstlich und 14 von beiden Gewalten autorisierte Notare ausmachen können47. Für die hier behandelte Zeit des 14. Jahrhunderts sind unter 54 Notaren lediglich ein päpstlich autorisierter (Hildesheim 1346: Johannes Hartmannus uth pawestliker macht schworen schriver48) und ein doppelt autorisierter Notar (Goslar 1386: Henricus Bodonis de Alevelde […] publicus apostolica et imperiali auctoritate notarius49) nachweisbar. Von diesen beiden einzigen Nennungen ist überdies die erste in formaler Hinsicht verdächtig: Abweichend von sonstigen Gebräuchen ist das Instrument vollständig auf deutsch abgefasst worden, stammt in der vorliegenden Form aus einer Abschrift des 17. Jahrhunderts, und der Notar könnte durchaus einer späteren Zeit als der Mitte des 14. Jahrhunderts zuzuordnen sein.

III.

Die Diplomatik der Hildesheimer Notariatsinstrumente verlässt — mit der Ausnahme des deutschsprachigen Instruments von 1346 — nicht die Bahnen des auch aus anderen Gebieten Gewohnten. Zwar ist es im Hinblick auf den im Krieg eingetretenen Verlust nahezu aller Urkunden des Hildesheimer Domstifts50 in besonderem [p. 1269] Masse bedauerlich, dass in den vorliegenden Editionen die Notarsunterschriften fast regelmässig um das Formular gekürzt wiedergegeben und die Signete ohnehin nicht erfasst werden, für eine diplomatische Untersuchung wenigstens einer Serie von Notarssubskriptionen stehen aber die Drucke von elf Instrumenten des Braunschweiger Notars Johann v. Gandersheim aus den Jahren 1339-1348 zur Verfügung51.

Bei ihrer Durchsicht lässt sich folgendes feststellen: Namensnennung, persönliche Angaben und Autorisation52 werden in allen Fällen in der stereotypen Form Et ego Johannes de Gandersem, clericus Hildensemensis dyocesis, publicus sacri imperii auctoritate notarius angegeben: weitere persönliche Angaben macht weder Johannes, noch wären sie von anderen Notaren in den Subskriptionen nachweisbar.

Der Rechtsinhalt wird bereits von Anfang an durch ausführliche, teilweise auch scheinbar redundante Stichwörter charakterisiert. Eine summarische Angabe des Types quia omnibus et singulis predictis […] interfui wurde offensichtlich schon um die Mitte des 14. Jahrhunderts als nicht hinreichend betrachtet, eine Feststellung, die an südwestdeutschem Material erst ein Jahrhundert später gemacht wurde53. Johannes v. Gandersheim kombiniert vielmehr zumeist die summarische Klausel mit einer genauen Charakterisierung des vorangegangenen Rechtsinhaltes; dafür ein Beispiel aus dem Jahre 1339: quia dicti procuratoris substitutioni ac omnibus aliis predictis […] presens interfui54.

Die Zeugenformel der Subskription ist ebenso wie die Beurkundung der persönlichen Anwesenheit des Notars stehendes Formelgut. Bei der Formel der Ingrossierung verwendet Johannes v. Gandersheim normalerweise den Ausdruck exinde hoc instrumentum publicum confeci et (propria manu fideliter) scripsi. Er beruft sich aber in [p. 1270] drei Instrumenten55 an dieser Stelle darauf, er habe ad requestam genannter Personen ingrossiert. Bei diesem ausdrücklichen Rekurs auf diejenigen Parteien, die un die Beurkundung gebeten hätten, handelt es sich zwar nicht um einen Beurkundungsbefehl im strengen Sinne, wohl aber macht der Notar dadurch seine auftragsgebundene Arbeit besonders deutlich.

IV.

Versucht man schliesslich, sich Rechenschaft darüber zu verschaffen, welchen Weg der Rezeption man sich für die Einführung der Notariatsinstrumente im Bereich der Hildesheimer Diözese vorzustellen hat, so stösst man schnell an Grenzen des Beantwortbaren. Sicherlich kann man, wie dies für andere Regionen gleichermassen gilt, die Verbreitung über die Universitäten und die an ihnen gelehrte Ars notaria annehmen, jedoch lässt sich angesichts des weitgehenden Fehlens von Nachweisen die Frage kaum beantworten, ob die Hildesheimer Notare im universitärem Sinne juristisch gebildet waren. Auf die Ausnahme des in Heidelberg promovierten Goslarer Stadtschreibers und Notars Hermann Werenberg sei ausdrücklich noch einmal hingewiesen.

Auch die in Hildesheim verwendeten Notarshandbücher sind nur mehr in einem erhaltenen Beispiel nachweisbar. Es handelt sich in diesem Falle um einen kleinen Traktat, der prima vista nicht als Vertreter eines der bekannten grossen Notarslehrbücher zu erweisen ist56. Nach Schrifttyp und Wasserzeichen (Briquet 11679) ist die Handschrift den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts zuzuordnen, nach der Zusammenstellung der in ihr enthaltenen Texte handelt es sich um eine Sammelhandschrift vorwiegend juristisch-praktischen Inhalts mit Formularen aus der päpstlichen Kanzlei, Rechtsprechungen der päpstlichen Rota u. a. Die Aufnahme von Urkunden aus einem Rechtsstreit zwischen dem Hildesheimer Domherrn Dietrich v. Dassel und dem Propst des Hl.-Kreuz-Stifts in Nordhausen aus [p. 1271] den Jahren 1373-75 mag einen Hinweis auf das Entstehen dieser Sammelhandschrift auf Betreiben des Kanonikers bedeuten.

Der Traktat trägt den Titel Notabilia pro notario publico, schliesst am Ende der ersten Seite mit der Rubrik Incipiunt regule novi formularii und enthält im einzelnen ein Capitulum de instrumento donationis, ein Capitulum de testamentis, ein Capitulum de agapito et emphiteosi, ein Capitulum de sponsialibus et matrimoniis undschliesst mit dem Capitulum de instrumento recognitionis.

Eine nähere Auswertung dieses Traktats werde ich an anderer Stelle geben.

V.

Fasst man zusammen, so drängt sich zunächst der Eindruck des Unspektakulären, auch wohl des Durchschnittlichen in der Überlieferung des frühen Notariats im Bistum Hildesheim auf: Erst 1339 ist das erste Notariatsinstrument in Hildesheim ausgefertigt worden, und nicht einmal zwei Dekaden älter sind die ersten Spuren einer Rezeption von Formularteilen. Dann aber verbreitet sich das Notariatsinstrument als Mittel zur rechtsgültigen Fixierung von Vorgängen im Bereich des geistlichen Rechts sehr bald. Dagegen ist die geringe Anwendung der Notariatsinstrumente im Bereich weltlichen Rechts eher zu vernachlässigen.

Die Nachrichten, die über die Notare, über ihre Herkunft, Ausbildung und Tätigkeit zu finde sind, gehen kaum einmal über die verhältnismässig dürren Worte der von ihnen aufgesetzten Instrumente hinaus. Es gelingt selten, einen der Notare im eigentlichen Sinne persönlich fassbar zu machen. Auch hier wiederum ist der Goslarer Stadtschreiber und Notar Hermann Werenberg eine Ausnahme.

Wenn dennoch das Notariat in Hildesheim zum Thema eines Beitrages gemacht wurde, so deshalb, weil hier ein Beispiel der Rezeption des Notariatsinstrumentes in Norddeutschland geschildert werden konnte, das für Zeit und Umstände des 14. Jahrhunderts in dieser Landschaft möglicherweise typisch ist. Weitere Untersuchungen des Notariats in norddeutschen Nachbarbistümern und — landschaften werden den hier gewonnenen Eindruck abrunden müssen, Untersuchungen am Beispiel norddeutscher Grossstädte des Mittelalters werden weiter entwickelte Stadien der Rezeption aufzeigen.


1 Peter-Johannes Schuler, Geschichte des südwestdeutschen Notariats. Von seinen Anfängen bis zur Reichsnotariatsordnung von 1512 (Veröffentlichungen des Alemannischen Instituts Freiburg/Br. 39), Bühl 1976, S. 39 (im folgenden zitiert als: Schuler, Notariat).

2 Schuler, Notariat S. 30-37.

3 Ebd.

4 So aber Armin Wolf, Das öffentliche Notariat, in: Helmut Coing (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 1, München 1973, S. 505-514, hier: S. 506.

5 Die verwendeten Quellenveröffentlichungen sind folgende: Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim und seiner Bischöfe, hg. v. Karl Janicke und Hermann Hoogeweg, Bde. 4-6, Hannover/Leipzig 1905-1912 (im folgenden zitiert als UB HoHild); Urkundenbuch der Stadt Hildesheim, hg. v. Richard Doebner, Bde. 1-2, Hildesheim 1881-1886 (im folgenden zitiert als: UBStHild); Urkundenbuch der Stadt Goslar und der in und bei Goslar belegenen geistlichen Stiftungen, bearb. v. Georg Bode, Bde. 3-5 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 31, 32, 45), Halle 1900-1905, Berlin 1922 (im folgenden zitiert als: UBStGosl); Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, hg. v. Ludwig Haenselmann und Heinrich Mack, Bde. 3-4, Berlin 1905/Braunschweig 1912 (im folgenden zitiert als: UBStBrschw). Auf die Vollständigkeit der erfassten Belegen wird über die Zeit von 1350 hinaus kein Anspruch erhoben.

6 UBStBrschw III S. 458-460 Nr. 582; S. 461-464 Nr. 584; S. 465 Nr. 585; S. 465-467 Nr. 586; S. 471f. Nr. 592. — Bei der von Schuler, Notariat S. 51 als erstes Notariatsinstrument genannten Urkunde von 1331 (UBStBrschw III S. 241 Nr. 322) handelt es sich um eine notariell beglaubigte Abschrift des 15. Jahrhunderts. — 1319 schon tritt in einer Braunschweiger Urkunde der öffentliche Notar kaiserlicher Autorität Ludolfus dictus prope Fontem auf (ebd. IV S. 486f. Nr. 336), der aber mit Schuler, Notariat S. 51 als in Brandenburg ansässig zu bezeichnen sein dürfte.

7 UBHoHild IV S. 825f. Nrn. 1499f.

8 Die formale Gliederung nach Schuler, Notariat S. 263.

9 Vgl. dazu die Karte ebd. S. 59 mit den Einzelnachweisen S. 51-62.

10 Ebd. S. 36f.

11 UBStGosl III S. 421 Nr. 620.

12 UBHoHild IV S. 483 Nr. 884.

13 Ebd. S. 637f. Nr. 1184.

14 Ebd. S. 649-651 Nr. 1202.

15 Ebd. IV S. 604 Nr. 1119: Lata est hec sententia anno domini M°.CCC°.XXX°, feria tercia post dominicam qua cantatur Oculi, in curia habitationis nostre presentibus discretis viris [… Namen…] et aliis quam pluribus.

16 Vgl. dazu Gerhard Schrader, Die bischöflichen Offiziale Hildesheims und ihre Urkunden im späten Mittelalter (1300-1600); in: ArchUrkForsch 13, 1935, S. 91-176.

17 Ebd. S. 164 mit Anm. 1.

18 UBStHild II S. 192f. Nr. 317.

19 Schrader, Offiziale S. 123.

20 Schuler, Notariat S. 38f.

21 Vgl. oben Anm. 5; zwei einschlägige Notariatsinstrumente des Notars Luder Carpentarius in UBStBrschw IV S. 31f. Nrn. 26f. und weitere Nennungen Johannes v. Gandersheim ebd. S. 38f. Nr. 37, S. 39f. Nr. 39, S. 41f, Nr. 41.

22 Ebd. III S. 475f. Nr. 600.

23 Ebd. III S. 483f. Nr. 611, S. 504f. Nr. 626, S. 507-509 Nr. 630, S. 518-521 Nr. 637f., S. 526 Nr. 647.

24 UBHoHild V S. 9-11 Nr. 17.

25 UBStBrschw IV S. 61f. Nr. 60; vgl. in gleicher Sache Nr. 61.

26 Ebd. IV S. 104f. Nr. 103.

27 Ebd. IV S. 106f. Nr. 107.

28 Ebd. IV S. 109f. Nr. 111, S. 136-138 Nr. 127, S. 172-174 Nr. 157, S. 291f. Nr. 178; UBStHild I S. 543-547 Nr. 940, II S. 29-31 Nr. 43, S. 66f. Nr. 105, S. 99 Nr. 167, S. 120f. Nr. 197; UBHoHild V S. 122-124 Nr. 220 (1346, deutsch!), S. 303 Nr. 526, S. 308-310 Nr. 534f., S. 380f. Nr. 631, S. 461 Nr. 744, S. 510f. Nr. 826, S. 550-552 Nr. 886, S. 572-574 Nr. 921, S. 717-719 Nr. 1107; UBStGosl IV S. 417f. Nr. 547.

29 UBStHild II S. 128f. Nr. 212, S. 129f. Nr. 214.

30 Schuler, Notariat S. 138-141.

31 UBStHild II S. 393f. Nr. 661; UBStGosl V S. 320-322 Nr. 706a, S. 415 Nr. 872, S. 421f. Nr. 887.

32 UBStHild II S. 335f. Nr. 554.

33 UBStGosl V S. 506 Nr. 1015.

34 Ebd. S. 525-527 Nr. 1044.

35 Schuler, Notariat S. 99.

36 Ebd. S. 98.

37 UBHoHild V S. 380f. Nr. 631.

38 UBStGosl V S. 323 Nr. 708a. — Die Identifizierung des Ortsnamens nach: Hermann Kleinau, Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landes Braunschweig, Bd. 2, Hildesheim 1968, S. 659.

39 UBStBrschw III S. 465-467 Nr. 586.

40 UBStGosl V S. 287f. Nr. 650.

41 Ebd. S. 320-322 Nr. 706a, S. 332-334 Nr. 718, S. 363f. Nr. 775 (hier nur Nennung als prothonotorius oppidi Goslarie), S. 415 Nr. 872, S. 421f. Nr. 887, S. 574-576 Nr. 1128.

42 Über ihn: Sigfrid H. Steinberg, Goslarer Stadtschreiber und ihr Einfluss auf die Ratspolitik bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar 6), Goslar 1933, S. 46-51; Schriftprobe und Notarssignet ebd. Tafel III Nr. 8.

43 UBStGosl V S. 421f. Nr. 887, S. 506 Nr. 1015, S. 523-525 Nr. 1042, S. 525-527 Nr. 1044, S. 556 Nr. 1098, S. 557f. Nr. 1103; über ihn Steinberg, Goslarer Stadtschreiber S. 50-53, Schriftprobe und Notarssignet ebd. Tafel III Nr. 8.

44 Schuler, Notariat S. 174-177.

45 Vgl. dazu im übrigen: Walther Stein, Deutsche Stadtschreiber im Mittelalter, in: Beiträge zur Geschichte vornehmlich Kölns und der Rheinlande. G. v. Mevissen zum 80. Geburtstag dargebracht, Köln 1895, S. 27-70, besonders S. 35ff.

46 Schuler, Notariat S. 122-127.

47 Schrader, Offiziale S. 112.

48 UBHoHild V S. 122-124 Nr. 220.

49 UBStGosl V S. 287f. Nr. 650.

50 Carl Haase/Walter Deeters (Hg.), Übersicht über die Bestände des Niedersächsischen Staatsarchivs in Hannover, Bd. 1 (Veröffentlichungen der niedersächsischen Archivverwaltung 19), Göttingen (1965), S. 54-59.

51 Vgl. oben Anm. 5 sowie UBStBrschw IV S. 61f. Nr. 60, S. 104f. Nr. 103, S. 106f. Nr. 107, S. 136-138 Nr. 127, S. 172-174 Nr. 157, S. 291f. Nr. 278.

52 Die Formularteile werden nach Schuler, Notariat S. 283-289 bezeichnet.

53 Ebd. S. 286f.

54 UBStBrschw III S. 465 Nr. 585.

55 Ebd. IV S. 61f. Nr. 60, S. 136-138 Nr. 127, S. 172-174 Nr. 157.

56 Handschrift: Hildesheim Beverina Ms 665, f. 91r-94r. — Herrn Dr. Helmar Härtel von der Herzog-August-Bibliothek Wolfeubüttel sei an dieser Stelle herzlich gedankt, dass er seine noch ungedruckte Beschreibung dieser Handschrift mir am 1. Juli 1986 zugänglich machte. Der erste Hinweis auf diese Handschrift: Schrader, Offiziale S. 112 Anm. 9 u. S. 159 Anm. 5.