[p. 1195] Schreinseintragungen und Notariatsinstrumente in Köln
Obwohl Kölner schon seit früher Zeit Beziehungen nach Italien und zu italienischen Kaufleuten gepflegt hatten und auf den Messen der Champagne des 12. und 13. Jahrhunderts mit südländischen Bräuchen in Berührung gekommen waren1, dauerte es lange, bis das Notariatsinstrument in der Stadt eingeführt wurde. Es waren auch nicht die Kaufleute oder andere Bürger Kölns, die sich anfangs des Notariatsinstruments bedienten, sondern das Offizialat. Die Umformung der geistlichen Gerichtsbarkeit und die Einführung des gelehrten Rechts haben das Eindringen des Notariatsinstruments in die Stadt Köln und den Kölner Raum begünstigt und waren zugleich die Voraussetzungen für das Aufblühen des Notariats und für die Ausbreitung der neuen Urkundenform2. Ohne den Kölner Erzbischof und die von ihm geführte Kirche hätte es noch auf lange Zeit in der Wirtschfatsmetropole am Rhein keine Notariatsinstrumente gegeben.
[p. 1196] Die Kölner hatten Formen der Beweissicherung entwickelt oder auch schon vorgefunden, die Neuerungen entbehrlich erscheinen liessen. Es gab seit alters die Siegelurkunde, die auch vor geistlichen Gerichten als Beweismittel anerkannt wurden. Ein Siegel in eigener Sache galt stets als beweisfähig. In fremder Sache musste an der Urkunde ein sogenanntes authentisches Siegel hängen. Als solche wurden die der Erzbischöfe, der Bischöfe, aber auch der Offiziale anerkannt. Nördlich der Alpen, also auch in Köln, hatten die Siegel der Fürsten, exempten Äbte und der öffentlichen Notare Beweiskraft in fremden Angelegenheiten3. Dazu traten im Laufe der Zeit auch die Stadtsiegel4.
Vor weltlichen Gerichten galt die Siegelurkunde anfangs nur als Beweisurkunde, der eigentliche Rechtsakt fand vorher vor Zeugen statt, so dass vor Gericht zunächst der Zeugenbeweis mehr als die Siegelurkunde galt. Aber auch im weltlichen Bereich entwickelte sich eine der Lehre vom «sigillum autenticum» angenäherte Auffassung vom beweiskräftigen Siegel in eigener und in fremder Sache. Siegel, die wie beispielsweise die Stadtsiegel zumindest seit dem 13. Jahrhundert öffentlichen Glauben genossen, gewährten der damit besiegelten Urkunde eine absolute Beweiskraft und Unanfechtbarkeit wie einer Königsurkunde. Schliesslich war nicht mehr der Rechtsakt vor der Beurkundung, sondern die Besiegelung und die Übergabe der Urkunde rechtsbegründend. Diese Siegelurkunde wurde im 13. und 14. Jahrhundert auch in Köln zur dispositiven Geschäftsurkunde5. [p. 1197] Sie befriedigte das Bedürfnis nach einer öffentlich beglaubigten Urkunde. Die Forderung nach einer solchen Urkunde hat daher in Köln wie auch anderswo nördlich der Alpen nicht zu einer Vorherrschaft der Notariatsinstrumente geführt.
Lange bevor in Köln Notariatsinstrumente ausgestellt wurden, hatten sich die Kölner daran gewöhnt, ihren Immobilien- und Rentenbesitz durch sogenannte Schreinseintragungen festscheiben zu lassen. Anfangs ging der schriftlichen Fixierung stets die mündliche Absprache voraus. Vielfach fehlte auch die schriftliche Festlegung. Es blieb beim mündlich vollzogenen Rechtsakt vor Zeugen6. Über den Hergang eines solchen Geschäfts aus der Frühzeit des Kölner Liegenschaftsrechts gibt das berühmte Niedericher Weistum Aufschluss. Dessen Datierung ist zwar umstritten, es wird aber wohl seit den Untersuchungen Hermann Conrads in die Zeit um 1150 zu setzen sein7. Es dürfte ohnehin ältere Zustände widerspiegeln. Nach dem Weistum dieser Kölner Vorstadtgemeinde gab es die Auflassung von Liegenschaften unter dem Richterbann vor dem Niedericher Schöffengericht oder die Übereignung unter dem Zeugnis der Gemeindegenossen. Zum Zeugnis der Gemeindegenossen konnten der Richter oder seine Vertreter hinzugezogen werden, mussten es aber nicht. In beiden Fällen, ob der Richter nun anwesend war odler nicht, hatten die Gemeindemitglieder den neuen Eigentümer in seinem Besitz zu verteidigen und ihm gegen Ansprüche Dritter beizustehen8. In diesem Fall war das Zeugnis der Genossen wichtig. Infolgedessen ging [p. 1198] die Beteiligung des Richters an den Liegenschaftsübertragungen ausserhalb des Gerichts zurück und schwand ganz9.
Ursprünglich mag das Zeugnis der Nachbarn das private Zeugnis sogenannter gezogener Geschäftszeugen gewesen sein. Nach dem Niedericher Weistum um 1150 war es aber schon mehr, nämlich ein amtliches Gemeinde- und Nachbarschaftszeugnis10.
Wie im Niederich waren wohl auch die Gepflogenheiten der Liegenschaftsübertragungen in den für die Rechtsentwicklung wichtigeren Kirchspielen, nämlich St. Brigiden und St. Martin in der Rheinvorstadt, St. Alban, St. Kolumba, St. Laurenz und St. Peter in der alten Römerstadt, sodann St. Aposteln vor der Römerstadt. Wie im nördlichen Vorort Niederich wird die Entwicklung auch im südlichen Vorort Airsbach gewesen sein. Die übrigen Vorortbildungen spielen für die Rechts- und Verfassungsentwicklung der Stadt keine grosse Rolle11.
Das Gemeindezeugnis hat sich in keinem Fall aus einer Liegenschaftsübertragung vor Gericht, sondern aus der alten volksrechtlichen Investitur in den Besitz auf dem Grundstück vor gezogenen Zeugen entwickelt12. Bei der Investitur werden schon immer Gemeindegenossen bzw. Nachbarn die meisten Zeugen gestellt haben und im Laufe der Zeit ausschliesslich zum Zeugnis herangezogen worden sein13. Infolge der genossenschaftlichen Organisation der Kirchspiel- oder Vorortgemeinden ging die Funktion der Zeugenschaft und der damit verbunden Währschaft von der Gemeinde auf Amtleutegenossen und die von jenen gewählten Meister über, also auf eine Gruppe von Männern, die die Leitung der Gemeinden an sich gerissen hatte und die Versammlung aller Gemeindemitglieder in den Hintergrund drängte, jedenfalls soweit es sich um die Währschaftsleistung [p. 1199] für den Liegenschaftsverkehr handelte14. Diese Entwicklung hatte bereits eingesetzt, bevor überhaupt etwas aufgezeichnet wurde15.
Zur schriftlichen Fixierung gingen die Amtleutegremien der Kölner Sondergemeinden um 1130 über. Aus der Zeit finden sich Überlieferungen für die Kirchspiele St. Martin, St. Laurenz und den Niederich16. Bei anderen Gemeinden setzen sie später ein. Für die wichtigen Kirchspiele St. Alban und St. Peter, den Vorort Airsbach und den weniger wichtigen späteren Schreinsbezirk Weiherstrasse fehlen Nachrichten des 12. Jahrhunderts ganz. Daraus ist nicht ohne weiteres zu schliessen, dass dort keine Aufzeichnungen gemacht worden seien, es ist vielmehr gerade für die Anfangszeit mit erheblichen Verlusten zu rechnen17.
Die Liegenschaftsübertragungen wurden von den Amtleuten nicht in Form von Einzelurkunden ausgefertigt, sondern auf grosse Pergamentblätter als Sammelurkunde geschrieben18. So entstanden die Schreinskarten, die ihren Namen erhielten, weil sie in einem Schrein in der jeweiligen Pfarrkirche oder bei anderen Gemeindeformen wie dem Niederich und Airsbach in einer besonderen Pfarrkirche, [p. 1200] hin und wieder auch in besonderen Häusern19, seltener in den Geburhäusern20, den Versammlungslokalen der Amtleute, aufbewahrt wurden21. Neuerdings ist die Vermutung geäussert worden, dass die Schreinsschreiber Bezeichnungen des zeitgenössischen Roms übernommen und danach die Institution «scrinia» und sich selbst «scrinarii» genannt hätten22. Selbst wenn man das römische Vorbild voraussetzen will, lag der Ursprung der Bezeichnung im deutschen Wort «Schrein».
Schreinsurkunden, die es in Köln auch gegeben hat23, sind nicht mit Schreinseintragungen zu verwechseln. Sie waren in der Regel Siegelurkunden, seltener Chirographe oder Notariatsinstrumente und sind von Städten, Gerichten, Stiften, Klöstern oder Pfarrern meist ausserhalb Kölns ausgestellt worden. Bei der Mehrzahl der Urkunden handelt es sich um den Verzicht eines Erbberechtigten auf eine Kölner Liegenschaft. Wenn beispielsweise ein Haus verkauft und die Übertragung in den Schrein eingetragen werden sollte, prüften die Amtleute der zuständigen Sondergemeinde, ob alle Berechtigten zugestimmt hatten. Erst wenn sie sich davon überzeugt hatten, übernahmen sie eine Währschaft, garantierten also dem Käufer die rechtmässige [p. 1201] Übertragung und verflichteten sich zum Schadenersatz, falls dennoch eine Unregelmässigkeit aufgetreten sein sollte, die das Geschäft rechtsungültig machte24. War ein erbberechtigter Kölner in ein Kloster eingetreten oder lebte ein solcher in einer fremden Stadt, konnte jener seinen Erbverzicht vor dem Abt bzw. dem Rat oder Stadtgericht aussprechen und schriftlich bestätigen lassen. Die Urkunden erhielten die in Köln lebenden Verkäufer, die sie den Amtleuten überreichten. Die Amtleute hinterlegten die Urkunden im Schrein, entscheidend blieb aber der Schreinseintrag, der manchmal auch auf den schriftlichen Verzicht hinweist25.
Fehlte die Zustimmung eines Berechtigten, konnte die Übertragung trotzdem angeschreint werden. Die Amtleute verlangten dann jedoch eine Bürgschaft des Veräusserers, dass jener die fehlende Zustimmung innerhalb einer bestimmten Frist einhole, oder liessen einen Vorbehalt in die Eintragung aufnehmen, durch den die Währschaft eingeschränkt wurde26. Der Schreinsbezirk Niederich hatte für derartige Fälle sogar seit 1316 ein eigenes Schreinsbuch, genannt «Remissiones»27.
Im 14. Jahrhundert verfiel das Rechtsinstitut der Amtsgewährschaft und verschwand seit der Mitte des 14. Jahrhunderts28, aber die Prüfung durch die Schreinsmeister, denen die ursprünglichen Aufgaben der Amtleute im Schreinswesen übertragen worden waren, blieb bestehen. Wurde nun von einem Gericht eine Liegenschaftsübertragung für ungültig erklärt, haben die Schreinsschreiber die Eintragung entweder durchstrichen oder häufiger am Rand ein «vacat» notiert29.
Die Eintragung in die Schreinskarten des 12. und 13. Jahrhunderts war in objektiver Form wie ein Notitia abgefasst. Sie begann stets mit «Notum sit»30. Sie begründete nicht das Recht an einem [p. 1202] Grundstück, sondern diente zunächst nur als Gedächtnisstütze für die Amtleute, schliesslich aber als Beweis für die Übertragung31. Im 14. Jahrhundert schon galt die Übereignung vor Amt und Schrein mit anschliessender Schreinseintragung sogar als besseres Recht gegenüber einer blossen Beurkundung des Rechtsgeschäfts, auch wenn die Urkunde, was möglich war, aber selten vorkam, im Schrein deponiert wurde.
In Köln war die Schreinseintragung nie notwendig oder zwingend vorgeschrieben. Sie blieb fakultativ, setzte sich aber wegen der höheren Rechtssicherheit durch. Allerdings verboten manche Kölner Stifte und Klöster die Anschreinung und bestanden auf der Ausstellung von Urkunden, um ihren Besitz der städtischen Aufsicht zu entziehen32. Solche Grundstücke, die in Schreinsbüchern nicht erfasst sind, hiessen Briefgut33.
Die Liegenschaftsübertragung war nur eine Art der Rechtsgeschäfte, die mündlich vor der Gemeinde oder später den Amtleuten verhandelt und in die Schreinskarten eingetragen wurden. Dazu kamen Vermietungen, Pfand- und Leihegeschäfte, Belastungen mit Erb- und Leibrenten, Stiftungen, Ehe- und Mitgiftverträge, Erbschaftsangelegenheiten, Regelungen unter Nachbarn beispielsweise bei Grundstücksgrenzen, testamentarische Verfügungen, Arreste34, gelegentlich auch Statuten, die sich Amtleute oder Kirchspielgenossen gesetzt hatten35. Obwohl der Inhalt der Eintragungen in die Schreinskarten vielfältig war, überwogen doch von Anfang an die Grundstücksgeschäfte, also Liegenschaftsübertragungen aller Art, [p. 1203] Rentengeschäfte und Pfandsachen36. Die Tendenz, die Eintragungen auf diese Gegenstände zu beschränken, führte seit dem Ende des 14. Jahrhunderts dazu, dass fast nur noch solche Rechtsgeschäfte eingetragen wurden. Die Schreinsbücher waren infolgedessen zum städtischen «Grundbuch» geworden. Für Statuten wurden eigene Bücher angelegt, die sogennanten Amtleutebücher, für die Verteilung von Geldern an berechtigte Amtleute die sogenannten Knodenbücher, die zeitweise und in einigen Schreinsbezirken auch als Konzeptbücher benutzt wurden37.
Da die Schreine nur zu bestimmten Zeiten geöffnet wurden38, und die Schreiber also nur dann die Rechtsgeschäfte eintragen konnten, machten sie sich von den Rechtsgeschäften Aufzeichnungen auf Konzepten, die sie zu den festen Zeiten in die Schreinskarten oder die späteren Schreinsbücher übertrugen. Die Eintragungen in die Schreinsbüncher waren Reinschriften39.
Im 13. Jahrhundert gingen die Schreinsbehörden dazu über, die Pergamentblätter zu falten und Blätter einzulegen40. Das früheste Beispiel aus der Sondergemeinde St. Martin um die Mitte des 12. Jahrhunderts blieb zunächst noch ohne Nachfolge sogar in der Gemeinde selbst41. Der Schöffenschrein dagegen begann mit ineinandergeschobenen Blättern ohne die Vorstufen der Schreinskarten. Die Schöffen des Kölner Hochgerichts, die das Schreinsgeschäft zum Teil an sich gezogen hatten, haben allerdings nur die Schreine der Sondergemeinden nachgeahmt42. Am deutlichsten ist der Übergang [p. 1204] von der Schreinskarte über zusammengelegte, dann auch schon zusammengeheftete Blätter zu Schreinsbüchern bei der Sondergemeinde St. Kolumba zu beobachten43. Ferner ist an den Büchern aus allen Schreinsbezirken des 13. Jahrhunderts noch der Entstehungsprozess abzulesen. Die Behörden kauften nämlich eine Lage Pergamentblätter und liessen sie beschreiben. Waren die Blätter vollgeschrieben, kauften die Amtleute eine neue Lage und liessen sie an die alte heften, ohne sie zu beschneiden, so dass die Lagen der ersten Bücher fast immer von unterschiedlichem Format waren44. Wenn die Amtleute einmal kein Geld hatten, unterliessen sie manchmal sogar für mehrere Jahre den Kauf neuer Pergamentblätter. Der Schrein blieb dann geschlossen. Der Grundstücksverkehr war auf die alte Siegelurkunde angewiesen, bis der Schrein wieder geöffnet wurde45. Manche Käufer haben in die Urkunde einen Passus aufnehmen lassen, dass das Geschäft nach Wiederöffnung des Schreins eingetragen werden solle, eben weil die Eintragung in das Schreinsbuch als das bessere Recht galt46.
Der Übergang von der Schreinskarte zum Schreinsbuch hatte zunächst noch keine rechtlichen Folgen. Grundsätzlich blieb im 12. Jahrhundert das mündliche Zeugnis der Amtleute noch ausschlaggebend. Jedoch verlagerte sich im 13. Jahrhundert der Schwerpunkt auf den Schriftakt der Eintragung, da der schriftliche Nachweis in den Schreinsbüchern bei Auseinandersetzungen wichtiger als das Amtleutezeugnis wurde. Zum Konstitutivakt wurde die Eintragung noch [p. 1205] nicht, da sie nicht Bestandteil des Rechtsakts war, sondern schriftliches Beweismittel des vollzogenen Akts blieb47. So behielt die Schreinseintragung auch ihre alte objektive Form bei. Jede begann mit «Notum sit quod» bzw. nach Übergang von der lateinischen zur deutschen Sprache mit «Kunt si dat»48. Nur die Hacht, ein kleiner Schreinsbezirk im Umkreis des Doms, der auch sonst Sonderheiten aufwies, erklärte im 14. Jahrhundert die Eintragung in das Schreinsbuch zum entscheidenden Rechtsakt49. Hier war die Schreinseintragung zum Konstitutivakt geworden. Der Hacht folgten die übrigen Sondergemeinden jedoch nicht. Aber indem sich in ihnen die Rechtsauffassung durchsetzte, dass einer Liegenschaftsübertragung ohne Schreinseintragung ein gravierender Mangel anhafte, führte die Entwicklung doch dahin, dass die Kölner schliesslich die Eintragung als das notwendige Mittel zum Rechtserwerb ansahen50. Die Eintragung galt, wenn auch rechtlich nicht einwandfrei, so doch de facto als Konstitutivakt, als rechtsbegründender Akt. Dabei blieb es während des gesamten Mittelalters.
Das Kölner Schreinswesen hat in der näheren und weiteren Umgebung der Stadt Nachfolge gefunden. Berühmt und bekannt sind die Metzer Bannrollen aus dem Ende des 12. jahrhunderts51, sowie der Andernacher Rotulus des 12.-13. Jahrhunderts52. Schreinsbüchern vergleichbare Aufzeichnungen finden sich im Rheinland ausserdem in Neuss, Deutz, Erpel, Kalkar, Kleve, Rees, Brauweiler, Siegburg, Aachen, Koblenz, Bingen und anderen Orten. Selbst auf dem Lande hat die Schreinsführung Nachahmung gefunden, wie im [p. 1206] Hayenschrein des Hofgerichts Sülz, den Schreinen des Hofes Deckstein, des Hofes Kriel und des Fronhofsverbandes Mauenheim, alle in der näheren Umgebung Kölns53. Auf diese Ausstrahlung des Kölner Schreinswesens sei wenigstens hingewiesen, wenngleich sie nicht eingehend untersucht werden kann, da die Zeit dazu fehlt.
Als das Notariatsinstrument im Rheinland aufkam, gab es also im Grundstücksverkehr festgefügte Gewohnheiten, die die öffentlichen Notare nicht mehr aufzubrechen vermochten. Notariatsinstrumente sind in diesem Geschäftsbereich Ausnahmen geblieben54. Das gilt auch für Köln und dessen Umkreis.
Obwohl das Notariatsinstrument im Gefolge des Ausbaues der geistlichen Gerichtsbarkeit in die Kölner Diözese eingedrungen war, hatte es auch in diesem Bereich mit einer harten Konkurrenz, nämlich der Offizialatsurkunde, zu kämpfen. Sie war eine Siegelurkunde. Gerade auf die Besiegelung wollten oder konnten die Kölner Erzbischöfe nicht verzichten, da sie eine erhebliche Einnahmequelle darstellte55. Zwar legten die Statuten der Kölner Kurie um 1320 und wieder am 12. August 1356 fest, dass der Siegler nur Urkunden besiegeln dürfe, die die der Kurie geschworenen Notare geschrieben und mit ihren gewöhnlichen «Signa» versehen hätten56, aber mit den «Signa» sind keine Notariatssignete gemeint, sondern teilweise einfache Namenszüge unter dem Text, die aber auch fehlen konnten, wie [p. 1207] eine Durchsicht von Offizialatsurkunden beweist57. Die Offizialatsurkunde war und blieb also eine Siegelurkunde. Es kam allerdings vor, dass ein Offizial ein Notariatsinstrument ausstellen liess, das der Siegler dann aber besiegeln musste58.
Das Offizialat, das in Köln um 1250 eingeführt worden war59, hat trotzdem das Aufkommen des Notariats erst ermöglicht und den öffentlichen Notaren Betätigungsfelder eröffnet60, sei es im Offizialatsgericht als Schreiber, Prokuratoren oder Advokaten61 oder auch als tätige öffentliche Notare, die Zitationen, Befehlsausführungen und anderes in Form von Notariatsinstrumenten beurkundeten. Vor allem von Geistlichen und geistlichen Institutionen wurden die Notare zur Beurkundung herangezogen, weil ihre Instrumente von [p. 1208] geistlichen Gerichten anerkannt wurden. Wie das Offizialat, das nach französischen Vorbildern übernommen wurde und dessen erste Amtsträger ebenfalls aus dem Westen stammten62, kam das Notariat aus dem Westen. Auch das unterstreicht die enge Verbindung von Offizialatsgerichtsbarkeit zum Notariat.
In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts gelang es den Notaren, die enge Beziehung zum geistlichen Gericht zu lockern und sich neue Verdienstmöglichkeiten zu eröffnen, nämlich in der Abfassung von Testamenten. Testamente von Kölner Geistlichen, an die man zunächst denken könnte, waren ursprünglich Urkunden, die sie selbst siegelten und die ihre Testamentsvollstrecker oder ihre Kirchen, Klöster oder Stifte oder auch das Offizialat mitsiegelten. Die Bürger liessen ihre letzwilligen Verfügungen oft in Schreinsbücher eintragen, und zwar in die sogenannten «libri generales» oder «sententiarum», die jeder Schreinsbezirk führte. Sie stellten aber auch wie die Kleriker seit dem 13. Jahrhundert Siegelurkunden aus, die sie teilweise im Schöffenschrein hinterlegten63. Die Hinterlegung wurde in einem eigenen Schreinsbuch dem «liber parationum» oder «ordinationum» vermerkt64. Durch die Siegelurkunde drohte den Schöffen die Aufsicht über das bürgerliche Testamentswesen zu entgleiten. Sie verhinderten das, indem sie in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts durchsetzten, dass ein gültiges Testament von mindestens zwei Schöffen besiegelt sein musste65. Zunächst von geistlicher Seite, dann von Bürgern der Kölner Aussenbezirke und schliesslich von allen Bürgern wurden Notare zur Errichtung von Testamenten herangezogen. Aber auch bei Notariatsinstrumenten setzten die Schöffen durch, dass gültige Testamente dieser neuen Form von zwei Schöffen besiegelt sein mussten. Das erste Testament dieser Art, das überliefert [p. 1209] ist, hat am 2. März 1376 Johann von Hofsteden, ein Notar mit päpstlicher Autorisation, im Auftrag des Erblassers Heinrich von der Wyden verfasst, unterschrieben und mit seinem Signet versehen. Zur höheren Sicherheit unterzeichnete auch noch der kraft kaiserlicher und päpstlicher Autorisation amtierende Notar Gerhard Weydhase von Zülpich, der sein Signet dazu setzte. Zwei Schöffen siegelten66.
Im Recht des Schöffenschreins von 1387 wurde diese Form der Testamentserrichtung festgelegt und 1390 nochmals bekräftigt67. Die nur von Schöffen besiegelte Urkunde ohne Mitwirkung eines Notars blieb zwar noch erlaubt, wurde aber ungebräuchlich. Das normale Kölner Bürgertestament war seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein von zwei Schöffen besiegeltes Notariatsinstrument68. Dieser Brauch wurde in den Statuten der Stadt Köln von 1437 sanktioniert69. Allerdings galt diese Vorschrift nur für solche Testament, in denen die Erblasser Liegenschaften und Erbrenten innerhalb der alten Römerstadt, der Rheinvorstadt und des Kirchspiels St. Aposteln und der Vorstädte Niederich und Airsbach vermachen wollten. Für Liegenschaften in den übrigen Randgebieten und für Fahrhabe allgemein konnte der Kölner eine beliebige Testamentsform wählen.
Der erste öffentliche Notar in der Kölner Erzdiözese war Roger von Lüttich, der 1274 in Lüttich ein Notariatsinstrument für geistliche Urkundenparteien ausfertigte70. In Köln selbst stellte Dietrich von Köln genannt von der Portzen («de Porta») das erste Notariatsinstrument im Auftrag des erzbischöflichen Offizials im jahre 1279 [p. 1210] aus71. Um 1300 gab es in Köln bereits drei bis vier öffentlcihe Notare, die gleichzeitig amtierten72. Die Zahl erhöhte sich im 14. Jahrhundert beträchtlich. Wenn der Kölner Erzbischof Wilhelm von Gennep jedoch 1353 von Kaiser Karl IV. erbat, einhundert Notare ernennen zu dürfen, weil es in seiner Diözese zu wenige gebe, sind Zweifel angebracht, ob ein so hoher zusätzlicher Bedarf tatsächlich vorhanden war73. Vielleicht wollte der geschäftstüchtige Erzbischof sich auch nur eine neue Geldquelle erschliessen.
Ausserhalb der Metropole am Rhein kam im Laufe des 14. Jahrhunderts in grösseren, aber auch kleineren Städten das Notariat auf, beispielsweise in Soest seit 1296, in Xanten seit 1307, in Essen seit 1308, in Dortmund seit 132474, bereits 1302 in Neuss75. Auf dem Lande freilich hatte es einen schweren Stand. Es konnte sich gegen andere Beurkundungsstellen, besonders die weltlichen Gerichte, kaum durchsetzen. In den Grafschaften bzw. Herzogtümern Jülich und Berg stellten im gesamten 14. Jahrhundert 16 Notare lediglich 15 Notariatsinstrumente aus. Nach Querling dürfte zumindest die genannte Zahl der Notare der historischen Wirklichkeit sehr nahe kommen76. Das Missverhältnis der höheren Zahlen von in den Städten [p. 1211] wohnenden Notaren zu den auf dem Lande amtierenden hat auch Franz-Ludwig Knemeyer für das Münsterland festgestellt77. Das Notariat blieb im wesentlichen auf die Städte beschränkt. Viele Notare siedelten sich dort an, wo geistliche Gerichte ihren Sitz hatten. So ist die Tatsache, dass in Xanten der Offizial des Archidiakons sass, als Grund dafür zu werten, dass in der relativ kleinen und wirtschaftlich wenig bedeutenden Stadt schon früh ein Notar tätig war und in den folgenden Jahren stets einer oder sogar mehrere amtierten78.
Das zumindest in manchen Städten sich schnell ausbreitende Notariat und die steigende Zahl der Notare veranlasste die Erzbischöfe, Kontrollen einzuführen, da offenbar Personen zu Notaren ernannt worden waren, die die erforderlichen Kenntnisse nicht besassen oder sich auch betrügerischerweise als Notare ausgaben. Erzbischof [p. 1212] Heinrich II. von Virneburg verlangte in den Statuten der Kölner Kurie von ca. 1320 von den Klerikern einen Eid, verzichtete aber noch auf eine Prüfung auch der an der Kölner Kurie tätigen Notare79. Erzbischof Walram von Jülich führte am 30. September 1338 eine Prüfung der Bestallungsurkunden und der Kenntnisse der Notare durch seinen Kölner Offizial ein. Wer eine unmittelbar vom Kaiser stammende Vollmacht beass, war davon ausgenommen, ebenso wohl auch die von der römischen Kurie ernannten Notare. Alle jedoch waren verpflichtet, sich dem Offizial vorzustellen, der sie in eine Liste eintragen sollte80. Von solchen Listen ist in den Statuten von 1356 zwar keine Rede mehr, aber auf irgend eine Art hat sich der Offizial auch damals einen Überblick verschaffen müssen81. Das war ohne Aufzeichnungen kaum möglich.
Trotz der Androhung der Exkommunikation, falls Notare ohne Genehmigung des Offizials tätig würden, und trotz der Ankündigung, dass von solchen Notaren angefertigte Instrumente als ungültig zu betrachten seien82, gibt es Anzeichen dafür, dass sich Notare der Prüfung entzogen haben. Da Notare in ihre Unterschrift ausser der kaiserlichen oder päpstlichen Autorisation auch aufnahmen, dass sie geschworene Notare der Kölner Kurie seien, lässt sich aus dem Fehlen des Schwurs in der Unterschrift schliessen, dass nicht alle Notare die Bestätigung durch den Offizial erhalten oder einige darauf verzichtet hatten, sie einzuholen.
[p. 1213] Einige Notare hatten sich die Approbation vom Erzbischof direkt geholt83. Ein anderer war von der Kölner Universität approbiert worden. In begrenztem Masse trat also auch die 1388 gegründete Kölner Universität als Konkurrentin zum Offizialat auf. Im 14. Jahrhundert allerdings gab es nur einen Notar, der, von der Universität bestätigt, Notariatsinstrumente auch ausserhalb des universitären Bereichs ausstellte84.
Notare konnten in erzbischöfliche Dienste treten. Sie sind in der Kanzlei zu finden, aber auch in diplomatischen Diensten oder als politische Berater. Sie erlangten als Belohnung oft gut dotierte Pfründen. Der öffentliche Notar Tilmann von Unna beispielsweise wurde um 1320 erzbischöflicher Kanzleichef und erlangte drei Kanonikerpräbenden85. Der Notar päpstlicher Autorisation Sibert von Dülken war in den erzbischöflichen Dienst getreten, galt als «notarius iuratus» des Erzbischofs und führte Kanzleivermerke auf Urkunden ein. Er erhielt Kanonikate in Rees und St. Severin in Köln86. Der Ausgangspunkt vieler Karrieren war die erzbischöfliche Kurie in Köln mit ihren geschworenen Notaren, von denen der Erzbischof geeignete Leute für seine Kanzlei berief87.
Auch das Domstift, der erste Stand des Erzstifts, verpflichtete für seine vielfältigen Aufgaben Notare, wie den in der zweiten Hälfte des [p. 1214] 14. Jahrhunderts tätigen Bernhard von Rheinberg alias von Hobule88.
Die Stadt Köln hat für ihre Kanzlei ebenfalls aus dem Reservoir fähiger Männer unter den Notaren geschöpft. Schon ihre frühen Stadtschreiber waren gelehrte Leute gewesen, wie «magister» Heinrich, der 1270, oder Meister Gottfried, der 1301 gestorben ist. Auch deren Nachfolger Heinrich und Heidenreich Plock waren «magistri»89. Der erste öffentliche Notar, der in stätische Dienste trat, war Johann Pothoven, der 1321 als städtischer Protonotar bezeugt ist90. Der 1326 bis zu seinem Tod 1359 tätige Protonotar Arnold Nycholai war ebenfalls öffentlicher Notar91. Der Stadtschreiber Thomas von Dalen dagegen war kein öffentlicher Notar gewesen. Unter ihm arbeitete jedoch der Notar päpstlicher Autorisation Johann Tilmanni von Hofsteden92. Andere Notare waren gelegentlich für die Stadt tätig, wie Bernhard von Rheinberg alias von Hobule, der hauptsächlich dem Domkapitel diente93. Der Notar päpstlicher Autorisation Gerlach vom Hauwe, der an der Kölner Universität studiert hatte, fing als Schöffengerichtsschreiber an, war dann Schreiber bei den Schreinsbehörden und führte 1394 die deutsche Sprache in den Schreinsbüchern [p. 1215] ein. Seit 1396 war er Stadtschreiber und wurde 1399 wegen Hochverrats hingerichtet94.
Seit 1300 sind zwar nicht alle stätischen Protnotare gleichzeitig öffentliche Notare gewesen. Köln hat auch immer wieder andere studierte Juristen in seinen Dienst genommen. Aber die Zahl der öffentlichen Notare an der Spitze der stadtkölnischen Kanzlei war doch erheblich. Auf unterer Ebene jedoch als Schreiber der Rentkammer, des Bürgermeisters oder auch als Schreinsschreiber wurden häufig Männer eingestellt, die das Notariat nicht erworben und auch nicht studiert hatten95. Nicht selten aber haben selbst in diesen Ämtern öffentliche Notare gedient. Sogar kleinere Städte wie beispielsweise Rheinberg, das 1367 den kaiserlichen Notar Rutger von Poll zum Stadtschreiber wählte, beschäftigten öffentliche Notare96.
Die in Köln tätigen Notare haben zunächst ihre Instrumente selbst verfasst und geschrieben. Nur in Ausnahmefällen zog der Notar einen anderen hinzu, der für ihn die Schreibarbeit erledigte. Das änderte sich um die Mitte des 14. Jahrhunderts. Es entstanden kleine Büros mit Angestellten. Auf dem Weg dazu war bereits der kaiserliche Notar Lubert von Boken, der 1350 erstmals als geschworener Notar der Kölner Kurie eine Urkunde bezeugte97. Ein Notariatsinstrument über die Vereidigung von Wahlmännern zur Wahl eines Pfarrers für Klein-St. Martin am 5. August 1359 liess er vom kaiserlichen Notar Gerhard Buysch von Heinsberg, eines Klerikers der Lütticher Diözese, schreiben. Lubert selbst unterschrieb und zeichnete sein Signet ein98. Einen Tag später nahm Lubert wegen [p. 1216] Auseinandersetzungen um die Pfarrerwahl die Verhandlungen in Köln und in Wollersheim bei Nideggen in der Wohnung der Äbtissin von Maria im Capitol auf. Ein Instrument schrieb er selbst, ein zweites liess er den schon erwähnten Gerhard Buysch, das dritte den kaiserlichen Notar Hermann von Bowilre schreiben99. Zwei Tage darauf hatte Lubert vier Notariatsinstrumente auszufertigen, von denen er keines selbst schrieb, sondern je zwei Gerhard Buysch und Hermann von Bowilre schreiben liess100. Lubert setzte nur seine Unterschrift und sein Signet unter den Text. Während über die Tätigkeit des Gerhard Buysch wenig bekannt ist, kann Hermann von Bowilre wohl mit Hermann Hermanni von Bowilre identifiziert werden, der 1355 ein Notariatsinstrument schrieb und vier weitere am gleichen Tag für andere Notare mit bezeugte und 1364 zwei Notariatsinstrumente verfasste101. Lubert von Boken hatte demnach mutmasslich eine Kanzlei, in der er den Notar Gerhard Buysch beschäftigte. Zeitweise zog er auch den sonst selbständig arbeitenden kaiserlichen Notar Hermann Hermanni von Bowilre heran.
Ein anderer interessanter Mann ist der kaiserliche und geschworene Notar der Kölner Kurie Heinrich von Lintorf alias de Prato. Er begegnet zuerst 1355. Damals arbeitete er mit Hermann Hermanni von Bowilre zusammen. Am 19. November 1355 forderte die Stadt fünf Notariatsinstrumente an, in denen stätische Privilegien transsumiert werden sollten. Köln brauchte die Transsumpte in seinem Kampf mit dem Erzbischof. Heinrich von Lintorf nahm die Sache in seine Hände. Er tat sich mit drei anderen Notaren zusammen, nämlich mit dem schon genannten Hermann Hermanni von Bowilre, Rutger von Hillesheim und Johann Kessel von Kelz, alle kaiserliche und geschworene Notare der Kölner Kurie. Zwei Notariatsinstrumente schrieb Heinrich von Lintorf, die übrigen je eins. Aber alle setzten ihre Unterschriften und Signete unter den Text der fünf Instrumente, [p. 1217] so dass sie also von den vier Notaren gemeinsam beglaubigt waren102. Die Stadt mag darauf wert gelegt haben. Aber die Art der Ausführung des Auftrags hat auch etwas mit der Arbeitsweise Heinrichs von Lintorf zu tun. Er schrieb nämlich in der Regel seine Notariatsinstrumente selbst. Nur am Ende seines Lebens 1387 liess er ein Instrument schreiben, das er von einem weiteren Notar zusätzlich durch dessen Unterschrift und Signet beglaubigen liess103. Als die Stadt jedoch 1377 vier Instrumente haben wollte, vermittelte Heinrich von Lintorf die Notare und beglaubigte die vier Instrumente zusätzlich mit seiner Unterschrift und seinem Signet. Er beschäftigte also nicht wie Lubert von Boken andere Notare in seinem Büro, sondern gab Aufträge, die er nicht selbst erledigen konnte, an Kollegen weiter.
Heinrich von Lintorf war 1367 in städtische Dienste getreten und zunächst Schreiber der Rentkammer geworden104. Für seine Tätigkeit erhielt er ein jährliches Gehalt von 60 Mark, dazu sonstige kleinere Zuwendungen für einzelne zusätzliche Dienste105. Bis 1375 war er geschworener Notar der Kölner Kurie geblieben, dann schied er aus und trat als Leiter der städtischen Kanzlei ganz in den Dienst der Stadt über106. Gleichzeitig führte er die Bücher der Rentkammer weiter, [p. 1218] bis er 1387 starb107. Sein Gehalt erhöhte sich auf jährlich 200 Mark108. Heinrich war mit einer 1378 verstorbenen Sophia verheiratet109. Seit den 70ger Jahren wohnte er an der Judengasse in der Nähe des Kölner Rathauses110.
Ein anderes Geschäftsprinzip als Heinrich von Lintorf entwikkelte der kaiserliche Notar Heinrich Loyff von Medebach. Seit 1378 ist er als kaiserlicher und geschworener Notar der Kölner Kurie bezeugt111. Anfangs schrieb er seine Notariatsinstrumente zum Teil noch selbst. Seit 1382 ging er dazu über, den Text von einem nicht genannten Angestellten schreiben zu lassen. Er setzte nur seine Unterschrift und sein Signet darunter. 1386 hat er anscheinend das letzte Notariatsinstrument selbst geschrieben112. Von insgesamt 58 seiner Instrumente, die ich bis zum Jahre 1400 aus dem historischen Archiv der Stadt Köln zusammengetragen habe, hat er nur sechs selbst geschrieben, bei den übrigen 52 hat er lediglich seine Unterschrift und sein Signet zugefügt. Die Zahl der von ihm stammenden Instrumente wird sich bei der Durchsicht anderer Archive erhöhen, aber das Verhältnis von 10 zu 90 zugunsten von Instrumenten, die seine Angestellten geschrieben haben113, dürfte in etwa erhalten bleiben. Stichproben ergaben, dass er seine Geschäftspraxis auch nach 1400 nicht geändert hat.
[p. 1219] Heinrich Loyff hat vor allem an Testamenten verdient. Die meisten seiner Notariatsinstrumente sind letztwillige Verfügungen114. Ausserdem hatte er feste Einkünfte als Schreinsschreiber. Als solcher hat er wohl im Schreinsbezirk St. Kolumba 1380 angefangen und im Laufe der Zeit weitere Schreine übernommen115. 1410 zog er sich aus dieser Tätigkeit zurück116. An der Kölner Kurie blieb er bis 1414 als Prokurator tätig. 1415 ist er gestorben117.
Heinrich Loyff ist ein gelehrter Mann gewesen. Er hatte an der Kölner Universität studiert118, war Kleriker, aber mit einer Christine verheiratet. Er hinterliess eine Tochter, der er insgesamt sieben Häuser vermachte119. Die Häuser lagen hauptsächlich im Kirchspiel St. Kolumba, für dessen Schrein er übrigens die längste Zeit tätig gewesen war. Dort hat er aucch im Haus zur Kruft an der Kolumbastrasse gewohnt120. In dem Haus hat er sich wohl seine kleine Kanzlei eingerichtet, in der seine Schreiber für ihn die Texte der Instrumente schrieben, die er dann mit seiner Unterschrift und seinem Signet versah.
Heinrich Loyff ist als öffentlicher Notar, Prokurator an der Kölner Kurie und Schreinsschreiber ein wohlhabender Mann geworden. Zu Wohlstand wie er haben es mehrere seiner Nachfolger gebracht. Mögen die ersten Notare noch wenig Beschäftigung und infolgedessen ein geringes Einkommen im Jahr gehabt haben, so änderte sich das. Das Notariat entwickelte sich im Laufe des 14. Jahrhunderts in Köln zu einem einträglichen Beruf, zumal wenn ein Notar in öffentliche Dienste eintrat und neben seinen Einkünften aus selbständiger [p. 1220] Arbeit ein regelmässiges jährliches Einkommen beziehen konnte, sei es als Schreinsschreiber. Seit wann öffentliche Notare Schreinsschreiber gewesen sind, ist noch nicht erforscht, wie überhaupt die Tätigkeit und Stellung der Schreinsschreiber wenig Interesse gefunden hat.
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